Freitag, 1. August 2014

Ein Frontalangriff auf das Kreuz Christi

Ist nun die Kritik des Erzbischofes Zollitsch an der katholischen Lehre vom Sühnopfer Christi, daß er für uns am Kreuz gestorben sei-nein, nicht für uns sondern aus Solidarität mit uns, so der Erzbischof, das Präludium für den Freiburger Fundamentaltheologen Magnus Striet gewesen, diese Kritik zu fundamentalisieren?1 Den äußeren Anlaß des Aufsatzes: „Erlösung durch den Opfertod Jesu“ bot der muslimische Schriftsteller N. Kermani mit seiner aus der islamischen Verneinung des Kreuzestodes Christi entwachsenden Grundsatzkritik an jeder Vorstellung eines Erlöstwerdens durch ein Sühneleiden in der Neuen Züricher Zeitung: „Warum hast du uns verlassen?“ Striet schreibt zwar, „ob diese Formel (Er ist gestorben für unsere Sünden) angesichts ihrer belasteten Rezeptionsgeschichte noch sinnvoll die Erlösungshoffnung des Menschen zum Ausdruck bringt, wenn der Sündenbegriff unter modernen Denkbedingungen neu gefasst wird, weil diese ernst zu nehmen sind, mögen andere entscheiden.“2, aber die Tendenz ist eindeutig: daß diese Formel zu verabschieden sei- vielleicht um sie durch die erzbischöfliche: er habe mit uns gelitten, zu ersetzen?

Daß mit dem Nein zur Sühnopferlehre auch die Lehre von Jesus Christus als dem wahren Priester und somit auch die Lehre vom Amtspriestertum wie vom Priestertum aller Gläubigen hinwegfällt, ist eine selbstverständliche Konsequenz dieser Umdeutung des Todes Christi-auch, daß dann die Eucharistiefeier nur noch eine Mahlveranstaltung sein kann, weil es kein Sühnopfer Christi gab und somit auch kein Meßopfer. Die Konsequenzen sind so wirklich beachtlich- darum soll nun hier die Kririk Striets und seine Umdeutung des Kreuzestodes Christi kritisch gewürdigt werden.

Die Vorstellung des Sühnopfers, des für uns Gestorbenseins stünde im engsten Zusammenhang mit der Vorstellung von der Sünde in ihrer Ausdifferenzierung von der Vorstellung der Erbsünde und der Sünde: der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen soll das Kreuz Christi als der (einzige) Weg zur Erlösung gegenübergestellt werden und daraus kann dann die Frage: Cur deus homo? Beantworter werden: weil nur so der Mensch erlöst werden konnte. Die Erbsündenlehre trüge dann die Last der Begründung der Unmöglichkeit jeder Selbsterlösbarkeit des Menschen und soll sie jedem als ihn bestimmende Macht auch als Schuld zurechenbar sein.

Diese augustinisch-anselmnische Konstruktion fuße auf einer Fehlinterpretation des Paulus, denn dieser habe nur gelehrt, daß faktisch-kontingent alle Menschen gesündigt hätten und sündigen, und so der Erlösung bedürften. Erst Augustin habe daraus eine Notwendigkeit gemacht, daß der postlapsarische Mensch notwendig sündige um des Theorems der Notwendigkeit einer Erlösung aus Gnaden willen. Bei Paulus gäbe es so gesehen nur die Vorstellung, daß Menschen, die wenn sie nicht sündigen würden, auch ohne Gottes Gnade gerecht vor Gott sein könnten, daß sie aber sündigen, ohne daß das Warum ihres allgemeinen Sündigens eruiert werden könne.

Diese augustinische Konzeption wird nun weitergehend kritisiert:Die Vorstellung eines paradiesischen Urzustandes, aus den Adam ob seiner Sünde herausgefallen sei, sei nicht kompatibel mit den Erkenntnissen über die Evolution. Nie hätte es einen solchen Zustand in der Natur- und Menschheitsgeschichte gegeben. So also auch keinen ersten Sündenfall. Will man diesen Sündenfall aber entmythologisieren und als Bruch der Einheit des Menschen mit der Natur rekonstruieren, als dem Moment der Selbstbewußtwerdung des Menschen, dann wäre dieser Fall keine Sünde.

Die augustinische Konzeption der Ursünde versuche, Gott von jeder Verantwortung der Fakzität des Bösen freizusprechen durch diese Vorstellung eines durch die Schuld des ersten Menschen evozierten Depravation der Schöpfung. Uns fällt hier sofort die Neigung auf, Aussagen der Hl. Schrift als Konstruktionen des unheiligen Augustins zu entwerten und als Kehrseite eine pelagianistische Deutung der Schrift als den Aussagegehalt der Schrift auszugeben.

Was setzt Sünde als Schuld verstanden voraus, daß sie dem Menschen als seine Schuld zurechenbar sei? „Sündigen zu können ist deshalb ein Geschenk Gottes, denn diese Möglichkeit existiert nur vor dem Hintergrund der immer noch größeren, treuen und den Menschen um jeden Preis suchenden Liebe Gottes.“3 Sünde kann als Schuld nur dem Gläubigen zugerechnet werden, insofern er im Glauben an die Liebe Gottes nicht gemäß dieser Liebe lebt und er dies bewußt freiwillig tut. Somit könnte wohl gesagt werden, daß alle Menschen Sünder sind, insofern jeder nicht so gemäß der Liebe lebt, aber nicht allen ist dies auch als Schuld zurechenbar. „Denn Sünde als eine besondere Form der Schuld setzt voraus, dass der Sünder verantwortlich gemacht werden kann für sein Handeln, dass er anders hätte handeln können.“4 Er muß von den Möglichkeiten des Handelns wissen, die aus dem Vertrauen heraus, von Gott geliebt zu werden, ihm erwachsen. Ein freies Handeln wider diesen erst im Glauben ermöglichten Handlungsmöglichkeiten sei so erst ein schuldhaftes Handeln. Wo aber Menschen nicht aus diesem religiösen Glauben handeln, sondern aus Angst, da könne nicht von Sünde gesprochen werden.

Die Intention dieser Marginalisierung von schuldhafter Sünde ist die, das Kreuz Christi als den Ausweg aus dem Unheilszustand des Menschen zu entwerten, indem die Sünde klein gemacht wird. Nicht steht mehr der Universalität der durch die Ursünde bestimmte Menschheit das allein Heil verschaffende Kreuz Christi gegenüber, sondern eine Freiheitsgeschichte der Menschen, in der immer wieder auch die Freiheit mißbraucht wird, die aber prinzipiell eine gute Geschichte ist. „Als aber das Paradigma einer universellen Sündenverfallenheit entfiel, um die Frage nach der Bedeutung des Kreuzestodes Jesu zu beantworten...“ resümiert Striet den Kampf wider die Lehre von der Ursünde. Daß damit Paulus theologische Konzeption seines Römerbriefes genichtet wird, ist dann ein Kollateralschaden dieses pelaginisierenden Ansatzes. Paulus zeigt ja im Römerbrief durch die These der allgemeinen Erkennbarkeit Gottes durch die natürliche Gotteserkenntnis und dem Wissen um das von Gott Gesollte im menschlichen Gewissen die Universalität der Sünde auf: daß jeder unentschuldbar nicht so gelebt hat wie er sollte in der Einheit vom Bestimmtsein durch die adamitische Ursünde und dem Sündigen jedes einzelnen.

Gott wurde also nicht Mensch und starb nicht am Kreuz für die Vielen, um den von der Ursünde bestimmten und unter der Drohung des göttlichen Endgerichtes stehenden Menschen zu retten-sondern.

Leistet die erste Kritik der Sündenvorstellung das wohlfeile Ergebnis: so schlimm stünde es gar nicht um den Menschen (hier leuchten die Augen aller Pelagianer, Humanisten und Freunde rausseauischer Naturverklärung) , als daß er das Therapeutikum eines am Kreuze für ihn sich opfernden Christus bedürfe, so soll nun gezeigt werden, daß das Kreuz Christi als Sühnopfer kein Heilmittel für den Menschen sein könne.

Ganz offenherzig enthüllt der Fundamentaltheologe dabei seine Naivität: „Denn wenn Gewalt abzulehnen ist,unbedingt, so darf auch Gott sie höchstens tolerieren, und auch dann noch wäre nach den Gründen zu fragen, die dies akzeptabel machen.“5 Ein einziger Blick in die paulinische Staatsmetaphysik (Röm 13) als Frage nach dem ersten Grund und dem Zweck des Seins des Staates zeigt, daß Gott selbst die Staatsgewalt will (als Schwertgewalt) und so Gewalt nicht nur zuläßt sondern ihr erster Grund ist. Das Kreuz darf also nicht ein Heilszeichen sein, weil die Kreuzigung ein Akt staatlicher Schwertgewalt war und so das Kreuz auch die Staatsgewalt und Gewalt prinzipiell legitimiere.

Auf zwei Ebenen eröffnet nun Striet seinen Kampf wider das Kreuz als für uns gestorben.Einerseits argumentiert er freiheitstheoretish, daß nur der, der freiwillig schuldig wurde, auch für sein Tun nur verantwortlich ist, und daß ihn niemand vertreten könne, indem er die Schuld des anderen trägt. Andrerseits argumentiert er theologisch, daß Gott als Liebe nicht kompatibel sei mit der Vorstellung eines Opfer haben wollenden Gottes.Der Gott der Liebe schlösse die Vorstellung von einem gottgewollten Opfer aus. Etwas peinlich ist dabei, daß Striet dazu noch die Mär von Jesu Angriff auf den Tempelkult bemüht6 Daß Jesu Eifer um die Reinheit des Tempels, daß er die Händler und Sonstige durch ihr profanes Tun die Heiligkeit des Ortes Entweihende aus dem Tempel entfernt, soll nun ein Zeichen jesuanischer Kultfeindlichkeit sein, als hätte Jesu nicht von der Gottgewolltheit dieser Kultordnung gewußt. Oder hatte Marcion doch ein wenig recht, wenn so implizite der Gott des AT, der Opfer will, vom Gott Jesu, der nur Liebe ist, unterschieden wird?

Als dritte Ebene muß dann der moderne Mensch herhalten, der zu dem Kriterium sachgemäßer Theologie avanciert ist. Das gesamte Archiv christlicher Glaubenswahrheiten wird zu diesem Zwecke umgedeutet zu menschlich-allzumenschlichen Interpretationen und Deutungen, denen der moderne Mensch als potentieller Konsument und der Theologe bzw. die Kirche als Verkäufer gegenüberstehen und wo es nun gilt, per Marktnachfrageanalyse die verkaufbarsten Angebote herauszuselektieren und unverkäufliche Ladenhüter zu entsorgen. Die Formel: „für uns gestorben“ steht so unter dem Generalverdacht: das kommt nicht an bei den heutigen Konsumenten.

Das Kreuz Christi als Sühneopfer „als Befreiung des Menschen von seiner unendlichen Schuld und als Sühneleistung für einen in der Ausgleichslogik der Wiedergutmachung gefangenen Gott“ ist „für den modernen Menschen inakzeptabel.“, wird euphorisch E. Schockenhoff zitiert. 7Nicht Schrift und Tradition und Lehramt, nein die Konsumbedürfnisse des modernen Menschen sind der erste und letzte Maßstab dieser Art von Theologie. Wichtig ist dabei, daß auch die Verbindlichkeit der hl. Schrift desavoiert wird: „Was im Plural der Evangelien begegnet, sind theologische Interpretationen der berichteten Geschehnisse, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.“8 Theologische Interpretationen sind eben einfach rein subjektive Deutungen von objektiven Tatsachenereignissen, die ihre Besonderheit der Subjektivität des Interpreten verdanken und die als solche Leser fragen, ob sie sich dieser subjektiven Deutung anschließen wollen oder eine andere präferieren wollen.

Wahr kann nur sein, was dem modernen Menschen akzeptabel ist. Das ist nicht gleichzusetzen mit der katholischen Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung, daß keine offenbarte Wahrheit der Vernunft widersprechen könne- der Subjektivismus des modernen Menschen und nicht das vernünftige Denken wird hier als das Kriterium sachgemäßen Denkens installiert.

Das Kreuz könne also nicht gedeutet werden: um unserer Sünden willen als Sühnopfer habe sich Jesus Christus hingegeben. Die Vorstellung der Allgemeinheit der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen ob ihres Bestimmtseins durch die Ursünde oder persönlich zu verantwortender Schuld sei nicht gegeben. Die Vorstellung eines Sühneopfers oder einer stellvertetenden Schuldübernahme sei freiheitsheoretisch unzumutbar und widerspräche der Vorstellung von Gott als reiner Liebe. Zudem legitimiere diese Kreuzestheologie staatliche und sonstige Gewalt- was nicht sein dürfe.Beachtlich ist dabei, daß Jesus ganz aus dem Kontext des Alten Testamentes mit seiner gottgewollten Kultordnung des Opfers wie auch des Gottes, der Sünde und Schuld straft, völlig herausgerissen wird und zu einem sehr blutleeren Prediger der Liebe in Wort und Tat verdünnt wird.
Jesus reduziert sich auf: „der sich und sein Leben in seiner konkreten Menschenzuwendung ganz von Gott her verstanden hatte“9 und daß Gott diese Lebenspraxis der Zuwendung zu den Menschen durch dessen Auferweckung zum Leben bestätigt hat, sodaß nun in dieser Lebenspraxis Gott für uns erkennbar wird. Das sei Gottes Selbstoffenbarung in Jesu Leben. In diesen theozentrisch fundierten jesuanischen Humanismus der Tat ist selbstredend ein Sühneopfertod nicht integrierbar- was kann dann das Kreuz sein?

Wie soll es nun gedeutet werden?

Striet schlägt eine Alternative vor, die nicht sehr weit entfernt liegt von der Vorstellung des Erzbischofes Zollitsch, daß Jesus mit uns solidarisch gelitten hätte.

Versuche man, sich dies vorzustellen: irgendwo in der Welt sitzt ein Bettler, arm, hungrig und durstig im Staub der Straße, seine Mütze leer, aber hoffend auf eine milde Gabe. Da kommt ein reicher Jüngling des Weges da her, wirft Kleider und Schuh in den nächsten Mühlcontainer, dazu auch alles Bargeld und die Kreditkarten, setzte sich zum Bettler und sagte: Siehe, nun bin ich so arm wie du, auch ich werde bald hungern und dürsten. Ich bin solidarisch mit dir, denn ich teile nun dein Lebenslos der Armut und der Erniedrigung. Das tue ich aus Liebe zu Dir. Und in dieser meiner solidarischen Liebe erfährst du Gottes Liebe, die Ja zu dir sagt. Und was passiert dann? Nichts weiter, außer daß der verhungerte Bettler am Ende sagt: Gott war in Jesus bei mir, als ich verhungerte und wenn er verhungert, wird auch Gott mit ihm sein.

Gott kann nicht helfend korrigierend in die Menschheitsgeschichte eingreifen, weil er, indem er den Menschen als Freiheit schuf, das Risiko einging, daß der Mensch diese Freiheit mißbräuche. Aber um der Freiheit willen,läßt Gott auch den Mißbrauch der Freiheit zu. Gott gerät so selbst in die Kritik der Opfer der Freiheitsgeschichte der Menschen: Warum läßt du den Mißbrauch der Freiheit zu? Das Kreuz Christi wäre so die Antwort Gottes auf diese Opferkritik: er wurde Mensch, um als Opfer des Mißbrauches der Freiheit zu sterben.Gott nimmt so im Kreuz selbst das Leid auf sich, das die Opfer der menschlichen Freiheitsgeschichte erleiden. Was Gott sich zumute, das könnten dann auch die anderen Opfer erdulden- aber- die Auferstehung sage, daß Gott die Opfer nicht Stich läßt. Indem er Jesus neues Leben gab, gibt er allen Opfern die Hoffnung auf ein neues Leben.

Als ergänzender Gedanke wird dann noch angedacht, ob nicht der Glaube an Jesu nachösterlichem neuen Leben Hoffnung sei für die an ihrer Endlichkeit leidenden Menschen und daß die Hoffnung auf Gottes Gericht für die Opfer die Hoffnung enthält, daß auch ihnen Gerechtigkeit widerfährt- aber diese Zusätze kaprizieren sich auf die Hoffnung auf das ewige Leben, die genau genommen unabhängig vom Kreuz und der Auferstehung zur Zeit Jesu existierte und von ihm nur konfirmiert worden ist und so für die Heilsbedeutung des Kreuzes Christi nichts beitragen. Zudem zeitigt die Ablehnung der Ursündenlehre die Folge, daß nun der Tod des Menschen nicht mehr als naturwidrig begriffen werden kann (von Natur aus, so wie Gott den Menschen geschaffen hatte, sollte er nicht sterben) und muß so als naturgemäß mißverstanden werden. Warum sollte der Mensch dann noch die Befreiung vom Tode ersehnen, wenn der Tod zu seiner Natur wesenhaft dazugehört und warum dann noch auf ein ewiges Leben hoffen, wenn es seine Natur gerade ist, endlich und begrenzt zu sein.Erst die Urstandslehre kann die Hoffnung auf ein ewiges Leben im Reich Gottes als etwas der Natur des Menschen Gemäßes begreifen und nicht als Entfremdung vom Menschsein.

Das Kreuz Christi wäre so ein Rechtfertigungsversuch Gottes angesichts der Klage der Opfer der menschlichen Freiheitsgeschichte: ich litt so, wie auch ihr litt und leidet. Und Zollitsch legte dann den Schwerpunkt noch darauf, daß in aller scheinbaren Gottverlassenheit Gott als Mitleidender bei den Opfern ist. Also: Gott macht sich in Jesus zum Bettler, der sich neben einen und jeden Bettler setzt,um ihm zu sagen: ich leide so wie du-ganz solidarisch mit dir.

Was sollen wir dazu sagen?

Die hier skizzierte Kritik an der katholischen Lehre vom Kreuz Christi manifestiert eines unübersehbar: daß die zur bloßen Formel degradierte Aussage: „er starb für unsere Sünden“ im Kontext eines auf Gott ist nichts als die Liebe reduzierten Gottesvorstellung keinen Platz mehr hat.
Diese Gottesvorstellung des unbedingt liebenden Gottes verunmöglicht jede Kreuzestheologie. Zudem zeigt es Schwächen der die katholische Kreuzestheologie fundierenden Lehre der Ursünde auf, die dazu führt, daß die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen nicht mehr begriffen wird .

Die hier skizzierte Kritik zeigt aber auch, wie weitgehende die Fundamente der Katholischen Theologie hier schon dekonstruiert worden sind10. Als erstes wird selbstverständlich die Tradition und die verbindliche Lehre der Kirche als eine Möglichkeit unter vielen vorgestellt und somit entwertet.
Die hl. Schrift selbst wird aufgelöst in zwei grundsätzlich verschiedene Satzypen: in Aussagesätzen, die sagen, was der Fall war, was geschah und Sätzen, die das als geschehen Ausgesagte deuten. Diese Deutungssätze der hl. Schrift sollen nun nur noch den Status menschlich-allzumenschlicher Interpretationsversuche haben, die zudem noch zeitbedingt sind. Diese Deutungdssätze sind nun nicht mehr- wie furchtbar: geoffenbarte Satzwahrheiten- sondern jederzeit kritisierbare Vorstellungen.

Was bleibt dann als Kriterium übrig, um wahre von unwahren Deutungen zu unterscheiden, wenn die gesamte Tradition und die Lehre der Kirche nur ein Meer von subjektiven Deutungen sind? Wie ein roter Faden durchzieht hier die Vorstellung vom modernen Menschen Striets Theologie. Er ist das Kriterium von wahr und falsch, wie überall der Kunde oder der Konsument der König ist: sein Geschmack bestimmt das Angebot auch der Kirche und der Theologie. Das ist eine tiefsinnige Einsicht über die Produktionsbedingungen moderner Theologie, wie sie P. Sloterdijk kurz fast in einem Nebensatz formulierte: „daß Religionen wie Theorien und Kunstwerke im Lauf des 20.Jahrhunderts Handelsgüter und Dienstleistungen geworden sind und sich als solche auf allgemeine Marktbedingungen einlassen müssen. Man muß Theologien mit Verlagsprogrammen vergleichen11.“

Die Auflösung aller Verbindlichkeiten zu einer Pluralität beliebiger Meinungen, diesem Relsativismus entspricht so auf der anderen Seite der autonome Konsument, der frei auswählt, wie es ihm gefällt und auf den hin alle Tradionsbestände synchron gelesen werden: was könnte ihm gefallen? Das spezifisch Moderne dieses Ansatzes ist dabei, daß der Konsument identifiziert mit den Idealen bürgerlichen Aufklärungsdenkens- erstaunlicherweise ist der moderne Mensch dann doch nur ein wiederbelebte antipaulinischer und antiaugustinischer Pelagianer. Übersehen wird dabei aber , daß Konsumenten der Postmoderne demgegenüber unbestimmter und individueller konsumieren, nicht festgelegt sind auf das aufklärerische Denken.


Ein Supplement:

Hiermit könnte diese Erörterung beendet werden, entstünde nicht der fatale Eindruck, daß hier besserwisserisch kritisiert wird, aber von einem Bessermachen nichts zu bemerken ist. Die Zentralkritik der katholischen Lehre vom Kreuz Christi kann in einem Argument zusammemgefaßt werden: die Lehre widerspricht jedem vernünftigem Denken oder zumindest dem modern-vernünftigen mit ihrem Freiheitsbewußtsein und müsse deshalb aufgegeben werden. Da die Aufgabe der Fundamentaltheologie der Erweis der Vernünftigkeit des Glaubens der Kirche ist, bzw. daß das Übervernünftige kompatibel mit der Vernunft ist, darf dieser Vorwurf der Irrationalität der Lehre der Kirche vom Kreuzestod Christi nicht unkritisiert stehen bleiben.

Daß der paradiesische Urzustand nicht ein Element der uns Menschen erkennbaren und erkannten Wirklichkeit ist, gehört zu den Standartargumenten wider die Lehre vom Urfall des ersten Menschen. So legt dies der Fundamentaltheologe Kreiner ausführlich und gut begründet dar. Menschlicher Vernunft ist selbstredend nur die postlapsarische Menscheitsgeschichte eingeschrieben in die Naturentwicklung erkennbar, aber sie geschichtsphilosophisch fragen: was sind die Ermöglichungsbedingungen dafür, daß überhaupt Geschichte ist. Der Mythos von der Ursünde Adams ist so gerade keine Erzählung von etwas, was sich in der Geschichte ereignet hat, sondern ein prähistorisches Ereignis, durch das erst die Menschheitsgeschichte sich konstituierte und die adäquate Darstellungsform dessen ist der Mythos.

Angeregt von G.Lukacs These, daß gerade der Arbeitsprozeß die unversiegbare Quelle idealistischer und damit auch religiöser Vorstellungen sind und nicht etwa ein kontemplatives Schauen dessen, was ist, kann gesagt werden: so wie in jedem Prozeß des Herstellens von etwas zuerst die Idee der Zuerarbeitenden ist und danach die Ausführung mit dem Produktergebnis, das dann an der Ursprungsidee gemessen als gelungen oder mißlungen beurteilt wird, wird der Mensch spontan in Analogie zu dieser Alltagserfahrung dazu tendieren, die Welt als Ganzes als ein Produkt eines Schöpfers zu denken, der alles nach seinen Ideen geschaffen hat.12 Der Schöpfungsbericht der Bibel stellt so die ideele Schöpfung dar als Einheit aller Urbilder, nach denen dann die reale Welt geschaffen wird. Der Mensch (wie auch die Engel) zeichnet sich in einem aus: er ist von Gott dazu bestimmt, sich selbst zu bestimmen, während alles andere durch Gott determiniert ist. Adam ist so das Urbild des Menschseins, das sich in seiner geschlechtsspezifischen Ausdifferenzierung in Mann und Frau vor der Aufgabe der Selbstbestimung gestellt sieht. Der Fall Adams konstituiert nun das Menschsein des Menschen als das einer durch den Akt einer verfehlten Selbstbestimmung gefallenen Natur. Dieser Fall ist als eine Urtat eine vorgeschichtliche, mythologische, denn durch sie bringt der Mensch erst sein Menschsein in der Geschichte als das einer gefallenen Natur hervor. Freiheitstheoretisch gesprochen: der Mensch muß so sehr als zur Freiheit bestimmt gedacht werden, daß er sich zu seiner göttlichen Bestimmung selbst noch kontingent verhalten kann und somit auch sich verfehlen kann durch eine Urwahl. Wenn die paulinisch-augustinische Deutung dieses Falles sagt: in Adam haben alle Menschen gesündigt, so meint das, daß das Urbild aller Menschen , das gesündigt hat, so die Substanz jedes Menschen ist, daß diese Urtat auch die jedes Menschen ist. Das Einzelindividuum als indviduiertes Menschsein kann sich von seinem Wesen, seiner Partizipation am Urbild nicht so emanzipieren, daß die Tat des Urbildes nicht auch die seine wäre.

Die so gefallene Natur des Menschen ist die der Begierde: der freie Wille des Menschen bleibt ihm,zu wollen, was er will, aber er will alles, was er will, im Sinne der Begierde.Daraus kann ihn nur Gottes Gnade befreien. Die Kritiker der Urstandslehre und der Lehre vom Urfall mißverstehen das Wesen dieser mythologischen Erzählung, weil sie sie für ein innergeschichtliches Ereignis halten, was sie nicht sein kann und will, weil im Mythos die Konstitution der Welt und des Menschen als Voraussetzung der Geschichte expliziert wird. Und aus freiheitstheoretischer Sicht wird dem Menschen nicht einfach ein Wesen und eine Rolle zugeschrieben, sondern der Mensch mit der Freiheit ausgestattet, sich selbst zu bestimmen, um dann gemäß dieser Bestimmung in die Geschichte einzutreten. Der Fall Adams zeigt nun, wie die ideele Welt sich materialisierte gemäß der Selbstbestimmung des Menschen als gefallene.

Das zweite Argument wider die Lehre vom Kreuzaltaropfer Christi ist genau genommen eine vulgärisierte Kritik des religiösen Opferkultes, daß es weder Gott noch der Sünde entspräche, daß Sühnopfer dargebracht werden. Dies Argument ist nun leicht widerlegbar: Unbestreitbar hat Gott selbst die Ordnung des Opferkultes und des Sühnopfers eingesetzt. So das Alte Testament, ja man könnte sogar von einem Konsensus in allen Religionen sprechen, daß überall der Opferkult als von Gott selbst gewollt, begriffen wird. Gott hätte sicher als potentia absoluta eine Weltordnung schaffen können, in der es keinen Sühnopferkult gibt, aber diese mögliche Welt hat Gott nicht geschaffen. Ob diese Ordnung für uns Menschen vernünftig einsehbar ist, ist eine sekundäre Frage gegenüber dem Faktischen Daß dieser Ordnung. Erst wenn die historische Kritik ein Jesusbild hervorbringt von einem Juden, der aber so dachte und lebte wie ein Adept der bürgerlichen Aufklärung, kann die Vorstellung eines kult-und opferfreien von Jesus erstrebten Reform des Judentumes entstehen. Es gibt keinen Vernunftgrund, angesichts der Kulttradition des Alten Bundes mit seinem Hohenpriestern und Priestern daran zu zweifeln, daß Jesu Kreuzestod in diesem Licht als Sühnopofer gedeutet wurde und zu deuten ist.

Die theologische Ausdeutung des Sühnopfers ist sicher einer der schwierigsten aber auch anregendsten Aufgaben für die christliche Theologie- aber es muß gesagt werden, daß hier immer die Gefahr eines kryptomarcionitischen Denkens sich einschleicht, wenn man nicht mehr das besondere Kultopofer Jesu, am Kreuze für uns dargebracht, vom allgemeinen Opfer des Alten Bundes her begreift. Jedes Einzelne kann ja nur begriffen werden als individuiertes Allgemeines. Signifikant für solchen immer wieder sich neu revitalisierenden Antijudaismus ist die beliebte Antithese vom Gott der Opfer, der Sühne will, und dem Gott Jesu, der nur unbedingte Liebe wäre, als wäre der Gott, der im Alten Bund die Ordnung des Sühnopofers wollte, nicht der Gott Jesu!

Uwe Christian Lay

1Vgl: P. Deneke, B.FSSP, Kath-Info, Solidarität und Sühnopfer
2Striet, M., Erlösung durch den Opfertod Jesu?, in: Striet, M., Tück, J.-H., (Hg). Erlösung auf Golgota S. 25
3Striet, S.27
4Striet S.26.
5Striet S.12.
6Vgl Striet S.22.
7Striet S.21
8Striet S. 20.
9Striet S.20.
10Vgl:Striet S. 12.
11Sloterdijk; P.Für eine Philosophie der Überreaktion, in: Sloterdijk,P, Heinrichs, H.H., Die Sonne und der Tod, 2001
S.33.

12Lukacs, G. Die Eigenart des Ästhetischen, Band 1, 1. Kapitel, Probleme der Widerspiegelung im Alltagsleben ,1987
S. 27-127..

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