Donnerstag, 8. Januar 2015

Die Kunst des Unterscheidens

Diskriminuerung? Ja bitte!

Eine Unterrichtsstunde im Fach Rechnen. Die Lehrerin frägt: Was ist 7 plus 5? Ein Schüler: 12, ein anderer 13. 12 ist die richtige Antwort, erklärt die Lehrerin. „Aber, Frau Lehrerin, das find ich intolerant von ihnen. Ich fühl mich echt jetzt diskriminiert, weil ich 13 geantwortet habe.“ Das ist wohl absurdes Theater. In der Mathematik wird klar zwischen wahr und unwahr unterschieden und es gibt keine Toleranz für falsche Aussagen, daß 7 plus 5 13 wären. Hier ist es kein Akt der Diskriminierung, wird die falsche Aussage abgelehnt. Diskriminieren heißt: einen Unterschied setzen und hier also zwischen wahr und unwahr unterscheiden.

Wie sieht dies nun im Religionsunterricht aus? Wird auch hier die wahre von den falschen Religionen , wahre Aussagen über Jesus Christus von falschen unterschieden? Schon wird es problematisch. Das Urteil, es gäbe nur eine wahre Religion, wahre und unwahre Aussagen im Raum der Religion, das gilt uns heuer als Fundamentalismus. Hier darf es kein Diskriminieren mehr geben. Ja, als höchste Staatstugend gilt es heuer, daß der Staat keinen Unterschied in seiner Beziehung zu den Religionen mache und alle gleich behandele. Keinen Menschen soll der Staat ob seiner Religion bevorzugen oder benachteiligen. Niemand darf wegen seiner Religion diskriminiert werden. So müsse auch der staatliche Religionsunterricht zur Toleranz erziehen. Die Unterscheidung von wahrer und falscher Religion gehört so dem finstren Mittelalter an, das ja bekanntlich in der Katholischen Kirche bis zum 2. Vaticanum währte-so die Mehrheitsmeinung der deutschsprachigen Universitätstheologie.


Was unterscheidet so den Rechenunterricht vom Religionsunterricht? Daß im Fach Rechnen zwischen wahren und unwahren Aussagen unterschieden werden kann und muß, wohingegen im Fach der Religion diese Unterscheidung nicht machbar sei, markiert den Unterschied. Religiöse Aussagen gelten so weder als veri-noch falsifizierbar und somit als nicht als :wahr oder: nicht wahr . Selbstredend besteht der Religionsunterricht nicht nur aus religiösen Aussagen. Historische Aussagen des Religionsunterrichtes , etwa: wann Augustinus gelebt habe?, können wahr oder unwahr von Schülern beantwortet werden - daß Jesus der Sohn Gottes ist, gilt dagegen als religiöse Aussage, als Glaubensaussage und ist somit nur eine Aussage eines subjektiven Glaubens ohne einen legitimen Anspruch auf objektives Wahrsein.

So könnte gemeint werden, daß das Verbot jeglicher Diskriminierung sich auf das Meer von Aussagen bezieht, die nicht als :wahr oder:unwahr erwiesen werden können. Nur, wo eine wahre von einer unwahren Aussage unterschieden werden kann, darf und muß weiterhin diskriminiert werden, wie eben im Rechenunterricht.

Aber beruht nicht alle Kultur auf der Wahrnehmung von einer Differenz und der Wertung der Differenz als Diskriminierung? Die theoretische Vernunft lebt von der Unterscheidung von: wahr und unwahr, die praktische von der von: gut und böse, die ästhetische von der von: schön und nichtschön, wobei das Erstere immer den positiven, das Zweitere immer den negativen Pol benennt. Hier nicht diskriminieren zu wollen,löschte alle Kultur auf in einen nihilistischen Rausch des: Alles ist gleichgültig.

Und im Alltagsleben? Was hielte man von einem Zeitgenossen, der ausriefe, ihm sei Wein und Tee einerlei, nämlich beides seien Getränke und so trinke er den Wein aus einer Teetasse und den Tee aus Biergläsern? Was hielten wir von einem Weinkenner, der keine Unterschiede machte beim Wein, weil ihm jeder Qualitätssein so gut munde wie der Billigverschnittwein aus dem Tetrapack? Nein, die Kultur lebt vom Unterscheiden und Diskriminieren. Ohne ein Diskriminieren gäbe es nichts außer einem unterschiedslosen und kulturlosem Einerlei!

Wie kann dann dieses neue Gebot der politischen Korrektheitsideologie: „Du darfst nicht diskriminieren! so viel Zustimmung finden, ja ungeteilte Zustimmung? Ja, die Gebote Gottes müssen um dieses neuen Gebotes willen sogar aufgelöst werden! Der Ehebruch soll nicht mehr diskriminiert werden, weil es gleichgültig sei, ob der Mann mit seiner Ehefrau verkehrt oder mit seiner neuen Geliebten, solange der Mann die Frau, mit der er verkehrt, nur wirklich liebe. Es soll gleichgültig sein, ob ein Mann eine Frau oder einen Mann liebe und heiraten möchte, wenn er nur den Partner wirklich liebe. Aber auch das erste und oberste Gebot soll nicht mehr gelten, weil es nun gleichgültig sein soll, ob man an Gott glaube oder nicht und welchen Gott oder welche Götter man verehre. Aber trotz oder sollen wir eher pessimistisch gestimmt sagen, wegen dieser antichristlichen Ausrichtung erfreut sich dieses neue Gebot so großer Zustimmung. Und das, obgleich dieser Toleranznihilismus die Grundlagen jeder Kultur zerstört!

Entsteht nun so vor unseren Augen das große Reich der Freiheit, in dem alles erlaubt ist, weil nichts mehr diskriminiert wird? Ist so die Postmoderne der Auszug aus dem Knechtshaus des christlichen Abendlandes mit seinem Unterscheiden von wahr und unwahr, gut und böse, schön und nichtschön?
Seit Nietzsche fallen diese drei Grundunterscheidungen, die von wahr und unwahr, die von gut und böse, die von schön und unschön, unter den Generallverdacht, daß sie nur menschliche Projektionen sind. Sie glichen den Längen- und Breitengraden der Geologen, um eine Orientierung auf der Kugeloberfläche der Erde zu ermöglichen. Weil sie nützlich sind, gelten sie als wahr. Aber wozu sind sie wem nützlich? Und: wer sagt, daß eine nützliche Vorstellung, nur weil sie nützlich sei, auch wahr ist? Der Generalverdacht, in unendlich vielen Variationen vorgetragen, unterspült so diese Grundordnungen. Alles nur menschlich allzumenschliche Projektionen.

Erinnern wir uns des Anfanges der Antidiskrimierungskampagne: es ist der Kampf um die Menschenrechte und sein Triumph in der Französischen Revolution. Nun gilt es als Tugend des Staates, keinen Bürger mehr wegen seines Glaubens und seiner Weltanschauung zu diskriminieren. Das war das Ende der christlichen Staatsidee, denn nun ist die Religion für den Staat zu einer zu vernachlässigbaren Größe geworden. Die Realität sah -wie zu erwarten-natürlich anders aus. Eine staatlich organisierte Katholikenverfolgung setzte ein. Jeder Katholik galt, weil er im Rufe stand, ein Sympathisant der Monarchie zu sein, als potentieller Staatsfeind. Das Ideal der Antidiskriminierung fand so seinen Gehilfen in der Guillotine. Die antichristliche Ausrichtung dieser Menschenrechtsideologie ist dabei nicht übersehbar: das, was im göttlichen Endgericht das wichtigste Kriterium sein wird, die Gretchenfrage, wie hieltest du es mit der wahren Religion?, soll nun keine Bedeutung mehr haben für das öffentliche Leben. Die Religion wird so ausgegrenzt aus dem öffentlichen Leben und ins rein Private zurückgedrängt. Dies setzt selbstredend die Abtrennbarkeit der öffentlichen Moral von der Religion voraus, sodaß es eine öffentliche Moral gibt, die ihre Letztbegründung nicht in einer Religion findet. Das Ideal der autonomen Moral, von der Aufklärung proklamiert, triumphiert hier so gegen die Religion als Fundament jeder Moral.Kant kann als der Denker der autonomen Moral angesehen werden. Nur bemerkte schon Nietzsche in der ihm eigenen Hellsichtigkeit an, daß, wenn das Zentrum der einstigen Moral, Gott getötet sei, der restliche Wertehimmel ohne ihr einstiges Gravitationszentrum kollabieren und im Nihilismus enden würde.

Leben wir nun jetzt in einem postmodernistischen: Alles ist erlaubt-nichts darf mehr diskriminiert werden?, so daß wir jetzt mit und gegen Reinhard Mey singen dürften:unter unserem postmodernen Himmel ist die Freiheit wohl grenzenlos frei? Nur, wann gab es in Europa je so viel Diskriminierung wie heuer? Wie bleiernde Luft liegt die Politische Korrektheitsideologie über dem einst freien Europa und legt fest, was gedacht und gesagt werden darf und was nicht. Ein aktuelles Beispiel: in der Stadt Hannover dürfen in staatlichen Restaurationen keine Zigeuenerschnitzel mehr angeboten werden und auch die Titulierung des Schnitzels als dem Schnitzel mit dem verbotenen Namen stößt bei den Herren der Stadt auf Ablehnung-nein, es darf nicht mal mehr gesagt werden, daß der Name: Zigeunerschnitzel, weil politisch unkorrekt, nicht mehr benutzt werden darf. Soweit geht die alltägliche Zensur, die Diskriminierung: was darf ich sagen und was nicht.
Selbstredend gibt es relevantere Fälle-aber gerade dieser Fall demonstriert, wie bis in den Mikrobereich der Speisekarte hinein die politische Zensur praktiziert und akzeptiert wird.

Welche Auswirkung hat dies für die christliche Religion? Ein Blick ins Internet hilft da weiter: ein evangelischer Prediger wird in England verhaftet, weil er predigte, daß gelebte Homosexualität Sünde sei und ein christlicher Arzt in England wird entlassen, weil er zu beten empfahl! Zwei Fälle von vielen, von denen täglich im Internet zu lesen ist, erstaunlicherweise gehäuft in England. Schauen wir ins außereuropäische Ausland, in die arabisch-islamische Welt, dann sehen wir: hier ist die Diskriminierung der christlichen Religion eine faktische Selbstverständlichkeit geworden. Es sei an die Hinrichtung des einstigen irakischen Außenministers erinnert, der als bekennender Christ vom Laizisten Hussein in dies Amt berufen wurde, und der nun von den neuen Machthabern hingerichtet worden ist, weil er Christ war.

Für den großen Denker Cioran ist diese Sache einfach. Fanatiker verabsolutieren ihre rein subjektive Weltansicht zu der einzig wahren und bekämpfen dann alle abweichenden Vorstellungen.1 Die Weltgeschichte ist so das Schlachtfeld ideologischer Auseinandersetzungen, in denen Wahrheitsfanatiker sich gegenseitig meucheln, weil sie ob im Besitz der absoluten Wahrheit unfähig zur Toleranz Andersdenkenden gegenüber sind. Und, seit den innerchristlichen Religionskriegen des 17. Jahrhundertes erfreut sich diese Vorstellung großer Beliebtheit bis zum allseits bekannten Friedenslied von John Lennon: Imagine, in dem eine Welt ohne Religion verheißen wird um des ewigen Friedens willen. Wenn Religion für Intoleranz stünde, dann könnte tatsächlich nur eine Welt ohne Religion eine friedfertige sein. Oder, die Alternative: alle Religionen müßten so domestiziert und pazifiert werden, daß sie sich alle gegenseitig tolerieren. Die unterschiedlichen Konzepte bestimmten dann das aufklärerische Denken nach dem großen innerchristlichen Religionskrieg 1618-1648. In England dominierte das Konzept des Deismus, daß Gott die vollkommen von ihm geschaffene Welt sich selbst überließe, sodaß jetzt die Religion faktisch überflüssig sei, weil wir Menschen in einer Welt leben,in der faktisch Gott nicht mehr wirkt. In Frankreich das Konzept des Atheismus bis hin zum Radikalaufklärer Marquise de Sade, der jede Moral auflösen wollte um des reinen Hedonismus willen und in Deutschland mit Kant die durch die Vernunft domestizierte Religion, die sich reduziert auf den Glauben an Gott, die moralische Freiheit und die unsterbliche Seele. Eines war allen gemeinsam: Die christliche Religion sei so umzuformen, daß sie kein Grund für Konflikte mehr in sich tragen dürfte oder aber sie müsse durch eine neue Religion ersetzt werden, wie es Robespiere versuchte: die Verehrung der Vernunft als die wahre Religion.

Man könnte sagen, daß nach dieser aufklärerischen Umformung der christlichen Religion um des innerweltlichen Friedens willen der christlichen Religion die Kraft zu einer Diskriminierung entzogen worden ist. Selbst ein der Religion so kritisch gegenüberstehender Philosoph wie Lukacs weiß zur Bedeutung des Dogmas in der Religion: „Die Abnahme der Intoleranz in solchen Fragen weist auf eine Abschwächung des Glaubens hin, daß das Heil der Seele für den Glauben nicht mehr unzertrennlich an diese bestimmte Gegenständlichkeit geknüpft erscheint. Denn solange lebendig und leidenschaftlich geglaubt wird, kann es in Hinsicht auf das Geradesosein der religiösen Objekte keine Vereinbarung, keinen Kompromiß geben.“2 Der gläubige, wenn auch immer recht unorthodoxe Marxist Lukacs weiß so mehr von der Kraft des Glaubens an die Wahrheit als ein lau gewordenes Christentum, dem die Toleranz die höchste Tugend geworden ist, die Meinung nämlich, alle Religion sei Gott gleichgültig. Erst dann, wenn die Orthodoxie und Orthopraxie der Religion als nicht mehr heilsnotwendig erachtet wird, kann das Reich der Toleranz innerhalb einer Religion beginnen. Einfach gesagt: dem lieben Gott im Himmel ist es gleichgültig, was und wie wir glauben und wie wir die Religion praktizieren-leben wir nur einigermaßen anständig, dann reicht das für das ewige Leben. Weil Gott selbst die Religion gleichgültig ist, darf es im Raume der religiösen Differenzen keine Art von Diskriminierung mehr geben. Alles sei als gleichgültig zu akzeptieren-das Basiscredo des sogenannten innerreligiösen Dialoges. Diese Lauheit des Christentums ist nun nicht einfach vom Himmel gefallen, noch gehört sie zum Wesen des Christentumes, sondern die christliche Religion ist durch die Aufklärung nach dem großen Religionskrieg so umerzogen worden. Das macht heuer die Differenz zum Islam aus, der nicht domestiziert so vitaler ist, denn jede Domestikation devitalisiert ja auch die Religion, weil sie nun von sich sagen soll, daß sie nicht mehr heilsnotwendig ist, weil jede andere Religion auch das Seelenheil ermöglicht.

Wie anders war die christliche Religion vor ihrer Domestikation! Eine Aussage Jesu aus dem Johannesevangelium möge uns dieses veranschaulichen, eine Aussage, die heuer kein politisch korrekter Christ mehr ohne Grauen zitieren kann, ohne dann anzufügen, daß dies kein echtes Jesuwort sei, denn der war immer sehr tolerant und daß diese Gemeindebildung jetzt vom Konzil als nicht mehr zeitgemäß und somit als ungültig erklärt worden ist.

Im 5. Kapitel, Vers 19-47 des Johannesevangeliums dominiert die Frage der Verhältnisbestimmung von Gott zu Jesus. Jesu Zentralthese lautet: Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch den Vater nicht. (V23) Gibt es etwas die jüdische Religionspraxis Diskriminierenderes als diese These? In den Synagogen wird nicht Gott, der Vater, der Gott Mose und Abrahams geehrt und wir Christen verehrten dann zusätzlich noch den göttlichen Sohn. Dann wäre der synagogale Gottesdienst ein zwar wahrer, aber doch defizitärer Gottesdienst, weil in ihm nur der Vater aber nicht der Sohn verehrt würde. Der christliche wäre dann im Kontrast dazu der bessere, weil in ihm Vater und Sohn geehrt würden. Aber so ist es nicht, urteilt Jesus. Wo der göttliche Sohn nicht wie der Vater verehrt wird, da wird auch der göttliche Vater nicht geehrt! In der jüdischen, wie in der islamischen Religion wird so Gott überhaupt nicht geehrt, weil in beiden der Sohn nicht wie der göttliche Sohn geehrt wird. Jesus verurteilt damit alle anderen Religion als nichtig, weil in ihnen Gott nicht verehrt wird, auch wenn die Anhänger meinen, Gott zu verehren. Warum das so ist, das beantwortet die christliche Trinitätslehre. So urteilt Jesus ja auch: wer Mose glaubt, der glaubt auch an mich, wer aber nicht an mich glaubt, der glaubt auch nicht Mose. Der christliche Glaube als Glaube an den göttlichen Sohn ist nicht etwa ein Zusatz zum Monotheismus, sodaß wir sagen dürften: alle monotheistischen Religionen glaubten an den einen Gott, nur wir Christen glauben dann noch zusätzlich an den Sohn und den Heiligen Geist. Nein, nur wo der trinitarische Glaube ist, da ist der wahre Glaube und somit die wahre Gottesverehrung. Jesus diskriminiert so alle monotheistischen Religionen; er toleriert nicht ihre Intention, doch auch den Gott Abrahams zu ehren und ihm glauben zu wollen. Er sieht auf die Objektivität ihrer Gottesdienste und beurteilt sie danach. Wo der Sohn nicht verehrt wird wie Gott, da wird auch der Vater nicht verehrt.

Jesus diskriminiert und Gott diskriminiert auch. Gott erwählte Israel zu seinem Volke und somit alle anderen Völker nicht. Gott schuf sich ein neues Gottesvolk in der Gestalt der Kirche und so setzte er wieder eine Unterscheidung: die zwischen Kirche und den Nichtdazugehörenden. Als Jesus die Feier der Eucharistie einsetzte, lud er nicht alle seine Jünger und Freunde dazu ein und auch keine einzige Frau-nicht einmal die Gottesmutter nahm an der Einsetzung dieses christlichen Mysterienfeier teil, sondern nur die 12 Apostel, denen er hier die priesterliche Vollmacht zur Darbringung des Meßopfers vermittelte. Auch hier diskriminiert Jesus, der in seiner Vollmacht erwählt, wen er erwählen will und nicht erwählt, wen er nicht erwählen will. Es bedarf gewalttätiger Exegesen, um all diese Diskriminierungsskandale aus der christlichen Religion zu eskamotieren und sie umzuwandeln in eine: Gott hat alle lieb Friede-Freude-Eierkuchen-Religion. So ist es auch kein Zufall, daß die Grundunterscheidung der christlichen Religion, die von Gott und Teufel, verschwunden ist mit dem Abschied vom Teufel3. Aber wie soll dann noch die Reichsgottesverkündigung Jesu verstanden werden, die eine Kampfansage wider das Reich Satans ist? Mit dem Gegenpol des Satans verschwindet dann aber auch die Vitalität der christlichen Religion, weil auch sie, wie alles, aus dem Widerstreit mit ihrem Gegenpol lebt. Das ist wohl der Sinn des Votums, daß der Krieg der Vater aller Dinge ist (Heraklit), daß eben alles nur ist durch seinen Gegensatz. R. Musil sagt dies so: „Schließlich besteht ja jedes Ding nur durch seine Grenzen und damit durch einen gewissermaßen feindseligen Akt gegen seine Umgebung.“4 Am Anfang der Domestikation der christlichen Religion zu einer, die niemanden und nichts mehr sich traut zu diskriminieren, steht die Entscheidung der Religion, sich um des weltlichen Friedens willen domestizieren zu lassen und so zur Religion in den Grenzen der praktischen Vernunft zu werden.Und um dieses Friedens willen werden alle Gegensätze und Widerstreite zu Standpunkten und persönlichen Glaubensmeinungen im Meer des unbegrenzten Pluralismus.
Aber wie steht es um eine Religion, wenn sie nicht mehr die Kraft zum Diskriminieren besitzt? Sie gleicht einem Rechenunterrichtsstunde, in der der Lehrer erklärt, daß es gleichgültig sei, ob 5 plus 7 12, 13, 11 oder vielleicht gar 57 sei- Hauptsache,jeder habe seine ganz persönliche Meinung , sprich seinen persönlichen Glauben! Missionieren kann diese Religion nicht mehr, nur noch bekennen, daß ihre Anhänger das so und so glauben und daß ihnen das wichtig sei, aber jeder andere könne das auch ganz anders glauben, denn Gott sei jeder Glaube gleich wahr. Weil Gott nicht diskriminiere, dürfte das sonst auch niemand anders. Aber der Gott, der nicht diskriminiert, der ist nicht der Gott Jesu! Er ist ein Phantasiegebilde der politischen Korrektheitdsideologie, und die diskriminiert jeden, der nicht gemäß ihren Vorgaben denkt und spricht.

Was wir erleben und erleiden ist so gesehen die Auflösung des christlichen Abendlandes mit seiner spezifischen Wertekultur, die als solche immer auch eine diskriminierende ist, weil der Begriff des Wertes notwendig den des Unwertes verlangt. Nicht brechen wir nun auf in eine Epoche, in der Dostojewskiis Mahnung, wenn Gott nicht ist, ist alles erlaubt, zur Wirklichkeit wird, kein ewiger Sommer der Anarchie sondern eine neue Wertekultur etabliert sich, die im Kampf gegen die alte ihr das Recht zum Diskriminieren abspricht. Dieses Recht zur Diskriminierung verlangt sie aber für sich selbst als Selbstverständlichkeit; ja, es gilt ihr geradezu als Tugend, die alten Werte des christlichen Abendlandes zu diskriminieren. Nicht Nietzsches Prinzipien einer neuen Wertsetzung triumphieren nun5, sondern ein viel faderes Gericht: die politische Korrektheitsideologie.

Wir Christen befinden uns nun in einer schwierigen Lage: kritisieren wir die Diskriminierungspraxis dieser neuen Werteordnung mit der Losung, es dürfe keine Diskriminierung geben, widersprechen wir notwendigerweise unserer ureigenen Praxis, das Unwahre dm Wahren gegenüber zu diskriminieren. Billigen wir aber der erkannten Wahrheit das Recht zu, das Unwahre zu diskriminieren, es gibt kein Recht zur Unwahrheit, dann wird man uns vorwerfen, daß wir die jetzigen Diskriminierer nur kritisieren, weil wir selbst im Namen der offenbaren Wahrheit diskriminieren wollen. Faktisch reagiert die Kirche auf dieses Dilemma mit der Strategie,jede Art von Diskriminierung zu verurteilen und darum die eigene christliche Praxis des Diskriminierens als Fehler und Irrtum der Kirche abzuqualifizieren. Die ganze vorkonziliare kirchliche Praxis wird somit nachträglich ins Unrecht gesetzt, um sich so jetzt gegen die uns treffende Diskriminierungspraxis zu wehren. Einen hohen Preis zahlt so die Kirche dafür. Denn jetzt sieht sie sich auch genötigt, zusehens auch in innerchristlichen Kontroversen auf die Unterscheidung von wahr und falsch zu verzichten, um jede Diskrimierung auszuschließen. Das faktische Verbot jeder Kritik an der gelebten Homosexualität ist erst der Anfang der so gearteten innerkirchlichen Auflösung. Die Dogmengeschichte mit ihren Entscheidungen und Verurteilungen wird so zu einem einzigen Skandalon um Macht kämpfender Theologenschulen, die vermeintlich erkannte Wahrheiten zur Diskriminierung anderer mißbrauchen.

Das Problematische der Parole: Keine Diskriminierung!, soll nun an einer Äußerung von C.Belsey in ihrer Arbeit über den Poststrikturalismus abschließend verdeutlicht werden in Hinsicht auf die Lage der Kirche. „Viele Menschen sind heute dazu bereit, die Vorstellung aufzugeben, dass es in allen Fällen eine einzige, maßgebliche Wahrheit zu entdecken und zu verteidigen gibt. Tatsächlich hat ein Jahrhundert politischer Gruppierungen, die die Wahrheit, wie sie sie verstanden,nicht nur verteidigt, sondern verheerende Gewalt gegenüber Menschen ausübten, die ihre Überzeugungen nicht teilten, bei vielen von uns ernsthafte Zweifel an der Behauptung von Wahrheitsansprüchen geweckt.“6 Also: eine erkannte Wahrheit führt zur Diskriminierung aller anderen, die nicht dieser erkannten Wahrheit zustimmen und die daraus folgende Diskriminierungspraxis findet ihren Endpunkt in der Gewalt gegen Andersdenkende. Darum ist der Anfang dieser Diskriminiuerungspraxis, die Behauptung einer erkannten Wahrheit, selbst zu bekämpfen. Jede erkannte Wahrheit müsse so als unberechtigter Mach-und Durchsetzungswille diskriminiert werden.
Es dürfe keine erkannte Wahrheit geben um des weltlichen Friedens willen. Darum muß auch jede Organisation, die sich im Besitz der Wahrheit behauptet, weil sie über die Wahrheitserkenntnis verfügt, diskriminiert werden, damit sie nicht selbst im Namen der erkannten Wahrheit diskriminiere. Das ist nun der Kerngedanke, warum gerade die Katholische Kirche unter der Parole:“Keine Diskrimierung!“ so heftig diskriminiert und angegriffen wird.



1Vgl: Cioran, Lehre vom Verfall, 1949.
2Lukacs; G., Die Eigenart des Ästhetischen Bd 1, 1987, S. 115.
3Vgl: Haag, H., Abschied vom Teufel.
4Musil, R., Der Mann ohne Eigenschaften, 1978, S.26.
5Vgl: Nietzsche, F., Der Wille zur Macht, 3.Buch.

6Besley, C., Poststrukturalismus, 2013, S.105.

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