Samstag, 21. März 2015

Ist Gott der Kirche abhandengekommen?

Erstaunlich wenig Beunruhigung rief diese Meldung in Kath net vom 17.3. 2015 hervor:

"Bei einer Umfrage der seriösen Bertelsmann-Stiftung kam heraus, dass nur noch 16,2 Prozent der westdeutschen Katholiken an den allmächtigen Gott als ein personales Gegenüber glauben. Für 84 Prozent der Katholiken ist Gott eine Vorsehung ohne Gesicht oder ein anonymes Schicksal oder irgendeine Urkraft. Oder sie leugnen ihn schlicht. " Daß die Mitglieder der Katholischen Kirche weitestgehend die Sexual- und Morallehre der Kirche als unverbindlich für sich ansehen, und so auch nicht praktizieren, ruft im Katholischen Reformlager die Reaktion aus, daß dann eben die Lehre sich der gelebten Praxis der Gläubigen anzupassen habe. [...]Aber wo ist denn der Gott Jesu geblieben, so wie ihn die hl. Schrift bezeugt und die Kirche lehrt?     

Nietzsche schrieb dazu:
Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? […] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?" 

Was hat dieses "Wir" nun mit den gläubigen Kirchenmitgliedern zu tun, die nicht mehr an den Gott-Vater Jesu glauben (wollen) und schon gar nicht mehr an den dreifaltigen einen Gott? Eines ist unübersehbar: wenn dieser dreieinige Gott der Grund, die Grundlage der Morallehre der Kirche ist, dann kann und braucht man sich nicht zu wundern, daß mit dem Verlöschen des Glaubens an diesen Gott auch die Moral sich auflöst, die ihren Grund in diesem Gott hat. Es ist, als entfernte man das Zentrum unseres Sonnensystemes, die Sonne aus ihr und konstatierte dann-überrascht?- daß nach kurzer Zeit auch die einst um ihre Sonne kreisenden Planeten "abstürzen", ihre Bahn verlieren. Der christliche Werte- und Normenhimmel stürzt eben ein, wenn das den Himmel tragende Fundament erlischt. Eine kleine Spurensuche soll nun versucht werden: dem Täter, dem Mördern auf der Spur. "Wir haben ihn getödtet"- das verweist uns auf Karfreitag-denn es ist ja wahr, daß Pontius Pilatus den Sohn Gottes getötet hat, indem er ihn kreuzigen ließ! Geläufiger ist uns die Vorstellung, daß unsere Sünden den Gottessohn getötet haben. Es war ein genuines Anliegen des "Reformators" Luther zu sagen, daß hier nicht nur ein Mensch, sondern Gott selbst für  uns gestorben sei um des Heiles des Menschen willen. Luther meinte damit natürlich den Sohn Gottes, nicht daß der Vater am Kreuze gestorben ist. Daß Nietzsche hier diese lutherische Tradition vor Augen hat, ist bei einem evangelischen Pfarrerssohn nun nicht auszuschließen! Selbstredend ist es keine menschliche Möglichkeit, Gott bzw genauer den Sohn Gottes zu töten, aber Jesu Erklärung an Pontius Pilatus, daß er keine Vollmacht über den Sohn Gottes hätte, (ihn zu töten!), wenn Gott-Vater sie ihm nicht verliehen hätte, zeigt, wie wir diesen Skandalon, daß Menschen Gott töten können und es auch vollbracht haben, zu denken haben. Der Atheismus wäre dann sozusagen der Karfreitag ohne Ostern. 
Aber näher als diese spekulative Entfaltung liegt wohl die Vorstellung, daß der Tod Gottes meint, daß wir aufgehört haben, an ihn zu glauben! Aber auch dieser Gedanke, wenn er nicht nur eine oberflächliche Phrase sein soll, verlangt nach einem tieferen Durchdenken, daß nämlich zum Begriff des lebendigen Gott sein Geglaubtwerden durch die Menschen dazugehört. Wem das zu unverständlich ist, möge dieses bedenken: was sollte man sich unter dem Begriff des Staates denken, wenn man Staat ohne Staatsvolk und ohne einen Raum, den der Staat gestaltet, denken wollte- oder was ist ein Künstler ohne ein Kunstwerk?  Zumindest könnte man sagen, daß durch den Nichtglauben an Gott Gott aufhört, für uns ein lebendiger Gott zu sein.
Was haben wir aus Gott gemacht, sodaß er uns nun ein toter Gott wurde?  "Wir" soll nun auf die überwältigende Mehrheit der Kirchenmitglieder bezogen werden, die nicht mehr an den Vatergott Jesu glauben. Ein so großes Ereignis des Gottesmordes hat sicher viele Täter (Ursachen). Ohne hier den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können, sei hier auf einen Täter verwiesen werden-einen, dem man-oberflächlich urteilend- spontan als gewiß unschuldig an diesem "Gottesmord" bezeichnen würde.
Der Verdacht lautet, daß gerade die (wissenschaftliche) Lehre von Gott ihn (auch)getötet hat. Gehört es nicht zur Selbstverständlichkeit etwa der biologischen Wissenschaft vom Menschen, daß man an toten Menschen den Menschen studiert, ja, daß sein Todsein die Voraussetzung der Erforschung des Menschen ist? Nur, das greift zu kurz! Gerechter wird dieser Vorwurf schon, wenn man die Umformung von narrativer Theologie, dem Erzählen von Mythen in begriffliches Denken als einen Prozeß der Abtötung Gottes wahrnimmt. Der antiintellektulistische Standartvorwurf, daß durch das Denken und Begreifen dem Begriffenen sein Leben entzogen wird und das zu begreifende zu blutleeren Abstraktionen wird, ist nicht gänzlich absurd. 
Als Musterbeispiel sei hier der modernistische Jesuit Keller ( Grundkurs des christlichen Glaubens. Alte Lehren neu betrachtet, 2011) zitiert:


"Es widerspricht dem Glauben, durch unser Beten werde Gott veranlasst etwas zu tun. Das Neue Testament sagt: „Gott ist Liebe“ (1.Joh 4,8 und 16) Er ist nicht 99 Prozent Liebe, nicht noch zu steigern, er ist völlig und pur und allein Liebe. Nichts kann ihn bessern; und wenn alle Menschen tausendfach beteten, würde er um kein Jota gütiger und gnädiger, weil er bereits völlig reine Güte ist, die uns immer schon überschüttet mit unendlicher Liebe. Nur ein Irrglaube kann meinen, Gott sei mit Beten zum Guten zu bewegen. Gott ist unbewegbar.“ (S.483) 
Das Urteil, daß Gott "unbewegbar" sei, macht aus Gott einen toten Gott! Seine Vollkommenheit macht ihn zu einem Sein, das von einem toten Sein nicht mehr unterscheidbar ist! Die Grundvoraussetzung jeder gelebten Religion ist, daß Gott vorgestellt wird als so lebendig, daß er kontingent auf das Verhalten der Menschen reagieren kann. Er wird als beziehungsfähiges Subjekt vorgestellt, sodaß von ihm aussagbar ist, daß er Opfer und Gebete erhören kann, daß er gnädig und auch nicht gnädig sich zu Menschen verhalten kann, daß er erwählen und verwerfen kann, ja, daß ihm etwas reuen kann, ja, daß Gott gar umkehren kann. All das gehört konstitutiv zum Erzählinventar der Geschichte Gottes mit den Menschen und darum finden wir all diese Zuschreibungen auch in den Erzählungen der Bibel. Nun soll das alles unwahr sein! Die Bibel irrt, denn die Lehre von Gott sagt, daß weil Gott als Vollkommenheit zu denken ist, all diese Aussagen unzutreffend seien und daß somit die Grundvollzüge der Religion, das Opfern und das Beten sinnlose Aktivitäten sind! Gott ist so vollkommen., daß er all das nicht kann, denn er ist immobil, unbeweglich. Ein Unbewglicher ist natürlich beziehungsunfähig und so strahlt der Gott dieser Vollkommenheit seine Liebe aus, so wie die Sonne ihre Lichtstrahlen aussendet, ohne daß dann von einer lebendigen Beziehung der Sonne zu den Menschen, die im Sonnenlichte leben, dann gesprochen werden könnte! 
Was ist mit einem so vollkommen gedachten Gott gewonnen? Viel. Jetzt gilt, daß es Gott gleichgültig ist, ob und welche Religion der Mensch praktiziert. Und das ist nun das Anliegen der postmodernen Theologie. Wollte die moderne noch Gott auf das vernünftig von ihm zu Denkende reduzieren, (siehe Kant), so will die postmoderne Theologie alles über Gott Denkbare als "gleichgültig" bewerten. damit es keinen Konflikt mehr zwischen verschiedenen, sich wechselseitig ausschließenden  Aussagen und Theologien über Gott gibt. Um des innerreligiösen Friedens willen sollen alle Religionen vergleichgültigt werden. Dafür steht dieser Jesuit.Nicht wird so gefragt: wie ist Gott?, sondern: wie ist Gott zu denken, damit unterschiedliche Gottesvorstellungen und somit unterschiedliche Religionen nicht zu Konflikten führen!   Die moderne Variante dagegen bestand in der Reduzierung aller religiösen Gottesvorstellungen auf eine minimalistisch gemeinsame als dem Wahrheitskern aller Religionen.Wir können sagen, daß seit dem innerchristlichen Religionskrieg das das vorherrschende Konzept der Modernisierung der christlichen Theologie war als Theologie auf der Höhe der Aufklärung. 
Aber die Domestikation Gottes begann wohl schon früher-ja, man kann, vielleicht hyperkritisch fragen, ob nicht jede Gotteslehre mitgetragen war und ist von dem erkenntnisleitenden Interesse der Domestikation Gottes!  Domestizierten nicht schon die Starphilosophen der Griechen, Platon und Aristoteles die Göttervorstellungen der griechischen Mythologie, um Heimgötter zu schaffen? Unter Domestikation sei hier um der Veranschaulichung willen an die Umerziehung und Umzüchtung von Wildtieren in Haustieren erinnert. 
Damit wir bequem mit Gott zusammenleben können, soll er so sein, wie wir es um unserer Bequemlichkeit willen gern hätten! Gott straft nicht,Gott zürnt nicht, Gott greift nicht ein in unseren Lebensraum, er läßt uns leben, wie es uns gefällt. Das wäre dann der Endpunkt eines Domestiktionsprozesses, den wir in der Vorstellung vom unbedingt liebenden Gott erreicht haben. Und dann ist diese göttliche Liebe wirklich nur noch eine göttliche Energie, durch und in der wir leben, die aber religionsunfähig ist! Der Verdacht ist wirklich nicht von der Hand zu weisen, daß am Anfang des theologischen Denkens eben nicht nur die reine Frage nach der Wahrheit war und ist, sondern der Wille zur Macht über Gott, daß er so zu sein hat, wie wir Menschen ihn uns wünschen und daß genau das den Anfang des Todes Gottes darstellt! Positiv formuliert: das ´theologische Denken darf die mythologische Rede von Gott, daß er zürnt, daß er umkehrt, daß er Mitleid hat usw nicht nichten  als irrtümlich primitive Vorstellungen von Gott sondern  muß sie im Sinne Hegels aufheben und darin ihren Wahrheitsgehalt bewahren! Nicht daß Gott gedacht wird, ist so das Problem, sondern daß das "vernünftige Denken" einfach als pure Negation der narrativen Gottesrede durchgeführt wird.
Ist Gott der Kirche abhanden gekommen? Man ist versucht zu sagen, daß gerade die Theologie, oder besser gesagt, die heuer vorherrschenden Theologien in der Kirche Gott abschufen, indem sie Gott domestizierten!  

      



            





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