Samstag, 4. April 2015

Denken-Wiedergabe der Wirklichkeit? Folgen für die Morallehre!

Da gibt es etwas, was wir pathetisch "die Wirklichkeit" nennen und die Fähigkeit des Denkens, wobei der rechte Gebrauch des Denkens darin bestehen soll, das Wirkliche adäquat wiederzugeben; das Ideal des Denkens wäre somit ein photokopierendes Denken, das sich an der Praxis des Sehens orientiert: ich sehe die Dinge, so wie sie sind. Das Denken soll also das Wirkliche nicht verändern, sondern so genau wie möglich photokopieren. Ideologisches Denken wäre dann die Denkpraxis, die das Gesehene nach Denkvorgaben interpretiert, deutet und so das Wirkliche verfälscht. Je mehr ich mich auf ein bloßes Wiedergeben des Wirklichen reduiziere, desto besser und sachgemäßer denke ich. 
Implizite Voraussetzung dieser Vorstellung vom Denken ist, daß das kleinste Element des Denkens ein Satz im Indikativ ist. Das Problematische ist nun dabei nicht die These, daß das kleinste Element des Denkens ein  Satz ist, sondern daß  das Denken auf indikativische Sätze reduziert wird, als wäre die Bestimmung des Denkens nur ein Appendix des Sehens: ich sehe, wie etwas ist und versprachliche dann das Gesehene, ohne es zu deuten und zu begreifen, denn ich will es ja nur so aussagen, wie es wirklich ist! So bescheiden ist das Denken geworden.  
Wie sehr diese philosophische Meinung unser Denken bestimmt, demonstriert ein kurzer Blick in den Duden, Die Grammatik, Bd.4, 1984, S.158: Konjunktive
"sagen nur Mögliches, Angenommenes, Gedachtes aus, während zur Behauptung von Wirklichem, Tatsächichem der Indikativ steht." Deutlicher kann die Geringschätzung des Denkens nicht ausgedrückt werden! Es zählt nur das Wirkliche und Tatsächliche und anerkennswert ist nur das Denken, das das Tatsächliche wirklichkeitsnah wiedergibt. 
Für jede Morallehre ist dies Verständnis des Denkens verhängnisvoll. Eine Moral sagt ja nicht, was ist sondern was sein soll! Die indikativische Aussage, es gibt Menschen, die ihren Mitmenschen lieben und es gibt Mitmenschen, die ihren Mitmenschen töten, ist eine wahre Aussage. Das, was ist, die beiden hier benannten Fälle, sagen nur, wie es ist- sie sagen aber nicht, daß es so auch sein soll. Eine moralische Aussage dagegen sagt, daß der Mensch seinen Mitmenschen lieben und nicht töten soll. Erst diese imperativische Aussage ermöglicht es, diese beiden Weisen des Umgehens mit Mitmenschen bewerten zu können, daß es der Moral entspricht, seinen Nächsten zu lieben und es ihr nicht entspricht, ihn zu töten! Aber wir hören nun schon den Einwand: das ist doch nur Gedachtes und Vorgestelltes, dieser moralische Imperativ- real ist nur das wirkliche Leben in seiner Pluralität und Buntheit, in der die Menschen nun mal lieben und morden! Lebensbejahung hieße, diese Pluralität zu bejahen- und da wären wir dann bei einem recht vulgarisierten Nietzsche! Wer nun meint, das wäre zu starker Tobak, der möge daraufhin mal Erklärungen ds Katholischen  Frauenbundes oder der Oberenkonferenz der Katholischen Orden zur Modernisierung der Familienpastoral lesen: immer das selbe! Die Kirche müsse die gelebte Vielfalt des Sexuallebens der Menschen, so wie sie ihr Sexualleben nun mal gestalten, akzeptieren, um realitätsgemäß wirken zu können! Die Wirklichkeit des praktizierten Sexuallebens  habe sich in der Moderne oder auch Postmoderne geändert und das (theologische) Denken habe sich so auf diese neue Wirklichkeit einzustellen! Denn das Wirkliche ist das Wahre und das Denken habe nur die Aufgabe, das, wie es ist, wiederzugeben und anzuerkennen! 
Marxistische Denker haben das gar zur höchsten Tugend des Denkens erklärt, indem sie das wahre Denken als realistisch-materialistisch qualifizieren. Aber es zeichnet die Qualität eines Denkers vom Format eines Georg Lukacs aus, daß er in seiner Analyse des Arbeitens und Herstellens von Etwas (nachlesbar in : "Die Eigenart des Ästhetischen" feststellt, daß dem Herstellen von Etwas die Idee, was hergestellt werden soll, dem Betrachten des Materiales, aus dem das hergestellt werden soll und den Instrumenten, mit denen das hergestellt werden soll, vorausgeht, um dann die große Laudatio dem Denken darzubringen, das realistisch das Material und die Instrumente erkennen kann, wie sie sind, weil nur so das Erstrebte realisiert werden kann. Nur, das, was sein soll, das kann nicht aus dem Material und den vorhandenen Instrumenten deduziert werden: ob der Künstler aus dem Holz einen Schrank oder einen Stuhl fertigen will, ergibt sich nicht aus dem Material und den Werkzeugen! Das Ideele geht voran und beurteilt das Reele, Wirkliche zu seiner Tauglichkeit für das ideele Ziel. Ideel meint hier einfach nur, daß das Ziel im Denken das erste ist, und daß daraufhin alles andere beurteilt wird, ob und wie es für das Ziel brauchbar ist. In jeder Praxis des Herstellens von Etwas geht so etwas rein Ideeles der Wahrnehmung des Wirklichen voraus. Und wir prüfen auch das dann durch unser Tun Hervorgebrachtes an der Norm des Ideelen: ist der Schrank so, wie er sein sollte, ist das realisierte Wirkliche so wie es vorher von mir gedacht worden ist? 
Aber von all dem will das (postmoderne) Moraldenken nichts mehr wissen-es kennt nur noch die Wirklichkeit, so wie sie ist und die Aufgabe des Denkens, die Wirklichkeit adäquat wiederzugeben und damit zu bejahen! 
Der Imperativ wird so zum unerlaubten Stil der Moral: so ist es-aber so soll es nicht sein!, das soll nicht mehr zur Morallehre der Kirche gehören! 
Man denke jetzt an die Definition des Kreises in der Mathematik und man stelle sich einen Mathematiklehrer vor, der Schüler auffordert, freihändig an der Tafel mit Tafelkreide einen Kreis zu zeichnen. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen,daß diese so gemalten Kreise sehr wenig Ähnlichkeit mit der Idee des Kreises haben werden-aber keiner käme auf die Idee, nun eine Reform der Definition des Kreises zu verlangen, bloß weil in der Realität des Mathematikunterrichtens kein Schüler freihändig einen Kreis zeichnet, der der Idee des Kreises entspricht! Und auch der wohl berechtigte Hinweis, daß es in der Wirklichkeit keinen Körper gibt, der 100 prozentig der mathematischen Definition der Kugel entspricht, evoziert die Forderung nach einer Veränderung der Idee des Kreises, um sie den wirklichen kugelähnlichen Körpern anzupassen. Denn gerade hier gilt, daß die Idee des Kreises und der Kugel "wahrer" sind als die kreis-und kugelähnlichen Gebilde des wirklichen Lebens! Damit sind wir einer theologischen Wahrheit sehr nahe gekommen, der der ontologischen Wahrheit. Darunter versteht das theologische Denken, das, wie es in Gott gedacht ist als Idee und daß dies die Wahrheit ist, und das alle Realisierungen dieser Idee nur insoweit wahr sind, als sie der Idee gleich bzw ähnlich sind! Wenn ich urteile, das ist ein wahrer Freund, dann besagt das, daß der so Beurteilte der Idee des guten Freundes entspricht! Aber die Idee des guten Freundes ist nun kein Element der Wirklichkeit sondern eine Idee, die die Wirklichkeit normiert! Denken, das nur noch in Indikativen denkt, verliert so die Möglichkeit zum Denken des Ideelen und somit des Normativen! 
Das Denken ist nun auch eines in Konjunktiven! Diese -nicht nur vom Duden verschmähte Aussageform ist aber für das moralische Denken von höchster Notwendigkeit! Denn nur wenn der Sünder sagen kann, diese Sünde beging ich, aber ich hätte sie auch unterlassen können, ist ihm diese Sünde als Schuld zuschreibbar. Könnte er stattdessen sagen, so tat ich es und konnte auch nicht anders, dann kann ihm dies nicht als Schuld angerechnet werden, weil zum Schuldhaften unbedingt dazugehört, daß er dies Sünde auch nicht hätte tun können, daß er sie freiwillig tat! Nur im konjunktivischen Denken begreift sich der Mensch als freies Wesen, das so verantwortlich ist für sein Tun, indem es zu jedem: das tat ich!, den Zusatz bilden kann: aber ich hätte das auch unterlassen können. Alle zum Determinismus neigenden Philosophien müssen so den Konjunktiv aus ihrem Denken streichen-damit es in ihrem System keine Freiheit mehr gibt. Nur, und das macht den Konjunktiv für alle großen Systemdenker so unerfreulich: er sprengt alle Denksysteme, weil er zu jeder indikativischen Aussage, so ist es!, den Zusatz bildet, daß es auch nicht so sein könnte! 
Der Konjunktiv gehört so unbedingt zu jedem Moraldenken dazu, a) als Verweis auf die Verantwortlichkeit des Handelnden für sein Tun und Unterlassen und b) dafür, daß die Wirklichkeit, so wie sie ist, nicht so sein muß. Denn wenn die Wirklichkeit die ist, daß Menschen ihren Nächsten lieben und Nächste auch morden, so muß denkbar sein: so ist es, aber es müßte nicht so sein, sodaß so erst der Imperativ, du sollst deinen Nächsten nicht morden, einen Sinn bekommt! Denn wäre die Wirklichkeit eine unveränderliche, so daß gelten würde: so,wie es ist, so wird es immer sein, dann ergäbe jeder Imperativ, es soll nicht so sein, wie es ist, keinen Sinn! Der Konjunktiv verweist auf eine mögliche Welt, in der es nicht mehr genauso ist, wie es jetzt ist. Ohne eine Denkbarkeit von möglichen Welten,die so sind, wie sie sein sollten, (oder daß sie teilweise so sind, wie sie sein sollten), verlöre jeder Imperativ seine Bedeutung, den er gliche der Aufforderung an einen Blinden, daß er eine Bildbeschreibung hervorbringen solle! 
Die heutige Debatte um die Morallehre der Katholischen Kirche leidet so gesehen primär an dem Diktat des Denkens allein in Indikativen, das alles andere Denken als nicht wirklichkeitsgemäß desavouiert! 

Corallarium 1
Es darf auch bezweifelt werden, ob überhaupt das indikativische Denken begriffen wird, wenn es als Wiederspiegelung des Wirklichen verstanden wird! Denn das scheint doch eher die Bestimmung des Sehens zu sein, aber nicht des Denkens des Gesehenen! Hierzu bietet der französische Philosoph L. Althusser sehr Bedenkenswertes in seinem Werk: Das Kapital lesen-ein Werk, das auch für Nichtmarxisten sehr anregend ist. Versimplifiziert: das Denken verändert das Zudenkende, weil es ein produktiver Akt ist, der den Gegenstand verändert, sonst wäre es ja kein produktiver Akt. Der Gegenstand, der zum begriffenen Gegenstand wird, ist nicht mehr identisch mit dem Rohstoff, der begriffen werden soll durch das Denken. Aber als begriffener Gegenstand dient er dann und nur dann wieder zum Umgehen mit und in der Wirklichkeit!  Theologisch könnte das so gedeutet werden: wenn unter dem Wirklichen  das verstanden ist, wie es nun mal ist in der Welt, so ist das Begreifen dieses Wirklichen sein Denken als Realsierung seiner Idee, das das  Einzelne als Individuierung seines Idee begreift und somit eben es nicht einfach sein läßt,was es scheinbar ist, ein bloßes Einzeletwas.Das Begreifen verändert es zu einem besonderen Fall einer Idee. 

Corallarium 2:
Das Wirkliche ist somit immer ärmer als das Reich des Möglichen. In jedem etwas Realisieren wird ein Meer von Möglichkeiten nicht realisiert, sodaß jedes Realisieren mehr ein Nichtrealisieren als ein Realisieren ist.                             

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