Donnerstag, 5. November 2015

Über den humanitären Untergang der Religion

"Die Religion wurde, vor allem in den letzten Jahrzehnten, immer ausschließlicher bloß humanitär, und die Säkularisation neuen Stiles verläuft heute nicht mehr über die Verführungen der Weltlichkeit und Macht, sondern über die Moral und das Soziale.", schrieb A. Gehlen in seinem großen Essay: Moral und Hypermoral, 1.Auflage 1969, hier nach der 4. 1981, S. 129 zitiert."die Theologie wird zu einer simplen Ethik in erhabener Verkleidung" ( S. 131) und ergänzend: "Von den alten Chiffren wie Unsterblichkeit, Prädestination, Gnade, Erlösung und Sünde hört man wenig, um so mehr von Schuld, meist der Anderen, ein Politikum, in das vor allem die EKD [...]freudig eingetreten ist. " (S.133) Was hier Gehlen von der EKD sagt, hätte er von der Katholischen Kirche Deutschlands auch sagen können, aber mit der Einschränkung, daß es neuerdings geradezu eine Mode geworden ist, sich bei allen möglichen und unmöglichen für das Verhalten der Kirche ihnen gegenüber zu entschuldigen.
(Preisfrage: wann wird sich endlich der Vatican für die Missionierung Germaniens entschuldigen als Akt einer unverzeihlichen Intoleranz der ehrwürdigen germanischen Religion gegenüber?) Erinnern wir uns der großen Erzählung, die das Fundament der christlichen Religion ausmacht: daß Gott die Welt schuf, den Menschen in das Paradies setzte, und er dann durch seine Schuld seine Heimat verlor und als Exilierter auf Erden lebte und wie Gott dann uns Menschen erlöste durch Jesus Christus und auf Erden die Kirche einsetzte, damit durch sie der Mensch den Weg zurück in seine Heimat finde, bis daß das Gott sein ewiges Reich auch auf Erden errichten wird. In diese große Erzählungen schreiben sich dann die Traktate über Sünde, Gnade, die Sakramente, die Lehre vom Menschen, also der ganze Reichtum der Dogmatik und der Morallehre (wie soll der Mensch leben, damit er eingehen kann in das Reich Gottes, ein und das ergibt dann die christliche Weltanschauung und die Praxis der Religion. Es bedarf keiner großen empirischen Untersuchungen, um festzustellen, daß von all dem heuer in der Katholischen Kirche - ganz zu schweigen vom Protestantismus- fast nichts mehr zu hören ist. Die Religion ist durch einen seichten Humanitarismus ersetzt worden. 
Gehlen selbst unterscheidet dabei im Sinne eine einer "pluralistischen Ethik" drei Konzepte der Ethik, das "Ethos der Gegenseitigkeit", das "Ethos der Großfamilie" und das "Ethos der Institutionen" isb. des Staates. Gehlen will damit zum Ausdruck bringen, daß jede dieser drei Ethiken jeweils ein limitierter Geltungsbereich zuzuschreiben ist, und daß die Perversion der Hypermoral, formal gesehen in der Verabsolutierung einer dieser drei Ethiken besteht, daß sie zur einzigen avancieren will. Dem "Ethos der Gegenseitigkeit", das seinen Sitz im Leben der Ökonomie hat als Tausch und Handel, ordnet er der Tendenz nach den Eudaimonismus zu, dem Ethos der Großfamilie, das selbstredend seinen Geltungsbereich im Leben der Familie hat die Tendenz zum Humanitarismus zu. Allerdings verschwimmen dann in den Ausführungen die Grenzen von Eudaimonismus und Humanitarismus, insofern ersterer der Glaube daran ist, daß jeder Mensch ein Recht auf ein glückliches Leben auf Erden habe und das sich vor allem im Konsum von Gütern realisiere und wenn der Humanitarismus der Glaube ist, daß die Menschheit eine einzige Familie bildet, in der dann alles gemäß dem Ideal des inneren Familienlebens zu gestalten ist: die Verbrüderung bzw. politisch korrekter die Vergeschwisterung der Welt. Die Kirche habe sich so von ihrer eigenen Religion emanzipiert, und verkünde nun eigentlich in ihrem Humnitarismus, daß die Welt am Wesen der Familie, seinem Ethos zu genesen habe, wobei dann aber auch eudaimonistische Motive aufgenommen werden, so eben nicht nur in der Diakonie der Kirche. Es sei an den Ökumenischen Rat der Kirchen erinnert, der ja für seine "Weltbeglückungskonzepte" berühmt wurde. Also nicht nur, daß die Kirche ihr Eigenes aufgab und aufgibt, konstatiert dieser brillanter Gegenwartsanalytiker, sondern auch, daß die Kirche durch ihr als einzig legitim geltendes "Ethos der Großfamilie" dysfunktional für das Leben sich auswirkt, indem so das "Ethos des Staates", aber auch das "Ethos der Ökonomie" in Frage gestellt werden, die aber wie auch das Familienethos für das  Gesamtleben unbedingt vonnöten sind. 
Die Auflösung des Ethos des Staates durch die Propagierung eines Familienethos kann mustergültig in den Erklärungen von Kirchenvertretern zur Problematik der Asylantenflut veranschaulicht werden. Es wird so getan, als wenn die ganze Menschheit eine einzige Familie sei und nun der Deutsche Staat moralisch verantwortlich für das Wohlergehen all dieser Familienmitglieder sei, sodaß er jeden Wirtschaftsflüchtling aufzunehmen habe, wie ein verarmtes Familienmitglied, als Bruder und Schwester. Die politische Ordnung der Staaten und Völker, und daß jeder Staat ob seines Staatsethos für das seinige Staatsvolk zuständig ist, wird dabei genichtet, um den Deutschen Sozialstaat als das Sozialamt für die Menschheit umzudeuten.  Das, was zum Wesen des Staatsethos gehört, den Bürger des Staates vom Fremden zu unterscheiden, soll nun eine Sünde wider das Ethos der Familie sein- aber auch dieses Ethos setzt notwendigerweise die Unterscheidung von zur Familie dazu gehörend und nicht dazu gehörend voraus. Wenn alle zu einer Familie gehörend gedacht werden, ist das gleichbedeutend mit der Auflösung der Familie. 
Gehlen zeigt dies Familienethos an Papst Paul VI. auf: Dieser Papst sagte: "Ich fühle mich als Vater der gesamten Menschheitsfamilie. Selbst wenn die Kinder den Vater nicht kennen, ist er es trotzdem". (S.129)  Daß Christus das Amt des Papstes als das die Kirche Jesu Christi väterlich regierendes, selbst eingesetzt hat, gehört zu den Grundwahrheiten der Katholischen Kirche. Aber das Amt ist das des Regierens der Kirche, das des Hüters der Herde Jesu Christi und nicht das einer Weltregierung. Auch ist die Welt nicht einfach eine Einheitsmenschheit in Gestalt einer großen Familie sondern eine in Rassen und Völkern aufgegliederte Einheit, die selbst nicht als Familie zu begreifen ist. Auch ist die Kirche nicht nach der Gestalt der Familie organisiert, sondern, schon vom Alten Bund mit Israel herkommend nach der Gestalt des Volkes und somit mit einer hierarchischen Ordnung- und keiner Familienordnung! Aber- so Gehlen- nähert sich die Kirche dem Ethos der Familie an zum Schaden des Ethos des Handels und des Ethos des Staates. Es nivelliert so diese drei Grundordnungen des Lebens, indem die Kirche alle gemäß dem Ethos der Familie gestalten will, wobei sie dann aber auch notwendigerweise das Familienethos selbst zerstört, indem es seinen Geltungsbereich veruniversalisiert und es so durch diese Überdehnung selbst nichtet.   So muß mit Gehlen konstatiert werden, daß die Kirche sich nicht nur selbst säkularisiert, indem sie sich humanitaristisch  gibt, sondern sie gefährdet durch diese Verbsolutierung des Ethos der Familie auch das Lebensnotwendige des Ethos des Staates und das des Handels, der Ökonomie.  In Hinsicht auf das Letztere sei an die Fragwüdigkeit des kirchlich geförderten "fairen Handels" erinnert und noch problematischer der kirchlichen Entwicklungshilfearbeit, die sich eben durch maßlose Ineffektivität auszeichnet, gerade weil sie sich an Familienidyllen orientiert, staat ökonomisch sinnvoll zu agieren! So braucht man kein Entwicklungspolitikexperte zu sein, um zu wissen, daß der Hunger und die Unterversorgung mit lebenswichtigen Gütern in "Entwicklungsländern" allein durch eine radicale Industrialisierung der Landwirtschaft erreicht werden kann, statt daß hier und da lokale Projektchens finanziert werden zur Subsistenzwirtschaft genügend, aber keinen Beitrag zur Lösung der dortigen Probleme leistend.!Daß wir in Deutschland und Westeuropa keinerlei Versorgungsengpässe mehr mit lebensnotwendigen Gütern mehr erleiden müssen, verdanken wir eben allein dem Konzept der Industrialisierung der Landwirtschaft und die war so erfolgreich, daß die Landwirtschaft heuer mehr produzieren kann als sie absetzen kann, sodaß die Produktivität künstlich reduziert wird  durch das Konzept der landwirtschaftlichen Bioprodukte, daß auf der selben Nutzfläche jetzt weniger Produkte erzeugt, aber dann zu weit höheren Preisen verkauft wird. Dieser Erfolg war und ist aber nur möglich, weil hier gemäß dem Ethos der Ökonomie agiert wurde und eben nicht nach anderen Ethikvorstellungen!  

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