Mittwoch, 9. März 2016

Irritierende Gedanken- nichts irritiert mehr als die hl. Schrift

Was tuen, wenn wir in der hl. Schrift auf Aussagen stoßen, die der Theologie widersprechen? Eine der irritierndsten Aussagen der Bibel stammt vom Apostelfürsten Paulus selber. Er schreibt im Kolosserbrief: "Für den Leib Christi, die Kirche ergänze ich in meinem irdischen Leben, das, was an den Leiden Christi noch fehlt." (1,24b). Paulus kann deshalb über sein Leiden urteilen, daß er sich darüber freut, zu leiden, weil er glaubt, daß es der Kirche so zu gute kommt. Was ist nun das Anstößige dieser Aussage? Offensichtlich die Vorstellung, daß Jesu Christi Leiden nicht ausgereicht hat, daß es noch um der Leiden des Apostels (und wohl noch anderer) zu ergänzen ist, damit es seinen Zweck erfüllt. 
Nähern wir uns dieser befremdlichen Aussage langsam an: Wenn ein "Eintrittsgeld" für das Reich Gottes zu bezahlen wäre, dann hieße diese Aussage, daß Jesus Christus für uns "bezahlt" habe, aber nicht ausreichend, sodaß wir noch was dazugeben müßten. Nur, warum reicht das von Jesus Bezahlte nicht aus? Hierauf könnte es wohl nur eine sinnvolle Antwort geben: daß Gott es nicht wollte, daß Jesus Christus allein unsere Schuld bezahle, sondern daß auch wir Menschen aktiv an der Bezahlung beteiligt sein sollen. Daß Jesus Christus für uns die Schuld bezahlte, hat nur dann einen Sinn, wenn präsumiert wird, daß unsere Schuld vor Gott so groß ist, daß wir sie nicht bezahlen können. Sonst wäre ja Jesu Schuldbezahlung überflüssig, läge es in unserem Vermögen, sie vollständig abzubezahlen. Aber es wäre dann Gottes Wille, daß wir trotzdem auch aktiv an der Schuldabzahlung zu beteiligen sind, indem wir das uns Mögliche dann beitragen. 
Warum  zahlt Jesus Christus mit Leiden unsere Schuld ab? Hier müßte wohl auf die ewige Ordnung von Sünde und Strafe verwiesen werden, daß die Größe der Schuld, das Maß, in dem die Sünde Leid verursacht hat, durch das Leid, das die Strafe verursacht, ausgeglichen wird.Die Waage symbolisiert so diese Ausgewogenheit zwischen der Schwere der Sünde und der Schwere der Strafe.  Da die menschliche Sünde ein Tuen wider Gott ist, er der so "Verletzte", ist auch die Strafe so schwer, weil es eine Insubordination gegen Gott ist. Die Schwere der Strafe, die nötig ist, um das wieder auszugleichen, die konnte nur der Sohn Gottes erbringen, wie Anselm von Canterburry so feinsinnig entfaltet in seiner Schrift: Warum Gott Mensch geworden ist? 
Nur, wenn er genug für uns gelitten hatte, wozu soll dann noch diese Ergänzung dienen, von der hier der Apostel schreibt. Hat hier Paulus das Kreuz Christi mißverstanden- oder sollen wir es uns einfach machen, indem wir urteilen, daß dieser Brief kein echter Brief sondern einer eines Paulusschülers sei, der eben die Kreuzeslehre seines Lehrers nicht mehr in Gänze begriffen habe? Oder sollen wir urteilen, daß angesichts des vielen Leides, das die Christen nach dem Kreuzestod Christi sie noch zu erleiden hatten, obwohl doch Jesus Christus genug gelitten hatte, Glieder in der Urgemeinde ihr eigenes Leiden im Lichte des Sühneleidens Christi neu begriffen, als Ergänzung, als hätten sie gedacht: Wenn der Heiland wirklich für uns schon genug gelitten hätte zur Abbüßung der Menschenschuld, dann bräuchten wir nicht mehr zu leiden. Weil wir aber nach dem Kreuze Christi noch leiden müssen, muß auch dies einen Sinn haben. Also leiden wir wie Christus zur Sühne für Sünden!  Dogmatisch theologisch dürfte das so nicht gedacht werden und schon gar nicht in der hl. Schrift stehen! 
Wie nun aber, wenn auch die christliche Dogmatik in die Irre gehen könnte- wenn die Bibel mehr recht hätte als unser theologisches Denken? Warum sollte Gott nicht uns Menschen als Cooperatoren des Heilwerkes Christi eingesetzt haben, daß auch wir durch unser Leiden einen Beitrag zur Wiedergutmachung leisten können. Der Apostelfürst Paulus klagt hier ja nicht über diese göttliche Zumutung, sondern erachtet sie als Auszeichnung, daß er nun gewürdigt wurde, in seinem Kreuztragen Mitarbeiter Jesu Christi in dessen Erlösungswerk sein zu dürfen. Aber verwegen klingt diese paulinische Aussage doch: Hat denn nicht Jesu Kreuz genügt? Es bleibt uns  ein Unbehagen.                          

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