Sonntag, 17. Juli 2016

Die Arbeitswelt und die christliche Religion

Jesus Christus sagt zu Maria: "Maria optimam partem elegit" (Lk 10,42)Aus dem optimalen Teil macht die Einheitsübersetzung "das Bessere". Martha, die ganz darin aufgeht, für den Gast zu sorgen, wählte so auch einen guten Teil, nur daß eben Maria, zu Füßen des göttlichen Lehrers, ihm zuhörend das bessere Teil erwählte. Aber was wird aus dem "besseren" Teil in Predigten in Zeiten der Moderne? 
Ein einfaches Deutungsschema böte das von Theorie und Praxis an. Maria ist dann die Schülerin, die von Jesus noch zu unterrichten ist, während Martha schon ausgelernt zur Praxis übergegangen ist. Dann wäre für Maria das Ziel, zur Martha zu werden, aber dazu bedarf sie erst noch einer Theorieschulung. Denn alles Theoretische und Belehrende hat ihren Zweck allein in der durch die Theorie ermöglichte Praxis. Maria hat dann nur das für sie Bessere erwählt, weil sie noch der theoretischen Ausbildung bedürftig war. Aber das Ziel ist der praktisch Tätige und nicht der Hörende und sich vom göttlichen Lehre Unterweisende.   
Ein weiteres recht beleibtes Deutungsschema ist das von Entspannung und Arbeit: Nur wer sich auch mal eine Pause gönnt, kann gut arbeiten. Maria entspannte sich, tankte bei Jesus auf, damit sie danach wie Martha wieder arbeiten kann, während Martha ohne Pause schuftend auf die nötigen Entspannungen und Erholungen verzichtend Gefahr liefe, sich zu überarbeiten und somit ihr eigenes Arbeitsvermögen beeinträchtigt. Schnell ist da dann der Gemeindebezug hergestellt: Auch wir Christen spannen im Gottesdienst, am Sonntag aus für die Werkoche mit seinen Arbeiten und Mühen.
Auch dies Deutungsschema ordnet Martha Maria über: Das Ziel ist, daß der Christ wie Martha praktisch tätig ist, nur, das kann er nur, wenn er sich auch Entspannungs- und Erholungszeiten gönnt. Man beachte dabei, was aus der vollmächtigen Lehre Jesu Christi wird! Sie ist nicht mehr als ein Entspannungsprogramm! Die einen erholen sich vor dem Fernseher am Sonntag, die anderen im Sonntagsgottesdienst, damit, egal wie man sich nun entspannt hat, man am Montag wieder richtig wie Martha arbeiten kann!
Billigt man Jesu Christi noch zu, daß er als Lehrer Erkenntnisse vermittelt, dann dienen die aber nur der Praxis, sind also reine Praxisanleitungen. Wenn dem so wäre, hätte Jesus aber niemals das Sichbelehrenlassen als den guten Teil bezeichnen dürfen, denn das Sichbelehrenlassen ist dann ja nur noch die Vorbereitung auf das Eigentliche, die Praxis. Das "Bessere" ist so immer die Praxis, wohingegen Theorie nur etwas Grau in Graues ist. 
Wie kann da der göttliche Lehre das Sichbelehrenlassen durch ihn als das "optimam partem" beurteilen. Die Ausleger sind sich faktisch einig: Hier irrte der Lehrer, eigentlich meinte er natürlich auch, daß das Ziel, das wahre Gute die Marthaexistenz ist, nur daß Maria wohl noch des Hörens bedurfte, um darauf erst zur praktischen Marthaexistenz sich aufschwingen zu können.
Abstrakter formuliert: Die kontemplative Existenz hat nur dann seine Berechtigung, wenn sie zur Vorbereitung der aktiven Existenz dienlich und förderlich ist. Das ist das Schicksal aller kontemplativen Orden in der Moderne: Auch sie mußten sich umstrukturieren, um noch anerkennungswürdig zu sein: Auch wir sind primär praktisch ausgerichtet.         
Die moderne Arbeitswelt läßt eben die Mariaexistenz als den guten Teil nicht zu und darum wird die Aussage Jesu Christi in sein Gegenteil verkehrt! Gut ist nur der Arbeitende, Werte Schaffende. Theoretiker produzieren eben nichts Verkaufbares und somit Sinnvolles, es sei denn sie verdienen sich ihr Geld durch den Verkauf ihrer Erkenntnisse. 
Nur, könnte der göttliche Lehrer das ganz anderes sehen? Hat bei ihm Theorie, Lehre und Erkenntnis  vielleicht einen ganz anderen Stellenwert? Ein Versuch: Erkennen bedeutet, daß der Erkennende durch das Erkennen Anteil bekommt am Erkannten. Verstünde ich Jesus primär als einen Lehrer, der uns in der Gestalt von Lehren Unterweisungen für unser Leben gibt, wie wir es führen sollten, dann ist das Heilmachende nur als Möglichkeit in der Lehre, denn die Erkenntnis ist noch nicht selbst das Heil. Wenn aber die Erkenntnis dem Erkennenden Anteil gibt am Erkannten, wenn also wir Jesus Christus erkennend Glieder des Leibes Christi werden, dann ist das für den Erkennenden schon die Teilhabe am Heil und am Heilwerden, sodaß dann auch ein neues, geheiltes Leben daraus entspringt.
Der nur praktisch Täige, die Marthaexistenz  bleibt Jesus Christus äußerlich, so sehr sie auch für ihn arbeitet und ihm dient. Der Mariaexistenz dagegen wird Jesus Christus im Erkennen zu eigen. Man erinnere sich daran, daß wenn in der Bibel es heißt, daß ein Mann eine Frau erkannte, daß das die geschlechtliche Vereinigung zu einem Fleische meint. Im Erkennen wird der Erkennende und der Erkannte eins. Erkennen verändert das erkennende Subjekt. Das ist eine völlig andere Vorstellung als die des Theorie-Praxis Vorstellungsschematas!
In der christlichen Theologie wird dies deutlich an der Bestimmung des Menschen zur Gotteserkenntnis. Verstünde man dies im Sinne des Theorie-Praxis- Vorstellungsschematas wäre das Ziel der Gotteserkenntnis, daß wir erkennen, wir wir zu leben haben. Aber das Endziel des Menschen ist seine Gottesschau, daß er sieht, erkennt wie Gott wirklich ist und das ist dann die ewige Gemeinschaft mit Gott. Das Ziel des praktischen Lebens ist so selbst ein "theoretisches" Ziel, das der vollkommenden Gotteserkenntnis als Gottesschau!   
"Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast." (Joh 17,3) Hier kann unmöglich das Erkennen im Sinne des Theorie-Praxis-Schematas verstanden werden. Erkenntnis meint eben in der christlichen Religion etwas anders als wenn wir Heutigen abfällig von theoretischen Erkenntnissen sprechen und das Heil in "Erfahrungen" suchen statt im Erkennen!

Supplement 
(Vgl Kath net vom 17.7. zur Papstpredigt über Maria und Martha) Papst Franziskus sieht den "besseren Teil" der Maria in der praktischen Gastfreundschaft Marias, die sich direkt dem Gast zuwandte und ihm zuhörte, weil er der Gast war! Maria waren eben noch gastfreundlicher als Martha, noch praktischer, weil sie sich direkt im zuwandte, ihm zuhörte! Also der Gast Jesu war der Bedürftige und Maria ging eben auf die psychischen Bedürfnisse des Gastes ein!  Daraus macht der Papst dann einen Appell für mehr Gastfreundschaft und mehr Zuhörkultur! Daß es hier aber darum ging, zu Füßen Jesu Christi ihm zuzuhören, das vergaß dieser Papst dabei völlig. So reduziert sich der Komparativ des besseren Teiles auf die simple Aussage, daß Maria noch besser als Martha für den Gast sorgte, indem er seine psychischen und nicht nur wie Martha seine physischen Bedürfnisse sah! Der Predigtstil ist nebenbei gesagt typisch aufklärerisch: Die Bibelgeschichte wird verstanden als bloße Illustration einer allgemeinen, das ist unabhängig von der christlichen Religion bejahten Tugend, hier die der Gasfreundschaft mit der Betonung, daß zur Gastfreundschaft auch und gerade die Berücksichtigung psychischer Bedürfnisse gehöre, daß man dem Gast zuhöre und mit ihm rede. So ist die Bibelgeschichte eigentlich überflüssig, sie sagt ja nur, was sowieso allgemein anerkannt ist.Daß Jesus Christus der Hauptakteur dieser Geschichte ist, wird dann auch konsequent  ausgeblendet, indem er ersetzt wird durch die Vorstellung von einem allgemeinen Gast, von dem gilt, weil er Gast ist, es immer der bessere Teil wäre, ihm zuzuhören und mit ihm zu kommunizieren! 
   

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