Freitag, 12. August 2016

Toleranz ist in- oder?

"Ein toleranter Mensch bin ich!"- Wer würde schon für sich werben wollend sich zur Intoleranz bekennen?Die Zeitschrift:"Theologisches" bietet dazu einen sehr lesenswerten Artikel: Johannes Stöhr, Tolerieren, Distanzieren, Korrigieren?" (Juli/August 2016, Sp.355-Sp.384). 
Ein paar kleine Ergänzungen:
1. Es müßte unterschieden werden, welche Bedeutung der Toleranz in Gebieten zukommt, in denen es keine gewisse Erkenntnis gibt oder nicht geben kann im Vergleich zu den Gebieten, in denen gewisse Erkenntnisse vorhanden sind und möglich sind. Zur Veranschaulichung: Frägt der Mathematiklehrer: Was ist 7 plus 5, dann gibt es daraufhin nur eine wahre Anntwort und nie würde im Rechenunterricht die Antworten 75, 11..toleriert werden. Insistiert ein Schüler aber darauf, Telephon mit ph und nicht mit f zu schreiben, da das Wort griechischen Ursprunges ist, könnte ein Deutschlehrer das tolerieren, auch wenn es der jetzigen Rechtschreibung nicht entspricht. In diesem Gebiet der Orthographie lautet die prinzipiele Frage: Wie viele Abweichungen von der jetzt gültigen Rechtschreibungsregelung sind tolerierbar, wenn teilweise nach der alten Rechtschreibung geschrieben wird ? In beiden Fällen gibt es klare Unterscheidungen, was ist die richtige Antwort auf eine Rechenaufgabe und wie habe ich das Wort jetzt zu schreiben. Trotzdem wird im Rechenunterricht keine Toleranz gegen falsche Antworten vertretbar sein, wohl aber in der Rechtschreibung, eben gerade mit dem Argument, daß das, was früher recht war, heute noch tolerierbar ist, also Telephon statt Telefon! 
Wie nun, wenn der Englischlehrer frägt: Was wollte uns der Dichter Edgar Allen Poe mit seinem Gedicht: "Der Rabe" sagen? Jede Unterrichtsstunde mit dieser typischen Lehrerfrage, was denn der Dichter uns damit sagen wollte, zeitigt das eine Resultat: Es gibt keine eindeutig wahre Antwort. Nun herrscht auch hier nicht das Reich der anarchischen Willkür. Die Antwort, daß Raben gut zubereitet, ein Sonntagsmenü ergeben, ist ganz gewiß eine Fehldeutung der Aussagenintention dieses Gedichtes. These: Es liegt nicht am Mangel an interpretatorischen Talenten, wenn ein Gedicht vielfältigste Ausdeutungen erfährt, sondern es gehört geradezu zum Wesen lyrischer Sprache, mehrdeutig zu sein, das ist geradezu ihre Lebendigkeit. Hier hieße Toleranz die Einsicht, daß es keine eindeutig wahre Antwort auf diese Frage nach der Aussagenintention von lyrischen Texten geben kann. 
Von Nietzsche stammt dies Votum: "Die Welt ist uns (...)noch einmal unendlich geworden:insofern wir die Möglichkeit nicht abweisen können, daß sie unendliche Interpretationenn in sich schließt."(zitiert nach: Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? 1983, S.267). Könnte man zwischen der wahren und den unwahren Interpretationen distinguieren, gäbe es für die Welt nur eine Interpretation, nämlich die wahre. Aber genau dieses Unterscheidungsvermögen bestreitet Nietzsche. Dann hieße Toleranz: aus der Einsicht in die Nichtunterscheidbarkeit jede Weltinterpretation zu tolerieren.Das Moment des Erduldens, das zum Tolerieren konstitutiv dazugehört, wäre das Leiden an der Nichtunterscheidbarkeit. Für den postmodernen Diskurs ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, daß die Frage, ist eine Religion wahr? unbeantwortbar ist. In der Moderne konnte eine Religion noch als wahr gelten, sofern und insoweit sie mit der vernünftigen und natürlichen Religion übereinstimmt. (Vgl Kant: Die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft). Also: Alle Religionen sind zu tolerieren, weil von ihnen weder ihre Wahrheit noch ihre Unwahrheit erkennbar ist. Das ist das Grundprinzip der Religionsfreiheit: der Agnostizismus! 
Es ist einleuchtend, daß die Katholische Kirche diese Religionsfreiheit nicht tolerieren konnte, aber mit dem 2.Vaticanum trat hier eine Änderung ein. Diese Wende war pragmatisch begründet und beruhte auf der Erfahrung, daß die christliche Religion in Weltanschauungsstaaten im Namen der jeweiligen Weltanschauung selbst diskriminiert wurden, daß im Namen der Wahrheit die unwahre Religion bekämpft wurde. Seit dem bejaht die Kirche die Religionsfreiheit als Recht des Bürgers gegen den  Staat mit seiner Neigung, als Weltanschauungsstaat, die Religionen zu reglementieren oder gar zu unterdrücken.Wie diese pragmatisch bedingte Änderung theologisch dann zu legitimieren sei, darüber herrscht bis jetzt in der Kirche kein Konsens. Mehrheitlich begrüßt man diese Kurskorrektur als gelungene Anpassung an die moderne Welt und kritisiert sie deshalb auch mit dem selben Argument als Minderheitenvotum. 
2. Besonders problematisch ist die Frage der Toleranz in dem Gebiet der Morallehre. Eines der Hauptprobleme resultiert aus Konflikten zwischen verschiedenen Ansprüchen der Moral. So gilt die Höflichkeit als Tugend, aber auch die Ehrlichkeit. Aber selbstverständlich sagt ein kultivierter Mensch eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier nicht ab mit der Begründung: Ich mag nicht zu deinem Geburtstag kommen, (wenn es auch so ehrlich wäre) sondern mit der Begründung, da schon andere Verpflichtungen zu haben. Ist es tolerierbar, so die Unwahrheit zu sagen, um schlimmeres, jemanden durch die ehriche Antwort zu verletzen, zu vermeiden. Was darf an einem Übel zugelassen werden, toleriert werden, um ein noch größeres Übel zu verhindern. So meinen einige, daß das Übel der Prostitution toleriert werden sollte, denn gäbe es sie nicht, käme es zu mehr Vergewaltigungen. Nehmen wir jetzt einmal an, daß das so stimmen würde. Dürfte dann das Übel der Prostitution geduldet werden? 

3. Die Moral ändert sich und somit auch das Tolerierbare. So sehr auch der Geist des Nihilismus jede Moral als in sich unbegründbar verwirft, so herrscht doch noch weitestgehend ein Konsens über das, was moralisch und was nicht moralisch ist. Nur im Bereich der Sexualität lösten sich die traditionellen Vorstellungen fast vollständig auf, sodaß jetzt gilt: Fast alles, was allen daran Beteiligten Lust bereitet, ist erlaubt. Hier erfährt nur noch die Inakzeptanz bestimmter sexueller Praktiken intolerante Reaktionen. 
Es muß aber konstatiert werden, daß zusehens die Politische Korrektheitsreligion die traditionelle Moral ersetzt mit ihren eigenen Tabuisierungen. So darf man für die Homosexualität werben, auch und gerade im Schulunterricht aber man darf keinen Mohrenkopf essen und seinen Kindern nicht aus: "10 kleine Negerlein" vorlesen! Was die traditionelle Moral als unmoralisch nicht tolerieren wollte, gilt jetzt als moralisch, um dafür vieles andere als nicht mehr tolerierbar zu beurteilen. So gilt die einstige Tugend der Vaterlandsliebe heut schon als moralisch verwerflich und somit als nicht mehr tolerierbar. Immer gibt es Tolerierbares und Nichttolerierbares. Aber was tolerierbar ist und was nicht, das sind keine ewigen Wahrheiten. Aus Sicht der christlichen Religion ist dieser faktische Wertewandel nicht akzeptabel und tolerierbar. Aber es ist so, daß die Werte in der Gesellschaft einem permanenten Wechsel unterliegen; das unterscheidet sie eben von den göttlichen Geboten und Ordnungen, die keine Werte sind. Wert ist ein Begriff der Ökonomie, man denke an den Gebrauchswert und den Tauschwert. Der Tauschwert von etwas ist nun gemäß dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage nicht feststehend. Der Wert von Aktien steigt oder fällt. So auch der Wert von moralischen Werten!

Corollarium 1
Die SPD erstzte im Godesbergerparteiprogramm ihre einstige mehr oder weniger marxistisch influenzierte Weltanschauung durch Werte. Das war das Ende der Weltanschauungspartei der SPD.Es drängt sich die Vermutung auf, daß die Rede von chrstlichen Werten einen ähnlichen Wandel signalisieren: statt der christlichen Religion treten nun die christlichen Werte. Ist der Verlust der Religion und der Wetanschauung hin zu bloßen Werten etwas Schicksalhaftes, der toleriert werden muß, weil so der Gang der Geistesgeschichte ist?   Es sei an Auguste Comtes Dreistadienlehre erinnert: die kindliche Religion, die jugendliche Metaphysik und der erwachsene Positivismus. Der Metaphysik entspräche dann das Zeitalter der Weltanschauungen, wohingegen wir jetzt in der postideologischen rein empiristisch-positivistischen Welt lebten.                                     

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