Montag, 4. Dezember 2017

Kunst als Kritik der Wirklichkeit?

"Ernstzunehmende Kunst, Musik und Literatur ist immer auch ein kritischer Akt.Und zwarzunächst einmal im Sinne von Mattew Arnolds Formulierung:>eine Kritik des Lebens<.Sei es realistisch, phantastisch, utopisch oder satirisch, das Gebilde des Künstlers ist eine Gegenaussage zur Welt. In ästhetischen Mitteln verkörpern sich konzentrierte, selektive Interaktionen zwischen den Beschränkungen des Beobachteten und den grenzenlosen Möglichkeiten des Vorgestellten. Eine solche durchgestaltete Intensität von Sicht und spekulativer Anordnung ist immer eine Kritik. Sie spricht davon, daß die Dinge anders sein könnten (gewesen sind,sein werden).
George Steiner, Eine sekundäre Stadt, in: G.Steiner, Von realer Gegenwart, 1990, S.23f.
Die effektivste Apologie des Bestehenden ist wohl die Aussage, daß es ist, wie es ist, daß es, so wie es ist, alternativlos seiend ist. Der Möglichkeitssinn, (vgl Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften,dem Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn ein eigenes Kapitel widmend), ist wohl die Voraussetzung jeder Kritik des Bestehenden in dem Urteil: So ist es, es könnte aber auch anders sein.  
So gesehen ist tatsächlich jedes Kunstwerk, indem es einfach nur etwa Künstliches dem Realen gegenüberstellt, zumindest die notwendige Voraussetzung jeder Kritik des Bestehenden. Realpolitikern und die gibt es auch zu Hauf in der Kirche in leitenden Funktionen ist das nur eine wirklichkeitsfremde Utopisterei, denn für sie gibt es nur die Welt der Indikative. Nur, das konjunktivische Denken befreit uns aus dem Schein, daß das, wie es ist, auch so sein muß, weil es so ist. Es könnte auch anders sein, ist so die Subversion alles Bestehenden. 
Aber wenn das nur, nach George Steiner für die ernstzunehmende Kunst gilt, was ist dann mit der anderen dadurch ausgegrenzten Kunst?  Kann es auch nicht ernstzunehmende Kunst geben, die sich kritisch zum Wirklichen verhält oder ist das nur das Privilegium der ernsten Kunst, sodaß die sogenannte Unterhaltungskunst nicht kritisch wäre. Dann wäre sie keine Gegenaussage zur Welt. Aber was Steiner als die Funktion der ästhetischen Mitteln in diesem Zitat beschreibt, das ereignet sich doch in jeder Kunsthervorbringung, daß so die ästhetischen Mittel funktionieren. 
Zudem: Zeichnet sich nicht gerade die Unterhaltungskunst durch ihren nicht-realistischen Stil aus, man denke etwa an das Genre des Liebes- oder Heimatfilmes, aber sind darum nicht gerade diese Genres Gegenaussagen zur Welt, wie sie ist?   
Könnte man nicht eher -sicher verkürzt- urteilen, daß das Reich der Abenteuer,der Liebes- und der Heimatfilme uns eine Welt der Optative vorführt, also eine der Wünsche, die aber gerade deshab als unernst und kitschig verurteilt wird, weil sie nur ein imaginäres Glück uns aufzeigt? Verurteil der Realitätssinn das eben als nicht realistisch und somit als kitschig trivial? 
Zeichnet sich dengegenüber die Hochkultur nicht durch ihren Realitätssinn aus, daß sie uns, das was ist und wie es ist, als einzige Möglichkeit aufweist? Man lese daraufhin mal Thomas Bernhards Meisterwerke: Realität ohne Alternative? 

Corollarium 1
Das philosophische Denken hat sich bisher zu sehr auf indikativische Aussagen kapriziert, als wäre das Eigentümliche des Denkens das Begreifen dessen, was ist und wäre es nicht ebenso die Aufgabe des Denkens, das Mögliche und das Wünschbare zu ergründen, die Welten, die durch  Optative konstituiert werden.   

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