Freitag, 4. Mai 2018

Der Ausverkauf des Menschen, das Ende des Nationalstaates

"Wir leben in einer semi-sozialistischen Post-Demokratie, und es herrscht Ausverkauf, von allem- und ganz besonders von Menschen. Ich verstehe Deutschland schon lange nicht mehr als Staat, sondern als europäisches Unternehmen mit integrierter Freihandelszone", läßt der Autor Thor Kunkel seinen Protagonisten Claus Evelyn im Roman: "Subs" sagen. (2011, S.32)
Wikipedia bringt diese Definition der Postdemokratie„ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden [...], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben"
Würde dem noch hinzugefügt, daß die zur Wahl stehenden Parteien im Prinzip alle das Gleiche vertreten und wenn es doch eine reale Opposition gibt, daß die dann mit allen Mitteln bekämpft wird und als ultima ratio die Möglichkeit des Parteiverbotes zur Verfügung steht, dann ergibt das wohl ein zutreffendes Bild deutscher Politikverhältnisse.
Was meint aber "semi-sozialistisch"? Der Roman gibt darüber keine Auskunft. Wenn damit die ideologische Hegemonie des Linksliberalismus gemeint ist, träfe das zu- aber was ist daran sozialistisch? Oder praktizierte die DDR Multikulti und förderte den Islam und die Homosexualität? Seit der Implosion des real existierenden Sozialismus hat eben die Linke sich signifikant verändert. Die Kapitalismuskritik wurde ad acta gelegt, stattdessen eine sozialstaatliche Humanisierung des Kapitalismus erstrebt.Selbst die einst sich orthodox marxistisch gebende Sahra Wagenknecht widmete ja ein ganzes Buch ihrer Liebe zur "sozialen Marktwirtschaft". "Ich will Ludwig Erhard zu Ende denken" Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 15.05.2011
Stattdessen wurde seit 1990 eine Kulturevolution propagiert. Das war in erster Linie eine Reaktion auf den Schrecken der Deutschen Revolution in der DDR mit der Parole: "Wir sind ein Volk". Dem neu erwachendem Nationalismus wurde der Kampf angesagt- so ist die heutige Linke nicht in erster Linie antikapitalistisch- sozialistisch sondern antinational. Und sie ist antibürgerlich und kämpft so gegen eine Kultur, die gerade als bürgerliche zum Hemmnis für die Weiterentwickelung des Kapitalismus wird. Gerade die Familie mit der Hausfrau, die ihre eigenen Kinder erzieht, entzieht Frauen dem freien Arbeitsmarkt, wo sie die Wirtschaft wie den Mann als frei verfügbar sehen möchte. 
Aber das die Staaten in Europa faktisch dem Primat der Ökonomie sich unterwerfen, das kann nicht übersehen werden. Wenn der Primat der Ökonomie sozialistisch wäre, dann, aber nur dann ergäbe die Beurteilung als "semi-sozialistisch" Sinn. Dafür spricht nun doch einiges. Denn genau genommen gibt es nach marxistischer Meinung Politik nur, weil es Klassengesellschaften gibt.  Wäre die endgültig überwunden, gäbe es die Sphäre der Politik nicht mehr, sodaß faktisch die Ökonomie das Bestimmende ist.   Das meint Lenin, wenn er vom Absterben des Staates im Sozialismus spricht. (Staat und Revolution).Realiter führte aber die sozialistische Planwirtschaft zur Verstaatlichung der Wirtschaft und so zum Primat der Politik über die Ökonomie- spätestens seit Stalin. So kämen wir zu der Paradoxie, daß nicht der Sozialismus sondern der weiter entwickelte Kapitalismus das eigentlich sozialistische Ziel des Primates der Ökonomie verwirklicht. 
Das Verschwinden der Politik ist dann die andere Seite des Verschwinden des Staates. In diesem Zitat wird Deutschland (als Land und Volk) mit dem Begriff des Staates in einen Sinnzusammenhang gestellt. Den Deutschen Nationalstaat gäbe es nicht mehr- er sei ersetzt durch einen deutschen Filialbetrieb des Großunternehmens Europa. Für diesen Filialbetrieb ist die Frage, welcher Nationalität wer angehöre, bedeutungslos. Es soll nur noch Menschen als Arbeitskräfte und Konsumenten geben. Der Mensch ist eben nur noch eine Funktion für die Wirtschaft als Konsumgüterendverbraucher und als für die Wirtschaft nützliche Arbeitskraft. Mehr soll er auch nicht sein. 
Der Begriff des Ausverkaufes des Menschen reflektiert genau dies Phänomen, daß der Mensch nur noch der homo oeconomicus sein soll. Das könnte anschlußfähig sein mit der These M. Foucaults vom Tode des Menschen, daß der Mensch seine Zentrumsstellung, die er erst in der Moderne gewonnen hat, verliert, dezentriert wird zum Appendix der Ökonomie. 
Thor Kunkel könnte als der Balzac der postmodernen Gesellschaft charakterisiert werden. Auch wenn es fürchterlich altmodisch hausbacken klingt:Der Roman ist in der Tradition der Gesellschaftskritk geschrieben- ein fast schon ausgestorbenes literarisches Konzept! Aber nicht nur in diesem Zitat tritt der Roman die gesellschaftliche Realität, indem sie erzählt wird.  

Corollarium 1
Es ist der Irrtum des Liberalismus, vom Einzelmensch auszugehen, ihn als das einzig Reale und Wahre zu betrachten und alle Vergemeinschaftungen dann als etwas Sekundäres und Imaginäres- es gäbe kein Volk, keine Gemeinschaft...das wären nur blutleere Abstrakta ohne eine Realität. Darin wirkt der philosophische Nominalismus weiter, für den alle Abstraktbegriffe keine Realität besitzen. Aber wird der Mensch so liberal betrachtet, dann entschwindet er gerade, denn er ist immer nur real als Teil eines Größeren, des Volkes, der Rasse und schlußendlich der Menschheit.    

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