Donnerstag, 10. Mai 2018

Himmel- ein vegessener Ort

Seit Nietzsche zur Treue zur Erde aufrief, hat die Rede vom Himmel keine Konjunktur mehr. Irdisch sein, das ist die Parole der modernen Welt. Aber das Himmlisch-Jenseitige verschwand nicht einfach.Die Zukunft ersetzte eben das Setzen auf das Himmlische. Der Diskurs der Geschichtsphilosophie mit ihrer Blüte in der Aufklärung, von Kant über Hegel bis Marx ist nur verstehbar, wenn beachtet wird, daß die Vorstellung von einem Ende der Geschichte in einem quasi paradiesähnlichen Endpunkt eine Umformung des Hoffens auf das Reich Gottes ist, als einer Einheit von Himmel und Erde. 
Aber was bleibt, wenn der geschichtsphilosophische Diskurs sich erschöpft hat, wenn nicht mehr die Geschichte als ein auf ein Endziel hin laufender Prozeß gedacht wird? Selbst Nietzsches Endzielbestimmung des "Übermenschen" findet ja kaum noch Zustimmung, ja dieser den Menschen überwindende Übermensch erscheint  eher als Ausgeburt eines Albtraumes, besonders wenn die Tendenz zur Züchtung des Menschen und die Tendenz zur Cyborgisierung mitbedacht werden.
Aber erstmal besagt der Himmel etwas anderes: Er gehört nicht als Punkt in die Zeitachse (als ewig zeitlos vorgestellt) sondern er bildet einen Contraraum auf der Raumachse: Er ist "über" dem Raum der Erde, wie der "sky" über der Erde ist und doch verschieden ist vom "heaven". Die Deutsche Sprache ist hier uneindeutig, indem sie Beides als Himmel bezeichnet. Der Begriff des Himmels sagt aus, daß der Dualismus das Wesentliche ist, der zwischen Irdischem und Himmlischen.Es deutet damit an, daß der Mensch in zwei grundverschiedenen Weisen sein Leben entwerfen kann, als irdisch oder als himmlisch Orientierter. Diese zwei Optionen stehen nun nicht gleichberechtigt nebeneinander, nein sie sind hierarchisch aufgestellt: Niederes Leben lebt irdisch, das höhere strebt nach dem Himmlischen, nach dem Oberen. 
Sloterdijk schreibt das mit der ihm eigenen Ausdrucksstärke so: "Besinnliche Bücher schreiben und die Welt nicht verachten- das war bis zum Beginn der Moderne-sprich namentlich: vor Boccaccio- nahezu ein Ding der Unmöglichkeit." P. Sloterdijk, Ist die Welt bejahbar?, in:Sloterdijk, Nach Gott, 2017, S.48.  Gemeint ist dabei: Boccaccio, Giovanni, die wunderbare Novellensammlung: Das Dekameron
Der Mensch weiß, daß er die Welt verachten sollte, aber sein Streben nach Ruhm, Ehre und Liebe fesselt ihn an das Irdische und hält ihn so fern vom Himmlischen. Damit bricht die Moderne: Nun wird dem Menschen das Irdische zu seinem Lebensort, wo er all das zu realisieren hofft, was ihm einst der Himmel versprach. Damit einhergeht geht eine veränderte Wahrnehmung des Menschen von sich selbst: Sein Körper wird ihm zum Eigentlichen, die Seele zum Appendix des Körpers. Konsequent bringt das der Philosoph Feuerbach auf den Punkt, wenn er formuliert: Der Mensch ist, was er ißt. Nicht mehr ist er primär ein Denkwesen (Descartes oder Aristoteles: ein animal rationale sondern ein Körper, Fleisch, das ein Gehirn mit der Denkfähigkeit hervorgebracht hat, um seine Körperbedürfnisse besser befriedigen zu können. Der Mensch denkt monistisch: Alles ist Körper, alles ist fleischlich-irdisch- es gibt nichts anderes, wonach gestrebt werden könnte.
Die christliche Religion denkt dagegen dualistisch: Erde und Himmel. Mensch und Gott, das Niedere und das Höhere. Philosophisch: Das Wahre ist die Idee von Etwas, das auf Erden als Realisierung seiner Idee existiert- aber seine Wahrheit ist so eben nicht die irdische Erscheinung sondern sein Wiegedachtsein in Gott, seine Idee. Somit wird ein irdisches Etwas nur begriffen, wenn es in seiner Relation zur Idee in Gott begriffen wird. Das Irdische kann sich von seiner Idee entfremden, sie nur mangelhaft zur Erscheinung bringen. Das Musterbeispiel dafür ist der sündige Mensch. Gerade er soll dann aber nach dem Himmlischen sich ausrichten, nach seiner Idee, wie er sein sollte.
Denn das Himmlische ist das Normative für das Irdische. Was aber bleibt, entfällt diese normative Himmelswelt? Wenn die Moderne noch das Himmlische als irdische Aufgabe realisieren wollte und selbst Nietzsches Idee der Geburt des Übermenschen noch in dieser Tradition fußt, daß der wirkliche Mensch nicht der wahre ist, daß er dazu noch werden muß durch eine Erlösung (religios) oder durch menschliches Hervorbringen (kulturell-politisch), so ist die Postmoderne die Aufgabe dieser Aufgabe: Der Mensch will nichts mehr werden. Mit sich selbst ist er eins. Er ist monistisch geworden.  

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