Sonntag, 10. Juni 2018

Zum Niedergang der christlichen Religion

" Denn wir wissen, dass der, welcher Jesus, den Herrn, auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken und uns zusammen mit euch vor sich stellen wird."Das schreibt der Apostelfürst Paulus in seinem 2.Korinterbrief, 4,14. Der Text ist uns bekannt, vielleicht schon zu vertraut, als daß noch der eigentliche Skandalon dieser paulinischen Aussage wahrgenommen wird! Er steckt in dem Verb:wissen!
Stünde da doch: "wir glauben", dann wäre alles klar. Glauben ist eben nicht wissen, sondern ein meinen, vermuten: Ob es heute am Nachmittage noch regnen wird, ich weiß es nicht, aber ich vermute es. Religiöse, theologische Aussagen sind zwar Aussagen mit der Behauptung, so ist es, so verhält es sich, aber der sie Aussprechende setzt durch das Verb:glauben ein klares Zeichen- ja eigentlich könnte man besser gleich den Konjunktiv des Zweifels benutzen: "Ich würde mal glauben..."="ich würde mal meinen...". 
Der Raum der Religion ist so angefüllt mit zweifelhaften Aussagesätzen nach dem Motto:"Was Gewisses weiß man nicht!" 
So sieht das Imanuel Kant: 
Es gibt hiernach drei Arten oder Modi des Fürwahrhaltens: Meinen, Glauben und Wissen. — Das Meinen ist ein problematisches, das Glauben ein assertorisches und das Wissen ein apodiktisches Urteilen. Denn was ich bloß meine, das halte ich, im Urteilen, mit Bewußtsein nur für problematisch; was ich glaube, für assertorisch, aber nicht als objektiv, sondern nur als subjektiv notwendig (nur für mich geltend); was ich endlich weiß, für apodiktisch gewiß, d. i. für allgemein und objektiv notwendig (für alle geltend); gesetzt auch, daß der Gegenstand selbst, auf den sich dieses gewisse Fürwahrhalten bezieht, eine bloß empirische Wahrheit wäre. Denn diese Unterscheidung des Fürwahrhaltens nach den so eben genannten drei Modis betrifft nur die Urteilskraft in Ansehung der subjektiven Kriterien der Subsumtion eines Urteils unter objektive Regeln.
So wäre z. B. unser Fürwahrhalten der Unsterblichkeit bloß problematisch: wofern wir nur so handeln, als ob wir unsterblich wären; assertorisch aber, so fern wir glauben, daß wir unsterblich sind; und apodiktisch endlich: so fern wir alle wüßten, daß es ein anderes Leben nach diesem gibt.(Kant-Logik: Modi des Fürwahrhaltens:Meinen,Glauben,Wissenhttps://www.textlog.de/kant-logik-modi-wissen.html)
So urteilte noch Kant, heutzutage scheint das Verb:glauben eher wie das meinen benutzt zu werden und nur noch in kirchlich verbundenen Kreisen assertorisch. Wir leben in der Welt des Wissens und darum in der der Wissenschaften und dann gibt es noch die Welten der Religion, der Weltanschauung und der Ideologie, denen eines gemeinsam ist, daß sie die Grenzen des Wiß- und Erkennbaren überschreiten. Hier darf dann jeder für sich das glauben, was ihm gefällt, sofern er bereit ist, es zu akzeptieren, daß eben jeder das unveräußerliche Recht hat, beliebig zu glauben. Glaubensaussagen sind so rein subjektive Urteile, so glaube ich das halt!, aber jeder andere kann das auch ganz anders glauben. Das Was des Glaubens ist so zwar explizierbar, ich glaube, daß Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, aber dieser Glaube ist eben so "grundlos", daß er nicht intersubjektiv kommunizierbar ist, er kann nur als Ichglaube bekannt werden.  Intersubjektiv soll hier die Antithese zum monologischen Bekennen benennen: Ich sage dir, was ich glaube und du, was du glaubst. Ein Dialog wäre dagegen ein Denken, in dem die Wahrheit durch Rede und Gegenrede, durch Pro- und Contraargumete hervorgebracht wird, ein Prozeß des Denkens, in dem aus dem anfänglichen Meinen ein Erkennen, ein Wissen wird.
Ja, Krtiker würden wohl Paulus auch hier vorwerfen, das Wünschen und Hoffen, er hofft auf ein ewiges Leben mit Wissen verwechselt zu haben! "Ich hoffe, weiß, daß unsere Nationalmannschaft wieder Weltmeister wird, aber ich weiß nicht, ob sie es werden wird." 
Es gehört zu den großen Umformungen der christlichen Religion im Geiste der Aufklärung, daß Glaube und Wissen auseinandergerissen wurden: Wo geglaubt wird, da wird nicht gewußt. Somit kann keine Glaubensaussage den Anspruch erheben, von allen als wahr anerkannt zu werden, denn es ist nur ein subjektives Überzeugtsein von dem Wahrheitsgehalt einer Aussage.
Daß kaum noch in der Öffentlichkeit über Glaubensinhalte gesprochen wird, gerade auch von den Gläubigen hat darin seinen Grund: Der Wahrheitsgehalt ist nicht mehr intersubjektiv vermittelbar, die Wahrheit kann dem Anderen nicht auch als die Wahrheit für ihn dargelegt wird, sondern nur noch als das meinige Meinen bekannt werden.
Wie anders urteilte da der Apostel Paulus und die Kirche bis zum 2.Vaticanum! Jetzt stehen wir vor den Trümmerbergen der Zeit, als Glauben noch Wissen war und müssen uns fragen:Wie kam uns das Wissen im Raume der Religion abhanden, daß wir eigentlich nur noch: meinen?

Corolloarium 1
Es liegt nahe, daß das primäre Problem des Verschwindens des Wissens, des Erkennens im Raume der Theologie und dann in dem der Religion ein philosophisches ist, daß wir nicht mehr wissen, was Denken ist als Tätigkeit der Vernunft mit dem Ziele des Erkennens. Zu leicht wird übersehen, wie sehr der Platonismus der Geburtshelfer der christlichen Religion war. So ist Nietzsches Votum, das Christentum sei popularisierter Platonismus nicht ganz ohne Wahrheit, wie ja auch der hl. Augustin noch die Geistesverwandtschaft der christlichen Theologie zum Platonismus betont.   
 

1 Kommentar: