Mittwoch, 4. Juli 2018

Der Verlust aller Werte? Oder der Sieg des Verkaufserfolges

Der Protagonist des Romanes: "Gegen den Strich" von Joris-Karl Huysmann faßt seine Erfahrung mit Schriftstellern desillusioniert so zusammen. Er war entsetzt, "ihre kleinlichen und rachsüchtigen Urteile zu erkennen, ihre banale Unterhaltung und ihre widerlichen Streitigkeiten zu hören, wonach der Wert eines Werkes einfach nach der Zahl der Auflagen und dem Ertrag des Verkaufes bemessen wurde." (Einleitung, Anacondaverlag, 2015, S.14).  Der Protagonist erleidet hier nach dem Abschluß seiner Ausbildung in einem Jesuiteninternat das, was bei Buddha seine Ausfahrten aus dem Hofe in das wirkliche Leben evozierten: Angesichts der Desillusionierung entscheidet sich der Protagonist zur Abkehr von der Welt. Nach Kontakten zu Adelskreisen, zu denen er selbst gehört, zu ehemaligen Schülern des Internates suchte er einen Kontakt zu Literaten, hoffend hier auf Geistesverwandte zu treffen- aber gerade hier erlitt er diese maßlose Enttäuschung. Spontan fühlt man sich an Balzacs: "Verlorene Illusionen" erinnert.
Aber was erwartete den der "Held", als er den Weg zu Literaten suchte, sodaß er enttäuschbar war?Wer nichts erwartet an Positivem, der kann ja auch nicht enttäuscht werden. Unterteilt man die Vernunft in Anlehnung an Kant in drei, die theoretische, die praktische und die ästhetische Vernunft, so wäre die Literatur einer der Orte des Diskurses über das Schöne und das Häßliche, wie die theoretische Vernunft sich konstituiert durch das Oppositionspaar: wahr und unwahr, und die praktische Vernunft durch das Oppositionspaar: Gut und Böse. Und auf was stößt nun der Protagonist? Wo er ästhetische Dialoge erhofft hat, da stößt er auf Kleinkrämerisches, auf die enttäuschende Wahrheit, daß die Qualität eines künstlerischen Werkes der Gewinn ist, der mit ihm erzielt wurde. Alles Ästhetische löscht sich auf angesichts dieser Krämergeistwahrheit. Das Desillusionierende ist nun, daß die Künstler selbst, die Literaten selbst, diese Art der Wertschätzung künstlerische Werke so verinnerlicht haben, daß sie selbst auch keine ästhetischen Qualitätsmerkmale mehr kennen.Nicht ist es hier so, daß Künstler eigentlich ästhetisch Wertvolles hervorbringen möchten, sich dann aber gezwungen sehen, gemäß den Gesetzen des Marktes zu produzieren. Sie verfügen selbst nicht mehr über ästhetische Werturteile- sie orientieren sich allein am (möglichen) Verkaufserfolg ihrer Produkte. 
Das kann einerseits als Außerkraftsetzung aller Ästhetik in einem nihilistischen Sinne begriffen werden, aber andererseits auch als die Folge der Unterwerfung der Kunstproduktion unter die Gesetze des freien Marktes. Kunstwerke, die nur noch Waren sind, emanzipieren sich von der Ästhetik, weil sie nur noch zum Geldverdienst produziert und angekauft werden (als Wertanlage). 
Aber so betrachtet wird ein anderes Phänomen dabei übersehen: Daß der Diskurs über das Schöne und Häßliche selbst an seinem ihm notwendig innewohnenden Anspruch gescheitert ist, zu begreifen, was das Schöne denn in der Kunst wäre. Der subjektivistische Geschmack zersetzte jede Objektivität des Schönen. Was für den moraltheologischen Diskurs das Gewissen als Letztentscheidungsinstanz ist, daß ist für den ästhetischen Diskurs der Rekurs auf den individuellen Geschmack. Diese Subjektivierung, wie ein schwarzes Loch, löscht alles Objektive aus, zermalmt es in sich.
So bitter es auch ist: Daß Goethe und Schiller zur Hochkultur und Karl May und Hedwig Courths Mahler zur bloßen Unterhaltungsliteratur zählen, ist nur noch eine Konvention, der zugestimmt wird, weil man so zu denen gehört, die so guten Geschmack beweisen. Die Literaturwissenschaft kann selbst dies Werturteil nicht selbst mehr begründen, es akzeptiert dies Urteil einfach als Vorurteil des Alltagswissens. Und wie bleibt dies Werturteil lebendig? Wer unter Literaten sitzend erklärte, Courths Mahler als eine brillante Erzählerin zu schätzen, der katapultierte sich damit heraus aus dem Kreise der ernst zu nehmenden Literaturkritiker. Darum zählt sie eben nur zur seichten Unterhaltungsliteratur. 
Kann es einen desillusionierenden Ausgang der Ästhetik geben als diesen, daß nur noch der Verkaufserfolg den Wert ästhetischer Werke ausmacht?  
Kann man ernsthaft glauben  bzw. hoffen, daß das sich nur auf die ästhetische Produktion beschränkt, daß nicht auch die wissenschaftliche Theologie und somit auch die Kirche so ihre Produkte produziert: Wahr ist, was verkaufbar ist, was beim Konsumenten ankommt? 

Zusatz:
Ist der Nihilismus so nur der philosophische Begriff dafür, daß alles zur Ware geworden ist, und daß das gerade auch für den Diskurs über das Wahre, Gute und Schöne gilt, daß diese einstigen Werte entwertet sind durch den alleinigen des Verkaufserfolges?        

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