Samstag, 4. Mai 2019

Lesefrucht: Maria, unsere Fürbitterin

Der selige Johannes Exolto erzählt, daß ein verheirateter Mann wegen schwerer Sünden in Gottes Ungnade lebte. - Da es seine Frau nicht dahinbringen konnte, daß er die Sünde unterließ, so bat sie ihn, er möchte doch eine kleine Andachtsübung zur Mutter Gottes machen und sie jedesmal, wenn er vor einem Marienbilde vorübergehe, mit einem Ave Maria begrüßen. Der Mann fing wirklich an, diese Andachtsübung zu verrichten. - Als er nun einmal in der Nacht eine Sünde begehen wollte, erblickte er ein schwaches Licht. Er sah es näher an, ging darauf zu und erkannte, daß es eine Lampe sei, welche bei einem Bilde brannte, das Maria mit dem Jesuskindlein auf dem Arme vorstellte. Sogleich betete er sein Ave Maria. - Da sah er, wie das Kindlein mit Wunden bedeckt war, aus denen frisches Blut herabrann. - Bestürzt, aber zugleich voll Reue fing er an zu weinen, weil er erkannte, daß er durch seine schweren Sünden seinen Heiland so verwundet hatte. - Zudem merkte er, daß das Jesuskindlein seinen Blick von ihm wegwandte. - Dies betrübte ihn. - Nun wandte er sich voll Scham und Reue an Maria. - „O Mutter der Barmherzigkeit“, rief er aus, „dein Sohn verstößt mich; ich kann keine mächtigere Fürsprecherin als dich, seine Mutter, finden. - O meine Königin, hilf mir! - Bitte für mich!“ Da schien es, als wenn die Mutter aus jenem Bilde antwortete: Ihr Sünder nennt mich Mutter der Barmherzigkeit und unterlasset es dennoch nicht, mich zu einer Mutter der Leiden zu machen, weil ihr die Leiden meines Sohnes von der Krippe im Stalle bis zum Kreuzestod und meinen Schmerz erneuert. - Weil jedoch Maria den, der sie aufrichtig anruft, nicht ohne Trost von sich lassen will, wandte sie sich an ihr göttliches Kind und bat es, es wolle diesem Elenden verzeihen. Jesus schien anfangs nicht geneigt, ihre Bitte zu erfüllen. Da legte die allerseligste Jungfrau das Kind auf die Erde, kniete vor ihm nieder und sprach: „O mein Sohn, ich werde nicht mehr aufstehen, bis du diesem Sünder vergeben hast.“ - Darauf antwortete das holde Jesuskindlein: „Meine Mutter, ich kann dir nichts abschlagen. - Aus Liebe zu dir und aus Erbarmung über ihn verzeihe ich ihm. Laß ihn kommen, daß er meine Wunden küsse.“ - Der Sünder weinte heftig, küßte die Hände und Füße des Kindes, die nun geheilt waren. - Endlich umarmte ihn Jesus zum Zeichen seiner Versöhnung. - Der Sünder änderte zu seinem Troste und zur Freude seiner Frau seine ganze Lebensweise und führte voll Liebe und Dank gegen Jesu und Maria für die unendliche Gnade einen wahrhaft christlichen heiligen Wandel, wodurch er zur ewigen Vereinigung mit Jesu und Maria und allen Heiligen gelangte.“1

Eine Geschichte der Bewegungen: Aus einem Sünder wird ein praktizierender Christ, der einen heiligen Lebenswandel führt. Die erste Bewegung: Wenn er an einem Marienbilde vorübergeht, betet er sein Ave Maria. So machte er es immer, auch in dieser Nacht. Aber Jesus wendet sich von ihm, dem Sünder ab. Er sieht Jesus auf dem Arm seiner Mutter mit frischen Wunden. Durch meine Schuld, durch meine Schuld, erkennt er, sind diese frischen Wunden.
Der Sünder wendet sich hin zur Mutter Gottes. Ihr Sohn hatte sich ja von ihm abgewandt. Das ist die Dramaturgie der Fürbitte. Jesus Christus wendet sich ab vom Sünder! Aber der Sünder wendet sich zu Maria, seiner Fürsprecherin. Sie übernimmt es nun, die Beziehung zwischen ihrem Sohn und dem Sünder wieder in Ordnung zu bringen. Dem Sünder stellt sie die Schwere seines Sündigens vor Augen, sein Tun verharmlost sie nicht.
Dann wendet sie sich zu ihrem Sohn mit ihrer Fürbitte für ihn. Jesus schien anfänglich nicht gewillt, die Fürbitte seiner Mutter zu erhören. Man sollte hier nicht das „Schien“ lesen als: Aber eigentlich wollte er doch gleich die mütterliche Fürbitte erhören. Es zeigt an, was uns dies Bild zeigt, den Schein, aber dieser Schein ist nicht einfach eine Täuschung.
Maria kniet vor ihrem Sohn und bittet, und sagt: Ich werde erst wieder aufstehen, bis du diesem Sünder verziehen hast. Jetzt erhört der Sohn die Bitte seiner Mutter. Dem Sünder verzeiht er. Aus Dankbarkeit für die gewährte Verzeihung ändert er nun seinen Lebenswandel - er lebt christlich.

1Sintzel, M., Maria, meine Zuflucht und mein Trost. 9. verbesserte Auflage 1919, S. 731f. 

Vgl zum Thema Fürbitte: Uwe C. Lay, Der zenzierte Gott

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