Freitag, 1. September 2017

Religion und Marxismus

"Eine derartige Kritik ist nicht besser begründet als die übliche, dass die marxistische Erzählung von der kommunistischen Revolution, die zu einer klassenlosen Gesellschaft führt, eine säkularisierte Version der religiösen Erzählung von Sündenfall und Errettung sei. In beiden Fällen wäre zu antworten: Warum sollten wir eine solche Kritik nicht umkehren und behaupten, die letzteren, angeblich >säkularisierten<Versionen stellten die wahren Versionen dessen dar, wovon die religiösen Erzählungen bloß mystifizierende und naive Aneignungen sind?"
Slavoj Zizek, Die Tücke des Subjekts, 2001, S.69.
Daß politische Heilslehren Produkte säkularisierter Religion sind, ist eine in sich evidente These. Daß die Religionen ursprünglicher sind als Weltanschauungen ohne Götter oder einen Gott, das ist auch nicht bestreitbar. Aber in einem Punkte kann diesem Philosophen nicht ad hoc widersprochen werden: Es könnten doch die säkularisierten Erzählungen den religiösen Ursprungserzählungen gegenüber die wahreren sein, indem nun erst durch die Säkularisierung der wahre Kern der religiösen Erzählungen begriffen wird, daß es die Aufgabe des auf sich allein gestellten Menschen ist, die wahre humane Welt zu schaffen.
Aber eines bleibt dann doch: die literarische Abhängigkeit der marxistischen Erzählung von der christlichen. (Zu fragen wäre aber, ob Karl Marx nicht mehr von der jüdischen Religion geprägt ist, wie ja auch Lenin und Trotzki von der Abstammung her Juden waren.)
Es fällt zudem auf, hier Lyotard, "Das postmoderne Wissen" folgend, daß in der Postmoderne alle großen Erzählungen ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, also sowohl die säkularen wie die religiösen. Könnte das daraufhin weisen, daß mit dem Glaubwürdigkeitsverlust der religiösen Erzählung vom Sündenfall bis zur Errichtung des Reiches Gottes, auch die säkularisierte ihre Lebenskraft verlor, weil sie als Kind dieser Mutter den Tod ihrer Mutter auch nicht überlebte, weil sie nur als Antithese zur religiösen Erzählung lebte? 
Mit dem Ende an den Glauben an die Geschichte als einen auf ein Endziel hingerichteten Prozeß, begann ja unter anderem die Epoche des Existentialismus, des Personalismus als Absage an die Geschichte. Jetzt rückte das Einzelindividuum in das Zentrum, Ich und Gott, Du und Ich etc. bestimmen jetzt den theologischen Diskurs. Der Begriff der Menschenwürde avaciert so erst zum Kern der christlichen Religion, weil der einstige Begriff des Reich Gottes ad acta gelegt wurde als eine müßige und nutzlose  Endzeitvorstellung.
So verschieden dann diese posthistorischen Konzepte auch ausfallen, eines ist ihnen gemein, daß in ihnen kein Platz mehr ist für die Geschichte als Heilsgeschichte. Die Postmoderne markiert damit auch das Ende der Säkularisierung der Religion als Aufhebung in die politische Praxis (als Überbietung Hegels, der die Religion ja in die Philosophie aufheben wollte

Corollarium 1  
Es ist der Säkularismus als Aufhebungsversuch der religiösen Erzählung in eine politische Befreiugserzählung strikt zu unterscheiden vom Nihilismus, für den es keine sinnvolle Geschichte geben kann, weil er alle Geschichtserzählungen, zur Geschichtsphilosophie verdichtet als Illusionen nichtet. 

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