Die
Broschüre: Jesuiten 2021-2 widmet sich dem Thema: „Jesus“.
Jesuiten, da wird wohl im Zentrum des Denkens dieses Ordens wie auch
in ihrer gelebten Frömmigkeit „Jesus“ im Zentrum stehen. Mehrere
Kurzbeiträge offenbaren dem Leser nun das Jesusverständnis im
Jesuitenorden. Eines fällt auch bei einer oberflächlichen Lektüre
als erstes auf: die Uniformität der Jesusverständnisse, die eine
gewisse Spielbreite zwar erkennen läßt, aber das Gemeinsame
überwiegt doch deutlich.
In
medias res:
Der
erste Beitrag stammt vom Generaloberen Arturo Sosa, der zu großer
Bekanntheit gelangte durch seine These, daß es zu Zeiten Jesu noch
keine technischen Aufzeichnungsgeräte für die Reden (und wohl auch
Taten) Jesu gegeben hätte, sodaß das Zeugnis des Neuen Testamentes
über ihn nicht ganz zuverlässig sei. Die „persönliche Begegnung
mit Jesus“ sei das Fundament der jesuitischen Lebenspraxis. (S.2).
Die Pilgerschaft zu Gott, zu der uns diese Begegnung motiviere sähe
dann so aus: die Welt zu begleiten in ihren „Bemühungen“
„wirtschaftliche, soziale und politische Strukturen zu schaffen,
die allen Völkern die Möglichkeit eines würdigen Lebens bieten.“
(S.2) Die Hoffnung auf eine „bessere Zukunft“ motiviere
so den Jesuiten wie die Weltmenschen in diesen Bemühungen. Ein
„gemeinsames Haus“ sei so die Perspektive dieser
Weltoptimierungsversuche.
Als
unverbesserliche Dostojewski Leser und Verehrer kann ich nicht umhin,
daß während des Lesens dieses Jesuitengeneralartikels ich an
Dostojewskis Großinquisitors Kritik an Jesus Christus mich
erinnerte, der Jesus ja vorwirft, nicht auf den klugen Ratschlag des
wahren Menschenfreundes, des Teufels gehört zu haben, die Welt mit
Brot (und allen sonstigen materiellen Gütern) zu versorgen, denn
dann würde die ganze Menschheit ihn, Jesus als ihren Herrn liebend
anerkennen. Statt dessen wollte Jesus die Welt durch sein Kreuz
erlösen und ihnen ein jenseitiges Himmelreich verheißen, statt für
die Mägen der Menschen zu sorgen. Ach ja, der Jesuitengeneral
erklärte ja, daß es diesen Teufel gar nicht gäbe. So denkt und
redet nicht irgendwer des Jesuitenordens sondern ihr General.
Patrick
Zoll ergänzt nun dieses Jesusbild, das des Aufrufes zur
Humanisierung der Welt: „Jesus ist ein caretaker“ (S.6),
denn er kümmerte sich lange um seine wahrscheinlich früh verwitwete
Mutter. Jesus hatte „Kraft“, denn er war ein „Handwerker“.
„Jesus hat keine Angst, sich von Männern und Frauen berühren zu
lassen und diesen seine Schulter und Brust zum Anlehnen anzubieten.“
(S.6) Soll das andeuten, daß Jesus auch selbst erotisch aktiv
war?Denn es wird extra betont: Jesus sei kein „asexueller
Mensch“ gewesen. (S.6). Das Wichtigste aber, mit diesem Satz
wird dieser Beitrag präludiert: „Meine Beziehung mit Jesus als
Mann lädt mich immer wieder ein, meine eigene Vorstellung von
Männlichkeit zu reflektieren.“ (S.6) Sang H. Grönemeyer nicht
einst: „Neue Männer braucht die Welt“?
Dem
Artikel „Jesus im Zentrum“ (S.7) entnehmen wir dann, daß
Jesus unser „Gefährte“ und „Freund“ auf unseren
Wegen ist. Hier muß aber eine kritische Anfrage erlaubt sein: Wie
kann denn ein vor circa 2000 Jahren Verstorbener jetzt uns ein Freund
und Gefährte sein? Wer jetzt respondieren würde, daß er den Tod
Ostern überwunden habend jetzt lebt und so bei allen Menschen sein
kann als Sohn Gottes, dem muß erwidert werden, daß von Ostern, von
Jesu Auferstehung und seinem jetzigen Leben mit keinem Wort die Rede
war, es wird nicht einmal von Jesus als dem Christus gesprochen,
sondern nur von ihm als einem Menschen. So ist es nicht abwegig,
diese Aussage so zu deuten: Goethe ist mir in meiner
schriftstellerischen Tätigkeit ein Freund und Gefährte, an dem ich
mich stets in meinem Tuen orientiere oder ein General könnte sagen,
Marschall Blücher, „Marschall Vorwärts“ (ein berühmter Soldat
in den antinapoleonischen Freiheitskriegen) sei ihm als Vorbild
stets gegenwärtig!
Pater
J. Übelmessers Beitrag verdanken wir nun eine Auseinandersetzung mit
einer der wesentlichen Jesusvorstellungen der Bibel und der Lehre der
Kirche: Ihm sei es wichtiger geworden, daß vor allem Jesus mit uns
durchs Leben ginge und nicht so sehr, daß er für uns gestorben sei.
(S.12). Diese letztere Vorstellung käme oft in „Kirchengebeten“
vor (S.12) – und so wohl nicht primär in der hl. Schrift- und
dieser Jesuit wolle diese Vorstellung such tolerieren, aber
wesentlicher sei doch, daß er wie wir Menschen gelebt und gestorben
sei, er also unser Leben geteilt habe.
Mich
persönlich überfordert diese Vorstellung, denn was hat ein Bettler
davon, sagte ich zu ihm, daß ich auch einen Bettler kenne, der
genauso arm sei wie er und täglich um ein Geld bettele. Aber viele
Theologen und Predigten sehen das ganz anders. Conservativ wie ich
bin, dachte ich doch bisher, Jesus Christus sei gekommen, um Kranke
zu heilen statt zu sagen: Genauso krank wie du bin ich auch!
Jesus
ist aber mehr als nur der von sich sagt, daß er so krank sei wie
alle anderen auch, nein: Jesus scheint mir, „dass er eine ganz
praktische und gleichzeitig auch sehr kreative Person war.“ (S.17)
Man merke auf das Verb: „War“- er ist es wohl nicht mehr?
„Es gibt noch sehr viel, was ich von ihm lernen kann.“ (S.17)
Auch von Platon und Kant kann ich noch vieles lernen, auch wenn sie
längst schon tot sind. Gilt das so auch von diesem Jesus?
„Jesus,
der Jude“ bildet dann sicher einen Höhepunkt dieser
Jesusbroschüre. (S.18-19) Um den Leser nicht unnötig auf die Folter
zu spannen, verrate ich gleich den absoluten Höhepunkt dieses
Beitrages: Jesus war in seinem Verhalten Frauen gegenüber
„angstfrei“. (S.19) Jesus sei zwar kein
„Sozialrevolutionär“ (S.19), aber er in den Begegnungen
mit Frauen war er „angstfrei“. Die Autorin ist jüdisch
gläubig eine Professorin für das Neue Testament in Nashville.
Völlig euphorisiert heißt es dann auf S.18) : „Noch nie zuvor
hat ein Wissenschaftler jüdischen Glaubens dort Neues Testament
unterrichtet.“ (S.18) Darf trotz des christlich-jüdischen
Dialoges noch angefragt werden, welchen Sinn eine Exegese des NT
haben soll, wenn dabei die Zentralaussagen Jesu und über Jesus als
nicht wahr abgelehnt werden, daß er der Messias, der Christus ist,
der Sohn Gottes usw, wenn er nur noch als ein Rabbiner verstanden
wird mit wohl interessanten Lehren? Diese Professorin hätte gern
diesen jüdischen Rabbiner gefragt, „was hoffte er zu erreichen
in seinem Leben? Was dachte er, als er gestorben ist?“ (S.19)
Aber viel wichtiger als diese Fragen ist ihr: „Und wie können
Juden und Christen trotz unterschiedlicher theologischen Ansichten
gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden wirken?“ (S.19)
Die
theologischen Ansichten über diesen Jesus sind halt nicht wichtig,
es käme eben allein auf das Engagement für Frieden und
Gerechtigkeit an, natürlich nicht um die Gerechtigkeit des Reich
Gottes sondern um das rein politische Ziel einer friedlichen und
gerechten Welt. Damit sind wir wieder bei dem Jesuitengeneral S. 2-3.
Jetzt
kommt aber wirklich das Glanzstück dieser Jesusbetrachtungen. M.
Bordt verdanken wir diese tiefsinnige Einsicht: Jesus sei zwar das
Bild Gottes, wer ihn sieht, sieht den Vater, aber: „so wichtig
kann es doch sein, die Bilder als Bilder zu erkennen und immer tiefer
in die Realität dessen hineinzuwachsen, was diese Bilder bezeichnen
wollen.“ (S.21) Das heißt, bildlich ausgedrückt: Jesus sei
eine Leiter zum Vater, die man hinter sich lassen kann, wenn man den
Vater erreicht hat.
Diese
Vorstellung ist nur verstehbar, wenn sie im Kontext des
interreligiösen Dialoges verstanden wird: Alle Religionen verfügen
über Bilder Gottes, die so verschieden sie auch sein mögen, alle
nur auf die eine wirkliche göttliche Realität verweisen, mit der
sie selbst nicht identisch sind. So müsse auch der Christ Jesus
hinter sich lassen, um dem realen Göttlichen zu begegnen. Die
Technik des Meditierens scheint dieser Autor für diesen Aufstieg
insbesondere zu präferieren, damit wir Christen das Bild Gottes, das
uns in Jesus erschienen ist, hinter uns zu lassen im Aufsteigen zum
wahren Göttlichen.
Das
paßt als krönender Abschluß zu diesen Jesusbetrachtungen. Bei
diesen ist aber das, was nicht hier geschrieben wird, noch
wesentlicher: kein Wort über die Gottheit Jesu, kein Wort über sein
Erlösungswerk, kein Wort darüber, daß dieser Jesus lebt, von den
Toten auferstanden ist und kein Wort von dem, was er gelehrt hat!
Die
persönliche Beziehung zu Jesus privatisiert diesen Jesus völlig,
(Privatio=Beraubung), um so einen reinen Privatjesus hervorzubringen,
der einfach nur das Produkt meiner Vorstellung von einem guten
Freund, einem Vorbildmann oder was auch immer ist. Zu sagen oder zu
belehren braucht uns dieser Jesus gar nichts, weil wir auch ganz ohne
ihn wüßten, was jetzt zu tuen ist, daß wir alle mit oder ohne
Jesusbeziehung für eine gerechte und friedliche Welt uns zu
engagieren haben- nicht weniger, aber auch nicht mehr. Polemisch
gestimmt füge ich dann noch hinzu, daß Karl Marx und der mehr
praktisch veranlagte Lenin („Was tun?“) dann aber effektiver für
Optimierungsprogramme der Welt sind als Jesus, denn der sprach
dauernd von etwas Jenseitigem und einem Leben nach dem Tode!
Corollarium
1
Offensichtlich
revitalisiert sich in dieser Jesuitenbroschüre die arianische
Irrlehre, daß Jesus nur ein Mensch und nicht auch wahrer Gott sei,
eine Position die nach Kath info, dem 9.Oktober 2019 auch der
jesuitische Papst Franziskus zustimmt: Scalfari
schreibt: „Wer wie ich mehrfach das Glück hatte, ihm zu begegnen
und mit ihm in größter kultureller Vertrautheit zu sprechen, weiß,
daß Papst Franziskus Christus als Jesus von Nazareth, als Mensch und
nicht als menschgewordenen Gott versteht.“
Diese
Entgöttlichung Jesu entspräche dann ganz dem Anliegen des
interreligiösen Dialoges, alle Religionen als gleich wahre
anzusehen, was aber nicht möglich ist, solange der Stifter der
christlichen Religion der Sohn Gottes selber wäre.