Mittwoch, 30. Juni 2021

Zum Kampf des Islams gegen den Westen- gibt es diesen Kampf überhaupt?



Den Zusammenprall des Westens mit dem Orient als Kampf zwischen Islam und Demokratie aufzufassen, wäre ein schwerer Analysefehler. Es kämpfen niemals Ideologien gegeneinander, sondern immer nur Menschen, die ihre Interessen im Namen von Ideologien wie der Demokratie oder Göttern wie Allah vortragen.“

Diese gewagte These findet sich in dem sehr lesenswerten Essay: „Der Kapitalismus erwacht“ am 27.6.2021 auf der Internetseite von Klaus Kunze. Dieser Aussage liegt eine streng materialistische Geschichtsphilosophie zugrunde, daß die materiellen Interessen das Movens der Geschichte seien, und daß die Ideologien immer nur der Ummäntelung dieser Interessen dienen. Es müßte dann zuerst eine ideologiefreie Wahrnehmung der meinigen Interessen gäben und dann sekundär den Versuch, diese meinen Interessen durch eine ideologische Verkleidung als legitime erscheinen zu lassen.

Aber diese Maskeraden können durchschaut werden, indem in dem Blick hinter die Maske der wirkliche Antrieb des Ideologen sichtbar würde. Diese Interessen seien dann einfach ökonomische Machtinteressen. Diese Ansicht evoziert aber ad hoc den Einwand, daß dieser „homo oeconomicus“, der sich hinter den Ideologiemasken verbirgt, selbst doch nur ein Produkt einer ideologischen Betrachtung des Menschen ist.

Es ist also nicht so, daß wir erst einen richtigen Blick auf den Menschen hätten, der ihn als einen von seinen Interessen geleiteten erkennt, um dann zu konstatieren, daß dieser seine wirklichen Interessen maskiert, um sie durchzusetzen.

Für einen gläubigen Muslim ist- um es an einem einfachen Beispiel zu veranschaulichen, die Frage: „Wie muß ich leben, um das ewige Leben zu gewinnen, wichtiger als die Frage: „Wie schaffe ich es, mehr Gewinn zu machen?“ Offenkundig erhebt erst der bürgerliche Liberalismus das gewinnbringende Geschäftemachen zum höchsten Lebenszweck des Menschen, wie es Ernst Niekisch so trefflich in seiner Liberalismuskritik in „Die dritte imperiale Figur“ formuliert.

Aber noch ein Aspekt dieser Aussage ist erfüllt von ideologischen Voraussetzungen, die nicht unbedingt so zu akzeptieren sind. Die Frage nach dem Subjekt des Handelns in der Geschichte respondiert die liberale Ideologie eindeutig: Sie kennt nur den Einzelmenschen als das Handlungssubjekt der Geschichte. Dieser streng individualistischer Ansatz verkennt die Sozialität des Menschen, daß er auch als Glied eines sozialen Subjektes handeln kann. So ist die Kirche als eine Institution auch ein in der Geschichte handelndes Subjekt, eine politische Partei oder ein bestimmter Staat ebenso. Ideologien können so sehr Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenschweißen, daß sie als ein handelndes Subjekt in der Geschichte auftreten. So ist es legitim, zu sagen, daß nach dem 1. Weltkrieg kommunistische Parteien in vielen Ländern um die Macht kämpften und nicht nur Einzelsubjekte, die für ihre Interessen sich kommunistisch engagierten.

Ein solch liberaler Individualismus ist eben nur ein Element der Geschichtsdeutung im Sinne dieser Ideologie. Damit wird aber verkannt, daß die Geschichte auch anders gedeutet werden kann, sodaß dann auch es viel mehr und auch andere Handlungssubjekte in der Geschichte gibt. Dann kann es auch den Islam als Subjekt geben, in dessen Dienste dann Gläubige agieren als Teile dieses Subjektes. Wer heute Spiele der Fußballeuropameisterschaft sich anschaut, der hat gesehen, wie die Schweiz den Favoriten Frankreich in einem mehr als dramatischen Spiel besiegte. Wieso hat hier die Schweiz gesiegt, wenn doch nur 11 Spieler plus die Auswechsler aus der Schweiz auf dem Felde agierten? Für die liberale Ideologie ist das eine sinnlose Aussage, weil sie das Kollektivsubjekt: die Schweiz nicht kennt, das repräsentiert durch ihre Nationalmannschaft Frankreich besiegte. Aber die Menschheitsgeschichte ist viel mehr die Geschichte von so gearteten Kollektivsubjekten als die von Einzelmenschen.

Auch und gerade auch durch Ideologien können sich so kollektive Subjekte konstituieren, die dann geschichtsmächtig wirken. So sind gerade auch die Religionen geschichtsmächtige Handlungskräfte, wie jetzt der Islam es uns unübersehbar vor Augen führt. So kann wirklich auch von einem Kampf des Islams gegen den Westen gesprochen werden, wobei dann die innere Differenziertheit dieses Kampfes zugunsten der Einheit dieses Kampfes vernachlässigt wird.Diese Aussage ist genauso legitim wie die Rede vom Kampf des „Weißen Mannes“ gegen die Ureinwohner Amerikas, die Indianer, womit ja auch nicht einfach endlich viele weiße Einzeltäter gemeint sind, sondern daß die europäischen Eroberer wie ein Kollektivsubjekt gegen das Kollektivsubjekt der Indianer sich verhielten.



 

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