Wer stimmte nicht spontan dem Vorurteil zu, daß Abenteuerromane der liest, der ein Leben ohne Abenteuer führt, daß nur die Frauen Liebesromane lesen, denen kein Glück in der Liebe beschieden ist. Sigmund Freud sagt das auch, nur etwas gefälliger formuliert. "Die Ersatzbefriedigungen, wie die sie bietet, sind gegen die Realität Illusionen, darum nicht minder psychisch wirksam dank der Rolle, die die Phantasie im Seelenleben behauptet hat." Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Fischer Taschenbuch, 1981, S.74. Freud setzt voraus, daß das menschliche Streben im Prinzip nur einen Zweck kennt, den des Lustgewinnes und gemäßigter den der Vermeidung von Unlust.
Nun steht dem aber die Realität entgegen, die als "Übermacht der Natur", als "Hinfälligkeit unseres eigenen Körpers", und als die "Unzulänglichkeit der Einrichtungen,welche die Beziehungen der Menschen zueinander in Familie, Staat und Gesellschaft regeln". (S.82). Daß der Mensch des Menschen Wolf ist (S.102), das alles macht es sehr illusionär, daß der Mensch auf Erden ein glücklicher ist, sodaß er etwa in der Kunst, dann aber auch in der Religion nach einem illusionären Glück sucht.
So evident das auf den ersten Blick auch klingt, so problematisch ist dies doch.Nach Freud gilt nämlich, daß die Erfahrung zeige, "daß die geschlechtliche (genitale)Liebe, dem Menschen die stärksten Befriedigungserlebnisse gewähre". (S.94). Die Kultur verlangt nun vom Menschen eine Limitierung der Befriedigung dieser Lustgewinnung der geschlechtlichen Liebe, damit der Mensch kulturell leben kann. Der Mensch verfüge eben nicht über unbegrenzte Energieressourcen, sodaß, wenn er sich ganz der Sexualität hingäbe, er den Notwendigkeiten des Lebens nicht mehr gerecht werden könnte. So ist ihm ein permanenter Verzicht auf den Lustgewinn abverlangt.
Das verlange nun als Ersatz illusionäre Befriedigungen, die anstelle der ausgelebten Sexualität zu treten haben. Daraus resultiere das Unbehagen des Menschen in der Kultur.
Diese Argumentation steht und fällt mit der These, daß der Mensch eigentlich nur sexuelle Interessen habe, da nur da er wirklich Glück und Befriedigung erfahren könne.
Nun ist der Lustgewinn beim Geschlechtsakt selbst ja nur eine Erfindung der Natur, um so sicher zu stellen, daß ob des hohen Lustgewinnes der Mensch sich fortpflanzt und zwar hinreichend zum Überleben der Gattung. Pflanzte der Mensch sich nur fort, motiviert durch die Einsicht, daß er dazu verpflichtet ist, einen Beitrag zum Erhalt der Menschheit zu leisten, er wäre wohl schon längst ausgestorben. Nun reicht der Fortpflanzungsakt aber nicht zur Fortpflanzung, denn das geborene Kind muß auch versorgt werden. Welche Mutter pflegte ihr Kind wirklich liebevoll, wenn das für sie selbst nicht auch mit einem hohen Lustgewinn verbunden sei!
Abstrakter: Alle Tätigkeiten, die zum Leben notwendig sind, sind mit einem Lustgewinn verbunden, damit sie ausgeführt werden, wenn sie auch willentlich unterlassen werden könnten : die Nahrungsaufnahme wie die Sexualität. Unser Herz schlägt dagegen ohne unseren Willen und braucht so auch keine Motivation dazu, daß es schlägt.
Nun reduziert Freud den Lustgewinn auf sexuelle Akte, ohne zu fragen, ob dem Menschen auch andere Tätigkeiten wesensmäßig sind, die nicht einfach dem Überleben dienen. Man könnte es so sagen: Wenn der Mensch nur ein Körper wäre, dann wäre ihm der sexuelle Akt zur Fortpflanzung die höchste Quelle der Lust. Wenn der Mensch nun aber auch Seele ist, dann hat er auch seelische Bedürfnisse. Als Körper ist er primär Teil der Gattung Mensch und demzufolge ist ihm das höchste Ziel die Arterhaltug. Was dem Ziele dient, bereitet ihm also Lust. Als Seele ist er sich selbst erstmal das wichtigste, sodaß er frägt, wie er sich selbst verwirklichen kann, wie er etwas aus sich machen kann. Und daraus generieren sich die seelischen Bedürfnisse.
Was für den Körper eine illusionäre Ersazbefriedigung ist, ist so für die Seele eine ihr eigentümliche Beschäftigung. Gerade im Kunstgenuß strebt die Seele nach dem ihr Gemäßen, dem Schönen, in der Wissennschaft nach dem Wahren und in der Moral nach dem Guten. Das sind alles Ziele, die, wenn der Mensch sich auf seine Körperlichkeit reduziert, nur Ersatzbefriedigungen sein können, aber sie sind menschlich, wenn wir als das Zentrum des Menschen seine Seele ansehen. "Die Phantasie des Seelenlebens" ist eben etwas Konstitutives des menschlichen Lebens, ohne die er kein Mensch wäre. Erst eine materialistische Anthropologie ließ den Körper zum Zentrum des Menschen aufsteigen und die Vernunft der Seele zur Dienstmagd des Körpers herabwürdigen bis zu der Meinung, der Mensch sei seelenlos!