Um der Freiheit willen gegen Jesus Christus? Ein obskurer und doch ankommender Gedanke
In dem Sachbuch: „Poststrukturalismus“ des Jahres 2013 von Catherine Belsey erwartet man sicher viel Aufhellendes zu dieser philosophischen Richtung, aber keine Feindschaftserklärung wider die christliche Religion und gegen Jesus Christus schon gar nicht. Das aber enthällt dieses Buch, aber auf einer so fundamentalistischen Ebene, daß diese Kriegserklärung von der Leserschaft dieses sehr lesenswerten Buches gar nicht bemerkt werden wird. Über einen der aktuell wohl bedeutendsten französischen Philosophen der Gegenwart, Lyotard heißt es (S.151): Lyotard urteile, „Jedes Regime glaube,dass es im Besitz der Wahrheit sei“.
Diese Aussage will verstanden werden: Weil eine Regierung glaubt, daß sie im Besitze der Wahrheit sei, wird sie zu einem „Regime“. Der Begriff des „Regimes“ ist hier pejorativ gemeint. Ihre Negativqualifizierung resultiert aus ihrem Selbstverständnis, sich im Beitze der Wahrheit zu befinden. „Lyoard assoziiert die Einbildung im Besitz der Wahrheit zu sein, mit Terror.“ (S.151) und meint als Beleg dafür den Nationalsozialismus und den Stalinismus anführen zu können. (S.150). Diese zwei Terrorherrschaften gründeten sich selbst in ihrem Glauben, selbst im Beitze der Wahrheit zu sein, und daß sie das nur seien. Dieser Gedanke sollte erstmal ernst genommen werden. Eine oberflächliche Bertrachtung könnte sich das Verhältnis der diktatorischen Herrschaft zu der jeweiligen Ideologie so vorstellen: Der Wille zur Macht schaffe sich eine ideologische Wahrheit, die dann dazu instrumentalisiert werden würde, die Diktatur zu legitimieren. So wie einer ein Brotmesser dazu gebrauchen könne, einen Mitmenschen um morden, so gebräuchten diese Diktaturen ihre Ideologien mit ihrer Wahrheit, um die Regierten zu unterdrücken.
Aber Lyotard denkt hier eher wie Tolkien in seiner Ringtriologie: Die Macht, die der eine Ring jedem Besitzer verschafft, ist so geartet, daß sie den Ringbesitzer zum Machtmißbrauch verführen wird. Nicht wird der Ringbesitzer den Ring beherrschen, um ihn dann so für seine Ziele anwenden wird, sondern der Ring wird den Ringträger beherrschen. Darum muß dieser Machtring zerstört werden. Der Besitz der Wahrheit verführt den „Besitzer“ dazu, diktatorisch zu regieren. Darum muß die Möglichkeit, die Wahrheit als etwas Erkennbares und Beitzbares zu denken, negiert werden. Jede erkannte Wahrheit führe nämlich zu der Unfreiheit der Menschen, da sie durch die erkannte Wahrheit, die im Besitz von Menschen sich befände, unterdrückt werden würde. Die ganze abendliche Kultur und im Zentum stehend die christliche Religion hat ihr Zentrum in dem Glauben an die Wahrheit, daß sie den Menschen frei machen werde. Belsey stellt in diesem Sinne zustimmend fest: „Besonders junge Leute sind häufig bereit,die Vorstellung von Wahrheit aufzugeben.“ (S.105)
Es wird so auf eine Kritik der Wahrheitsansprüche, etwa des Nationalsozialismus oder des Stalinismus verzichtet, um stattdessen schon jeden Wahrheitsanspruch an sich für totalitär und somit freiheitszerstörend zu desavouieren. Daß Jesus Christus sich selbst als die Wahrheit bezeichnet, das allein macht ihn so für das postmoderne Denken nicht nur des Philosophen Lyotard unerträglich. Die ganze Lehre der Kirche ist wahr, da sie sich auf diese Wahrheit auferbaut und deshalb allein wird sie verworfen als etwas Freiheitsfeindliches. Nur wenn präsumiert werden würde, daß es keine erkennbare und erkannte Wahrheit gäbe und auch nicht geben könne, könne es eine individuelle Freiheit geben.
Es gäbe weder eine legtime Autorität, die dezionistisch festlege, was als wahr zu gelten habe, auch nicht Gott und auch kein demokratisches Konsensprinzip, daß die Wahrheit diskursiv hervorbringe wider Habermas, sondern nur die Bejahung der unbegrenzten Pluralität von Meinungen. In einem so gearteten Meinungspluralismus kann keine Wahrheit existieren, schon gar nicht die, daß Jesus Christus selbst die Wahrheit ist. Denn jede erkannte Wahrheit verumögliche die Freiheit. Die Postmoderne ist tatsächlich ein schwieriges Terrain für die Kirche Jesu Christi.
Zusatz:
Gegenüber der vulgären Auffassung, Diktatoren vernutzten ihre Ideologien nur zu ihren Eigenzwecken ist Lyoatars Position wohl zutreffender, der einer Herrschaft der Ideologien durch ihre Anhänger. Die vulgäre Version des Priesterbetruges,daß die Kaste der Priester die Götter nur erfunden hätten, um ihren Berufsstand zu legitimieren und daß sie selbst dehalb Atheisten wären, fungiert dabei wohl als das Vorbild der Vulgärvorstellung, daß Ideologien nur produziert würden, um Herrschaftsansrüche zu legitimieren, wobei dann die Herrschenden nicht an ihre eigene Ideologie glaubten.