Freitag, 1. April 2022

Alles tolerieren – und deshalb die Wahrheit exkommunizieren auch in der Kirche?

Alles tolerieren – und deshalb die Wahrheit exkommunizieren auch in der Kirche?



In dem Artikel; „Hauptsache tolerant?“einem Auszug aus Dorothee Sölles Buch, Ein Volk ohne Vision geht zugrunde, in dem Passauer Bistumsblatt vom 27.2.2022 findet sich eine bemerkenswerte Darlegung des Pluralismusverständnisses des postmodernen Denkens: „Die Postmoderne definiert sich selber als >Verfassung radikaler Pluralität<.“ „Die Philosophen sprechen von den >unterschiedenen >Diskursarten< (Lyotard) und Sprachspielen;Diskurse nennt man das Grundschema der Weltdeutung.“ (S.22) Resümierend heißt es dann: An die Stelle der einen Wahrheit treten die nicht-verknüpften Wahrheiten, an die Stelle der Identität tritt die Diversität und das Denken in Differenzen. Das Entscheidende der Postmoderne ist, dass ein Meisterdiskurs nicht existiert: Es gibt keine Welterklärung, die von allen angenommen würde.“ (S.22)

Es irritiert nun nicht, daß diese eher linksorintierte Theologin die so skizzierte Postmoderne verurteilt, vergleichbar mit J.Habermas Kritik der postmodernen Philosophie, diffundiere diese doch das Aufklärungsprojekt der Moderne, die Welt vernünftig gestalten zu können.

Ein paar Fragezeichen sollen nun aber doch hier gesetzt werden: Beginnt nicht schon durch die Philosophie Kants die Pluralisierung der Vernunft in die theoretische, die praktische und die ästhetische, auch wenn dann die ihm folgende idealistische Philosophie ein neues Einheitsdenken versuchten, gekrönt in der hegelischen Philosophie? Zu der Pluralität der „Diskurse“ gehört es auch, daß nicht alle „Weltdeutungen“ sind, ja jede Wissenschaft kann erst mal als ein „Diskurs“ verstanden werden. Der Begriff des Diskurses bedeutet hier einfach nur ein geregeltes System, was zum Diskurs gehört und was nicht und wie eine Aussage beschaffen sein muß, damit sie ein Element des Diskurses ist. Es liegt also ein rein formalistisches oder auch strukturalistisches Verständnis vor. Mitgesetzt ist dabei die These, daß es nicht unabhängig von dem Diskurs existierende Gegenstände gäbe, die dann das Material des Diskurses bilde, sondern daß die Objekte erst durch den Diskurs definiert werden. Den homo oeconomicus gibt es so zum Beispiel nicht einfach in der Realität, sondern dieser Begriff ist konzipiert worden, um ökonomische Phänomene zu baegreifen.

Trotzdem ist es wohl sinnvoll, wenn Frau Sölle sich in ihrer Kritik auf den postmodernen Weltanschauungspluralismus kapriziert. Denn in diesem Punkte kollidiert ihr eigenes Weltanschauungskonzept mit der Antithese, daß es keine letztverbindliche Weltdeutung mehr geben könne . Ja eine solche Einheits-weltanschauung evozierte den postmodernen Generalverdacht, daß so eine totalitäre Herrschaft erwirkt würde, gäbe die eine als einzig wahr erkannte Wahrheit. Im Hintergrund steht eine spezifische Interpretation des politischen Totalitarismus, des Nationalsozialismus und des Stalinismus, daß das Fundament dieser Totalitarismen eine als absolut erkannte Wahrheit bilde. Beide Ideologien wurden totalitär, weil sie sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnten. Also stehen im Zentrum dieser zwei nicht machtgierige Diktatoren oder herrschsüchtige Parteien, sondern sozusagen „Wahrheitsgläubige“. Erst der Verzicht auf die absolute Wahrheit könne eine Kultur der Toleranz konstituieren. Ausbuchstabiert findet das sich in Karl Poppers Konzept der „offenen Gesellschaft“ mit seiner Platon- und Hegelkritik als Wahrheitsdenker.

Damit ist natürlich auch das Christentum als die absolut wahre Religion inakzeptabel, weil sie sich als wahr weiß. Sölle versucht nun, diese Kritik zu unterlaufen, indem si zwar an der einen Wahrheit festhalten möchte, die Religionen und Philosophien dann aber als Suchbewegungen nach dieser Wahrheit bestimmen will. „Toleranz ist die Folge dieser existentiellen Wahrheitssuche, sie muss immer wieder den festen Wahrheitsbesitzern oder Fundamentalisten abgerungen werden. Ihr Feinbild ist eindeutig: der Wahrheitsbesitzer, der Fundamentalist. (Wer jetzt an Jesus Christus denkt, der sich als die allein freimachende Wahrheit qualifiziert, liegt goldrichtig!)Es soll aber an der Verheißung des Reich Gottes als der Realisierung universalistischer Gerechtigkeit festgehalten werden um der Parteilichkeit für die Opfer der Geschichte. Eine solche Einheitsutopie läßt ja das postmoderne Denken nicht zu.

Wie der innerchristliche Religionskrieg des 17.Jahrhundertes die Aufklärung als das Projekt der Domestikation der christlichen Religion hervorrief, so rufen die zwei Totalitarismen das Projekt der Domestikation der Wahrheit hervor:Es dürfe nun weder eine sich als absolut wahr wähnende Religion mehr geben noch darf eine erkannte absolute Wahrheit es mehr geben. Sölle teilt eigentlich dies Konzept, will aber um des Aufklärungsprojektes der Humaniserbarkeit der Welt an den Primat der Option für die Opfer festhalten: Ihre Perspektive sei eben „wahrer“ als die der bisherigen Sieger. So dürfe eben die Weltsicht der Sieger nicht toleriert werden.

Dieser evangelischen Theologin fehlt eben die Erkenntnis der Präsenz der offenbarten Wahrheit in der Kirche, sie kennt nur Wahrheitssucher, die nie zu Erkennenden werden dürfen, damit die Pluralität des Meinens aufrechterhalten werden kann.Deshalb kann im Prinzip alles toleriert werden, solange es sich nicht als die Wahrheit versteht. Wer die Selbstverprotestantisierung der Katholischen Kirche begrüßt, darf sich dann deshalb nicht wundern, wenn die Wahrheiten der Kirche dann aus dem innerkirchlichen Diskurs ausgegrenzt werden.



 

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