Alle reden von der Notwendigkeit von Kirchenreformen – was ist eine Reform überhaupt?
Der Begriff der Reform erfreut sich so großer Beliebtheit auch im Kirchen-diskurs, weil er so schillernd vieldeutig ist. So soll hier eine kleine Orientierungsskizze vorgelegt werden.
Unter der Reform kann verstanden werden, daß etwas aus der Form Geratenes in seine Ursprungsform zurückgeführt werden soll. Das Ursprüngliche ist dabei als Norm gesetzt und die Entfernung vom Ursprünglichen als eine Entfremdung,sodaß ein Zurück zum Ursprünglichen gefordert wird. Für den kirchlichen Reformdiskurs appliziert heißt das: zurück zu dem Urchristentum.
Unter der Reform kann aber auch verstanden werden, daß es eine der Menscheitsgeschichte immanente Entwickelung gibt vom Primitiven zum immer Höheren und Besseren und daß Reformen dann meint, daß man mit dem Fortschritt mitgeht. Dabei wird präsumiert, daß dieser Fortschritt nicht in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens gleichzeitig sich ereignet, daß es also ungleichzeitige Entwickelungen gibt, sodaß in bestimmten Bereichen der allgemeine Fortschritt noch nicht stattgefunden hat. Hier muß dann reformiert werden, um den Anschluß an die Allgemeinentwickelung nicht zu verpassen. Die Katholische Kirche habe eben das Niveau der modernen Gesellschaft noch nicht erreicht, verharre in Manchem immer noch im Mittelalter, also muß sie zeitgemäß werden. Unter der Parole der Zeitgemäßheit wird dann verstanden, daß das allgemeine Entwickelungsniveau einer Gesellschaft von allen seinen Subsystemen zu erreichen ist.
Conservativ sein heißt dann, auf dem erreichten Niveau verharren zu wollen. Reaktionär sein heißt dann, ein überkommendes Niveau repristinieren zu wollen.
Revolutionär sein heißt dann, den allgemeinen Fortschritt extrem beschleunigen zu wollen durch Revollutionen.
Reformer zu sein heißt dann, im Gleichschritt mit der allgemeinen Fortschrittsbewegung mitzugehen.
Unter der Reform kann aber auch verstanden werden, daß Wünschbare und Erstebenswerte auf das Machbare und Finanzierbare zu reduzieren. (Dieser Wandel des Reformverständnisses ist markiert durch das Ende der Reformeuphorie unter dem Kanzler W. Brandt und der Wandel zur Realpolitik des Kanzlers H.Schmidt.) Wenn jetzt in einem Bistum 50 Pfarrgemeinden zu 10 Seelsorgezentren zusammengelegt werden, ist das eine Kirchenreform in diesem Sinne.
Unter der Reform kann aber auch eingedenk der Maxime: ecclesia semper reformanda verstanden werden, daß die Kirche sich dauernd dem Wandel der Bedürfnisse und Nachfragen ihrer potentiellen Kunden anzupassen habe. So wie der Glühwein im Winter und das Eis im Sommer verkauft wird, so solle die Kirche den religiösen Markt beobachten, um nachfragegerecht ihre Angebote präsentieren zu können. Wahr ist das, was ankommt, was eben vom Publikum konsumiert wird. Diese Marktorientierung sieht dann ihren größten Feind im theologischen Dogmatismus, der an absolute Wahrheiten glaubt und so eine pragmatische Service- und Kundenorientierung verunmöglicht. Hier gilt als oberste Maxime: Der Kunde ist König.
Im jetzigen innerkirchlichen Reformdiskurs überwiegen das geschichts-philosophische Fortschrittsmodell und das Marktmodell, denn praktisch führen beide zu sehr ähnlichen Reformvorhaben, wie sie jetzt sich im „Synodalen Irrweg“ artikulieren. Das ursprüngliche Verständnis des Begriffes der Reform als eine Rückkehr zum Ursprünglichen wird dabei als ein Rückfall in vorkonziliare Zeiten perhorresziert und das Konzept der Reduzierung auf das pragmatisch Machbare als wenig werbewirksam abgelehnt, auch wenn so manche Reform auch so begründbar wäre, etwa so: Wenn die Kirchenmitglieder und gar Mitarbeiter der Kirche nicht gemäß der Morallehre der Kirche ihr Leben gestalten wollen, dann muß eben das Gesollte an dem angepaßt werden, was diese zu leben bereit sind. Die Moral muß sich beschränken auf das von ihren Mitgliedern Akzeptierbare.
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