Samstag, 23. April 2022

Eine Kritik: Erfahrung statt Erkenntnis in der christlichen Religion? Oder eine Falschübersetzung!

Eine Kritik: Erfahrung statt Erkenntnis in der christlichen Religion? Oder eine Falschübersetzung!


Im Benedictus heißt es: „ad dandam scientiam salutis plebi ejus“, das grichische Wort: „Gnosis“ wird so mit „scientia“ wiedergegeben= um sein Volk zur Erkenntnis des Heiles zu führen“. Lk,1,77.Die Einheitsübersetzung liest aber: „Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heiles beschenken“ Das Futur irritiert, vom griechischen wie vom lateinischen Text gibt es dafür keinen Grund, auch daß das Verb „geben“ mit „beschenken“, ist fragwürdig, aber inakzeptabel ist die Wiedergabe von „Gnosis“ (=scientia) mit „Erfahrung“. Warum wird aus der „Erkenntnis des Heiles“ die zukünftige Erfahrung des Heiles?


Eine eigentümliche Assoziation: Es ist doch noch nicht lange her, daß als das Zentrum des Alten Testamentes die Befreiungserfahrung des Exodus proklamiert wurde. Seltsam und befremdlich ist es nun aber, daß von dieser kurzweiligen Epoche der nachkonziliaren Theologie nichts mehr präsent ist, als hätte es sie nie gegeben. Worum ging es dabei? Das Zentrum der Religion des jüdischen Volkes soll ihre Erfahrung der Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft gewesen sein. Die „Auszugsgemeinde“, die „Exodusgemeinde“ sei so auch der Urtypus der christlichen Gemeinde, die nun aus der „ägyptischen Gefangenschaft“ der bürgerlichen Gesellschaft sich befreien könne und solle, um dann in sich schon avantgardistissich das neue nachbürgerliche Leben vorleben solle. Ernst Blochs Philosophie der Hoffnung, sollte so, wie es auch J. Moltmann versuchte in seiner „Theologie der Hoffnung“ in das Christentum incorperiert werden. Das Fundament sollte dabei dann nicht etwas rein Utopisches sein, sondern eine reale Befreiungserfahrung. Aus dieser Erfahrung können und sollen dann die „Basisgemeinden“ am Rande der Kirche den wahren christlichen Glauben leben, ausstrahlend auf ihre noch bürgerlich lebende Umwelt. „Politische Theologien“, „Theologien der Befreiung“ und ähnlich geartetes füllten dann ganze Bibliotheken mit ihren Elaboraten bis diese Geisterstunde plötzlich ihr endgültiges Ende fand, als nämlich der „Real existierende Sozialismus“ 1989f implodierte. Jetzt gab es als politischen Horizont nur noch die bürgerliche Gesellschaft, die kein Jenseits von ihr mehr als Denkbares zuließ in ihrer absoluten Alternativlosigkeit.

Ein Punkt rettete sich vielleicht dennoch aus diesem Utopiedesaster, daß der christliche Glaube sein Fundament in (persönlichen) Erfahrungen habe und nicht in theoretischen Erkenntnissen. Zu dem Begriff der „Erkenntnis“ gesellt sich doch schnell der Begriff des Dogmas, daß da der Glaube verintellektualisiert und so seines Eigentlichen beraubt würde. Die Erfahrung soll das Persönliche sein, das, wie etwas von uns wirklich erlebt wurde, wohingegen das Durchdenken des Erlebten es schon verfälsche, es nicht mehr bewahren könne in der einzigartigen Singularität des Erlebten. Soll also die Theologie auf das Streben nach „Erkenntnis“ verzichten, um sich ganz auf die Erfahrungen zu kaprizieren, die dem Glauben zu Grunde liegen?


Ein Stammtisch: Man sitzt gemütlich behaglich beim Biere zusammen und fände dieser Stammtisch noch vor den Antirauchergesetzen statt, rauchte man auch dazu. Ein Mann ergreift das Wort: „Meine (Lebens)Erfahrung. Irren ist menschlich!“ Da fuhr doch bei Rot ein Auto auf die Kreuzung, es krachte gewaltig, als das Auto mit einem anderen zusammenstieß und der Fahrer dann, unverletzt aus seinem Auto entstieg...Irren ist eben menschlich.

Ein paar Runden Bier später: „Meine (Lebens)Erfahrung. Frauen können nicht Autofahren. Da fuhr doch bei Rot ein Auto auf die Kreuzung, es krachte gewaltig,als das Auto mit einem anderen zusammenstieß und die Fahrerin dann, unverletzt aus ihrem Auto entstieg....Frauen können nicht Autofahren.“

Bei jedem möglichen Autounfall fuhr entweder ein Mann oder eine Frau das Auto. Jeder mögliche Verkehrsunfall kann so entweder durch die Aussage: „Irren ist menschlich“ oder durch die Aussage: „Frauen können nicht Autofahren“ interpretiert werden. So bestätigt jeder Autounfall die Wahrheit einer dieser 2 Erfahrungen! Das, was hier unser Stammgast als seine „Lebenserfahrung“ proklamiert, ist nämlich wie jede Erfahrung immer ein Produkt eines Ereignisses und der Vorstellungen, durch die das Ereignis interpretiert wird. Erfahrungen sind so nichts Unmittelbares; sie können uns nur als so etwas erscheinen ob der Spontanität unserer Deutung des Ereignisses. Erkenntnisse entstehen dann eben erst durch eine denkerische Bearbeitung der Erfahrungen. Die Erfahrung muß eben entsubjektiviert werden.


Man sieht nur, was man kennt!“ las ich einmal als Werbeparole auf einen zum Ankauf angebotenen Reiseführer. Da ist mehr Wahrheit dran, als einem lieb sein kann. Da die erste Quelle der Erfahrungen oft unser Sehen ist, muß diese sehkritische Einsicht beherzigt werden, zumal in unseren postmodernen Zeiten mit ihrer überschäumenden Bilderflut. „Was man kennt“ ist eben im Regelfall das ideologische Interpreationsmuster, durch das wir spontan die gesehenen Bilder interpretieren und so als unsere Erfahrung ansehen.


Die „Gnosis“, die „Erkenntnis“ galt so gesehen in der abendländischen Tradition als das, wodurch eine Befreiung aus solchen Verblendungszusammenhängen möglich wurde. Seine Ersetzung durch den Begriff der Erfahrung zeigt so eben auch an, wie weit wir heute von der abendländischen Kultur uns entfernt haben.


 

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