Dienstag, 1. März 2022

Zum Niedergang der christlichen Religion – ein Versuch

(Wahrheit, Erlöser - Nein ,danke)

Wer sich nicht mit so oberflächlichen „Analysen“, wie schuld sei eben die un-zeitgeistgemäße Sexualmorallehre der Kirche, oder daß sie eben hierarisch und nicht demokratisch verfaßt sei, zufrieden geben mag, der wird im Werk E.M. Ciorans fündig werden. Seine Religionskritik ist die typische der Postmoderne und unterscheidet sich so signifikant von der klassisch modernen. Die Kurzfassung: Wenn die Aufklärung im Namen der durch die Vernunft erkannten Wahrheit die christliche und auch jede andere Religion kritisierte, so kritisiert die Postmoderne jede Religion, weil sie von sich sagt, daß sie wahr sei, daß in ihr die Wahrheit als erkannte präsent sei. Als der Feind der Freiheit und des Friedens soll nun die erkannte Wahrheit gelten. Es darf hier an Poppers Kampf gegen die Feinde der „offenen“ liberalen Gesellschaft erinnert werden, an seinen Kampf wider Platon und Hegel, die als Wahr-heitsdenker die Feinde der Freiheit sind, daß jeder so leben darf, wie es ihm gefällt.

Cioran schreibt in seinem Werk: „Lehre vom Zerfall“ (Übersetzung, Paul Celan, 1979 in dem Kapitel: „Genealogie des Fanatismus“: „Die Gesellschaft: eine Hölle voller Erlöser!“ (S.9) Gerade weil es Erlöser gibt, wird die Gesellschaft zu einer Hölle. Die Erlöser konkurrieren mit ihren wechselseitigen sich ausschließenden Wahrheitsansprüchen, daraus entstünden dann die Kämpfe gegeneinander und dann versuchten die Erlöser noch, die anderen für sich zu gewinnen. So entstünde aus diesen Konflikten die Hölle der sich wechselseitig Bekämpfenden.

Was ist der Sündenfall denn weiter als die Jagd nach einer Wahrheit,, als die Gewißheit, sie erreicht zu haben, als die Gier nach Dogmen“. (S.8) Noch polemischer heißt es auf dieser Seite: „Die wahren Verbrecher sind diejenigen, die eine religiöse oder politische Orthodoxie stiften, diejenigen, die zwischen Rechtgläubigen und Schismatikern unterscheiden“. Warum Verbrecher? „Nur im Namen eines Gottes oder einer seiner Nachbildungen wird getötet: Exzesse im Namen einer Nation, Rasse oder Klasse sind nah verwandt mit denen der Inquisition- und der Reformationszeit. Zeitalter des Glaubenseifers zeichnen sich durch Blutgier aus“. (S.7) Da die Erstauflage dieses Buches 1949 erschien, ist bei den Nachbildungen der Religion wohl an den Nationalsozialismus und der Stalinismus zu denken, die hier jetzt nicht als antireligiöse Bewegungen sondern als religionsähnliche bewertet werden. Wie in den Religionen so sind auch Nationalsozialisten und Stalinisten Glaubenseiferer!

In der Bilanz der Religionen sind mehr Mordtaten aufgeführt als in den Aktiva der blutigsten Tyrannen, und die Blutrünstigkeit der von der Menschheit Vergötterten übertrifft bei weitem die der gewissenhaftesten Mörder. Wer einen neuen Glauben verkündet, wird verfolgt – bis er selbst zum Verfolger wird: zu Beginn stehen die Wahrheiten im Konflikt mit der Polizei, am Ende stützen sie sich auf sie.“ (S.95)

Cioran weiß aber auch eine Therapie: Die Tugend der Gleichgültigkeit. Der Anfang all dieses Elendes sei: „Der Mensch gehe seiner Fähigkeit, gleichgültig zu sein,verlustig: virtuell ist er bereits ein Mörder“, (S.7), wenn er an etwas Göttliches anfängt zu glauben.

Die Gleichgültigkeit allen Religionen gegenüber, oder Weltanschauungen gegenüber, die sich als wahr verstehen, predigt so Cioran. Auch wenn diesen Philosophen die allermeisten nicht kennen werden, so wird doch seine Gleichgültigkeit allem Religiösem gegenüber massenhaft praktiziert. Der Postmoderne ist eben gerade der allen Wahrheitsverkündern gegenüber sich gleichgültig Verhaltende. Er gleicht so dem letzten Menschen Nietzsches, weil ihn jede Wahrheit beunruhigt, indem sie ihn aus seinem allem gegenüber Gleichgültigsein herausrufen könnte. Offenkundig bildet diese Vergleich- gültigungstendenz auch das Fundament sowohl der Ökumene und des interreligiösen Dialoges: Um des lieben Friedens willen werden alle Differenzen als gleichgültig markiert. Religionen sind also in der globalisierten Welt nur noch akzeptabel, wenn sie sich selbst als gleichgültig devitalisieren und die Bürger alle Religionsangelegenheiten gegenüber sich gleichgültig verhalten. Die Religionen sollen also nicht durch eine aufklärerische Propaganda bekämpft werden sondern als so gleichgültig angesehen werden, daß man sie nicht einmal mehr bekämpfen soll.

Ist das nicht genau die Haltung, die in den westlichen Gesellschaften der Durchschnittsmensch der Religion gegenüber einnimmt?

 

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