Blätterte jemand in den Archiven antikatholischer Polemik, er stieße auch auf die Rubrik der Veräußerlichung. Auf die innere Gesinnung käme es,protestantisch formuliert, auf den Glauben, reformatorisch formuliert, allein an. Das Feindbild ist auch klar: eine Barockkirche, ein priesterlich gekleidete Priester von dem Hochaltar, Litaneien betend mit dem Volk, im schlimmsten Falle gar noch in Latein. Das sei doch alles nur Äußerlich, darin manifestiere sich doch nur die kirchliche Prunksucht;zudem hätte die Kirche das für solch einen Kirchenbau verbrauchte Geld lieber den Armen schenken sollen, um dann in schlichten Versammlungsräumen Gottesdienst zu feiern. All dies Äußerliche verdecke doch nur den innerlich schon längst abgestorbenen Glauben, dem in seiner reinen Innerlichkeit jedes Äußere doch nur eine Simulation etwas innerlich nicht Vorhandenem sei. Man könnte gar dann auf eine wüste Polemik wider die Frauen stoßen, die innerlich schon gestorben sich äußerlich prunkhaft aufschmückten wie ein Verstorbener in seinem Sarg.
Eine ganz andere Szene: Ein Mann macht einer Frau einen Heiratsantrag. In der Hand hält er ein Bündel Gänseblümchen, aus dem Nachbargarten herausgerupft, verziert mit ein paar Grashalmen, die er kurz vorher noch an seiner Sporthose trocken gerieben hat. „Ich liebe Dich! Willst Du meine Frau werden?“ Welche Frau würde diesem Mann glauben, daß er es ernst meint, daß er sie wirklich liebt und heiraten will? Keine, denn das Äußerliche dementiert zu eindeutig das mit dem Mund Ausgesagte. Niemand glaubt einem Weinenden, daß es ihm gut gehe. Eine Innerlichkeit, die sich nicht im Äußeren widerspiegelt, ist keine Innerlichkeit. Für die religiöse Praxis gilt nun darüber hinaus, daß durch die äußerlichen Gestaltungen die innere Frömmigkeit erweckt und geformt wird.
Ein Vergleich möge diesen Gedanken verständlicher machen. Wir Menschen denken nicht primär vor- oder unsprachlich, um dann sekundär das so Gedachte in einer Sprache auszudrücken, sondern nur in einer Sprache können wir denken. Unser inneres Denken setzt so die Aneignung einer äußerlich vorhandenen Sprache voraus, wobei dann auch die Grenzen der äußeren Sprache die Grenzen unseres uns eigenen Denkens bilden. So resultiert das menschliche Freiheitsbewußtsein aus dem Vorhandensein des Konjunktives in der äußerlich vorgegebenen Sprache: Ich tat a, hätte aber auch -a tuen können.
Das Äußerliche ist so nicht einfach etwas dem innerlichen Glauben bloß äußerlich Anhängendes, wie etwa ein Weihnachtsgeschenk auch in ein Weihnachtspapier eingewickelt werden kann. Die Vorstellung des Ausdruckes müßte hier liturgiewissenschaftlich fundiert problematisiert werden. Niemand käme doch auf die Idee, eine aufgeführtes Theaterstück als eine Veräußerlichung oder als einen Ausdruck des Textes des Theaterstückes zu bezeichnen. Der Text etwa von Goethes „Faust“ wäre dann das Eigentliche, das dann auf der Theaterbühne nur veräußerlicht würde. Die religiöse Praxis in ihren scheinbar rein äußerlichen Formen wäre so nicht einfach der Ausdruck einer religiösen Innerlichkeit. Oder wollte jemand ernsthaft behaupten, daß in einem erbauten Haus sich das innerliche Anliegen eines Architekten ausdrücke?
Zu einem Heiratsantrag, wenn er wirklich ernst gemeint ist, gehört eben, daß der Mann in nicht in einer Sporthose und nicht mit Gänseblümchen in der Hand ihn stellt. So verlangt eben auch die Gottesverehrung eine diesem Anliegen gemäße Gestaltung, die nicht einfach als bloß etwas Äußerliches abzuqualifizieren ist. Oder welche Ehefrau begönne nicht an der Liebe ihres Mannes zu zweifeln, wenn es gefühlte Ewigkeiten her ist, seit sie zum letzten male von ihm geküßt wurde. Der Kuß ist eben nicht einfach nur ein äußerer Ausdruck des innerlichen Gefühles der Liebe.
Der gottesdienstliche Kult ist so die Praxis der Gottesverehrung und die fandet und findet nun ein mal in einer Barockkirche , in der die „Tridentinische Liturgie“ vollzogen wird, die der Gottesverehrung gemäße Gestaltung. Diese Gestalt der Gottesverehrung könnte so wohl als die Realisierung der Idee der Gottesverehrung begriffen werden, aber nicht als der Ausdruck einer eigentlich rein innerlichen religiösen Gesinnung oder Gestimmtheit.Deshalb produzierte die Liturgiereform nicht einfach einen neuen Ausdruck des christlichen Glaubens sondern sie veränderte die religiöse Praxis, weg von einer theozentrischen hin zu einer anthropozentrisch ausgerichteten.
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