Donnerstag, 24. März 2022

Die Politik und die Moral – kann „amoralische“ Politik legitim sein?

(auch zur Problematik einer christlichen Politik)



Machiavelli, der Politikberater schlechthin riet den Politikern,sie müßten „notfalls grausamer sein können als die Grausamen und verschlagener als die Verschlagenen“. Bernard Willms, Identität und Widerstand, Reden aus dem deutschen Elend, 2013, S.46. Solche Aussagen erwartet man, wenn man Machiavelli aufschlägt. Es ist eben bekannt und wohl auch zu bekannt, daß der Philosoph sich eben durch ein sehr negatives Menschenbild auszeichnet „Daß das Bild, das Machiavelli als Begründung seiner Politiktheorie hier von den Menschen zeichnete, ziemlich düster ausfallen mußte, weil die Wirklichkeit kein anderes Bild hergab,haben die Menschen ihm bis heute nicht verziehen.“ ,kommentiert Willms. (S.45)

Das ermöglicht nun allen Kritikern eine wohlfeile Entsorgung dieses politischen Denkens: Solch eine pessimistische Anthropologie sei durch nichts gerechtfertigt.Es drängt sich aber auch der Einwand auf, daß um der Realisierbarkeit der bürgerlich-revolutionären Ideale der Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit willen der Mensch optimistisch als von seiner Natur her zum Guten Geneigten zu präsumieren sei, daß er aufklärungswillig zu einer vernünftigen Lebensweise fähig sei, daß er vielleicht realiter gar nicht so ist.

Will so dieser politische Philosoph einfach eine amoralische Politik legitimieren und den Politkern raten, nur in ihren Sonntagsreden moralisch sich zu geben? Soll damit einfach die Politik, wie sie realiter betrieben wird, nun nachträglich noch von jeder moralischen Kritik befreit werden? Willms scharfe Kritik der Moralisierung der Politik, wie sie vor allem auf Kirchentagen inszeniert wird, könnte man nun wirklich als einen Aufruf zu einer moralfreien Politik verstehen. Unklar wäre dann nur, ob nach dem Urteil dieses Kritikers die heutige Politik moralfrei wäre, nur sie sich moralisch maskiert und diese Maskerade möge nun aufhören oder ob seinem Urteile nach, faktisch die vermoralisierte Politik endlich wieder in eine sachlich-realpolitische zu transformieren sei.

Aber wie nun, wenn so der ganze Ansatz Machiavellis mißverstanden werden würde. Zumindest präsentiert Willms hier eine ganz und gar ungewöhnliche Interpretation der politischen Philosophie Machiavellis:

der Politiker müsse > sein Vaterland mehr lieben als seine Seele<.“ So wird dann diese These expliziert (S.46):

Wer sich der Politik, das heißt der Arbeit am Frieden,am Wohlergehen und der Ordnung seines Vaterlandes hingibt, darf nur dieses sehen und muß das Notwendige ohne Rücksicht auf moralische Vorbehalte tun – das Vaterland ist seine objektive Aufgabe, aber seine Moral oder sein Seelenheil ist nur seine eigene Sache: Das Wohl des Ganzen gebietet andere Gesetze als die, nur seine eigene Seele in Sicherheit und Frieden zu halten.“

Zu lieben ist in der Regel eine moralische Handlung, sofern nicht geliebt wird, was nicht geliebt werden darf, wenn etwa wie König David ein Mann eine verheiratete Frau liebt, also ist sowohl die Liebe der Seele wie auch die Liebe zum eigenen Vaterland moralisch tugendhaft. In der Liebe zur eigenen Seele gründet sich die Sorge um das Seelenheil: Wie habe ich zu leben um meines Seelenheiles willen? Das Seelenheil wird also als ein gefährdetes Gut angesehen. Aus der Liebe zum eigenen Vaterlande entspringt nun auch die Sorge um das Wohlergehen des Vaterlandes.

Erst ob dieser zweifachen Liebe, der zur Seele und der zum Vaterlande kann es zu Konflikten kommen, daß das, was um des eigenen Seelenheiles willen zu tuen und zu unterlassen ist nicht in einen Einklang zu bringen ist mit dem, was um der Sorge um das Wohlergehen des Vaterlandes zu tuen und zu unterlassen ist. Wenn Jesus Christus lehrt, daß um des Seelenheiles willen der Feind zu lieben ist, so kann ein Staatsmann um des Wohlergehens seines Vaterlandes willen den es angreifenden Feind nicht lieben, sondern er wird gegen den angreifenden Feind Krieg führen. Der Philosoph urteilt hier nun, daß für einen christlichen Staatsmann es gilt, wenn er nicht seinem Seelenheil und dem Wohlergehen seines Volkes gleichermaßen Genüge tuen kann, er seiner Liebe zum Vaterlande die Priorität einräumen muß. Unter einer „moralischen“ Politik versteht so Machiavelli eine, die um das eigene Seelenheil besorgte das zum Wohle des Vaterlandes Notwendige nicht unternimmt, wenn diese Unternehmungen dem Seelenheil zuwider liefen.

Die Politik, die um des Vaterlandes willen vollbracht wird ist nun aber auch eine moralische, dient sie ja auch einem moralischen Ziele. Aber die Gesetze der Politik sind andere als die der Sorge um das Seelenheil. Jetzt bekommt das Verb: „hingeben“ aber auch der Begriff der „Aufgabe“ einen ganz eigentümlichen Klang. Indem der Politiker sich seiner „Aufgabe“ „hingibt“, seinem Vaterlande zu dienen, gibt er die Sorge um sein Seelenheil auf, er gibt sich „moralisch“ auf, das ist seine Selbstaufgabe als einer, der primär in der Sorge um sein Heil lebt, um sich ganz der Sorge um sein Vaterlande hinzugeben. Er opfert sich, seine Sorge um sein Heil um der Sorge um das Ganze willen, um das Vaterland willen. Das ist nun aber gerade eine zutiefst moralische Entscheidung, sich zu opfern für etwas Höheres als das eigene Seelenheil.

Plädiert Machiavelli so für eine zutiefst moralische Politik? Wenn Willms hier diesen Philosophen interpretiert, müßte dem zugestimmt werden. So könnte sich auch ein sehr radicaleres Verständnis der Aussage Jesu: „Es gibt keine größere Liebe als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13) ergeben als die üblichen, daß gar der Verzicht auf die Sorge um das eigene Seelenheil mit dieser Hingabe, diesem Opfer gemeint ist. Zur Veranschaulichung möge man sich auf einer mikrokosmischen Ebene, nicht gleich der der Staatsführung, dies Problem vor Augen halten: Darf ein Christ das Amt des Henkers etwa in den USA oder in China ausüben? Verstößt er mit dieser Henkersaufgabe nicht gegen die Moral der Sorge um sein Seelenheil aber dient er mit dieser Aufgabe nicht dem Wohle des Vaterlandes, weil er in diesem Amt der Gerechtigkeit dient? Der Philosoph Machiavelli gibt hier eine klare Antwort – das ist wohl das Anstößige an seinem Denken weil sie so antiindividualistisch ausfällt mit seinem Vorrang des Allgemeinen, des Kollektiven. .



 

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