Sonntag, 13. März 2022

Irritierendes: Hat den die christliche Religion etwas mit Lehre und Erkenntnis zu tuen?

Es heißt zwar: „Sufficiet discipulo,ut sit magistere ejus“ (Mt 10,25), aber schon J.Arndt übersetzt in seiner Vulgatausgabe: mit „Jünger“ und „Meister“, wie jetzt auch die Einheitsübersetzung. Aber die Wortbedeutung von discipulus und von magister ist eindeutig: Schüler und Lehrer. Das Verhältnis von Jesus zu seinen „Jüngern“ ist ein klares Lehrer-Schüler-Verhältnis. Jesu Schüler verhalten sich dann auch typisch schülerhaft: Welcher Lehrer wird schon richtig von seinen Schülern verstanden. Gerade das Markusevangelium präsentiert uns Jesu Schüler gerade nicht als eine Gruppe von verständigen Lernenthusiasten. Es ist so erlaubt, dies Evangelium auch als eine erste Kirchenkritik im Namen des Lehrers Jesu zu lesen.

Aber jetzt ist das Augenmerk auf etwas anderes zu konzentrieren, daß Jesus Christus nämlich in erster Linie als Lehrer wirkte: Er lehrte. So ist es kein Zufall, daß die Evangelien von so vielen Kontroversen zwischen Schriftgelehrten und Pharisäern mit dem Lehrer Jesus schreiben, denn das sind, erst mal nüchtern betrachtet Lehrstreitigkeiten. So urteilt ja Nikodemus bekanntermaßen über Jesus: „Lehrer, wir wissen, du bist ein Lehrer, der von Gott gekommen ist; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust“. (Joh 3,2). Aber die Einheitsübersetzung schreibt: „Rabbi“ statt „Lehrer“. Dazu paßt es dann auch, daß aus „der Erkenntnis des Heiles“ die „Erfahrung des Heiles“ (Lk 1.77) wird.

Das Jesus Qualifizierende ist so, daß er der von Gott kommende Lehrer ist und daß deshalb seine Lehre wahr ist. Es soll nun versucht werden, diesen Gedanken klarer zu erfassen. Gern wird das Problem der Erkennbarkeit Gottes durch den Menschen so formuliert: Wie sollte der Mensch als endliches Wesen den unendlichen Gott erkennen können, jede Erkenntnis würde Gott verobjektivierend verendlichen. (Vgl sehr viel diffiziler: Norbert Fischer, Die philosophische Frage nach Gott) Kann also Jesus uns Gott lehren oder kann es keine lehrbare Gotteserkenntnis geben?

Wenn es aber gar keine lehrbare Gotteserkenntnis geben könnte, wie konnte dann Jesus als der von Gott kommende Lehrer anerkannt werden, der dann ja auch als solcher ein Lehrgespräch mit dem bei ihm in die Schule gehenden Johannes führte. Wie konnte aber dieser Lehrer von der Heilsnotwendigkeit der Taufe wissen, die er ja in diesem Unterricht Nikodemus lehrte ? Wie konnte Jesus überhaupt eine Gotteserkenntnis lehren? Nikodemus gibt dazu die Antwort: weil er ein von Gott kommender Lehrer ist.

Es soll nun dieser Gedanke versucht werden zu verstehen. Wie könnte doch der endliche Mensch den unendlichen Gott begreifen? Das klingt sehr fromm, aber deshalb ist dies noch lange nicht wahr! Denn nähme man die Aussage, daß der endliche Mensch den unendlichen Gott nicht erkennen könne, ernst, geräte man in beachtliche Aporien. Ein Mensch denkt Gott. Wenn Gott unendlich ist, kann dies menschliche Denken nicht außerhalb von Gott sein, denn dann würde Gott durch dies Denken begrenzt: Wo der Mensch denkt, denkt Gott nicht. Dann könnte dies menschliche Denken unwahr sein, aber es könnte nur unwahr sein, weil Gott trotz seiner Unendlichkeit hier durch dies Denken limitiert würde. Wenn aber Gott als Unbegrenztheit zu denken ist, dann kann das menschliche Denken als teilidentisches mit Gottes Denken nicht unwahr sein. Gott dächte in uns, wenn wir Gott denken. Das wäre dann eine Spielart des Pantheismus oder Panentheismus. Soll aber an der Differenz zwischen dem menschlichen Denken über Gott und Gottes Denken über sich festgehalten werden, dann muß denkbar sein, daß es außerhalb von Gottes eigenem Denken ein davon verschiedenes geben kann, das dann unwahr oder wahr sein kann.

Wenn Gott als sich selbst Erkennender zu denken ist, dann verobjektiviert Gott sich selbst in seiner Erkenntnis. Alles zu Erkennende wird durch seine Erkenntnis zu einem Objekt. Gott ist unendlich und als sich Erkennender auch ein sich Verobjektivierender. Genau deshalb, weil er sich selbst erkennt, kann Gott diese seine ihm eigene Selbsterkenntnis anderen vermitteln. Der von Gott kommende Lehrer vermittelt so die Gott eigene Selbsterkenntnis seinen Schülern. Indem Gott sich als etwas Bestimmtes erkennt, als Gott und somit als Nicht-Nichtgott, konstituiert er die Möglichkeit von Nichtgöttlichem, die er durch seine Selbstbestimmung zum Gottsein ausgeschlossen hat als eine Möglichkeit eines Außerhalbes von ihm. So entsteht erst die Möglichkeit, daß ein endliches Denken außerhalb von Gott Gott inadäquat denken kann, aber auch die Möglichkeit eines wahren Denkens von Gott, wenn Gott seine Erkenntnis dem endlichen Denken vermittelt. Da es eine verobjektivierte Erkenntnis Gottes ist, ist sie tatsächlich von einem göttlichen Lehrer lehrbar. Die philosophische Frage nach Gott müßte also zu der Erkenntnis vordringen können, daß die Gotteserkenntnis nur möglich ist als eine Teilhabe an der göttlichen Selbsterkenntnis. Soll diese Teilhabe nicht pan(en)theistisch gedacht werden, verlangt die Ermöglichung dieser Teilhabe einen göttlichen Lehrer als den einzig möglichen Vermittler dieser Gotteserkenntnis. Darum ist Jesus der Lehrer und Christsein heißt, sein Schüler zu sein.

 

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