Freitag, 4. Juni 2021

Wenn das Wahre zur Ware wird - und doch noch Großes entsteht!


Desillusioniernd: So wird das Künstlertum in Guy de Maupassants Roman: „Die Nichten der Frau Oberst“ charakterisiert: „Der Maler fertigt Gemälde an, der Bildhauer zerspaltet den Marmorblock, der Musiker komponiert seine harmonischen Tongebilde, nicht um der Inspiration zu gehorchen,die ihn das Überströmen seiner Seele auszuhauchen drängt, sondern um Geld zu verdienen. Man sieht nicht mehr einzig und allein auf die Schönheit, sondern man bevorzugt die Verkäuflichkeit.“ (Übersetzung: T. Pettronius, 1965, S.181). Ein trauriger Klang, der an Balzacs: Verlorene Illusionen erinnert. Treffend wird hier das Schicksal der Kunst unter den Conditionen der modernen Welt charakterisiert: Kunstwerke sind eben auch nur Waren, die zum Verkauf produziert werden, damit so ein Geld durch sie verdient wird.

Dies zeitigt nun aber auch Auswirkungen auf die Qualität der Kunstwerke. Als Qualitätsmerkmal der Kunstwerke wird hier ganz traditionell ihr Schönsein benannt, um dann zu urteilen, daß um der Verkaufbarkeit willen der Künstler Abstriche an der Qualität seiner Werkes hinnehmen muß. Eine gute Qualität eines Kunstwerkes vermindere die Verkäuflichkeit eines Kunstwerkes. Dies impliziert, daß entweder der Käufer ein Konsument mit schlechtem Geschmack sei, er kauft Unschönes oder daß der Käufer selbst wieder nur das Werk aus ökonomischen Erwägungen kauft, in der Erwartung vielleicht, es später für mehr als den Ankaufspreis wieder entäußern zu können.

Die Alternative wird auch klar benannt: Die Kunst um der Kunst willen. So künstlerisch zu wirken sei aber nur einem Künstler möglich, der so vermögend sei, daß er das Kunstwerk nicht als seinen Broterwerb ausüben muß. Dem so Vermögenden ist aber das Künstlertum sein Beruf, seine Berufung und kein Hobby, weil er nicht irgendeiner Broterwerbstätigkeit nachgeht und dann in seiner Freizeit künstlerisch tätig ist, nein es ist sein ihn ausfüllender Beruf. Der Berufskünstler dagegen, der von seiner Kunstproduktion seinen Lebensunterhalt sich zu verdienen hat, kann dann nur noch ein Künstler sein, der um der Verkäuflichkeit seiner Werke willen Abstriche an der künstlerischen Qualität hinnehmen muß.

War ursprünglich die Kunst nicht autonom, weil ihre Auftraggeber bestimmten, wie das Werk zu sein hatte, so daß die Künstler Handwerksmeistern glichen, die Auftragsarbeiten (meist von der Kirche oder dem Adel) gut auszuführen wissen, so entwuchs der neu gewonnenen Freiheit, daß nun für den freien Kunstmark zu produzieren ist, für anonyme Kunden, eine neue Unfreiheit: Das Kunstwerk muß als ein gut Verkäufliches produziert werden auch auf Kosten des ästhetischen Gutseins. Abstrakter formuliert: Der Tauschwert und nicht der Gebrauchswert, die ästhetische Qualität bestimmt die Kunstwerkproduktion. So wird das Kunstwerk wieder ein heteronom Bestimmtes und die neugewonnene Autonomie erweist sich als Illusion.

Diese bittere Einsicht verbindet Maupassant und Balzac - aber eines erstaunt den Leser nun noch mehr, daß trotz dieses Negativurteiles über die Lage des Künstlers in der Moderne so künstlerisch wertvolle Werke wie die dieser zwei Schriftsteller entstehen konnten.


Nun enthält dieser Roman eine weitere über die Kunst nachzudenken verführende Aussage: „Ich wünsche, daß niemand an diesem Kapitel meines Romanes rühre“. (S.178). Nicht äußert dies nun ein Künstler über sein Schreiben eines Romankapitels, sondern eine der Protagonisten des Romanes deutet ihr eigenes Leben als einen Roman schreiben, als meinen Roman schreiben. Der Mensch versteht sich dabei setzt als der Entwerfer seines eigenen Lebens und er drückt in dem da Geäußerten aus, daß er sein Leben autonom gestalten möchte, daß andere also nicht ihm das seinige gestalten, ihm vorschreiben, wie er es zu gestalten habe. Der Versuch selbstgestalteter Lebensentwürfe bildet den Gehalt dieses Romanes.

Wie verhält sich nun aber das Kunstwerk des Romanes zur Idee, sein Leben als einen Romanschreiben zu deuten? Das Kunstwerk des Romanes wird hier offensichtlich zu einer Vorlage für die Lebensgestaltung. Hiermit würde nicht mehr die Kunst um der Kunst willen hervorgebracht sondern damit Menschen ihr eigenes Leben romanhaft selbst gestalten können. (Das Vorbild eines solchen Literaturverständnisses dürften die Hagiographien seien, die nicht einfach nur das Leben eines Heiligen darstellen sondern auch zeigen, wie ein Mensch zu einem Heiligen werden kann.)

In einem Roman wird das ganze Leben der Hauptpersonen als etwas Sinnvolles dargestellt, denn nur so ist es sprachlich erzählbar. Die Versprachlichung schafft den Sinn des Erzählten und verheißt, daß durch eine Nachahmung, das eigene Leben wie einen Roman leben, auch dies ein sinnvolles wird. Damit verheißt die Romankultur viel, aber kann sie das auch einlösen?

 

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