Diese Vorstellung ist uns so selbstverständlich (geworden), daß sie eigentlich gar keiner Begründung bedarf, trotzdem: Gott ist die Liebe, so liebt er alle Menschen und darum hat ein Christ auch alle Menschen zu lieben. Humanistisch gesonnene Atheisten streichen dann zwar die Aussage, daß Gott als die Liebe der alle Menschen Liebende sei, stimmen aber ein in den Kanon der Menschheitsliebe,vielleicht mit der Ersatzbegründung, daß, da wir alle Menschen seien, ein Mensch in allen anderen Menschen sein Menschsein, das das Menschsein aller sei, affirmiere.
So evident das auch klingen mag, ein leichtes Unbehagen meldet sich doch: Warum predigt dann Jesus die Nächstenliebe, wenn doch durch diese Näherbestimmung Menschen auch ausgeschlossen werden, die die nicht Nächste sind. Wollte man erwidern, daß halt jeder mein Nächster sei, dann spräche hier Jesus sehr unklar, denn dann würde er die Liebe zu allen Menschen fordern, aber durch diese Näherbestimmung den Anschein erwecken, daß nur den Nächsten und nicht allen unsere Liebe zu gelten hätte.
Zu den Geschöpfen Gottes zählt auch der Teufel und seine Engel, aber selbst wenn Jesus die Feindesliebe predigt, schließt er damit diesen wahrhaftigen Feind des Menschen mit seinen Daimonen aus. Also liebt Gott diese seine Geschöpfe nicht mehr, weil sie von ihm abfielen. Aber für die Menschen, die auch alle in Adams Sünde von ihm abfielen, soll selbstverständlich gelten, daß er nie aufgehört hat, sie zu lieben. Wozu bedurfte es dann überhaupt noch des Erlösungswerkes Christi, wenn gälte: Gott liebt jeden Menschen, sodaß keiner, auch wenn er noch so arg sündigte, aus Gottes Liebe herausfallen könne. Jesu Werk wäre so bloß das einer Aufklärung gewesen, daß er uns befreie aus allen falschen Gottesvorstellungen, indem er uns den „Alle liebenden Gott“ offenbarte.
Was ist nun die Konsequenz dieses Gott liebt alle Menschen: daß jeder Mensch als so Bejahter den Anspruch erheben darf, von jedem anderen geliebt zu werden und so behandelt zu werden. In Anlehnung an Arnold Gehlens Essay: Moral und Hypermoral heißt das, daß das Familienethos, wie idealerweise das Familienleben zu sein hat, nun zu dem einzigen Ethos wird. Die ganze Menschheit sei eine einzige Familie, in der jeder sich zu jedem wie zu einem Familienmitglied zu verhalten habe. Diese Selbstverabsolutierung eines Ethoses zum alleinigen qualifiziert Gehlen als „Hypermoral“, weil es alle anderen zum Verschwinden bringt, etwa das des Staates und der Ökonomie.
Nun könnte erwidert werden, daß das eben das Ansinnen der christlichen Religion sei. Nur, wenn es sich so verhielte, warum gibt es dann die Differenz zwischen denen, die glauben und getauft werden, die so gerettet werden und denen, die nicht glauben und verdammt werden? (Mk 16,16)? Diese jesuanische Aussage ist nun inkompatibel mit der Allemenschenliebe Gottes, es sei denn, daß ernsthaft gedacht werden könne, daß von einem Menschen zugleich aussagbar wäre, daß er von Gott geliebt und doch auch von Gott verdammt wird!
Dies verweist nun auf einen Riß in dieser Konzeption, daß a) Gott der Schöpfer aller Menschen sei, daß b) er so alle Menschen liebe sodaß c) jeder jeden zu lieben habe. Der Sündenfall markiert diesen Riß, denn nun stehen wir Menschen als Sünder vor Gott und somit stehen wir unter seinem göttlichen Zorne. Aber die Liebe Gottes wird nun so gedacht, daß sie den Zorn Gottes einfach auslöscht, sodaß wir Menschen weiterhin auch nach dem Fall in seiner Liebe lebten.So wären wir alle Gesunde, die keines Arztes bedürften, außer eines Aufklärers, der uns aus eingebildeten Krankheiten befreie, etwa daß wir als Sünder den gerechten Zorn Gottes zu fürchten hätten.
Damit ist eine andere Differenz mitgesetzt: die, wie sich der Mensch zu seinem Rettungswerk in Jesus Christus verhält, ob er es annimmt oder es ablehnt. Wenn alle Menschen krank sind, macht es einen wesentlichen Unterschied aus, ob seine Heilmedizin angenommen wird oder nicht. Die „Gott hat alle lieb“-Konzeption muß diese Differenz negieren, denn es mache keinen Unterschied, ob wer seine göttliche Medizin einnehme oder sie unbenutzt stehen ließe.
Gott verhält sich, so das Zeugnis der hl. Schrift different zu den Gläubigen und Ungläubigen, zu denen, die zu seinem Volke, im Alten Bund das Volk Israel, im Neuen Bund der Kirche angehören und denen, die nicht zu seinem Volke gehören. Diese Differenz verunmöglicht nun die Vorstellung eines unterschiedslos alle gleich liebenden Gott. So sind alle Menschen Geschöpfe Gottes, aber im Johannesevangelium heißt es ausdrücklich, daß nur die an Jesus Christus Glaubenden „Kinder Gottes“ sind. (Joh, 1,12). Für Jesus selbst gibt es so diese Differenz, die zwischen dem, Geschöpf Gottes zu sein und der, Kind Gottes zu sein. Die „Kinder Gottes“ sind die von „Oben“ durch die Taufe neu Geborenen, die so in einer Differenz zu den Weltkindern stehen. Aber diese Differenz darf es für den Humanitarismus nicht geben, denn für ihn sind alle Menschen gleich allen Menschen differenzlos.
Ist so dieser Humanitarismus wirklich etwas Christliches, wenn er diese Grunddifferenz als wesenslos ablehnt: Es gäbe nur Menschen. Wie die Menschen sich zu Gott verhielten, wäre so gleichgültig für Gott selbst und auch für die Menschen.
Könnte so gesehen das Gebot der Nächstenliebe eine Akkommodation an den zum Sündigen Neigenden und ob seiner Erbsünde dem Schicksal des Sterbenmüssens Unterworfenen sein, daß Gott sein Gebot so diesem so gearteten Menschen anpaßt? Dostojewskis Konzept, daß jeder Mensch für alles verantwortlich sei, kann ja nur ob dieser völligen Überforderung zur Einsicht der Sündhaftigkeit jedes Menschen führen, kann aber keine sinnvolle Maxime für sein praktisches Leben sein. Der Begriff der Nächstenliebe setzt nämlich eine Differenz zwischen den Nächsten und den Nichtnächsten und ermöglicht so erst uns als endliche Wesen moralisch im Sinne der Liebe zu engagieren. Eine solche Differenzierung kann als theologisch legitim angesehen werden, weil Gott ja selbst differenziert die Menschen beurteilt.
„Wie sollten sie gegen Lebewesen kämpfen, die im Grunde genommen nichts Böses im Sinn hatten“ W.Voltz, Der Schwarze Dämon, Perry Rhodan Bd 534, S.33.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen