Die berühmten Worte: „Hier stehe ich und kann nicht anders“ sprach Luther nicht auf dem Reichstag zu Worms, er sprach sie nie, denn es handelt sich hier um eine Lutherlegende. Er sagte aber: „Da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann ich und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“
Hier rebelliert das subjektive Gewissen Luthers gegen die Lehre der Katholischen Kirche. Zwei Auslegungen des Wortes Gottes, die der Katholischen Kirche und die Luthers stehen sich hier unversöhnlich gegenüber. Welche von beiden Auslegungen ist nun die wahre oder vorsichtiger formuliert die angemessenere? Luther bringt dafür sein Gewissen als Argument ins Spiel: Für sein Gewissen ist die seinige Auslegung die wahre. Nun fügt er dem ein weiteres Argument hinzu: Es sei unmöglich, wider sein eigenes Gewissen zu handeln.
Aber ist wirklich die seinige Auslegung die wahre, weil sein Gewissen sich mit dieser seine Auslegung so identifiziert, daß er gegen sein Gewissen handelte, korrigierte er seine Auslegung des Wortes Gottes. Eigentlich sollte doch jeder Ausleger der Bibel einräumen, daß seine Deutung auch verkehrt sein kann. Es sei nur an das Faktum der Polyinterpretabilität von Texten erinnert. Denn gerade das Wort Gottes ist uns ja nur zugänglich als Textmaterial der Bibel und der Sekundärliteratur als Auslegung dieser Texte. So kann Luther tatsächlich gar nicht seine subjektive Auslegung als die einzig wahre behaupten. Sein Gewissen sei aber „gefangen“ in seiner eigenen Auslegung. Das bedeutet dann gar nicht, daß sie wirklich wahr sei, sondern nur, daß seine Eigendeutung so sehr sein Gewissen affiziert, daß er seiner nicht mehr widersprechen kann, ohne gegen sein eigenes Gewissen zu agieren.
Warum schließt diese Affizierung des Gewissens durch Luthers Eigendeutung aus, daß er die seinige korrigiert und dann diese als für ihn verbindliche bekennt? Es scheint so, daß diese Affizierung seines Gewissens durch seine eigene Deutung der hl. Schrift so stark ist, daß ein weiterer Lernprozeß, in dem eine einmal eingenommene Position wieder aufgegeben wird, weil sie sich nicht als haltbar erwies, ausgeschlossen wird.
Von Niemanden sei so verlangbar, daß er eine von seinem Gewissen vertretende Auslegung des Wortes Gottes widerrufen solle. Denken wir nun an den Fall der Kali-Göttin Verehrer, die glaubten verpflichtet zu sein, ihr eigenes Kind zu töten, zu opfern, um den Zorn der Göttin Kali von ihnen abzuwenden. Sie opferten ihr Kind und wurden dafür in Indien bestraft. Kann sich dieses Elternpaar nicht auch auf ihr religiöses Gewissen berufen, das von ihnen diese Opferung verlangte? Wenn nun auch in Indien gewiß mehr als 99 Prozent diese Deutung des Willens der Göttin Kali als inakzeptabel verurteilen, was bedeutet das dann für das religiös gestimmte Gewissen dieser Eltern, die glaubten, daß diese Göttin genau dies Kindesopfer von ihnen verlangt? Wenn es außerhalb meines subjektiven Gewissens keine Kontrollinstanz gibt, dann ist es richtig, wenn diese Eltern taten, was ihnen ihr religiöses Gewissen abverlangte.
Der reine Subjektivismus, auch und gerade wenn er sich als die Auslegung des Willens Gottes versteht, die so den Ausleger zu einem unbedingtem Gehorsam fordert, endet konsequenterweise in einer Anarchie, in der jeder in der Autorität des je eigenen Gewissens umbringen darf.
Wer das nun für eine maßlose Übertreibung ansieht, der schaue auf ein im Mutterleib getötetes Kind, das im Namen der Gewissensentscheidung seiner eigenen Mutter getötet worden ist- circa 100.000 Kinder kommen so allein in Deutschland zu Tode. Katholische Christin bringen es dann sogar fertig, diese Kindestötungen mit ihrem christlich geprägten Gewissen in Einklang zu bringen: So wie ich das Wort Gottes verstehe, darf eine Frau ihr Kind im Mutterleibe töten lassen, ohne zu sündigen. Das ist der größte Triumph der heutigen Parole der Gewissensfreiheit. Am Anfang steht der lutherische Subjektivismus: Was mein Gewissen mir sagt, dagegen kann und darf ich nicht handeln, gleichgültig ob das so Gewollte objektiv wahr oder nicht wahr ist. Damit schleicht sich ein irrationalistischer Zug in die Moraltheologie ein, in der Weigerung, die einmal vollzogene Deutung des Wortes Gottes einer kritischen Überprüfung im theologischen Diskurs zu unterziehen.
Was das Gewissen als Deutung des Wortes Gottes einmal aufgenommen hat, habe sich so in das eigene Gewissen eingeschrieben, sodaß diese Deutung nicht mehr korrigierbar sei. Damit bekommt dies so verstandene Gewissen einen solipsistischen Charakter, der es so immunisiert gegen die Wahrheitsansprüche vernünftigen theologischen Argumentierens. Nur mein Gewissen verpflichtet mich. Ob das nicht praktizierter Atheismus ist, darüber sollte ernsthaft nachgedacht werden, wenn Gottes Wort kein Recht mehr eingeräumt wird, sich gegen die subjektive Deutung dieses Wortes durchzusetzen.
Zusatz1 :
Seit Luther kämpft so der Subjektivismus gegen die objektive Wahrheit, im „Synodalen Irrweg“ scheint dieser Subjektivismus nun über die Katholische Wahrheit zu triumphieren! Luther war ja der erfolgreichste Häretiker und Schismatiker, der so mit seinem Gewissen gegen die Wahrheit revoltierte.
Zusatz 2: Hitler und das Gewissen
„Die Tafeln vom Sinai haben ihre Gültigkeit verloren. Das Gewissen ist eine jüdische erfindung. es ist wie die Beschneidung eine Verstümmelung des menschlichen wesens. Die Vorsehung hat mich zum größten Befreier der Menschheit vorbestimmt. ich befreie den Menschen von dem Zwange eines selbstzweck geworde-nen Geistes, von der schmutzigen und erniedrigenden selbstpeinigung einer Gewissen und Moral genannten Chimäre und von den ansprüchen einer Freiheit und persönlichen selbständigkeit, denen immer nur ganz wenige gewachsen sein können. Der christlichen Lehre von der unendlichen Bedeutung der menschlichen einzelseele und der persönlichen Verantwortung setze ich mit eiskalter Klarheit die erlösende Lehre von der nichtigkeit und Unbedeutendheit des einzelnen Menschen und seines Fortlebens in der sichtbaren Unsterblichkeit der nation gegenüber. an die stelle des Dogmas von dem stellvertretenden Leiden und sterben eines göttlichen erlösers tritt das stellvertretende Leben und Handeln des neuen Führergesetzgebers, das die Masse der Gläubigen von der Last der freien entscheidung entbindet“
Ob dieser Hitleraussage sollten nun Christen verpflichtet sein, sich für die Gewissensfreiheit zu engagieren, da dieser Diktator das Gewissen beseitigen wollte. Das kingt gut, aber das Buch Rauschniggs über seine Gespräche mit Hitler gelten in der historischen Wissenschaft als Fälschung. Der Autor habe sich wohl all diese Gespräche erphantasiert. Nein, gerade die Gewissensfreiheit selbst ist das Einfallstor zum Nihilismus. Man stelle sich doch einfach einmal diese Frage: Wie viele der Täter der Mißbräuchsfälle in der Kirche vollzogen ihre Untaten wohl mit einem guten Gewissen, meinend, daß für sie die "reaktionäre Moral" der Kirche nicht verbindlich sei und ihre "Opfer" auch gar keine "Opfer" seien, da sie die praktizierte Sexualität selbst als befriedigend empfänden, bzw empfinden würden, wäre ihnen nicht die "sexualfeindliche" Morallehre der Kirche eingeimpft worden!
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