Freitag, 11. Juni 2021

Multiethnische Staaten- unsere Zukunft?



Betrachtet man die aktuellen Tendenzen, verwandeln sich immer mehr Nationalstaaten in multiethnische Staaten. Innerhalb vieler europäischen Staaten steigt der Bevölkerungsanteil von Arabern, Osteuropäern und Ostasiaten rasch an, so dass man kaum noch von Nationalstaaten im ursprünglichen Sinn sprechen kann.Möglicherweise entwickelt sich der multiethnische Staat zum Haupttypus des modernen Staates.“ Zhao Tingyang, Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung, 2020, S.127f.

Dieser chinesischer Philosoph versucht nun eine mögliche Weltordnung zu skizzieren, die sich an in der Geschichte Chinas entwickelten Konzepten, dem des: „Alles unter einem Himmel“ orientiert. China sei eine Einheit von „10.000 Völkern“ gewesen, in der Differenz und Einheit versucht wurde zu realisieren als ein komplexes Cooperationsmodell, das keine Ethnie excludierte ohne daß dabei Ethnien der Einheit subordiniert wurden und so ihr Eigenes verloren.

Das Konzept des Nationalstaates sei so dem Chinesischen eigentlich etwas Fremdes. Aber das Nationalstaatskonzept löse sich ja gegenwärtig selbst auf durch die Multiethnisierung der einstigen Nationalstaaten. Wenn diese Tendenz auch richtig wahrgenommen wird, es unterbleibt in diesem Buch das Stellen der politischen Frage, ob dies denn eine zu bejahende Tendenz ist.

Zu fragen ist ja, was denn ein staatlich organisiertes Gemeinwesen zusammenhalten kann, wenn es keine ethnische oder kulturelle oder religiöse Homogenität mehr aufweist. Als Antwort bliebe nur übrig, daß alle Bürger eines Staates die Gesetze und Ordnungen dieses ihnen gemeinsamen Staates anerkennen und demgemäß leben. Aber die Ordnungen der westeuropäischen Staaten sind fundiert in der christlich-abendländischen Kultur, erhielten dadurch ihre Besonderheit. Warum sollte also diese Ordnung von Bürgern, aus anders geprägten Kulturen bejaht werden? So ist für Westeuropa die Trennung von Staat und Kirche nicht einfach ein Produkt aufklärerischen Denkens als einer transkulturellen Größe, sondern ein Produkt der verarbeiteten Erfahrung der innerchristlichen Religionskriege des 17.Jahrhundertes. Im sich herausbildenden Nationalstaat sollte die Frage der Religion in die Privatsphäre verschoben werden, damit die Einheit des Volkes nicht durch religiöse Differenzen gefährdet wird. Begegnen sich Bürger verschiedener christlicher Confessionen, so sollten sie wechselseitig nicht in dem Mitbürger den anders Gläubigen sehen, sondern den, der mit ihm zum gleichen Volke gehört.

Die Gretchenfrage nach der Religionszugehörigkeit sollte von der der Volkszugehörigkeit ersetzt werden, weil die nun für das soziale Zusammenleben relevanter zu sein habe als die Religionszugehörigkeit. Die christliche Religion verwandelte sich dabei in ein Kulturgut, das als solches integraler Bestandteil der bürgerlichen Lebenswelt wurde. Wenn nun aber auch die Einheit der Volkszugehörigkeit aufgegeben wird, reicht dann die Anerkennung der öffentlichen Ordnung aus, wenn diese selbst nicht einfach eine rein vernünftige ist, sondern das Ergebnis des kontingenten Ereignisses der innerchristlichen Religionskriege.

Was für Westeuropäer eine nicht akzeptable Staatsordnung ist, eine theokratische z.B findet unter islamisch Sozialisierten Zustimmung- wäre ein islamischer Staat nicht besser als ein Säkularstaat, der sich den Religionen gegenüber indifferent verhält?Eine multikulturell verfaßte Gesellschaft muß sich auch in Westeuropa dieser Frage neu stellen, isb dann wenn die christliche Religion sich weiterhin verflüchtigt und der Islam sich revitalisiert. Wenn dann noch mitberücksichtigt wird, daß der damit angezeigte Konflikt ethnisch sich verschärft durch den Konflikt zwischen Europäern und Nichteuropäern, wird erst wahrgenommen, wie konfliktträchtig das Konzept einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft ist.

Schon der Begriff der Multikulturalität impliziert ja, daß die ethnisch fundierten differenten Kulturen sich nicht synthetisieren, um eine gemeinsame neue hervorzubringen, noch daß sich alle Kulturen einer dominierenden subordinieren.In einer vollständig herauskristallisiert sich habenden multiethnischen und multikulturellen Gesellschaften leben die divergierenden Kulturen nur noch nebeneinander, nur noch in sich selbst kommunizierend ohne einen Bezug zu den anderen Kulturen. Das Phänomen, daß schon in der 3.Generation in Deutschland lebende Ausländer kaum noch Deutsch können, weil sie fast nur noch innerhalb ihrer Ethnizität kommunizieren, zeigt den Zerfall des heutigen Gemeinwesens an: Es verbindet die hier Lebenden nur noch das Leben in einem politisch bestimmten Raum, dem Staatsgebiet, in dem sie aber zusehens beziehungslos nebeneinander leben, nur noch in ihrer Ethnizität kommunizierend.

Warum soll dann in einer in Parallelwelten ausdifferenzierten Gesellschaft das Recht des Deutschen Staates noch in all den Gettowelten mit ihrer je eigenen Kultur noch Anerkennung finden? Liegt es nicht näher, daß sich in diesen Gettos der Multiethnizität je eigene politische Strukturen entwickeln, die dann da das sich monadenhaft gebende Leben gestalten? Es liegt nahe, daß, wenn der Zerfallsprozeß der Einheit so weit gediehen ist, nur noch eine starke Staatsautorität eine Einheit erzwingen kann, wie etwa Tito in Jugoslawien oder die Kommunistische Partei der Sowjetunion. Löst sich diese Zentralmacht auf, zerfallen solche Staatsgebilde ohne eine sie fundierende Homogenität in ihre Bestandteile, wie es im Staate Jugoslawien sich ereignete, wo jetzt aus der Konkursmasse des einen Staates sich drei Nationalstaaten herauskristalisieren auch ausgestattet mit einer je eigenen religiösen Kultur, dem katholischen Kroatien, dem orthodoxen Serbien und dem islamisch albanischen Staat.

Der Verdacht liegt so nahe, daß die jetzt entstehenden multiethnischen und somit auch multikulturellen Staaten als Nachfolgeprojekte des Konzeptes des Nationalstaates den Keim ihres Unterganges schon selbst in sich tragen. Wenn China als Gegenentwurf angesehen werden kann, als Staat der 1000 Völker, wie es Tingyang in seinem Buche nahelegt, dann funktioniert dieser Staat eben nur durch die Herrschaft der einen alles vereinenden Staatspartei. Ohne die würde ein Staat der 1000 Völker wohl auch an seinen inneren Widerstreiten zwischen den Völkern zu Grunde gehen!



 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen