Sonntag, 31. August 2014

Der Freitod und der paternalistische Staat

Der Freitod, seine moralische Legitimität ist in aller Munde, wenn über Sterbehilfe, humanes, würdevolles Sterben und Tötung auf Verlangen geredet wird. Dramaturgisch zugespitzt durch Bilder von Menschen, wie Anhängsel an Maschinen angeschlossen, nur noch vor sich dahinvegetierend, aber nicht sterben dürfend, aber auch von alten Menschen, abgeschoben in Verwahranstalten, nur noch auf den Tod wartend. Aber lassen wir diese suggestiven Bilder auf sich ruhen. Bemühen wir uns um Sachlichkeit.
Ist die Selbsttötung ein moralisch legitimer Akt? Diese Frage soll hier jetzt auch unbeantwortet stehen bleiben. Denn jede Moral ist in unser postmodernen pluralistisch verfaßten Gesellschaft nur für den verbindlich, der sie anerkennt. Daß in jeder Moral der Anspruch lebendig ist, daß sie von den anderen Menschen auch anerkannt und gelebt werden soll, ist eine triviale Einsicht: das öffentliche Gerede ist so immer auch der Kampf der verschiedenen Moralen widereinander: welche setzt sich gegen welche durch. Eine pluralistische Gesellschaft ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß noch keine Moral sich gegen die anderen mit ihr konkurrierenden durchgesetzt hat- ein Sieg beendet den Pluralismus der Unentschiedenheit. Die Voraussetzung dieses Pluralismus ist also so das Ende der "Konstantinischen Epoche" mit dem Christentum und seiner Moral als der öffentlichen Moral.

Es geht jetzt nur um die Frage: ist die Selbsttötung nach dem Recht des Staates eine unerlaubte Handlung. Denn das positive Recht des Staates ist für jeden Staatsbürger verbindlich, unabhängig von der Privatmoral des Einzelnen.Das Recht setzt der Staat als Staat gewaltsam durch. Denn die Natur des Staates ist es, nach des Apostels Paulus metaphysischen Staatslehre, Röm 13, Schwertgewalt zu sein.  Und hier fällt die Antwort eindeutig aus: die Selbsttötung ist keine strafrechtlich unerlaubte Handlung! Moralisten dürfen das kritisieren und auch die Wiederstrafbarkeit der Selbsttötung fordern, aber das ist jetzt nicht geltendes Gesetz.

Wenn nun ein Mensch sein Leben beenden will und er bittet jemand zur Beihilfe zur Selbsttötung,etwa
in dem er Seil sich ausbittet, um sich zu erhängen, dann macht sich derjenige, der dieser Bitte nachkommt, strafrechtlich nicht strafbar. Wie ist es aber nun, wenn ein Arzt um eine solche Beihilfe gebeten wird? Hier beginnen die Probleme erst: denn für den Arzt ist das unerlaubt, was jedem anderen erlaubt ist. Das ist das Problem der so heftig debatierten Frage der Legitimität einer ärztlichen Sterbehilfe. Jetzt zu sagen, ein Mensch dürfe einem anderem nicht helfen, sich zu töten, unterliefe das Problem. Es ist ja erlaubt,nur dem Arzt und ähnlichen Berufen nicht!

Die Standesmoral des Arztes (und ähnlicher Berufe) verbietet diese Hilfshandlung. Darauf fußend verbietet dann auch das staatliche Strafgesetzbuch diese Hilfshandlung. Weil das Ethos des Arztes ihn zum Lebenserhalt seines Patienten verpflichtet, darf er ihn nicht töten noch eine Beihilfe zur Selbsttötung gewähren. Ein paternalistisches Anliegen verbirgt sich dahinter: Der Arzt weiß besser als der Patient, was für den Patienten das Gute ist. Deshalb darf ein guter Arzt nicht auf das hören, was sein Patient wünscht, wenn der Arzt zu dem Urteil kommt, daß das vom Patienten Gewünschte nicht dem Wohl des Patienten dient. Der Paternalismus geht davon aus, daß objektiv erkennbar ist, was für Menschen das Gute ist und daß dies dann auch ohne und wenn es anders nicht geht, auch gegen den Willen des Patienten durchzusetzen ist. Das kann für den sich selbst töten Wollenden bedeuten, daß er so "fixiert" wird, daß ihm eine Selbsttötung nicht mehr möglich ist.Klartext: Er wird so gefesselt, daß er sich nicht mehr töten kann- oder man gibt ihn so viele und so starke Drogen, daß er sich nicht mehr töten will,bzw. daß er gar nichts mehr will- sein Wille wäre dann betäubt.

Denn dem Verbot, eine Beihilfe zum Selbsttöten zu gewähren, korreliert die Vorschrift, den Patienten auch gegen seinen Willen von einer Selbsttötung abzuhalten. Pauschaliter wird der Patient dann "entmündigt" mit der These, daß, wenn er gesund wäre, den Freitod nicht wollen könne, sodaß der Wunsch nach einer Selbsttötung schon für sich allein ein hinreichender Beweis dafür ist, daß der Patient psychisch krank ist, also nicht voll zurechnungsfähig ist. Somit wird aus dem einstigen Unrechtstäter, dem, der freiwillig seinen Tod wollte, und den der Staat dafür auch bestrafte, ein Patient, der für sein Wollen nicht verantwortlich ist und der deshalb entmündigt werden muß.

Die Morallehre der Kirche hat diesen Wandel mitvollzogen. Galt ihr einst ein sich selbst getötet Habender als ein im Stande der Todsünde Gestorbener, so spricht man heuer pauschaliter davon, daß der Freitod nie ein Freitod sei, weil der Mensch, der sich selbst tötet, in der Regel für sein Tun nicht verantwortlich ist. So können nun "Selbstmörder" kirchlich begraben werden und um ihr Seelenheil braucht man nicht Sorge zu tragen, weil Gott ihnen diese Tat auch nicht anrechnen wird, weil sie im Augenblick der Tat nicht voll zurechnungsfähig waren. Statt über die Möglichkeit der Entsühnung nachzudenken,  wie es die frommen Makkabäer taten für ihre gefallenen Kameraden, die starben, weil sie abergläubische Schutzmedaillone trugen- man brachte für sie ein Meßopfer dar, 2.Makkabäer 12, 35-45 werden die Täter entmündigt und so für ihr Tun als nicht verantwortlich exculpiert.

Wollen wir einen paternalistischen Staat, dann müssen wir tatsächlich- um konsequent zu sein- in dieser Causa den Freitod wieder als strafbare Handlung qualifizieren, sodaß jede Beihilfe zum Freitod auch eine strafbare Handlung wird.  Den Freitod und somit notwendigerweise auch die Beihilfe zum Freitod als nicht strafbare Taten anzusehen, verunmöglicht es auf Dauer, dem Arzt das zu verbieten, was jedermann darf. Selbstredend schließt eine Erlaubnis zur Beihilfe für Ärzte gesetzliche Regeln ein, die einen Mißbrauch  dieses Rechtes so weit wie möglich ausschließen. Wenn es die Aufgabe des Arztes ist, Pstienten zu helfen, und der Psatient kommt nach reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis, daß für ihn der Freitod die beste Lösung ist, dann wird man es nicht als unerlaubt beurteilen können, daß der Arzt diese Entscheidung des Patienten dann akzeptiert, auch wenn er sie für falsch hält.  Sonst muß dem Arzt das Recht zugesprochen werden, den Patienten allein auf Grund der Tatsache, daß er den Freitod will, als nicht mehr zurechnungsfähig zu beurteilen und ihn so gegen seinen Willen am Leben zu erhalten.

Rechte und Behinderte

Ein Behinderter, besser politisch korrekter: ein Mobilitätsbeeinträchtigter steht vor dem Rathaus und kann es nicht betreten, weil der Zugang nur für Gesunde begehbar ist. Das darf es in deutschem Lande nicht geben. Ein Recht nicht ausüben zu können, weil jemand behindert ist, gilt uns als unzumutbare Diskriminierung. Wie nun, wenn man sagte: weil der Freitod keine unerlaubte strafbare Tat ist, ist sie eine erlaubte. Nun kann es Menschen geben, die in ihrer Mobilität so beeinträchtigt sind, daß sie den Freitod nicht selbstständig ohne fremde Beihilfe realisieren können: ein schwer Kranker, angeschlossen an Medizinapparate unter permanenter Kontrollaufsicht. Wenn dieser nun urteilen würde: ich möchte mich töten, aber weil ich durch meine Krankheit so stark behindert bin, kann ich das, was ich will, nicht mehr allein realisieren. Darum bitte ich um so viel Hilfe wie nötig, damit ich dann das tuen kann, was ich noch zur Selbsttötung beitragen kann. Wird ihm das verweigert, und nach jetzigem staatlichen Recht muß ihm das verweigert werden, ist das dann nicht ein Fall, in dem einem Mobilitätsbeeinträchtigten die Realisierung eines Rechtes verweigert wird, weil er dies Recht nicht mehr selbstständig realisieren kann. Solange es staatlich als rechtens angesehen wird, daß ein Mensch sich freiwillig töten will, ist es sehr problematisch, Mobilitätsbeeinträchtigten die Realisierung von etwas Nicht-Unerlaubten zu verweigern, weil sie dazu eine Hilfe bedürften und diese ihnen verweigert wird.      

Moralisch kann geurteilt werden, daß jeder Freitod und somit auch jede Beihilfe zum Freitod verwerflich ist-aber vom geltenden Gesetz des Staates her ist es sehr fragwürdig, wie ein Verbot der Beihilfe zum Freitod Ärzten prinzipiell verboten sein soll, wenn es anderen Menschen erlaubt ist. Auch der sinnvolle Hinweis auf Mißbrauchsmöglichkeiten nötigt ja nicht zu einem prinzipiellen Verbot einer Beihilfe sondern zu gesetzlichen Regelungen, die einen ärztlichen Mißbrauch weitmöglichst ausschließen!   

                   


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