Ein Frontalangriff auf das Kreuz
Christi
Ist nun die Kritik des
Erzbischofes Zollitsch an der katholischen Lehre vom Sühnopfer
Christi, daß er für uns am Kreuz gestorben sei-nein, nicht für uns
sondern aus Solidarität mit uns, so der Erzbischof, das Präludium
für den Freiburger Fundamentaltheologen Magnus Striet gewesen, diese
Kritik zu fundamentalisieren?1
Den äußeren Anlaß des Aufsatzes: „Erlösung durch den Opfertod
Jesu“ bot der muslimische Schriftsteller N. Kermani mit seiner aus
der islamischen Verneinung des Kreuzestodes Christi entwachsenden
Grundsatzkritik an jeder Vorstellung eines Erlöstwerdens durch ein
Sühneleiden in der Neuen Züricher Zeitung: „Warum hast du uns
verlassen?“ Striet schreibt zwar, „ob diese Formel (Er ist
gestorben für unsere Sünden) angesichts ihrer belasteten
Rezeptionsgeschichte noch sinnvoll die Erlösungshoffnung des
Menschen zum Ausdruck bringt, wenn der Sündenbegriff unter modernen
Denkbedingungen neu gefasst wird, weil diese ernst zu nehmen sind,
mögen andere entscheiden.“2,
aber die Tendenz ist eindeutig: daß diese Formel zu verabschieden
sei- vielleicht um sie durch die erzbischöfliche: er habe mit uns
gelitten, zu ersetzen?
Daß mit dem Nein zur
Sühnopferlehre auch die Lehre von Jesus Christus als dem wahren
Priester und somit auch die Lehre vom Amtspriestertum wie vom
Priestertum aller Gläubigen hinwegfällt, ist eine
selbstverständliche Konsequenz dieser Umdeutung des Todes
Christi-auch, daß dann die Eucharistiefeier nur noch eine
Mahlveranstaltung sein kann, weil es kein Sühnopfer Christi gab und
somit auch kein Meßopfer. Die Konsequenzen sind so wirklich
beachtlich- darum soll nun hier die Kririk Striets und seine
Umdeutung des Kreuzestodes Christi kritisch gewürdigt werden.
Die Vorstellung des
Sühnopfers, des für uns Gestorbenseins stünde im engsten
Zusammenhang mit der Vorstellung von der Sünde in ihrer
Ausdifferenzierung von der Vorstellung der Erbsünde und der Sünde:
der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen soll das Kreuz Christi als
der (einzige) Weg zur Erlösung gegenübergestellt werden und daraus
kann dann die Frage: Cur deus homo? Beantworter werden: weil nur so
der Mensch erlöst werden konnte. Die Erbsündenlehre trüge dann die
Last der Begründung der Unmöglichkeit jeder Selbsterlösbarkeit des
Menschen und soll sie jedem als ihn bestimmende Macht auch als Schuld
zurechenbar sein.
Diese
augustinisch-anselmnische Konstruktion fuße auf einer
Fehlinterpretation des Paulus, denn dieser habe nur gelehrt, daß
faktisch-kontingent alle Menschen gesündigt hätten und sündigen,
und so der Erlösung bedürften. Erst Augustin habe daraus eine
Notwendigkeit gemacht, daß der postlapsarische Mensch notwendig
sündige um des Theorems der Notwendigkeit einer Erlösung aus
Gnaden willen. Bei Paulus gäbe es so gesehen nur die Vorstellung,
daß Menschen, die wenn sie nicht sündigen würden, auch ohne Gottes
Gnade gerecht vor Gott sein könnten, daß sie aber sündigen, ohne
daß das Warum ihres allgemeinen Sündigens eruiert werden könne.
Diese augustinische
Konzeption wird nun weitergehend kritisiert:Die Vorstellung eines
paradiesischen Urzustandes, aus den Adam ob seiner Sünde
herausgefallen sei, sei nicht kompatibel mit den Erkenntnissen über
die Evolution. Nie hätte es einen solchen Zustand in der Natur- und
Menschheitsgeschichte gegeben. So also auch keinen ersten Sündenfall.
Will man diesen Sündenfall aber entmythologisieren und als Bruch der
Einheit des Menschen mit der Natur rekonstruieren, als dem Moment der
Selbstbewußtwerdung des Menschen, dann wäre dieser Fall keine
Sünde.
Die augustinische
Konzeption der Ursünde versuche, Gott von jeder Verantwortung der
Fakzität des Bösen freizusprechen durch diese Vorstellung eines
durch die Schuld des ersten Menschen evozierten Depravation der
Schöpfung. Uns fällt hier sofort die Neigung auf, Aussagen der Hl.
Schrift als Konstruktionen des unheiligen Augustins zu entwerten und
als Kehrseite eine pelagianistische Deutung der Schrift als den
Aussagegehalt der Schrift auszugeben.
Was setzt Sünde als
Schuld verstanden voraus, daß sie dem Menschen als seine Schuld
zurechenbar sei? „Sündigen zu können ist deshalb ein Geschenk
Gottes, denn diese Möglichkeit existiert nur vor dem Hintergrund der
immer noch größeren, treuen und den Menschen um jeden Preis
suchenden Liebe Gottes.“3
Sünde kann als Schuld nur dem Gläubigen zugerechnet werden,
insofern er im Glauben an die Liebe Gottes nicht gemäß dieser Liebe
lebt und er dies bewußt freiwillig tut. Somit könnte wohl gesagt
werden, daß alle Menschen Sünder sind, insofern jeder nicht so
gemäß der Liebe lebt, aber nicht allen ist dies auch als Schuld
zurechenbar. „Denn Sünde als eine besondere Form der Schuld setzt
voraus, dass der Sünder verantwortlich gemacht werden kann für sein
Handeln, dass er anders hätte handeln können.“4
Er muß von den Möglichkeiten des Handelns wissen, die aus dem
Vertrauen heraus, von Gott geliebt zu werden, ihm erwachsen. Ein
freies Handeln wider diesen erst im Glauben ermöglichten
Handlungsmöglichkeiten sei so erst ein schuldhaftes Handeln. Wo aber
Menschen nicht aus diesem religiösen Glauben handeln, sondern aus
Angst, da könne nicht von Sünde gesprochen werden.
Die Intention dieser
Marginalisierung von schuldhafter Sünde ist die, das Kreuz Christi
als den Ausweg aus dem Unheilszustand des Menschen zu entwerten,
indem die Sünde klein gemacht wird. Nicht steht mehr der
Universalität der durch die Ursünde bestimmte Menschheit das allein
Heil verschaffende Kreuz Christi gegenüber, sondern eine
Freiheitsgeschichte der Menschen, in der immer wieder auch die
Freiheit mißbraucht wird, die aber prinzipiell eine gute Geschichte
ist. „Als aber das Paradigma einer universellen Sündenverfallenheit
entfiel, um die Frage nach der Bedeutung des Kreuzestodes Jesu zu
beantworten...“ resümiert Striet den Kampf wider die Lehre von der
Ursünde. Daß damit Paulus theologische Konzeption seines
Römerbriefes genichtet wird, ist dann ein Kollateralschaden dieses
pelaginisierenden Ansatzes. Paulus zeigt ja im Römerbrief durch die
These der allgemeinen Erkennbarkeit Gottes durch die natürliche
Gotteserkenntnis und dem Wissen um das von Gott Gesollte im
menschlichen Gewissen die Universalität der Sünde auf: daß jeder
unentschuldbar nicht so gelebt hat wie er sollte in der Einheit vom
Bestimmtsein durch die adamitische Ursünde und dem Sündigen jedes
einzelnen.
Gott wurde also nicht
Mensch und starb nicht am Kreuz für die Vielen, um den von der
Ursünde bestimmten und unter der Drohung des göttlichen
Endgerichtes stehenden Menschen zu retten-sondern.
Leistet die erste Kritik
der Sündenvorstellung das wohlfeile Ergebnis: so schlimm stünde es
gar nicht um den Menschen (hier leuchten die Augen aller Pelagianer,
Humanisten und Freunde rausseauischer Naturverklärung) , als daß er
das Therapeutikum eines am Kreuze für ihn sich opfernden Christus
bedürfe, so soll nun gezeigt werden, daß das Kreuz Christi als
Sühnopfer kein Heilmittel für den Menschen sein könne.
Ganz offenherzig enthüllt
der Fundamentaltheologe dabei seine Naivität: „Denn wenn Gewalt
abzulehnen ist,unbedingt, so darf auch Gott sie höchstens
tolerieren, und auch dann noch wäre nach den Gründen zu fragen, die
dies akzeptabel machen.“5
Ein einziger Blick in die paulinische Staatsmetaphysik (Röm 13) als
Frage nach dem ersten Grund und dem Zweck des Seins des Staates
zeigt, daß Gott selbst die Staatsgewalt will (als Schwertgewalt) und
so Gewalt nicht nur zuläßt sondern ihr erster Grund ist. Das Kreuz
darf also nicht ein Heilszeichen sein, weil die Kreuzigung ein Akt
staatlicher Schwertgewalt war und so das Kreuz auch die Staatsgewalt
und Gewalt prinzipiell legitimiere.
Auf zwei Ebenen eröffnet
nun Striet seinen Kampf wider das Kreuz als für uns
gestorben.Einerseits argumentiert er freiheitstheoretish, daß nur
der, der freiwillig schuldig wurde, auch für sein Tun nur
verantwortlich ist, und daß ihn niemand vertreten könne, indem er
die Schuld des anderen trägt. Andrerseits argumentiert er
theologisch, daß Gott als Liebe nicht kompatibel sei mit der
Vorstellung eines Opfer haben wollenden Gottes.Der Gott der Liebe
schlösse die Vorstellung von einem gottgewollten Opfer aus. Etwas
peinlich ist dabei, daß Striet dazu noch die Mär von Jesu Angriff
auf den Tempelkult bemüht6
Daß Jesu Eifer um die Reinheit des Tempels, daß er die Händler und
Sonstige durch ihr profanes Tun die Heiligkeit des Ortes Entweihende
aus dem Tempel entfernt, soll nun ein Zeichen jesuanischer
Kultfeindlichkeit sein, als hätte Jesu nicht von der Gottgewolltheit
dieser Kultordnung gewußt. Oder hatte Marcion doch ein wenig recht,
wenn so implizite der Gott des AT, der Opfer will, vom Gott Jesu, der
nur Liebe ist, unterschieden wird?
Als dritte Ebene muß
dann der moderne Mensch herhalten, der zu dem Kriterium sachgemäßer
Theologie avanciert ist. Das gesamte Archiv christlicher
Glaubenswahrheiten wird zu diesem Zwecke umgedeutet zu
menschlich-allzumenschlichen Interpretationen und Deutungen, denen
der moderne Mensch als potentieller Konsument und der Theologe bzw.
die Kirche als Verkäufer gegenüberstehen und wo es nun gilt, per
Marktnachfrageanalyse die verkaufbarsten Angebote herauszuselektieren
und unverkäufliche Ladenhüter zu entsorgen. Die Formel: „für uns
gestorben“ steht so unter dem Generalverdacht: das kommt nicht an
bei den heutigen Konsumenten.
Das Kreuz Christi als
Sühneopfer „als Befreiung des Menschen von seiner unendlichen
Schuld und als Sühneleistung für einen in der Ausgleichslogik der
Wiedergutmachung gefangenen Gott“ ist „für den modernen Menschen
inakzeptabel.“, wird euphorisch E. Schockenhoff zitiert. 7Nicht
Schrift und Tradition und Lehramt, nein die Konsumbedürfnisse des
modernen Menschen sind der erste und letzte Maßstab dieser Art von
Theologie. Wichtig ist dabei, daß auch die Verbindlichkeit der hl.
Schrift desavoiert wird: „Was im Plural der Evangelien begegnet,
sind theologische Interpretationen der berichteten Geschehnisse,
nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.“8
Theologische Interpretationen sind eben einfach rein subjektive
Deutungen von objektiven Tatsachenereignissen, die ihre Besonderheit
der Subjektivität des Interpreten verdanken und die als solche Leser
fragen, ob sie sich dieser subjektiven Deutung anschließen wollen
oder eine andere präferieren wollen.
Wahr kann nur sein, was
dem modernen Menschen akzeptabel ist. Das ist nicht gleichzusetzen
mit der katholischen Verhältnisbestimmung von Vernunft und
Offenbarung, daß keine offenbarte Wahrheit der Vernunft
widersprechen könne- der Subjektivismus des modernen Menschen und
nicht das vernünftige Denken wird hier als das Kriterium sachgemäßen
Denkens installiert.
Das Kreuz könne also
nicht gedeutet werden: um unserer Sünden willen als Sühnopfer habe
sich Jesus Christus hingegeben. Die Vorstellung der Allgemeinheit der
Erlösungsbedürftigkeit des Menschen ob ihres Bestimmtseins durch
die Ursünde oder persönlich zu verantwortender Schuld sei nicht
gegeben. Die Vorstellung eines Sühneopfers oder einer
stellvertetenden Schuldübernahme sei freiheitsheoretisch unzumutbar
und widerspräche der Vorstellung von Gott als reiner Liebe. Zudem
legitimiere diese Kreuzestheologie staatliche und sonstige Gewalt-
was nicht sein dürfe.Beachtlich ist dabei, daß Jesus ganz aus dem
Kontext des Alten Testamentes mit seiner gottgewollten Kultordnung
des Opfers wie auch des Gottes, der Sünde und Schuld straft, völlig
herausgerissen wird und zu einem sehr blutleeren Prediger der Liebe
in Wort und Tat verdünnt wird.
Jesus reduziert sich auf:
„der sich und sein Leben in seiner konkreten Menschenzuwendung ganz
von Gott her verstanden hatte“9
und daß Gott diese Lebenspraxis der Zuwendung zu den Menschen durch
dessen Auferweckung zum Leben bestätigt hat, sodaß nun in dieser
Lebenspraxis Gott für uns erkennbar wird. Das sei Gottes
Selbstoffenbarung in Jesu Leben. In diesen theozentrisch fundierten
jesuanischen Humanismus der Tat ist selbstredend ein Sühneopfertod
nicht integrierbar- was kann dann das Kreuz sein?
Wie soll es nun gedeutet
werden?
Striet schlägt eine
Alternative vor, die nicht sehr weit entfernt liegt von der
Vorstellung des Erzbischofes Zollitsch, daß Jesus mit uns
solidarisch gelitten hätte.
Versuche man, sich dies
vorzustellen: irgendwo in der Welt sitzt ein Bettler, arm, hungrig
und durstig im Staub der Straße, seine Mütze leer, aber hoffend auf
eine milde Gabe. Da kommt ein reicher Jüngling des Weges da her,
wirft Kleider und Schuh in den nächsten Mühlcontainer, dazu auch
alles Bargeld und die Kreditkarten, setzte sich zum Bettler und
sagte: Siehe, nun bin ich so arm wie du, auch ich werde bald hungern
und dürsten. Ich bin solidarisch mit dir, denn ich teile nun dein
Lebenslos der Armut und der Erniedrigung. Das tue ich aus Liebe zu
Dir. Und in dieser meiner solidarischen Liebe erfährst du Gottes
Liebe, die Ja zu dir sagt. Und was passiert dann? Nichts weiter,
außer daß der verhungerte Bettler am Ende sagt: Gott war in Jesus
bei mir, als ich verhungerte und wenn er verhungert, wird auch Gott
mit ihm sein.
Gott kann nicht helfend
korrigierend in die Menschheitsgeschichte eingreifen, weil er, indem
er den Menschen als Freiheit schuf, das Risiko einging, daß der
Mensch diese Freiheit mißbräuche. Aber um der Freiheit willen,läßt
Gott auch den Mißbrauch der Freiheit zu. Gott gerät so selbst in
die Kritik der Opfer der Freiheitsgeschichte der Menschen: Warum läßt
du den Mißbrauch der Freiheit zu? Das Kreuz Christi wäre so die
Antwort Gottes auf diese Opferkritik: er wurde Mensch, um als Opfer
des Mißbrauches der Freiheit zu sterben.Gott nimmt so im Kreuz
selbst das Leid auf sich, das die Opfer der menschlichen
Freiheitsgeschichte erleiden. Was Gott sich zumute, das könnten dann
auch die anderen Opfer erdulden- aber- die Auferstehung sage, daß
Gott die Opfer nicht Stich läßt. Indem er Jesus neues Leben gab,
gibt er allen Opfern die Hoffnung auf ein neues Leben.
Als ergänzender Gedanke
wird dann noch angedacht, ob nicht der Glaube an Jesu nachösterlichem
neuen Leben Hoffnung sei für die an ihrer Endlichkeit leidenden
Menschen und daß die Hoffnung auf Gottes Gericht für die Opfer die
Hoffnung enthält, daß auch ihnen Gerechtigkeit widerfährt- aber
diese Zusätze kaprizieren sich auf die Hoffnung auf das ewige Leben,
die genau genommen unabhängig vom Kreuz und der Auferstehung zur
Zeit Jesu existierte und von ihm nur konfirmiert worden ist und so
für die Heilsbedeutung des Kreuzes Christi nichts beitragen. Zudem
zeitigt die Ablehnung der Ursündenlehre die Folge, daß nun der Tod
des Menschen nicht mehr als naturwidrig begriffen werden kann (von
Natur aus, so wie Gott den Menschen geschaffen hatte, sollte er nicht
sterben) und muß so als naturgemäß mißverstanden werden. Warum
sollte der Mensch dann noch die Befreiung vom Tode ersehnen, wenn der
Tod zu seiner Natur wesenhaft dazugehört und warum dann noch auf ein
ewiges Leben hoffen, wenn es seine Natur gerade ist, endlich und
begrenzt zu sein.Erst die Urstandslehre kann die Hoffnung auf ein
ewiges Leben im Reich Gottes als etwas der Natur des Menschen Gemäßes
begreifen und nicht als Entfremdung vom Menschsein.
Das Kreuz Christi wäre
so ein Rechtfertigungsversuch Gottes angesichts der Klage der Opfer
der menschlichen Freiheitsgeschichte: ich litt so, wie auch ihr litt
und leidet. Und Zollitsch legte dann den Schwerpunkt noch darauf, daß
in aller scheinbaren Gottverlassenheit Gott als Mitleidender bei den
Opfern ist. Also: Gott macht sich in Jesus zum Bettler, der sich
neben einen und jeden Bettler setzt,um ihm zu sagen: ich leide so wie
du-ganz solidarisch mit dir.
Was sollen wir dazu
sagen?
Die hier skizzierte
Kritik an der katholischen Lehre vom Kreuz Christi manifestiert eines
unübersehbar: daß die zur bloßen Formel degradierte Aussage: „er
starb für unsere Sünden“ im Kontext eines auf Gott ist nichts als
die Liebe reduzierten Gottesvorstellung keinen Platz mehr hat.
Diese Gottesvorstellung
des unbedingt liebenden Gottes verunmöglicht jede Kreuzestheologie.
Zudem zeigt es Schwächen der die katholische Kreuzestheologie
fundierenden Lehre der Ursünde auf, die dazu führt, daß die
Erlösungsbedürftigkeit des Menschen nicht mehr begriffen wird .
Die hier skizzierte
Kritik zeigt aber auch, wie weitgehende die Fundamente der
Katholischen Theologie hier schon dekonstruiert worden sind10.
Als erstes wird selbstverständlich die Tradition und die
verbindliche Lehre der Kirche als eine Möglichkeit unter vielen
vorgestellt und somit entwertet.
Die hl. Schrift selbst
wird aufgelöst in zwei grundsätzlich verschiedene Satzypen: in
Aussagesätzen, die sagen, was der Fall war, was geschah und Sätzen,
die das als geschehen Ausgesagte deuten. Diese Deutungssätze der hl.
Schrift sollen nun nur noch den Status menschlich-allzumenschlicher
Interpretationsversuche haben, die zudem noch zeitbedingt sind. Diese
Deutungdssätze sind nun nicht mehr- wie furchtbar: geoffenbarte
Satzwahrheiten- sondern jederzeit kritisierbare Vorstellungen.
Was bleibt dann als
Kriterium übrig, um wahre von unwahren Deutungen zu unterscheiden,
wenn die gesamte Tradition und die Lehre der Kirche nur ein Meer von
subjektiven Deutungen sind? Wie ein roter Faden durchzieht hier die
Vorstellung vom modernen Menschen Striets Theologie. Er ist das
Kriterium von wahr und falsch, wie überall der Kunde oder der
Konsument der König ist: sein Geschmack bestimmt das Angebot auch
der Kirche und der Theologie. Das ist eine tiefsinnige Einsicht über
die Produktionsbedingungen moderner Theologie, wie sie P. Sloterdijk
kurz fast in einem Nebensatz formulierte: „daß Religionen wie
Theorien und Kunstwerke im Lauf des 20.Jahrhunderts Handelsgüter und
Dienstleistungen geworden sind und sich als solche auf allgemeine
Marktbedingungen einlassen müssen. Man muß Theologien mit
Verlagsprogrammen vergleichen11.“
Die Auflösung aller
Verbindlichkeiten zu einer Pluralität beliebiger Meinungen, diesem
Relsativismus entspricht so auf der anderen Seite der autonome
Konsument, der frei auswählt, wie es ihm gefällt und auf den hin
alle Tradionsbestände synchron gelesen werden: was könnte ihm
gefallen? Das spezifisch Moderne dieses Ansatzes ist dabei, daß der
Konsument identifiziert mit den Idealen bürgerlichen
Aufklärungsdenkens- erstaunlicherweise ist der moderne Mensch dann
doch nur ein wiederbelebte antipaulinischer und antiaugustinischer
Pelagianer. Übersehen wird dabei aber , daß Konsumenten der
Postmoderne demgegenüber unbestimmter und individueller konsumieren,
nicht festgelegt sind auf das aufklärerische Denken.
Ein Supplement:
Hiermit könnte diese
Erörterung beendet werden, entstünde nicht der fatale Eindruck, daß
hier besserwisserisch kritisiert wird, aber von einem Bessermachen
nichts zu bemerken ist. Die Zentralkritik der katholischen Lehre vom
Kreuz Christi kann in einem Argument zusammemgefaßt werden: die
Lehre widerspricht jedem vernünftigem Denken oder zumindest dem
modern-vernünftigen mit ihrem Freiheitsbewußtsein und müsse
deshalb aufgegeben werden. Da die Aufgabe der Fundamentaltheologie
der Erweis der Vernünftigkeit des Glaubens der Kirche ist, bzw. daß
das Übervernünftige kompatibel mit der Vernunft ist, darf dieser
Vorwurf der Irrationalität der Lehre der Kirche vom Kreuzestod
Christi nicht unkritisiert stehen bleiben.
Daß der paradiesische
Urzustand nicht ein Element der uns Menschen erkennbaren und
erkannten Wirklichkeit ist, gehört zu den Standartargumenten wider
die Lehre vom Urfall des ersten Menschen. So legt dies der
Fundamentaltheologe Kreiner ausführlich und gut begründet dar.
Menschlicher Vernunft ist selbstredend nur die postlapsarische
Menscheitsgeschichte eingeschrieben in die Naturentwicklung
erkennbar, aber sie geschichtsphilosophisch fragen: was sind die
Ermöglichungsbedingungen dafür, daß überhaupt Geschichte ist. Der
Mythos von der Ursünde Adams ist so gerade keine Erzählung von
etwas, was sich in der Geschichte ereignet hat, sondern ein
prähistorisches Ereignis, durch das erst die Menschheitsgeschichte
sich konstituierte und die adäquate Darstellungsform dessen ist der
Mythos.
Angeregt von G.Lukacs
These, daß gerade der Arbeitsprozeß die unversiegbare Quelle
idealistischer und damit auch religiöser Vorstellungen sind und
nicht etwa ein kontemplatives Schauen dessen, was ist, kann gesagt
werden: so wie in jedem Prozeß des Herstellens von etwas zuerst die
Idee der Zuerarbeitenden ist und danach die Ausführung mit dem
Produktergebnis, das dann an der Ursprungsidee gemessen als gelungen
oder mißlungen beurteilt wird, wird der Mensch spontan in Analogie
zu dieser Alltagserfahrung dazu tendieren, die Welt als Ganzes als
ein Produkt eines Schöpfers zu denken, der alles nach seinen Ideen
geschaffen hat.12
Der Schöpfungsbericht der Bibel stellt so die ideele Schöpfung dar
als Einheit aller Urbilder, nach denen dann die reale Welt geschaffen
wird. Der Mensch (wie auch die Engel) zeichnet sich in einem aus: er
ist von Gott dazu bestimmt, sich selbst zu bestimmen, während alles
andere durch Gott determiniert ist. Adam ist so das Urbild des
Menschseins, das sich in seiner geschlechtsspezifischen
Ausdifferenzierung in Mann und Frau vor der Aufgabe der
Selbstbestimung gestellt sieht. Der Fall Adams konstituiert nun das
Menschsein des Menschen als das einer durch den Akt einer verfehlten
Selbstbestimmung gefallenen Natur. Dieser Fall ist als eine Urtat
eine vorgeschichtliche, mythologische, denn durch sie bringt der
Mensch erst sein Menschsein in der Geschichte als das einer
gefallenen Natur hervor. Freiheitstheoretisch gesprochen: der Mensch
muß so sehr als zur Freiheit bestimmt gedacht werden, daß er sich
zu seiner göttlichen Bestimmung selbst noch kontingent verhalten
kann und somit auch sich verfehlen kann durch eine Urwahl. Wenn die
paulinisch-augustinische Deutung dieses Falles sagt: in Adam haben
alle Menschen gesündigt, so meint das, daß das Urbild aller
Menschen , das gesündigt hat, so die Substanz jedes Menschen ist,
daß diese Urtat auch die jedes Menschen ist. Das Einzelindividuum
als indviduiertes Menschsein kann sich von seinem Wesen, seiner
Partizipation am Urbild nicht so emanzipieren, daß die Tat des
Urbildes nicht auch die seine wäre.
Die so gefallene Natur
des Menschen ist die der Begierde: der freie Wille des Menschen
bleibt ihm,zu wollen, was er will, aber er will alles, was er will,
im Sinne der Begierde.Daraus kann ihn nur Gottes Gnade befreien. Die
Kritiker der Urstandslehre und der Lehre vom Urfall mißverstehen das
Wesen dieser mythologischen Erzählung, weil sie sie für ein
innergeschichtliches Ereignis halten, was sie nicht sein kann und
will, weil im Mythos die Konstitution der Welt und des Menschen als
Voraussetzung der Geschichte expliziert wird. Und aus
freiheitstheoretischer Sicht wird dem Menschen nicht einfach ein
Wesen und eine Rolle zugeschrieben, sondern der Mensch mit der
Freiheit ausgestattet, sich selbst zu bestimmen, um dann gemäß
dieser Bestimmung in die Geschichte einzutreten. Der Fall Adams
zeigt nun, wie die ideele Welt sich materialisierte gemäß der
Selbstbestimmung des Menschen als gefallene.
Das zweite Argument wider
die Lehre vom Kreuzaltaropfer Christi ist genau genommen eine
vulgärisierte Kritik des religiösen Opferkultes, daß es weder Gott
noch der Sünde entspräche, daß Sühnopfer dargebracht werden. Dies
Argument ist nun leicht widerlegbar: Unbestreitbar hat Gott selbst
die Ordnung des Opferkultes und des Sühnopfers eingesetzt. So das
Alte Testament, ja man könnte sogar von einem Konsensus in allen
Religionen sprechen, daß überall der Opferkult als von Gott selbst
gewollt, begriffen wird. Gott hätte sicher als potentia absoluta
eine Weltordnung schaffen können, in der es keinen Sühnopferkult
gibt, aber diese mögliche Welt hat Gott nicht geschaffen. Ob diese
Ordnung für uns Menschen vernünftig einsehbar ist, ist eine
sekundäre Frage gegenüber dem Faktischen Daß dieser Ordnung. Erst
wenn die historische Kritik ein Jesusbild hervorbringt von einem
Juden, der aber so dachte und lebte wie ein Adept der bürgerlichen
Aufklärung, kann die Vorstellung eines kult-und opferfreien von
Jesus erstrebten Reform des Judentumes entstehen. Es gibt keinen
Vernunftgrund, angesichts der Kulttradition des Alten Bundes mit
seinem Hohenpriestern und Priestern daran zu zweifeln, daß Jesu
Kreuzestod in diesem Licht als Sühnopofer gedeutet wurde und zu
deuten ist.
Die theologische
Ausdeutung des Sühnopfers ist sicher einer der schwierigsten aber
auch anregendsten Aufgaben für die christliche Theologie- aber es
muß gesagt werden, daß hier immer die Gefahr eines
kryptomarcionitischen Denkens sich einschleicht, wenn man nicht mehr
das besondere Kultopofer Jesu, am Kreuze für uns dargebracht, vom
allgemeinen Opfer des Alten Bundes her begreift. Jedes Einzelne kann
ja nur begriffen werden als individuiertes Allgemeines.
Signifikant für solchen immer wieder sich neu revitalisierenden
Antijudaismus ist die beliebte Antithese vom Gott der Opfer, der
Sühne will, und dem Gott Jesu, der nur unbedingte Liebe wäre, als
wäre der Gott, der im Alten Bund die Ordnung des Sühnopofers
wollte, nicht der Gott Jesu!
Uwe Christian Lay
1Vgl:
P. Deneke, B.FSSP, Kath-Info, Solidarität und Sühnopfer
2Striet,
M., Erlösung durch den Opfertod Jesu?, in: Striet, M., Tück,
J.-H., (Hg). Erlösung auf Golgota S. 25
3Striet,
S.27
4Striet
S.26.
5Striet
S.12.
6Vgl
Striet S.22.
7Striet
S.21
8Striet
S. 20.
9Striet
S.20.
10Vgl:Striet
S. 12.
11Sloterdijk;
P.Für eine Philosophie der Überreaktion, in: Sloterdijk,P,
Heinrichs, H.H., Die Sonne und der Tod, 2001
S.33.
12Lukacs,
G. Die Eigenart des Ästhetischen, Band 1, 1. Kapitel, Probleme der
Widerspiegelung im Alltagsleben ,1987
S. 27-127..
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