Luther- oder der Tod der
Religion?
- Das Herzstück lutherischer Theologie
Luther
selbst sah in seiner Rechtfertigungslehre nicht nur das Herzzentrum
seiner Theologie, sondern auch den Artikel, mit dem die Kirche steht
und fällt. So war ihm neben seinem Katechismus seine Schrift: „ De
servo arbitrio“ die wichtigste, denn in ihr fundierte er seine
Rechtfertigungslehre ab ovo. Ja, diese beiden Schriften sollten der
Nachwelt überliefert werden. Ob Luther wirklich Freude daran
gefunden hätte, daß statt dieser beiden Werke nun faktisch fast
alles, was er je geschrieben hat, in Luther Gesamtausgaben verewigt
worden ist, darf bezweifelt werden, weil so in den Massen des
Publizierten das Herzstück seines theologischen Lebens unterzugehen
droht.
Bezeichnend
ist nun, daß in aktuellen Debatten um und über Luther dies Zentrum
kaum noch expliziert wird und daß die dafür wichtigste Schrift, die
wider den freien Willen, in der Luther seinen humanistischen Kritiker
Erasmus von Rotterdam lobte, daß er in seinem Ja zum freien Willen
wirklich das Zentrum der lutherischen Rechtfertigungslehre erfaßt
und kritisiert habe, überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen
wird.
Aber wie
steht es nun um dies Zentrum, Luthers Herzensanliegen? Man kann
H.Hecker nicht widersprechen, wenn er lapidar aber treffend
formuliert:"Zum andern erscheint den heutigen Christen Luthers
existentielle Frage, die zu seiner Rechtfertigungslehre führte,
bedeutungslos: Wie kriege ich einen gnädigen
Gott? Bei der verbreiteten Auffassung im
zeitgeistigen Christentum, nach der man allein schon wegen der
Barmherzigkeit Gottes (theologisch als umfassender Heilwille Gottes
für alle formuliert)
in den Himmel komme, ist Luthers Lebensfrage irrelevant (und damit
auch seine Antworten in der Rechtfertigungslehre)." H. Hecker,
Kardinal Kaspers ökumenische Allgemeinplätze, Kath info vom
15.10.2016. Was bleibt von Luther, wenn das Herzstück seiner
Theologie selbst für die heutigen Lutheraner völlig irrelevant
geworden ist?
- Luthertum heute
Zur
Veranschaulichung:
Die 10
Leitsätze
Die
„Evangelische Kirche“ in Berlin Brandenburg stellt uns nun
mustergültig ein Dokument vor Augen, wie der christliche Glaube
reformatorischer Tradition heute zeitgemäß umgeformt sich selbst
bestimmt. Wohl in Anlehnung an die 10 Gebote wird hier die Essenz
eines auf der Höhe der Zeit sich gestaltenden
Christentumsverständnisses dargelegt. Lesen wir den Text unter der
Fragestellung, inwieweit hier Luthers Zentralanliegen, das Herzstück
seiner Theologie noch präsent ist. Zitiert
nach:https://www.ekbo.de/glauben/unsere-grundlagen-bibel-und.../10-leitsaetze.html
„Anlässlich der Jahrtausendwende hat
die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
gefragt, worin die Evangelischen Christinnen und Christen den Inhalt
des Evangeliums sehen, das sie unseren Mitmenschen weitersagen
wollen. Das Ergebnis sind zehn Sätze, in denen so knapp wie möglich
formuliert wird, was uns an unserer Existenz als Christen und an der
Gemeinschaft in unserer Kirche heute und morgen wichtig und kostbar
ist.
1. Christen vertrauen auf Gott, den Schöpfer allen Lebens.Bei ihm suchen sie Wahrheit und erfülltes Leben. Ihr Glaube befähigt zu einem Leben, in dem die Hoffnung größer ist als die Angst.
2. Christen halten sich zu Jesus Christus.
Sein Leben ist Gottes Liebeserklärung an die Welt. Auch angesichts von Bedrohungen vielfältiger Art ist der christliche Glaube lebensbejahend und menschenfreundlich.
3. Christen hoffen auf Gottes lebendigen Geist.
Er bewegt und erneuert. Er macht frei. Darum treten Christen dafür ein, dass nichts Menschliches vergöttert wird - weder Rasse noch Nation, weder Fortschritt noch Erfolg, weder Leistung noch Macht noch Gewinn.
4. Christen halten daran fest, dass alle Menschen als unverwechselbare Geschöpfe Gottes geachtet werden.
Kein Mensch ist mit seinen Taten oder Untaten, mit seiner Leistung oder seinen Fehlleistungen gleichzusetzen. Das ist der Kern aller Menschlichkeit in der Gesellschaft.
5. Christen können Schuld bekennen und um Vergebung bitten. Darin gründet ihre Freiheit.
Aus dieser Freiheit fließt die Bereitschaft, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
6. Christen vertrauen darauf, dass Gottes Liebe sie über den Tod hinaus trägt und ihrem Leben Sinn gibt, auch wenn ihr Weg durch Krisen und Leiden führt.
Sie erwarten die neue Welt Gottes und mit ihr die Antwort auf ungelöste Fragen.
7. Christen wollen zur Achtung unter den Menschen, zur Gerechtigkeit und zum Frieden beitragen.
Sie setzen sich für ein gerechtes Miteinander von Frauen und Männern, von Jungen und Alten ein. Sie widersetzen sich der wachsenden Ungleichheit in der einen Welt.
8. Christen leben vom Erbarmen Gottes.
Darum treten sie für Rücksicht gegenüber Schwächeren und Recht von Fremden ein. Sie unterstützen Chancen eines Neuanfangs für die, die schuldig geworden sind oder sich verrannt haben.
9. Christen wissen sich als Teil von Gottes Schöpfung.Sie bemühen sich, pfleglich mit ihrer natürlichen Umwelt umzugehen. Sie tragen Sorge für die Umwelt der nachfolgenden Generationen.
10. Christen sind angewiesen auf die Gemeinschaft in der Kirche.
In der Begegnung mit der christlichen Botschaft finden sie Rückhalt und Orientierung im Leben und im Sterben. Diese Botschaft weiterzusagen, sind sie beauftragt. Die Kirche bietet allen Menschen Raum für Stille und Besinnung, für Feier und Aktion, Begegnung und Dialog.“
Die zehn Punkte wurden hier extra vollständig
zitiert, um zu zeigen, daß hier auch nicht die kleinste Spur
lutherischer Theologie noch gegenwärtig ist. Und die Christologie
ist so verdünnt, daß man das kaum noch als Christologie zu
bezeichnen wagt. Jesu Leben sei Gottes Liebeserklärung an die Welt;
mehr weiß man hier über Jesus Christus nicht zu sagen!
Genaugenommen wird die traditionell lutherische Rechtfertigungslehre
ganz in die Lehre von Gott, dem Schöpfer verlegt im Sinne von, daß
Gott als Schöpfer seine Schöpfung und den Menschen als Teil der
Schöpfung liebe. Das habe eben Jesus in seinem Leben zum Ausdruck
gebracht. Und der christliche Glaube vertraut nicht mehr darauf, daß
der Heiland für meine Sünden gestorben ist, sodaß ich wirklich
gerechtfertigt bin. Der Glaube ergreift nach Luther das am Kreuze
objektiv gewirkte Heil, jetzt ist er nur noch die Anerkennung, daß
Gott als Schöpfer die Menschen als seine Geschöpfe liebt und daß
so der Glaube lebensbejahend ist. Jesus Christus ist in diesem
Christentumsverständnis genau genommen überflüssig, denn er lebt
nur das, worauf wir schon vertrauen könnten, glaubten wir allein an
Gott, der als Schöpfer seine Schöpfung liebt.
Auffallend ist, daß Luthers: „Allein der Glaube,
allein Jesus Christus“ überhaupt keine Rolle mehr spielt, ja Jesus
Christus für das Heil irrelevant ist, denn er verkündet in seinem
Leben nur, was unabhängig von ihm wahr ist. Der Glaube dagegen wird
rein monotheistisch aufgefaßt als das Vertrauen auf den
Schöpfergott, der seine Schöpfung liebt. Diese Verschiebung weg
von Luthers Christozentrismus zu einer Zentrierung auf den Glauben
als Gott als dem Schöpfer ist signifikant. Diese Verschiebung
verändert nun auch völlig das Verständnis des Glaubens: Er ist
nicht mehr das am Kreuze erwirkte Heil ergreifender Glaube sondern
das Vertrauen auf den Schöpfergott- ein rein monotheistischer
Glaube. Daraus erklärt sich dann auch die lutherische Ablehnung
der Mission unter Juden und Mohammedanern, weil ja auch die
monotheistisch an den Schöpfergott glauben. Der Glaube an Jesus
Christus wird ja in diesen 10 Punkten nicht als zentral angesehen,
sondern nur die Ausrichtung an seiner gelebten Nächstenliebe als
Liebe zur Welt.
3. Die Selbstzerstörung der
lutherischen Rechtfertigungslehre
In Hinsicht
auf den ökumenischen Diskurs stehen wir so vor einem eigentümlichen
Problem, daß diskutiert wird, ob die evangelische
Rechtfertigungslehre mit der katholischen kompatibel sei, ob Luthers
theologisches Anliegen ein Heimrecht in der Katholischen Kirche habe
könnten, während die lutherische Kirche selbst mit dem Herzstück
lutherischer Theologie nichts mehr anzufangen weiß. Zu fragen ist
nun, ob dies einfach ein Abfall von der Lehre Luthers ist, oder ob
dieser Ausgang sozusagen das konsequente Ende einer Fehlentwicklung
von Anfang an bildet, so wie ein Ball, auf einer schiefen Ebene
gelegt, erst aufhört zu rollen, wenn er das Ende der schiefen Ebene
erreicht hat. Die wissenschaftliche Theologie neigt dazu,
Veränderungen in der Theologie als verursacht durch externe Faktoren
zu denken: Weil sich die Umwelt der Theologie geändert habe,mußte
sie auch sich ändern als Einpassung an den veränderten Kontext. Daß
aber ein Denken aus sich heraus weiterentwickelt und sich verändert
als Eigenbewegung wird dabei vernachlässigt.
Abbreviaturhaft
ist zu sagen, daß Luther selbst seine eigene Rechtfertigungslehre in
dem Versuch, sie konsequent auszuformulieren, nichtete. Das
ereignete sich in seiner Schrift: „De servo arbitrio“. Luthers
Rechtfertigungslehre lebte bis dahin, von Paulus ausgehend aus der
Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Das Gesetz Gottes sagt dem
Menschen, was er zu tun hat, um vor Gott gerecht zu werden und das
Evangelium verheißt ihm: Glaube und du bist gerecht. Das Wort Gottes
war Luther so immer nur als zweifaches, entweder als Gesetz oder als
Evangelium. Nur als Evangelium bringt es dem Menschen das Leben, als
Gesetz tötet es ihn, weil der Mensch notwendig an ihm scheitern muß,
weil er das, was er soll,nicht kann. Das besondere war Luthers
spezifische Kritik des Gesetzes, daß nicht aus dem: Du sollst! ein,
also kann ich, geschlossen werden darf. Das Gesetz Gottes habe
nämlich in seiner Primärfunktion im theologischen Gebrauch die
Aufgabe, den Menschen als Sünder zu konstituieren, der so erkennt,
daß nur das Evangelium ihn erlösen kann.Warum kann der Mensch kraft
seines freien Willens nicht das, was das göttliche Gesetz von ihm um
der Gerechtigkeit vor Gott willen fordert? Das war die Frage, die
Luther dazu veranlaßte, die Kritik des freien Willens zum Zentrum
seiner Theologie zu erheben.
„De servo
arbitrio“ gibt nun die theologische Antwort, daß der Mensch keinen
freien Willen haben könne, weil Gott als Allwirksamer alles
determiniere, sodaß der Mensch immer nur wirke, was Gott durch ihn
wirkt. Damit kommt Luther der Mensch als Subjekt, der für sein Tun
und Unterlassen eigenverantwortlich ist, abhanden, denn er ist nun
weder noch der Täter seiner bösen wie seiner guten Werke. Auch
glaubt er nicht mehr, sondern Gott durch ihn. Die Pointe dabei ist,
daß Luther die paulinische Aussage 1. Korinther 15, 10: „doch
nicht ich, ondern die Gnade mit mir“ (mecum) interpretiert als die
Gnade durch mich ohne mein Mitwirken. Zu diesem deterministischen
Theozentrismus trieb ihn der Versuch, seine Rechtfertigungslehre auf
dem Gebiet des freien Willens gegen Erasmus von Rotterdamm zu
verteidigen und letztzubegründen.
Was bleibt
aber übrig von der Rechtfertigung des Menschen, wenn der Mensch in
dieser Lehre selbst zum Verschwinden gebracht wird als ein für sein
Leben verantwortliches Subjekt. Wenn aber der Mensch nun doch wieder
Subjekt werden soll und nicht nur ein Instrument oder Werkzeug, durch
das Gott handelt, dann muß ihm ein freier Wille wieder zugeschrieben
werden, sodaß statt de“Sola Gratia“ ein Geschehen tritt, in dem
die göttliche Gnade mit der menschlichen Natur zusammen das Heil des
Menschen wirkt. Diese Kooperation will Luther aber um des Allein aus
Gnaden willen ausschließen. Es darf eben auch nicht heißen, daß,
weil der Mensch an das Evangelium glaubt, er vor Gott gerechtfertigt
sei, wenn der Glaube dann auch ein Entscheiden und
eigenverantwortliches Wirken des Menschen ist. Aus dem: Nicht aus
Werken sondern allein aus Glauben wird der Mensch vor Gott gerecht,
wird so,daß der Mensch allein durch Gott gerechtfertigt wird. Aus
dem Christozentrismus wird so schon bei Luther ein theozentrischer
Determinismus.
Dieser
theozentrischer Determinismus setzt sich dann in der protestantischen
Theologie durch, zuerst in der calvinistischen Erwählungslehre,
Luther konsequent zu Ende denkend, daß Gott von Ewigkeit an die
einen Menschen zum Heil und die anderen zum Unheil erwählt hat und
wird dann über die Karl Barth- Rezeption bei den Lutheranern nach
1945 zum Allgemeingut des Luthertums. Jetzt galt, daß Gott von
Ewigkeit her sich dazu bestimmte, als Liebe alle Menschen zu lieben
und sein Wirken in der Welt will nur noch diese Allliebe bezeugen.
Aus der lutherischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, die
die ersten Lutheraner mit ihrer Unterschrift unter das Barmer
Bekenntnis 1934 aufgaben zugunsten des Glaubens an das eine Wort
Gottes wurde das Indikativ-Imperativ-Schema: Gott liebt Dich und nun
liebe Du auch Gott, Dich, die Mitmenschen und die Schöpfung. Jetzt
konnte der Mensch wieder Subjekt sein, eigenverantwortlich für sein
Leben, weil der Determinismus, der den Menschen nicht mehr Subjekt
sein lassen konnte, jetzt in der Vorstellung, daß Gott zu jedem
Menschen sein Ja sagt , aufgehoben ist. Der Mensch ist sozusagen
durch Gott selbst zum Geliebtwerden durch Gott determiniert. Weil er
sich so bedingungslos bejaht weiß, kann er sich nun ganz darauf
kaprizieren, als Geliebter von Gott zu leben. Die Frage: Wie bekomme
ich einen gnädigen Gott?, hat dieser theozentrischer Determinismus
immer schon respondiert, bevor diese Frage sich erhebt: Daß Gott
ist, inkludiert jetzt notwendig, daß er als alle Menschen Liebender
zu denken ist. Fällt so der Mensch als religiöses Subjekt aus, denn
er ist unabhängig und vor all seinen religiösen Praxen immer schon
der von Gott Bejahte, so kann er nun ganz Weltmensch sein, der, der
sich die Humanisierung der Welt zu seiner Aufgabe gemacht hat.
Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, das sind nun die
Aufgaben des religionslos gewordenen Christen. Denn nur solange er
frägt: Was habe ich zu tun, damit mir Gott gnädig ist?, lebt er
religiös. Wenn aber die Theologie ihm darauf antwortet: Nichts, weil
Du immer schon ein von Gott Bejahter bist, dann bleibt für ein
gelebte Religion kein Platz mehr- seine Lebenspraxis hört auf,
religiös zu sein, sie wandelt sich in einen theozentrischen
Humanismus. Und genau in diesem Humanismus steht das von Luther
negierte Subjekt wieder auf, das er im religiösen Bereich nicht sein
durfte und auch jetzt nicht ist.
Luthers
Eskamotierung des Menschen als Subjekt drängte so zu einer
Wiederauferstehung des Verdrängten und zwar so, daß daran
festgehalten wird, daß der Mensch allein durch Gott gerechtfertigt
wird, jetzt in der Vorstellung, daß Gott von Natur aus alle Menschen
liebe, sodaß nun der Mensch im Weltlichen Subjekt wieder sein kann,
weil hier sein Subjektsein gleichgültig ist für sein Geliebtwerden
durch Gott.
Das „Allein
aus Gnade“ schlägt so um in ein rein naturalistisch vorgestelltes
Gottesverhältnis des Menschen: Es ist die Natur Gottes als reine
Liebe, den Menschen zu lieben und der Mensch wird von Gott geliebt,
weil es seine Natur, sein Wesen ist, Gottes Geschöpf zu sein. Dieser
Naturalismus determiniert genaugenommen Gott. Er kann gar nicht
anders als denn lieben. Damit wird die Frage nach einem gnädigen
Gott nicht nur überflüssig, sondern sinnwidrig.Denn wenn Gott ob
seiner Natur natürlich liebt, kann diese Liebe nicht mehr als ein
Akt göttlicher Gnade verstanden werden.Die in „De servo arbitrio“
negierte Natur avanciert so zu der Bestimmung des Verhältnisses
Gottes zum Menschen als ein rein natürliches ohne die Vorstellung
der Gnade. Der Taumel von einem Extrem in das Andere ist dabei die
Folge dieses lutherischen Extremismus.
- Was bleibt? Ein religionsloses Christentum
Was bleibt
von der lutherischen Theologie? Von seinem Herzstück nichts außer
diesem theozentrischen Determinismus der Allliebe Gottes und die
Ethisierung der christlichen Existenz, die nicht mehr eine religiöse
sein kann. Es ist kein Zufall, daß, so sehr heutige Lutheraner mit
dem Herzstück Luthers nichts mehr anzufangen wissen, sein Angriff
auf das Zentrum der Religion, sein Nein zum Meßopfer als dem
Herzstück der christlichen Religion lebendig geblieben ist. Die
eminente Bedeutung der Abschaffung des Meßopfers durch Luthers
revolutionäre Abendmahlstheologie wird erst angemessen erfaßt, wenn
man sich Papst Leo XIII. Diktum vor Augen hält: „Das
Wesen und die Natur der Religion selbst enthüllt die Notwendigkeit
des Opfers...Und wenn man die Opfer entfernt, kann eine Religion
weder sein noch gedacht werden. Das Gesetz des Evangeliums ist nicht
geringer als das alte Gesetz; im Gegenteil, sogar noch viel
hervorragender, weil es das überreich vollendete, was jenes begonnen
hatte. Die im Alten Testament gebräuchlichen Opfer wiesen aber schon
auf das am Kreuze vollzogene Opfer voraus, lange bevor Christus
geboren wurde: Nach seinem Aufstieg in den Himmel wird eben dieses
Opfer im eucharistischen Opfer fortgesetzt.“ Enzyklika:
Caritatis studium ,
Denzinger-Hünermann,
3339.
Luther
befreite sozusagen das Christentum davon, Religion zu sein, indem er
anfing, sie zu ethisieren. Das ist die positive Seite der negativen,
daß das Christentum entreligiösiert wurde durch Luthers Nein zu
dem religiösen Werk schlechthin, dem Opfer. Aus Luthers
Rechtfertigungslehre „Allein aus Glauben“ ergibt sich für ihren
Reformer die Notwendigkeit des Neins zum Meßopfer der Kirche.
Stattdessen darf der Christ nur noch ein sakramentales Abendmahl
feiern! In diesem Sinne ist nun wirklich Kant der Philosoph im
lutherischen Geiste, als er die christliche Religion völlig in Ethik
auflösen wollte. (Kant: Die Religion in den Grenzen der bloßen
Vernunft)D. Bonhoeffer popularisierte diese Vorstellung dann in
seiner Spättheologie unter der Vorstellung eines religionslosen
Christentums. Die anfänglich zitierten 10 Punkte als Kompendium
heutigen Christentumsverständnisses können so auch als Muster für
so ein religionsloses Christentum gelesen werden.
Luthers
Kritik der guten Werke ist ja nicht als Absage an ein moralisches
Verhalten gedacht, sondern faktisch primär als Kritik der religiösen
Praxis des Opferns, des Fastens , des Betens als verdienstliches Tun.
Wenn jede religiöse Praxis Antwort ist auf die lutherisch gestellte
Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“, so soll jetzt der
Glaube allein die Antwort sein ohne eine religiöse Praxis. Die
religiöse Praxis wird dann ersetzt durch eine Praxis der
Nächstenliebe, die nicht mehr religiös ist, weil sie nicht mehr
die Antwort ist auf die lutherische Frage, sondern die Antwort sein
soll auf Gottes Zusage, daß der Mensch ein von Gott Bejahter ist.
Weil der Mensch sich nicht mehr um sein Angsehensein vor Gott zu
sorgen braucht, kann er jetzt ganz weltmännisch sich nur noch sorgen
um die Frage: Wie schaffe ich mir wohlwollende Mitmenschen? Und so
ersetzt die Menschenfurcht als Sorge um, was der Nächste über mich
wohl denken mag, die Sorge um Gottes Urteil über mich. Sagte einst
Bismarck, daß wir Deutschen nichts fürchten als Gott allein, so
fürchtet der in Gottes Liebe Bejahte nur noch seine Mitmenschen,
denn von der Gottesfurcht emanzipierte ihn erfolgreich die
Vorstellung von Gott als Allliebender!
Das genuin
lutherische Konzept der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, als
dem tötenden Gesetz und dem erlösenden Evangelium ist so umgeformt
worden zu dem Indikativ-Imperativ-Schema. Dort, wo die religiöse
Praxis ihren Ort hatte, setzt dies Schema einfach: Gott sagt ja zum
Menschen, den Indikativ, um dann den Imperativ folgen zu lassen als
Hauptaussage: Weil der Mensch ein von Gott Bejahter ist, soll und hat
er....! Diese so konzipierte Praxis ist jetzt selbst keine genuin
religiöse mehr, sondern eine humanistische, letztbegründet in dem
Glauben, daß jeder Mensch ein von Gott Bejahter ist. Denn diese
Praxis ist ja nicht mehr die Antwort auf die Frage: Wie bekomme ich
einen gnädigen Gott?, sondern setzt das Geliebtwerden durch Gott
voraus und zwar so, daß Gottes Liebe dem Menschen unabhängig von
seiner Praxis der Nächstenliebe gilt.
Eigentlich
geht man immer davon aus, daß die Säkularisierung in Europa nach
dem innerchristlichen Religionskrieg des 17.Jahrhundertes begann als
Versuch der Zurückdrängung der christlichen Religion aus dem
öffentlichen Leben ob seines Konfliktpotentiales in Folge der
konfessionellen Zerspaltung. Das ist sicher richtig, aber es sollte
nicht übersehen werden, daß die lutherische Rechtfertigungslehre
mit ihrer Kritik der religiösen Werke und mit der Lehre, daß es
allein auf den Glauben ankäme und der Verneinung des Meßopfers der
Säkularisierung Vorschub geleistet hat. Am Ende steht dann ein
religionsloses Christentum, das faktisch nur noch ein mit einem
Gottesglauben fundierter Humanismus ist. Und genau so präsentiert
sich ja heute auch das moderne Luthertum. Das Bedrückende ist nur,
daß im Geiste der Ökumene nun auch diese Entwicklung der
Katholizismus nachahmen möchte. Die sinkenden
Gottesdienstbesucherzahlen sind dafür ein Indiz: Nicht auf die
religiöse Praxis kommt es beim Christsein an, sondern allein darauf,
moralisch anständig zu leben.
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