Wie viel Staat wollen wir? Grenzen und Probleme einer christlichen Politik in einer postchristlichen Gesellschaft
Das Ideal des guten
Königs, alttestamentlich ausgedrückt im Bild des Hirten hat
sozialgeschichtlich gesprochen zwei grundverschiedene Sitze im Leben:
als Herrschaftsideologie, ich euer König bin euer guter Hirte, hört
und gehorcht mir, und als Anspruchsideologie des Volkes: König,
regiere uns wie ein guter Hirte. Theologisch meldet sich hierbei der
Gedanke an, daß Gott allein der wahre gute König ist und damit
verbindbar: nur der wahrhaft gottgläubige König kann ein guter
Hirte sein. Negativerfahrungen ließen dann aber auch den Gedanken
aufkommen, daß nur Gott der wahre Hirte sein kann, sodaß das Volk
erst im Reiche Gottes wahrhaft gut regiert wird. Dem steht aber in
die theokratische Versuchung gegenüber, in einer Priesterherrschaft
schon die Gotterherrschaft realisiert zu sehen.
Jetzt könnten wir
meinen, daß das alles Ideen und Vorstellungen vergangener Zeiten
wären, die in unserem demokratisch gesonnenen Zeitalter nur noch
nostalgischen Wert hätten. Wir sind keine Monarchisten mehr und
selbst die theologische Vorstellung von der Königsherrschaft Christi
oder die mariologische der Himmelskönigin fristet nur noch ein
Schattendasein in der kirchlichen Verkündigung und ist ersetzt durch
die Vorstellung des alle Menschen gleichsam liebenden Gottes, der
nichts mehr tut, als alle zu lieben wie die Sonne alle, die Guten und
die Bösen gleichermaßen bescheint.
Aber doch finden wir
subkutan gerade in den aktuellen politischen und moralischen
Diskursen das Ideal des guten Königs wieder, aber morphologisch
gewandelt als Appell an den Staat, daß er das und dies regulieren
solle. Ja, der politische Diskurs hat sich nach der sogenannten
Finanzkrise merklich gewandelt. Hieß einst die Parole des
Zeitgeistes: Deregulieren, entstaatlichen, entbureaukratisieren und
flexibilisieren, so heißt jetzt die Zeitgeistparole: wir wollen mehr
Staat. Wofür und wozu der Staat mehr tun soll, darüber sind sich
die Zeitgeister uneins, nur das eint sie: der Wille zu einem: Mehr an
Staat. Biblisch ausgedrückt: das Bild des Hirten und seiner Herde
impliziert immer, daß die Herde sich nicht selbst regieren kann und
darum auf einen guten Hirten angewiesen ist. Das ist eigentlich ein
mit demokratischen Vorstellungen inkompatibler Gedanke. Er kann sich
damit aber verbinden, reduziert sich die Idee der Volksherrschaft,
daß das Volk sich selbst regieren kann darauf, daß das Volk den
wählt, der es regieren soll. Und er soll es dann gemäß dem Ideal
des guten Hirten regieren, so das Anspruchsniveau des Wahlvolkes, das
sich so bereit erklärt, sich regieren zu lassen.
Mehr Staat, diese Parole
findet ihre lautesten Befürworter in der aktuellen
„Bildungsdebatte“. Galt einst die Familie als der Ort der
Erziehung und Bildung, ja stellten Gutsituierte gar Hauslehrer ein,
um ihre Kinder Daheim zu unterrichten, so gelten nun Frauen, die ihre
Kinder selbst erziehen wollen als Rabenmütter! Nur in der
Kindertagesstätte und im Kindergarten würden Kinder adäquat
erzogen! Und die Ganztagsschule sei überhaupt das beste für
Schüler. Und selbstverständlich können Mütter und Väter ihre
Kinder nicht richtig „aufklären“-das können nur staatlich
geprüfte Erzieher, sodaß auch die „Aufklärung“ alleinige
Staatsaufgabe ist. Nur der sehr aufmerksame Beobachter dieser Debatte
hört die Untertöne: daß es um die Mobilmachung für den freien
Arbeitsmarkt geht und das die „Reserveheer“ der Hausfrauen und
Kinderselbsterzieher dafür einberufen werden soll in den
Arbeitsdienst der freien Marktwirtschaft.
Mehr Staat, diese
Forderung findet aber auch in conservativen Kreisen Zustimmung: die
christliche Moral ist in unserer pluralistisch verfaßten
Gesellschaft eine unter vielen geworden. Für sie kann und soll die
Kirche und der Einzelchrist werben, auch und gerade in dem er sie
selbst lebt und vorlebt. Aber: mit welchem Recht kann in einer
säkularen Gesellschaft der Christ verlangen, daß seine Moral die
ist, der der Staat per Staatsgewalt durchzusetzen hat? Es war und ist
immer noch die große Idee der Konstantinischen Epoche, von Kaiser
Konstantin bis Kaiser Wilhelm II., daß die Welt durch und mit Hilfe
des Staates verchristlicht werden kann; so erst erfassen wir die
tiefe Bedeutung der Idee des „Christlichen Abendlandes“. Nur,
dies Abendland ist untergegangen. Wir leben nicht mehr in ihm. So
sind conservativen Christen viele Morallehren der Kirche zum
„eisernen Bestandteil“ einer humanen Kultur geworden: etwa das
Verbot des Freitodes, das Nein zu freizügig gelebter und ausgelebter
Sexualität, um nur die aktuellen Kontroversthemen zu nennen. Was
aber fehlt ist eine klare Unterscheidung: was gehört allein in den
Aufgabenbereich der Kirche, wie etwa die Verkündigung der Pflicht
der Sonntagsmesse und was an zu lebender Moral gehört in den
Aufgabenbereich des Staates in einer postchristlichen Gesellschaft:
sicher nicht die Pflicht zum Besuch der Sonntagsmesse. Aber gehört
die Androhung von Gewalt, als Androhung staatlicher Bestrafung des
Selbstmordversuches und der Beihilfe zum Selbstmord zu den Aufgaben
des Staates? Und wie viel „Gesundheitsförderung“? Reichen die
obligatorischen Unterrichtsstunden zum Thema: „Wie gefährlich ist
das Rauchen!“ in den staatlichen Schulen oder muß auch das Rauchen
in Gaststätten, auf Volksfesten oder gleich ganz in der
Öffentlichkeit verboten werden?
Der paternalistische
Staat versteht sich als die Institution, die besser weiß als jeder
Staatsbürger, was für ihn das Gute ist. Will er dann unvernünftig
rauchen, und somit seine eigene Gesundheit gefährden, dann muß und
will der Staat ihn vor dem Mißbrauch der eigenen Freiheit bewahren,
indem er ihm dies und alles seine Gesundheit eventuell Gefährdende
verbieten. Man denke hier auch an die Idee der „Grünen“, einen
Zwangsvegetarierertag einzuführen. Für die Religion wird es dann
gefährlich, wenn der Staat zwischen gesunder und die Gesundheit
gefährdender Religion unterscheiden will und so bestimmte Religionen
zu unterdrücken beginnt. Wir Christen könnten nun erleichtert
aufatmen, solange es nur radikalislamische Gruppen trifft-aber es
empöre sich dann Niemand, wenn plötzlich auch „reaktionäre“
Christengemeinschaften Opfer staatlicher Diskriminierung werden!
Solange der Staat im Bunde mit der Kirche so die Gesellschaft
gestaltete, mochte ein solches staatliches Reglementieren noch gut
ausgehen, orientierte sich dies Reglementieren noch an den Geboten
Gottes. Was aber, wenn anstelle der göttlichen Gebote die
menschlichen Meinungen treten, was denn das Gute für jeden Menschen
sei, sodaß jeder Staatsbürger sich daran zu halten habe?
Soll man so, um der
individuellen Freiheit willen zu weniger Staat auffordern? Aber damit
würden wir dem Wesen des Staates aus christlicher Sicht nicht
gerecht werden: denn der Staat ist eine von Gott gewollte und von ihm
gesetzte Ordnung! Gott regiert die Welt durch die Kirche und den
Staat! Das sagst uns gerade der Apostelfürst Paulus im 13. Kapitel
des Römerbriefes! Eigentlich ist das Ideal des Staates der Staat,
der vernünftig regiert und der so auch nicht gegen die Kirche
regiert, weil die Kirche als Träger der übernatürlichen
Wahrheiten, nicht eine antivernünftige Kirche ist, sondern die ist,
die sozusagen „vernünftiger“ ist als die Weltvernunft des
Staates und so dem vernünftigen Staate nicht widerstreitet.
An aktuellen Einzelfällen
kann man dies exemplarisch durchdenken:Wenn es keine strafbare Tat
ist,sich selbst zu töten (auch wenn diese Tat aus christlicher Sicht
unmoralisch ist), dann kann auch die Beihilfe zum Freitod keine
strafbare Tat sein. Wie nun, wenn ein „Mobilitätsbeeinträchtigter“,
um es politisch korrekt auszudrücken, sich töten möchte, diesen
Willen aber nicht selbstständig realisieren kann-ob seiner
Mobilitätsbeeinträchtigung, etwa daß er gelähmt ist-darf er dann
eine Hilfe zum Freitod einfordern? Sonst würde ja gelten, daß er
als Behinderter (Mobilitätsbeeinträchtigter) an einer erlaubten Tat
gehindert wird, weil ihm die dazu notwendige Hilfe verwehrt wird, was
eigentlich eine Diskriminierung des Behinderten wäre. Aus
christlicher Sicht könnte man nun meinen: wie gut, daß ihn seine
Behinderung an der Selbsttötung hindert! Aber wäre das nicht ein
Akt der Benachteiligung von Behinderten, wenn man ihnen durch eine
Unterlassung einer Beihilfe an einer strafrechtlich gesehen nicht
verbotenen Tat daran hindert, zu tun, was sie möchten? Oder soll nun
doch der Staat zumindest Mobilitätsbeeinträchtigte daran hindern,
ihre Freiheit zu mißbrauchen, wenn der Staat schon generell auf eine
Bestrafung des Mißbrauches der Freiheit zum Freitod verzichtet?
All diese Schwierigkeiten
ergeben sich uns Christen aus dem Faktum, daß der demokratische
Staat kein christlicher mehr ist, daß sein Erlauben und Verbieten
mehr ein Produkt des Niederschlages der öffentlichen Moraldiskurse
ist, als ein aus der Vernunft abgeleitetes Regieren und daß selbst
sich christlich nennende Parteien kaum noch erkennbare christliche
Politik betreiben. Spaßhaft könnte man sagen, daß die
(Partei)Politik eher das vernünftige Regieren ersetzt. Christsein
und das Mitgestalten der Politik im christlichen Sinne ist so gesehen
eine sehr schwierige Aufgabe geworden.
Aktuell wird diese
Problematik in der nicht nur auf Kath net geführten Debatte, ob man
als Christ weiterhin in den C-Parteien die Hoffnung auf eine
christliche Politik sieht oder eher in der AfD, die sich zwar nicht
als christliche Partei versteht, aber nicht nur in
familienpolitischen Fragen christliche Positionen einnimmt.
Offenkundig leidet diese Debatte aber gerade an der Unklarheit, was
denn unter einer christlichen Politik zu verstehen sei. Mehr
Klarheit, mehr Licht in den dunklen Tagen unserer postchristlichen
Gesellschaft!
Es gibt keinen persönlichen, keinen jenseitigen und keinen Schöpfer-Gott. Die Natur (und das Leben) ist göttlich. Aber es gibt nicht nur die uns bekannte Natur. Sondern es gibt auch eine uns ewig unbekannte Natur.
AntwortenLöschenMan muss nicht dauernd Mitglied in der Kirche sein. Sondern es genügt, von Zeit zu Zeit Mitglied in der Kirche zu sein (und die meiste Zeit nicht). Unabhängig von der Mitgliedschaft in der Kirche besteht die Möglichkeit, religiöse Kurse (z. B. Geistheiler-Seminare) zu absolvieren.