Wozu
Wahrheit?
Ein Versuch über den
Fall der Wahrheit in der Postmoderne
„Wenn
die letzte „Wahrheit“ aus dem Feld geschlagen und die Illusion
der Erkennbarkeit von irgend etwas zwischenmenschlich „Wahrem“
begraben sein wird, werden wir frei sein:“, ist nicht nur die
Meinung von Klaus Kunze1,
sondern wohl das subkutan alle postmodernistisch Denkenden
verbindende Credo. Daß diese Meinung die christliche Theologie ins
Herz trifft, dazu bedarf es keiner weitschweifigen Begründung, sagt
doch der Heiland selbst von sich: „Ich bin die Wahrheit!“
Kunze:
„Vom Glauben als Erkenntnismodus muß sich prinzipiell lösen, wer
frei entscheiden will.“2
Für
G.W.F. Hegel war es noch selbstverständlich, daß der Gegenstand der
Philosophie die Wahrheit ist, die ihm eins ist mit Gott.3
Als Arbeitshypothese soll gelten, daß die Moderne wie die
Post-moderne als differente Reaktionen auf das Phänomen des
weltanschaulichen Bürgerkrieges begriffen werden können. Unter dem
Begriff des Weltanschauungskrieges sei verstanden, daß sich
Inhaber
von absolut gültig geltenden Wahrheiten und Weltanschauungen, die
sich wechselseitig ausschließen feindlich (Feind im Sinne von Carl
Schmitt4)
agonal gegenüberstehen und einen Vernichtungskrieg gegeneinander
führen, dessen Kernsatz heißt: Glaubst du nicht wie ich, schlag ich
dir den Schädel ein. Selbstverständlich muß dabei präsumiert
werden, daß der Krieg allen Konfliktparteien ein rationales Mittel
ihrer Politik im Sinne von Clausewitz war. Nicht kann in diesem
Artikel eine hinreichende Verhältnisbestimmung von der Moderne zur
Postmoderne erbracht werden. Es wird sich auf diesen Aspekt des
differenten Reagierens auf die Wahrnehmung von Weltanschauungskriegen
kapriziert unter der Annahme, daß so ein Ansatzpunkt gefunden ist,
von dem her das Ganze der Moderne wie der Postmoderne rekonstruiert
werden könnte. Als signifikannte Manifestationen der Differenz von
moderner zur postmodernen Philosophie, wie auch zur Wahrnehmung von
Kontinuität sei auf Kants Kritik der theoretischen und praktischen
Vernunft
und
der Kritik der Urteilskraft, der ästhetischen Vernunft verwiesen als
dem modernen Denker und
auf
Lyotards sprachphilosophische Umformung dieser Kritiken zu
selbstständigen nicht vonein-ander ableitbaren Sprachspielen in
seinem Hauptwerk: Der Widerstreit. Unter Postmoderne soll so in aller
Vorläufigkeit eine Theoriebildung verstanden werden, die dem
Gedanken der Erkennbarkeit von Wahrheit kritisch gegenübersteht, da
der Begriff der Wahrheit dem Generalverdacht unterliegt in seinem
Unterscheiden von wahr und nicht wahr letztendlich nur eine
Manifestation des Willens zur Macht und des Beherrschens durch dieses
Unterscheiden ist. Es sei an Nietzsches Votum erinnert: „Der „Wille
zur Wahrheit“ wäre sodann psychologisch zu untersuchen.: es ist
keine moralische Gewalt, sondern eine Form des Willens zur Macht.“5
Verweyen bestimmt die Grundhaltung des Postmoderne als die Ablehnung
des Sichfestlegenwollens, in Anlehnung an Blondels Kritik des
Diletantismus als das Ausweichen vor der Entscheidung, ja oder nein
zu sagen,
in
dem Verharren in einer ästhetischer Unverbindlichkeit. Einfacher
gesagt: der verzicht, wahr von unwahr unterscheiden zu wollen und
gemäß der Entscheidung zu leben.6
Historisch
war der religiöse Bürgerkrieg des 17. Jahrhundertes der Grund der
Konstruktion der Vernunft als dem einzigen Kriterium der
Unterscheidung von Wahr und Unwahr mit dem besonderen Ziel einer
Konstruktion einer rein vernünftigen Religion als Aufhebung des
innerchristlichen religiösen Bürgerkrieges. Der 2. Weltkrieg
verstanden als Weltanschauungskrieg zwischen der westlichen
Wertegemeinschaft, dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus
bildete den Grund zum Konzept der Postmoderne als dem Versuch, allen
Weltanschauungen die Wahrheitsfähigkeit abzusprechen, um eine
radikale: Alles ist erlaubt! Kultur zu konzipieren, in der es nur
noch beliebige Meinungen gibt, die auf jeden Anspruch universaler
Gültigkeit verzichten.
Denn
eine erkennbare und erkannte Wahrheit führe notwendigerweise zu
Bekehrungs- und Missionsversuchen, die in der „Schwertmission“
ihren letztendlich konsequentesten Ausdruck finden. Wo Wahrheit
Besitz ist, ist das Ende der Toleranz und der Anfang des
Weltanschauuungs-krieges nahe. So fordert Safranski in: „Wieviel
Wahrheit braucht der Mensch?“, daß alle großen Sinnentwürfe, die
für sich einen universalen Wahrheitsanspruch erheben, zur
kulturellen Privatsache sich reduzieren. Die Politik solle sich
reduzieren auf die Erstellung und Aufrechterhaltung der Bedingungen
eines friedlichen Zusammenlebens aller nur in ihrer Privatexistenz
nach ihren Wahrheiten lebenden Menschen.7
Die christliche Religion darf so nur in der Innerlichkeit
privatistischer Frömmigkeit als verbindliche Wahrheit gelebt werden.
Eine
der Differenzen zwischen dem Typus der modernen und der postmodernen
Lösungen des Problemes des Weltanschauungsbürgerkrieges besteht im
unterschiedlichen Verständnis von Vernunft und Wahrheit.
Versimplifiziert kann gesagt werden, daß die Moderne die Vernunft
als das Vermögen des Menschen zur Wahrheitserkenntnis als die Größe
betrachtete und konzipierte, die den unvernünftigen Religions- und
Konfessionskrieg beendet im Namen der Vernunftwahrheit, die allen
positiven Religionen und Religionsauffassungen zu Grunde läge: alle
über diese Vernunftwahrheiten hinausgehenden Offenbarungswahrheiten
der Religionen und Religionsauffassungen sollten als historisch
kontingentes Dekor der allen gemeinsamen Vernunfttwahrheit entwertet
werden, weil das Vernünftige, das von jedem Menschen Erkennbare
allein für das Heil des Menschen ausreiche. Die Vernunft und die aus
ihr konstruierte natürliche Vernunftreligion ist so der Antitypus
zur zur Gewalt und Religionskrieg neigenden positiven Religion. Um
des religiösen Friedens willen werden so alle Differenzen zwischen
den Religionen und der Religionsauffassungen als bedeutungslos
erklärt. Der Agnostizismus forciert diese Haltung durch das
Gemeinurteil, daß man in religiösen Fragen nichts Genaues wissen
könne, das über die Erkenntnis der aufklärerischen Trinität von:
Gott, Freiheit und unsterbliche Seele (so Kant) hinausgehe. Die
Postmoderne begreift nun selbst diese Vernunft mit ihrem
Wahrheitspathos als etwas das Nichtvernünftige prinzipiell
Ausschließendes und so prinzipiell Intolerante, weil ob der
unendlichen Vielzahl von Vernunftwahrheiten, die sich alle
wechselseitig ausschlössen, diese Vernunft selbst als
Wahrheitserkenntnis den Weltanschauungsbürgerkrieg im nachreligiösen
metaphysischen Zeitalter hervorruft. Unter metaphysische Wahrheiten
versteht Kunze so alle ideologischen Weltanschauungen, die in der
Immanenz der Welt absolut verbindliche Normen erkennt bzw. behauptet.
„Das theologische Weltbild verlegte seine Seinsprinzipien in ein
eigens dazu geschaffenes Jenseits. Transzendente werte in diesem
engeren Sinne erfordern immer ein dualistisches Weltbild, in dem das
Diesseits einem Jenseits unterworfen ist.“8
Das meint, daß die jenseitige Welt die Norm für die Gestaltung des
Dieseitigen ist und dies präsumiert, daß das
Jenseitige
als Übervernünftiges erkennbar ist im Offenbarungsglauben.
„Neuzeitliche Denker brachten die Glaubensgewißheiten ins Wanken.
Spätestens mit den Religionskriegen relativierten widerstreitende
Theologien ihre Ansprüche auf letzte Weltdeutung wechselseitig.“9
Die offenbarten Glaubenswahrheiten wurden so durch metaphysische
Vernunftwahrheiten ersetzt. „Seit der Aufklärung bemühte man das
Jenseits immer weniger und ging zu einem monistischen Weltbild über.
Seine ewigen und heiligen Werte rettete man, indem man sie ins
Diesseits hineinverlegte.
Nunmehr
galten metaphysische Prinzipien als der Natur immanent. Man suchte im
Menschen nach seinem Wesen, für das man, je nach Bedarf, das Gute,
das Böse, die Vernunft oder andere Eigenschaften
erklärte.“10Resümierend
urteilt Kunze: „Der metaphysische Wahrheitsbegriff und jeder
metaphysische Normativismus sind von Anfang an intolerant.“11
Die Vernunftwahrheit, das Konzept der Domestikation der positiven
Religionen auf das natürlich Vernünftige, wird nun selbst auf die
Anklagebank der Intoleranz gesetzt und somit als verfehlte Konzeption
zur Erreichung eines ewigen dauerhaften Friedens. Tiefsinnig
rekonstruiert Kunze, daß jede Erlösungsvorstellung, ob sie nun eine
religiöse oder eine metaphysisch politische ist, den Glauben an den
metaphysischen Feind impliziert als dem Grund, warum die Wirklichkeit
nicht so ist, wie sie sein sollte und daß die Hoffnung auf die
Ausrottung des metaphysischen Feindes, des letzten Feindes
konstitutiv zur metaphysischen wie zur religiösen
Erlösungsvorstellung dazugehört.12
„Wenn
sich Gläubige verschiedener Weltanschauungen mit ihren „Göttern“
und deren Gesetze wappnen, empfinden sie jeden Angriff auf diese
Götter als Angriff auf ihre eigene Identität. Gläubige Herzen
vermögen das nicht zu ertragen.“13
Der Krieg aller gegen alle sei so vorprogramiert.
Bezeichnend
für diesen postmodernistischen Denkansatz ist14,
daß unter expliziter Berufung auf Ockham unter Freiheit die reine
Willkür verstanden wird: „Menschliche Freiheit ist immer die
Freiheit, allein über das eigene Tun zu entscheiden und im
allgemeinen selbst die Regeln aufzustellen, denen der soziale Kontakt
mit anderen Menschen unterliegt.“15
Die volle Freiheit sei so absolute Beziehungslosigkeit, weil es
nichts gibt, was der Freiheit, der freien Entscheidung vorausgeht und
diese Dezision inhaltlich bestimmen könnte. Das Gute, das Wahre, das
Schöne sind nur Produkte der freien Entscheidung, das oder dieses
als gut, wahr oder schön zu bewerten. Da diese Willkürfreiheit
aber anarchisch jede Ordnung auflöst, muß sie durch Regeln begrenzt
werden zur sozial verträglichen Freiheit. Wie dieses aber ohne
religiöse oder metaphysisch legitimierte Werte möglich sein soll,
daran arbeitet sich Kunze in diesem Buch vergeblich ab. Aber das
Scheitern braucht uns hier nicht zu interessieren; wichtig soll sein,
daß in dieser postmodernistisch gestimmten Kritik aller
Offenbarungswahrheiten und aller metaphysischen Wahrheiten deutlich
wird, daß der Wille, daß es keine erkennbare Wahrheit geben soll um
der Freiheit und des Friedens willen das eigentliche Movens ist.
Versimplifiziert: Wer auch immer von sich glaubt, im Besitze
der
Wahrheit zu sein, ist letztendlich nicht friedensfähig. Der Besitz
der Wahrheit verunmöglicht es, den Anderen nach seiner Fasson leben
zu lassen. M. Foucault kann gar den Wahrheitsbegriff als die Freiheit
des Denkens zensierende Größe diskreditieren: „Vielleicht ist es
gewagt, den Gegensatz zwischen dem Wahren und dem Falschen als ein
drittes Ausschließungskriterium zu betrachten-neben den beiden, von
denen ich sprach.16
Wie sollte man vernünftigerweise den Zwang der Wahrheit mit solchen
Grenzziehungen vergleichen können, die von vornherein willkürlich
sind.“17
Donoso
Cortes scheint diesem Urteil Kunzes recht zu geben, wenn er in seinem
Essay über den Katholizismus urteilt: „ Die Freiheit in der
Wahrheit ist ihr heilig, die im Irrtum ist ihr ebenso
verabscheuungswürdig wie der Irrtum selbst.; in ihren Augen ist der
Irrtum ohne Rechte geboren und lebt ohne Rechte, und dies ist der
Grund, weshalb sie ihm nachspürt,ihn verfolgt bis in die geheimsten
Schlupfwinkel des menschlichen Geistes; weshalb sie ihn auszurotten
sucht.“18
En
passant sei hier an die sehr heftige Debatte um den Wert der
Religionsfreiheit während und nach dem 2. Vatikanischen Konzil
erinnert. Kann es ein Recht auf den Irrtum neben der allein wahren
Religion geben?
Zu
fragen ist: Wenn die Theologie nicht mehr als durch den
Wahrheitsbegriff konstituierte Wissenschaft verstanden werden dürfte,
wie sie sich dann zu organisieren hätte. P. Sloterdijk gibt dazu
eine bedenkenswerte Antwort indem er von der Prämisse spricht, „daß
Religionen wie Theorien und Kunstwerke im Lauf des 20. Jahrhunderts
Handelsgüter und Dienstleistungen geworden sind und sich als solche
auf allgemeine Marktbedingungen einlassen müssen.“19
Syberberg
drückt dies so aus: „Und die Wirtschaft wurde als Maßstab aller
Werte mit dem Kapital
als
Bibel des Materialismus erhoben,“.20
Nicht mehr wahr oder unwahr sondern verkäuflich oder nicht
verkäuflich bestimme so die wissenschaftliche Theoriebildung wie die
Produktion von Kunst.
Der
homo oeconomicus wird so auch zu dem Adressaten religiöser
Konsumangebote, die nach den Gesetzen des freien Marktes produziert
werden und so sich von dogmatischen Wahrheitsvorgaben emanzipieren.
Bei Lyotard liest sich das so: „Das Wissen ist und wird für seinen
Verkauf geschaffen werden, und es wird für seine Verwertung in einer
neuen Produktion konsumiert werden: in beiden Fällen, um getauscht
zu werden. Es hört auf, sein eigener Zweck zu sein, er verliert
seinen Gebrauchswert.“21
Modernistische Theologie wäre so die Art von Theologie, die sich
den Marktbedingungen der freien Konkurrenz zu Lasten der
Wahrhaftigkeit akkomodiert hat. Selbstredend kann die Theologie nicht
Gott und dem Mammon zu gleich dienen und so muß jeder Versuch einer
marktwirtschaftlich orientierten Theologie als Selbstdestruktion des
theologischen Denkens bewertet werden.
Was
ist Wahrheit? frug schon Pilatus und resigniert erleichtert ob der
scheinbaren Unmöglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit übergibt er
die Causa Jesu Christi ganz demokratisch dem Volke, das ihn dann zum
Kreuzestod verurteilt. Er, Pilatus, unfähig, wahr von unwahr zu
unterscheiden, erklärt sich dann für unschuldig an diesem
Todesurteil. Hier soll Unwissenheit vor Strafe schützen.
Was
kann und soll aber die katholische Theologie angesichts dieser
postmodernistischen Herausforderung auf die Pilatusfrage antworten.
Kreiner
konstatiert in seiner philosophischen Gotteslehre unter der
Kapitelüberschrift: „Wahrheit als Problem religiöser Praxis“22:
„Wahrheit für die eigenen religiösen oder anderweitigen
Überzeugungen in Anspruch zu nehmen, gilt vielfach als politisch
inkorrekt, intolerant, imperialistisch, repressiv oder als Wurzel
noch weit schlimmerer Dispositionen und Praktiken.“23
Kreiner
spricht in Anlehnung an Bailey von einer „Veriphobie“. Damit ist
die Furcht vor Wahrheitsansprüchen auch und gerade im religiösen
Bereich gemeint ob der Konfliktträchtigkeit
konfligierender
Wahrheitsansprüche. Gemeint wird, daß ein Großteil der Konflikte,
die aus miteinander unvereinbaren Geltungsansprüchen von
Weltanschauungen resultieren, „ließe sich aus der Welt schaffen,
wenn von vornherein feststünde, dass die Suche nach der Wahrheit
über Gott ein für Menschen aussichtsloses Unterfangen darstellt.
Aus einleuchtenden Gründen erübrigte sich die Frage, welche Seite
Recht hat, wenn klar wäre, dass keine Recht haben kann.“24
Um des friedlichen Miteinander oder Nebeneinander willen soll so auf
alle Wahrheitsansprüche verzichten werden. Bestand die
Domestikationsstrategie der Moderne in der These, daß alle positiven
Religionen, insofern die natürliche Vernunftreligion ihren
Wesenskern ausmacht, gleich wahr und damit gleich-gültig seien, so
besteht die postmoderne Domestikationsstrategie in der These der
Unerkennbarkeit der Wahrheit und der Unmöglichkeit und Illegitimität
von Wahrheits- und Geltungsansprüchen von Religionen und
Weltanschauungen. Eine Theologie, die sich darauf einließe, würde
sich selbst nichten, denn für das religiöse Bewußtsein ist es
konstitutiv, daß Gott als die Realität gedacht wird,
als
unabhängig vom menschlichen Glauben existierende Entität.
Wenn
also aus rein religiösen Gründen auf den Wahrheitsanspruch der
Religion und Gottes nicht
verzichtet
werden kann, wie kann dann weiterhin der Wahrheitsanspruch von
theologischem Denken aufrechterhalten werden. Es soll deshalb gefragt
werden, ob denn Denken ohne einen Wahrheitsanspruch überhaupt
vorstellbar ist. Anders gefragt: Ist noch nach Wahrheit fragbar, wenn
eine erkannte Wahrheit im Widerstreit zu anderen Wahrheitsansprüchen
zu friedensgefährdenden Konflikten führt. Denn wenn die Frage nach
der Wahrheit schon nur noch als Machtanmaßung, um im Namen des
Wahren das Nichtwahre zu diskriminieren gehört wird, dann wird jede
mögliche theologische Antwort auf diese Frage: Was ist wahr? auch
nur noch verkannt werden. Philosophisch ist zu fragen, ob nicht jedes
Denken auf Wahrheit hin orientiert ist und daß so gerade die Aussage
der Nichterkennbarkeit der Wahrheit und der Nichtwünschbarkeit der
Erkennbarkeit der Wahrheit selbst Aussagen sind, die für sich einen
Wahrheitsanspruch geltend machen? Und es muß ergänzt werden, ob
nicht jedes Denken notwendig so, indem es etwas als wahr aussagt, so
etwas anderes als nicht wahr diskredetiert. So schließt ja auch die
spezifisch postmoderne Skepsis gegen die großen Metaerzählungen als
Legitimierungen der Erkennbarkeit von Wahrheit den Wahrheitsanspruch
solcher Metaerzählungen aus.25
Die
These lautet schlicht, daß die Aussage, daß Wahrheitsansprüche
konfliktträchtig sind und daß um des Friedens willen deshalb solche
Wahrheitsansprüche nicht zu erheben sind, selbst eine Aussage ist,
die für sich einen Wahrheitsanspruch erhebt und somit selbst
verifiziert, daß selbst die Verneinung von Wahrheitsansprüchen
selbst ein Wahrheitsanspruch ist. Auch das Urteil der Unerkennbarkeit
der Wahrheit ist ein wahrheitsbeanspruchender Satz. Alle postmodernen
Theorien über die Nichterkennbarkeit von etwas Objektivem sind
selbst wahrheitsbeanspruchende Theorien.
E.
Hirsch hat dies mustergültig an seiner Kritik eines geistigen Väters
der Postmoderne, nämlich Nietzsche vorgeführt. Nietzsche wird wie
folgt zitiert: „In irgendeinem ablegenen Winkel des in zahllosen
Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein
Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die
hochmütigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte, aber doch
nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das
Gestirn und die klugen Tiere mußten sterben.“ 26
Der Mensch, der glaubt, erkennen zu können, verfehlt sich, indem er
dieses Vermögen zur Lebenserhaltung als Befähigung zu einer
Erkenntnis von Wahrheit mißversteht.
Hirsch fragt nun aber an: Was tut Nietzsche, wenn er uns
diese Fabel vom klugen Tier erzählt? „Will er uns ein Märlein
erzählen? Nein. Er hat gedacht und dabei in seinem Geist eine
bittere Wahrheit geschaut und von dieser Wahrheit will er uns durch
seine Geschichte überzeugen. Was tut er aber, wenn er so denkt und
Gedanken ausspricht? Er schwebt frei von allen Dingen, überfliegt
mit seinem Blick das ganze Weltall samt all seinen Sonnen, darunter
auch jenen kleinen Stern im Winkel, wo die Menschentiere hausen,und
streift ahnend durch alle Ewigkeiten, in ihnen auch jene Minute
findend, in der die Menschentiere ihre ganze Geschichte abmachen. Wir
fragen ihn: Wer bist du denn, du wundersames Wesen, dem solch ein
überirdisches Schauspiel vorgespielt wird?“27
Dieser Selbstwiderspruch ist nicht nur konstitutiv für Nietzsches
Erkenntniskritik sondern auch für den Status postmodernen Denkens.
Dies Denken selbst steht außerhalb der beurteilten Denk-systeme, die
als Denksysteme nicht objektive Wirklichkeiten zum Erkennen freigeben
ganz im Gegensatz zum alles Durchschauendem des postmodernen Denkens.
Wenn Verweyen urteilt: „Ausgangspunkt dieses Buches war die
bedrückende Feststellung, dieAnlaß der Enzyklika: „Fides et
ratio“ ist: die heute vorherrschende Philosophie sieht sich
außerstande, Aussagen von letzt-gültiger Tragweite zu machen“,28
evoziert dies sofort die Rückfrage, ob dabei nicht die Aussage der
Unmöglichkeit von Aussagen von letztgültiger Tragweite selbst eine
Aussage mit dem Wahrheits-anspruch letztgültiger Tragweite ist.
Wenn
also jedes Denken, weil es Denken ist, nicht auf Wahrheitsansprüche
verzichten kann, dann kann dies das theologische Denken auch nicht.
Es gehört konstitutiv zu jeder Religion, einen Wahrheitsanspruch zu
erheben und zu jeder universalen, einen Allgemeingültigkeitsanspruch
zu erheben. Daß aus wechselseitig sich widersprechenden
Wahrheitsansprüchen Konflikte sich generieren, das ist aber eine
unbestreitbare Wahrheit. Auch das postmoderne Denken evoziert
Konflikte mit modernen sich zur Wahrheitsfindúng befähigt sehenden
Theorien des Denkens.
Jede
rein negative Theologie, die ihren krönenden Abschluß in der These
der prinzipiellen Nichterkennbarkeit des Wahren findet, provoziert
den unausweichlichen Konflikt mit der Position der Erkennbarkeit der
Wahrheit.
Es
muß deshalb auch katholischer Sicht darum gehen, humanverträgliche
Formen des Umganges mit aus sich wechselseitig widersprechenden
Wahrheitsansprüchen ergebenden Konflikten zu finden und zu
gestalten, nicht aber irenisch utopistisch den Konfliktcharakter zu
verleugnen.
Das
heißt für das notwendige Gespräch der Theologie mit der
postmodernen Philosophie, daß hier im Wissen um die
Konfliktträchtigkeit das wissenschaftliche Gespräch zu führen ist,
denn die Theologie kann von jedem Denken, das als Denken auf die
Hervorbringung wahrer Sätze ausgerichtet ist, zum eigenen Nutzen nur
dazulernen. Und hier warten auf die zeitgenössische Theologie noch
große Aufgaben. Um der Wahrheit willen muß mit dem zeitgenössischen
Denken das Gespräch geführt werden. Versäumt sie diese Aufgabe,
entsteht die Gefahr der Dominanz einer nur noch historisierenden
Selbstbetrachtung der Theologie, weil der lebendige Kontakt zur
postmodernen Gegenwart verloren geht.
1Kunze,
K., Mut zur Freiheit- Ruf zur Ordnung. Politische Philosophie auf
dem schmalen Grat zwischen Fundamentalismus und Nihilismus 1995
S.144.
2Kunze,
K.; Mut zur Freiheit S.219.
3Vgl:
Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften § 19
Zusatz 1 und: Vorlesungen über die Philosophie der Religion.
4Vgl:
Schmitt, C., Der Begriff des Politischen . Die Unterscheidung von
Freund und Feind als Kriterium des
Politischen 1932.
5Nietzsche,
Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre , Friedrich Nietzsche Werke IV
Hrsgb: Schlechta 6.Auflage
1969 Nachdruck 1984 S.764.
6Vgl:
Verweyen, H., Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft, 2000
S.53-60.
7Vgl:
Safranski, Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? 1993 S.200ff.
8Kunze
S.83.
9Kunze
S.8.
10Kunze
S.83.
11Kunze
S.19.
12Vgl.
Kunze, S.85.
13Kunze
S.20.
14Selbstverständlich
kann Kunzes Ansatz nicht einfach der Postmoderne zugerechnet werden,
denn sein starker
Personenbegriff als das Subjekt rein
dezionistischen Entscheidesns in Anknüpfung an Ockhams
Freiheitsverständnis
ist nicht der postmodernen Philosophie
zurechenbar. Vgl etwa: Foucault, M., Die Ordnung der Dinge 9. und
10. Kapitel, Der Mensch und sein Doppel, Die Humanwissenschaften
1966.
15Kunze
S.105.
16„Drei
große Ausschließungssysteme treffen den Diskurs: das verbotene
Wort; die Ausgrenzung des Wahnsinns, der
Wille zur Wahrheit“, Foucault, M.; Die
Ordnung des Diskurses 9.Auflage 2003 S.16. Treffen meint hier, den
Diskurs durch das Ausschließen von zu einem bestimmten Diskurs
konstituieren.
17Foucault,
M.; Die Ordnung des Diskurses 9.Auflage 2003 S.13.
18Kunze
S.92.
19Sloterdijk,
P. ,Heinrich, H.-H., Die Sonne und der Tod 2001 S.33.
20Syberberg,
H.J., Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem
letzten Kriege, 1990 S.40.
21Lyotard,
Das postmoderne Wissen 1986 S.24.
22Kreiner,
A., Das wahre Antlitz Gottes 2006 S.130-140.
23Kreiner,
A. Das wahre Antlitz Gottes S.131.
24Kreiner,A,
Das wahre Antlitz Gottes S.132.
25Vgl:
Lyotard, Das postmoderne Wissen Kapitel 9. Die Erzählungen von der
Legitimierung des Wissens, 1986 S.96- 111.
26Hirsch,E.
Deutschlands Schicksal 3.Auflage 1925 S.9.
27Hirsch,E.
Schicksal S.12.
28Verweyen,
H._H., Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft, 2000 S.47.
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