Dienstag, 9. Dezember 2014

Anthropozentrismus in der Kirche

Das Zentrum der Liturgie: Jesus, der Pfarrer oder die Gemeinde?

Ich bin überzeugt, daß die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht, die mitunter sogar so konzipiert wird, ` etsi Deus non daretur[`...],daß es in ihr gar nicht mehr darauf ankommt, ob es Gott gibt und ob er uns anredet und erhört.“ Stattdessen:„Dann feiert die Gemeinde nur sich selbst, aber das lohnt nicht.“1Hier soll nun der Versuch unternommen werden, dieser Analyse und Kritik des einstigen Kardinales und Papstes Benedikt (emeritus) nachzugehen in der Erwartung, hier nicht einfach eine schnoddrige en passaant dahingeworfene Randnotiz für Liturgieliebhaber vor Augen zu haben, sondern daß hier des Pudels Kern der heutigen Kirchenmisere erfaßt worden ist.

Und eines ist ja augenfällig: daß nach dem Konzil, dem Reformkonzil alles irgendwie ganz anders geworden ist. Dies eher diffuse Gefühl entzündet sich gerade an der nachkonziliaren Liturgie. „Ist das noch katholisch?“ Der Ästhet,und nicht nur M. Mosebach frägt sich: warum tauschte die Kirche ihre einstige so wunderschöne Liturgie ein in so was Greuliches? Aus Barockkirchen wurden betonierte Bunker mit überdimensionierten Frühstückstischen und kahlen Wänden...Ach, was könnte und müßte man nicht angesichts des barbarischen Bildersturmes der Nachkonzilszeit beklagen, was für eine große Klagelitanei anstimmen! Nur, ein selbstkritischer Einwand muß nun doch erhoben werden: ist denn die Gestaltung des Gottedienstes wirklich von so großer Wichtigkeit? Ist das Christentum denn nicht in erster Linie Nächsten- und Gottesliebe, oder besser gesagt, gelebte Moral, sodaß der Kult gar nicht von so großer Bedeutung sein könne. Das hat dann notwendig auch zur Folge, daß das Wie der Gestaltung des Gottesdienstes keine so große Bedeutung für das christliche Leben haben könne
So schreibt der modernistische Jesuit Keller ja: .„Weil Menschen jedoch offenbar nicht ohne Religion leben können, Christentum jedoch keine bestimmte Religion seiner Anhänger voraussetzt, sondern jenen Ausprägungen von Religion,die Freiheit oder Mitmenschlichkeit hindern, sogar entgegentreten muss, übernahm es spätestens seit der Konstantinischen Wende selbst typisch Religiöses, das es zuvor in dieser Weise nicht kannte, wie einen eigenen Priesterstand, Kirchen als Tempel mit Altar, heilige Geräte, Orte und Zeiten, oft aus dem Heidentum, aber auch aus jüdischer Tradition entlehnt.“ Das wäre legitim, „wenn auch gültig bleibt, dass diese Formen für das Christentum nicht wesentlich sind,“.2
Was dann auch immer die Ursachen für den Niedergang des Katholischen Christentumes sein mögen: an so etwas Unwichtigem wie der Gottesdienstgestaltung könne es nicht liegen. So sei das Votum des Papstes Benedikt von vornherein ein Irrtum.
Unter pastoraltheologisch Ge- und Ver-bildete ruft diese Diagnose zudem ad hoc Widerspruch hervor. Haben sie doch auf der Universität gelernt, daß es mehrere Grundvollzüge des kirchlichen Daseins gäbe, als da wären: Diakonie, Martyrium,Liturgie und, wenn man will die Koinonia und diese vier Komponenten bildeten eine perichoretische Einheit, sodaß auf keinem Falle eine dieser vier Disziplinen anderen gegenüber bevorzugt werden dürfte. Nur wissen wir aber schon, spätestens seit der Französischen Revolution, daß dort, wo die Gleichheit aller proklamiert wird, es immer die gibt, die gleicher als die anderen sind. Diakonie als caritativer Dienst am Einzelnen und an Gruppen und Gemeinschaften, Martyrium als Verkündigung und Lehre haben als Gemeinsames , daß sie Dienste am Menschen zu seinem natürlichem oder übernatürlichem Heile sind. Die Koinoia ist im Unterschied zur asymetrischen Kommunikationsstruktur von diakonischen und verkündigendem Handeln der Kirche eine symetrische Kommunikationsstruktur der wechselseitigen Beziehung zur Herausbildung einer humangemäßen Gemeinschaft. In Anlehnung an den brillanten deutschen Soziologen Ferdinand Toennies3 könnte gesagt werden, Koinonia meine, daß aus Menschen, die im bürgerlichen Leben in Gesellschaftsbeziehung zueinander stehen, das meint, daß jeder zum Anderen zweckrationale Nutzbeziehungen eingeht, die als gerecht qualifiziert werden, wenn sie zum gleichmäßigen wechselseitigen Nutzen ausfallen, eine Gemeinschaft wird, das ist die Vergesellschaftungsform, in der das Individuum im Gemeinwohl seine persönliche Erfüllung findet und so der Andere aufhört, nur Mittel zur Befriedigung eigener Privatinteressen zu sein. All diese drei Grundvollzüge sind also in aller ihrer Differenziertheit doch eins in ihrer prinzipiellen Ausrichtung auf den Menschen. Hier wird dem Menschen gedient.

Der kirchliche Dienst der Liturgie unterscheidet sich nun signifikant von diesen drei Grundvollzügen, indem Liturgie kultischer Gottesdienst ist. Selbstredend kann der Begriff der Liturgie so ausgefaltet werden, daß man unter ihm jede Art von Diensttuen versteht. Nur hat dies zur Folge, daß, wenn Alles so zur Liturgie wird, nichts mehr Liturgie ist, denn etwas ist nur etwas durch sein Negieren und Ausschließen von etwas anderem. Merke: Das Urteil, alles sei heilig ist identisch mit dem Urteile, daß Alles unheilig ist, wie auch der Pantheismus, Alles ist Gott, und ein materialistischer Atheismus, nichts ist Gott letztendlich in eins fallen. Damit Liturgie etwas ist und nicht nichts, muß es so ein limitiertes Tun der Kirche sein. Das besondere der Liturgie: hier dient der Mensch Gott4. Und: Gott dient dem Menschen. Im weiteren Durchdenken muß sehr wohl diese einfache basale Aussage durch eine komplexe Theorie der Verhältnisbstimmung zwischen dem Tun Gottes und dem des Menschen ausdifferenziert werden, aber diese Theoriebildung darf nicht diese fundamentale Wahrheit des liturgischen Kultes aus den Augen verlieren..

Ist bei den drei Grundvollzügen der Kirche, die der Lehre, der Nächstenliebe und Vergemeinschaftung der Adressat der Mensch, so im vierten Grundvollzug der der Liturgie Gott. Daraus entspringt das Urteil, daß diesem Praxisfeld der Vorrang gegenüber allen anderen Räumen des kirchlichen Handelns einzuräumen ist ob der qualitativen unterschiedenen Wertigkeiten des Adressaten des jeweiligen Tuns. Den Gott zu dienen ist ja das höchste, was Menschen vermögen.

Meine These lautet nun: nur unter der Prämisse, daß die kultische Liturgie nicht eine Cura posterior sondern das Herzstück der Kirche ist, ist die These, daß der Zerfall der Liturgie die Ursache der heutigen Kirchentristesse ist, rechtfertigbar. Wäre die kultische Liturgie nur ein gleichberechtigtes Praxisfeld neben den drei anderen, muß es uneinsichtig bleiben, warum just die jetzige Liturgie die Ursache der Krise ist und nicht etwa die Diakonie, die Verkündigung oder was auch immer.Dann wird aber auch erst begreifbar, warum die Perversion schlechthin der Kultliturgie die sich selbst feiernde Gemeinde ist. Denn da wird Gott entgöttlicht und vergöttlicht sich die Gemeinde selbst, indem sie den Gott ziemenden Dienst ihm entzieht und sich selbst stattdessen dient mit dem Gott allein ziemenden Dienste. Das ist die Apotheose der Kultgemeinde, die radikale moderne Prolongierung des Tanzes um das Goldene Kalb der Eigenliebe! Nach dem Urteile des hl. Augustin ist diese Vertauschung des Liebesobjektes, daß der Mensch, statt Gott zu lieben, das Kreatürliche liebt, die Ursünde schlechthin.

Im Katechismus Pius X für die Kinder im zarten Alter heißt schon die vierte Frage des Kapitels: „Von den Grundwahrheiten unseres heiligen Glaubens“: „Wozu hat euch Gott erschaffen?, worauf die Antwort lautet:„Gott hat mich erschaffen, damit ich ihn erkenne, ihn liebe, ihm in diesem Leben diene und mich dann im anderen Leben für immer seiner erfreue.“5 Der Gottesdienst ist so als der Ort gelebter Gottesliebe, die der Mensch Gott entgegen zu bringen hat, von zentraler Bedeutung. Er ist die praktische Konsequenz aus der adäquaten Gotteserkenntnis. Wo Gott erkannt wird, (kognitiv), da entzündet sich die Liebe an dem erkannten Gott (affektiv), und dies setzt aus sich heraus den praktischen Willen zum Gottesdienst (voluntativ). Gerade diese Reihe läßt uns sofort vermuten, daß die letzte Ursache der Krise des heutigen Gottesdienstes selbst eine (um es erst mal vorsichtig auszudrücken) defizitäre Gotteserkenntnis ist. Selbstredend ist der hier im Katechismus so fundierte Gottesdienst nicht reduzierbar auf den kultischen Gottesdienst, aber es muß konstatiert werden, daß er der primäre Ort gelebter Gottesliebe ist.6

Es ist mehr als bezeichnend, daß das große Heilsereignis in der Geschichte des Volkes Israels, die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei (als die Vorabbildung der Befreiung des Menschen aus der Knechtschaft der Sünde) wie folgt begründet wird. Mose soll dem Pharao ausrichten, daß es Gottes Wille ist: „dimitte populum meum, ut sacrificet mihi in deserto.“ (Ex.5,1)damit es mir opfere in der Wüste7. Der kultische Gottesdienst ist in seinem Zentrum die Feier des hl. Opfers. Um das Wesen des kultischen Opfers zu verstehen ist es am zweckmäßigten, ihn von seiner Zweckursache her zu begreifen, denn alle Elemente des Opfers sind ja teleologisch auf den Endzweck des Opfers ausgerichtet: Ludwig Ott in seiner dankenswerter Weise im Verlag „nova & vetera 2005 neu verlegten Dogmatik erfaßt den Opferzweck so: Der Opferzweck (finis sacrificii): „der primär in der Anerkennung der absoluten Oberherrlichkeit Gottes durch Anbetung, Dank und Bitte und sekundär in der Versöhnung Gottes durch die Sühne besteht.“8
In der Enzyklika des Papstes Leo XIII., „Caritatis studium“ wird das Wesen des Opferkultes noch prinzipieller als das Herzstück der Religion begriffen: „Das Wesen und die Natur der Religion enthüllt die Notwendigkeit des Opfers....Und wenn man die Opfer entfernt, kann eine Religion weder sein noch gedacht werden.“9 Papst Leo verwirft damit aufs entschiedenste die Vorstellung, daß die Eucharistiefeier nur eine Gedächtnisfeier des Kreuzesopfers Christi sei. Nein, im Meßopfer wird das Opfer Christi „fortgesetzt“10. In Lumen gentium heißt es demzufolge, daß der Priester „in der Person Christi das eucharistische Opfer vollzieht und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar;“11. Die Theozentrik des christlichen Gottesdienstkultes ist so hinreichend vergegenwärtigt.

Ratzingers Kritik besagt nun, daß statt Gott der Mensch in das Zentrum des Gottesdienstes getreten ist, der so besser als „Menschendienst“ zu betiteln wäre. Die Anthropozentrik habe die Theozentrik der Alten Messe ersetzt und so den kirchlichen Kult entkernt, seines Wesens beraubt.12 Das wäre der Kern der Krise und der Misere der jetzigen Meßpraxis! Unter dem Begriff der Anthropozentrik soll hier im Folgenden verstanden sein das Weltbild, in dem der Mensch sich als Mittelpunkt auslegt und alles andere nur insoweit betrachtet, als er es in Beziehung zu sich seiend, also relational denkt. Es ist die Ersetzung der Substanzontologie, des Dinges an sich, würde Kant sagen durch eine Relationsontologie,in der etwas nur das ist, was es für den Menschen ist, so daß alles, seines Selbststandes beraubt zum Mittel für den Menschen wird. Das Geschöpf Gottes, der Mensch usurpiert das Zentrum und degradiert Gott zum bloßen Mittel seiner Lebenssteigerung im religiösen Anthropozentrismus oder verwirft den Glauben an Gott im religionslosen Anthropozentrismus als den Menschen klein machende Größe. Im reli-giösen Anthropozentrismus erhebt sich so der Mensch selbst (mit seinen Bedürfnissen und Interessen)zum normativen Maß Gottes: das, was Gott ist, hat sich am Menschen auszurichten, Gott ist nur noch der Gott für uns13.

Zu diskutieren ist nun, ob diese Tendenz zur anthropozentristisch bestimmten Liturgie nur aus einem inadäquaten Zelebrieren der Reformmesse kommt Dann wäre der Kern der Krise und der Misere die jetzige Meßpraxis! Oder wohnt schon der Theorie der neuen Messe eine Tendenz zum Anthropozentrismus inne?

Der Verfasser möchte nun diese Diskussion eröffnen durch eine Betrachtung einer Marginalie, die aber, das soll hier andemonstriert werden, keine ist, sondern das Zentrum der Liturgie tangiert!

In der im Jahre 1998 vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen Arbeitshilfe: „Die Meßfeier“ ist unter der Nummer 276 mit der Betitelung: „Die Aufbewahrung der Eucharistie“ zu lesen:„Es wird sehr empfohlen, die Eucharistie in einer vom Kirchenraum getrennten Kapelle aufzubewahren, die für das private Gebet der Gläubigen und für die Verehrung geeignet ist.“14 Nur wenn dieses nicht möglich sei, dürfte auch anders verfahren werden. Selbstredend meint hier der Begriff der Eucharistie das konsekrierte Elemente des Brotes, also den Leib Christi, Jesus Christus selbst als wahren Gott und wahren Menschen, der hier seine Platzanweisung erhält außerhalb des Raumes der Gottesdienstfeier in einer Nische für die Privatfrömmigkeit.

Der Katechismus der Katholischen Kirche resümiert zum Tabernakel: „Die `heilige Reserve` (Tabernakel) war zunächst dazu bestimmt, die Eucharistie würdig aufzubewahren, damit sie den Kranken und Abwesenden außerhalb der Messe gebracht werden könnte. Durch die Vertiefung des Glaubens an die wirkliche Gegenwart Christi in seiner Eucharistie wurde sich die Kirche bewußt, daß es sinnvoll ist,den unter den eucharistischen Gestalten anwesenden Herrn anzubeten. Darum muß sich der Tabernakel an einem besonders würdigen Ort in der Kirche befinden...“15 Zu fragen ist: ist der angemessene Ort auch außerhalb des Gottesdienstraumes in einer Nischenecke und ist das Tabernakel nur Ort privater Frömmigkeit außerhalb des öffentlichen Kultgottesdienstes?

Aber noch stutziger macht den Lateinkenner die Übersetzung von Tabernakel als heilige Reserve! Tabernakel, lateinisch tabernaculum, das ist zuerst das Begegnungszelt, hier verkehrte Gott mit Mose. Vgl etwa Exodus 40. Es meint das Präsentsein Gottes unter seinem Volke in der besonderen Beziehung zu Moses. Kult und Gegenwart Gottes gehören aufs engste zusammen. Nur dort, wo Gott gegenwärtig ist,an durch seine Selbstpräsenz geheiligte Orte wird im Alten Bund Gottesdienst gefeiert. Nicht wird ein Ort heilig, weil sich dort Gläubige versammeln, sondern die Gläubigen versammeln sich an dem Ort, der durch Gottes Gegenwart geheiligt ist.Kult und Gegenwart Gottes gehören aufs engste zusammen. Nur dort, wo Gott gegenwärtig ist,an durch seine Selbstpräsenz geheiligte Orte wird im Alten Bund Gottesdienst gefeiert. Nicht schafft der Kult den heiligen Ort, sondern das Präsentsein Gottes heiligt den Ort, sondert ihn von der Profanität ab und qualifiziert ihn zum kultfähigen Ort. So ist es selbstverständlich für die Liturgie des Alten Bundes, daß Gott den Ort seiner Verehrung in Jerusalem bestimmt und daß der dort erbaute Tempel der Wohnort Gottes, seines Namens unter den Menschen ist.(1.Kön 8,29). Der allgegenwärtige Gott ist der, der als anrufbarer im Tempel wohnt. Zwischen dem ubiquitären Dasein Gottes und der Proexistenz Gottes, er ist da für den Menschen, unterscheidet hier der biblische Text. Beten heißt, im Tempel oder auf den Tempel hin ausgerichtet zu beten, den er ist der Ort der Vermittlung zwischen Welt und Gott. Der Neue Bund in Christo ist nun nicht einfach die reine Negation des Alten Bundes, sondern eher hegelianisch verstanden seine Aufhebung. Die Selbstpräsenz Gottes als: „seinen Namen wohnen lassen im Tempel“ findet so seine Prolongierung im christlichen Kultus im Tabernakel. Anfänglich mag das Tabernakel wirklich nur der solenne Ort der Aufbewahrung nicht konsumierter konsekrierter Elemente zwecks späterem Verbrauches gewesen sein, aber in der organischen Weiterentwickelung des Verstehens der Realpräsens Christi in den gewandelten Elementen veränderte sich dieses. Die Liturgie des Römischen Ritus weiß zu sagen, daß erst es im Barock gelang, „in herrlichen Schöpfungen den Tabernakel mit dem Altar zu einer den Aufbewahrungsort der Eucharistie als Zentrum des Altarhochbaues betonenden künstlerischen Einheit zu verschmelzen. Der Tabernakel muß jetzt regelmäßig sich auf dem Hauptaltar der Kirchen befinden.“16 .

Zum Zentrum des Kultes avanciert hier der barocke Hochaltar mit seinem Herzstück, dem Tabernakel. Und es ist einsichtig, daß das die dem Neuen Bund adäquate Umformung des hebräischen Tempelkultes ist, denn der Opferkult verlangt gerade die Präsenz des Adressaten des Kultes im Kultort selbst! Die architektonische Ausrichtung des Gottesdienstraumes auf den Hochaltar mit seinem inneren Zentrum des Tabernakels als Ort der Präsenz und der Begegnungsbarkeit Gottes ist so die Umsetzung der gewachsenen Einsicht in die Bedeutung der Realpräsenz Christi in der Eucharistie. Es ist hier nicht der Ort einer liturgeschichtlich archälogischen Rekonstruktion der Entwicklung der Tabernakelfrömmigkeit,17 sondern es soll sich limitiert werden auf die systematische These, daß die Fokusierung auf den real präsenten Gott Jesu Christi in dem Tabernakel den Kult entlastet hat von einer einseitigen eschatologischen Fixierung auf den adventlich wiederkommenden Christus und entlastet hat von einer einseitigen Fixierung auf die Vergangenheit des einmal Geschehenseins. Die Entwertung des Kultes ereignet sich dann, wenn nur noch betont wird, daß an das „Abendmahl“ Christi und an Kreuz und Auferstehung erinnert wird und gehofft wird auf sein Wiederkommen.Das Jetzt des Kultes verblaßt dann zu einem bloßen Dazwischen als leerer Ort.

Für den kultischen Gottesdienst ist nicht das Verheißungswort, „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da ist der Herr unter ihnen“ das Fundament sondern es gilt, daß die Kultusgemeinde sich da versammelt, wo Gott seinen Namen wohnen läßt, nämlich im Tabernakel des Neuen Bundes. So gesehen konstituiert erst der im Tabernakel selbstpräsente Gott die Kirche zum heiligen Kultort und bildet so das Zentrum des Kirchenraumes. Dem entspricht in angemessenester Weise die Tradition des barocken Hochaltares mit seinem Herzstück, dem Tabernakel. Es ist die christozentische Ausrichtung des Kultes, die sich in dieser Bauaästhetik manifestiert und in erhabenster solenner Weise entfaltet.

Aber in dieser Christozentrik obwaltet nun auch ein Problem, nämlich das der zweifachen Selbstpräsenz Christi, die im Tabernakel und die in der aktuell konsekrierten Hostie im Vollzuge der Eucharistiefeier. Der CIC löst dieses Problem einfach im Can 941 § 2: „Während der Meßfeier darf im selben Raum der Kirche oder der Kapelle keine Aussetzung des Allerheiligsten stattfinden.“18 Nicht übersehen werden kann aber, daß in Folge dieser kirchenrechtlichen Lösung für den Kultus eine Überbetonung der aktual sich ereignenden Selbstvergegenwärtigung Christi im Wunder der Transsubstantion zuungunsten der permanennten Selbstpräsenz Christi im Tabernakel evoziert wird und damit der konstitutive Ermöglichungsgrund des Kultus, Gottes Dasein im Kult selbst verdunkelt wird. Aber bei diesem ersten Schritte bleibt es nicht. Der den Kult erst ermöglichende Christus in seiner sakramental- eucharistischen Präsenz wird nun hinauskomplimentiert und in Nischen des Kirchenraumes verbannt, damit er den modernen Gottesdienst nicht mehr stört.
Ein Vakuum entsteht und wird sofort von anderen usurpiert: die dreigliedrige hierachisch gestufte Ordnung von dem im Zentrum stehenden Hochaltar mit dem Herzstück des Tabernakels, des Ortes, wo Gott seinen Namen wohnen läßt und dem Priester als dem Vermittler zwischen dem oben präsenten Gott und dem unter Gott sich versammelnden Volke, wird nun ersetzt durch die bipolare Struktur von Priester und Volk, die miteinander oder unter Führung des Priesters oder unter Führung des Volkes gemeinsam feiern. Der Priester vermittelt nicht mehr zwischen Gott und dem Volke, indem er unter dem Hochaltar stehend von dem dort präsenten Gott zum Volke hin vermittelt und als vor dem Volke stehend zum Gott hin vermittelt. Die architektonische Höhendifferenzierung, das Allerheligsten am höchsten Punkte, das Volk als zu Gott hingewandt unter ihm und der Priester dazwischen stehend, entsprach der Hierachie von Gott, Priester und Volk. Jetzt, wo der Priester hinter dem Altar stehend zum sichtbaren optischen Zentrum des Kultes avanciert, provoziert dies den Protest der Gemeinde, die nicht mehr unter ihrem Pfarrer stehen will und so entsteht die Forderung der Einebnung und Egalisierung: auf einer Höhenstufe feiert nun die Gemeinde mit ihrem Pfarrer modern liberal ausgerichtet oder konservativer insistiert der Pfarrer auf seinen sichtbaren Vorsitz in der Feier. Beiden Positionen, der liberalen, wie der konservativen ist das Eine gemeinsam, daß die Mitte des Kultes, das Zentrum verloren gegangen ist und das war der barocke Hochaltar mit seinem Herzstück des Tabernakels als dem Ort der Gegenwart Gottes. So gesehen soll als Abschlußthese gelten, daß die Verdrängung des Tabernakels aus dem Zentrum des christlichen Kultes und die Positionierung des Pfarrers im Gegenüber zur Gemeinde hinter dem Altar die Manifestation eines anthropozentristischen Kultverständnisses ist, der die christliche Liturgie ihres Herzens beraubt. Hier beginnt die Gemeinde, sich im religiösen Humanismus einnistend, sich selbst zu feiern und das ist das Ende des Gottesdienstkultes. Und so gesehen ist die Positionierung des Tabernakels keine bloße Marginalie, sondern tangiert das Zentrum des christlichen Kultverständnisses.
















1 Kardinal Ratzinger, zitiert nach KU S. 1 ß/2006
2Keller, A., S.J. Grundkurs des christlichen Glaubens.Alte Lehren neu betrachtet, 2011.
3 Ferdinand Toennies, Gemeinschaft und Gesellschaft3 1920.
4 Vergleiche dazu die konträre Position von H. Emminghaus: „Die Kirchenkonstitution des 2. Vatikanischen
Konziles (Lumen Gentium) stellt deutlich heraus, daß sich das Wesen und Wirken der Kirche in dreierlei Hinsicht erweist: In der glaubenserweckenden und -belebenden Verkündigung, im Dienst an der Welt (der sogenannten `Diakonie`oder Caritas) und in der Liturgie...Dabei ist die `Liturgie` nur der andere Name für `Heilszuwendung durch die Sakramente`. Diese drei Elemente: Verkündigung, Liebesdienst und Liturgie bilden miteinander eine unauflösliche Einheit.“ In: Die Messe, 19925 S.22. Hier wird die Liturgie und damit die ganze Kirche reduziert zu einem bloßen Menschendienst. Diesem Verluste der vertikalen Beziehung entspricht es, wenn etwa im monastischen Stundenbuch 3.Bd, Hrsgb: Salzburger Äbtekonferenz 1981 der Antiphon zur Mittwochterz heißt: „Die Erfüllung des Gesetzes ist die Liebe; wer den Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt:“ Der Ausfall der Gottesliebe ist signifikant.
5 Hl. Pius X., Kompendium der christlichen Lehre 1981 S.1.
6 Karl Rahner sagte: „Der Christ der Zukunft wird Mystiker , oder er wird gar nicht mehr sein.“zitiert nach Thomas Ruster, Die Einheit der Unterscheidung und das unterscheidend Christliche, in: Karl Rahner Kritische Annäherungen Hrsgb: David Berger 2004, S.43 und verweist damit auf die grundsätzliche Alternative, die Religion als unmittelbare Beziehung des Individuums als den Anfang zu setzen, und die Kirche dann als sekundäre Vergemeinschaftungsform von religiösen Individuen zu verstehen, so daß der Kult dann nur noch Gestaltwerdung des Glaubens ist oder ob nicht der Gottesdienst selbst der Ort primärer Gotteserfahrung ist. Dem korreliert, ob der Kult primär der Ort der Präsenz Gottes ist, wo sich deshalb die Gemeinde hinversammelt,oder ob das Versammeln der Gläubigen als der Grund dafür angesehen wird, daß hier mit Gottes Gegenwart zu rechnen ist.
7 Die Einheitsübersetzung, sich am hebräischen Text orientierend, liest: „damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern können.“,und bringt so den kultischen Charakter der Feier zum Verschwinden. Aus Dienst wird eine Feier; darin spiegelt sich der Sitz des Gottesdienstes in der Moderne, der Freizeit wieder. In der Osterliturgie wird die Befreiung Israels aus Ägypten als Vorababildung der Befreiung aus der Sündenmacht durch Exodus 14, 15- 15,1, vergegenwärtigt als Befreiung von/ aus der Sklaverei, nicht wird aber die Befreiung wozu, zum Gottesdienst vergegenwärtigt. Vgl.: Schott,Meßbuch, Für die Sonn- und Festtage des Lesejahres A 1983. S.215f
8 Ott, Ludwig, Grundriß der Dogmatik11 :S.272. Die kirchliche Lehre von der Versöhnung Gottes durch das Kultopfer wird heutzutage von modernistischen Theologen aufs entschiedenste bekämpft. M. Kehl SJ in dem Themaheft: „Versöhnung“ 2006/2 der Jesuiten, als Herausgeber fungiert die Deutsche Provinz de Jesuiten, führt dies modern jesuitisch so vor: „Viele Christen empfinden heute eine solche Vorstellung von Erlösung und Versöhnung, vor allem auch das damit veknüpfte Gottesbild als schrecklich, ja als sadistisch. Mit Recht!“ Dann demonstriert dieser Theologie, wie Versöhnung ob der Liebe Gottes als bedingungslose Versöhnungsbereitschaft verstanden, keines Opfers und keines Opferkultes bedürfe. In typisch modernistischer Weise wird hier Gottes Liebe verdeutet zur Vorstellung, daß Gott jeden Menschen,den postlapsarischen (!) so annimmt, wie er ist und zu ihm: „Ja“ sagt. Gott bejaht den Sünder und läßt ihn Sünder bleiben. Vgl dazu auch die Vorstellung, Gottes Liebe sei die unbedingte Anerkennung des Anderen als des Anderen bei: Karl- Heinz Menke, Die Einzigkeit Jesu Christi 1995.
9 DH 3339.

10 DH 3339. Vgl DH 1751: Es heißt, daß in der Messe Gott ein wahres und eigentliches Opfer dargebrachtwird und nicht heißt es, daß in der Messe nur die Erinnerung an das Kreuzesopopfer Christi begangen wird und auch heißt es nicht, daß nur die Früchte des Kreuzopfers in der Erinnerungsfeier aktuell appliziert werden.
11 DH 4126.
12 Romano Amerio veranschaulicht die Konsequenz der anthropozentristischen Formung der Messe in dem radikalen Wandel des Verständnisses des Altarsakramentes: „Die Eucharistie ist ja von einer unmittelbar auf den Erlösergott verweisenden Opferhandlung zu einer brüderlichen Agape feiernden Mahlzeremonie heruntergekommen.“ In: R. Amerio,Jota Unum 2000 S.579.
13 Hilberath und Schneider demonstrieren die Auswirkung dieses Wandels vom substanzontologischen zum relationsontologischen Denken in ihrer Auswirkung in ihrem Votum für die Ersetzung der Transub-stationslehre durch eine Transsignifikationslehre in ihrem Artikel: Eucharistie in: Handbuch theologischerGrundbegriffe, Hrsgb: Peter Eicher, Bd 1 1984, S. 305- 317. Diese Lehre ist in der Enzyklika: Mysterium fidei 1965 reprobiert worden (DH 4411f)

14 Im CIC Can. 938 §2 heißt es dagegen noch: „Der Tabernakel, in dem die heiligste Eucharistie aufbewahrt wird, muß sich an irgendeinem hervorragenden Platz der Kirche oder Kapelle befinden, der gut sichtbar, kunstvoll ausgestattet und zum Gebet geeignet ist.“ Aus dem hervorgehobenen Platz innerhalb der Kirche wird in der zitierten Arbeitshilfe die Aussonderung aus dem Gottesdienstraum in eine Nische für die Privatfrömmigkeit.
15 Katechismus der Katholischen Kirche 1993 1379.
16 Lechner/ Eisenhofer, Liturgik der Römischen Ritus 1953 S.105.
17 Hans Bernhard Meyer im Handbuch der Liturgiewissenschaft, Gottesdienst der Kirche Teil 4 1989 urteilt einfach: „Nach dem Tridentinum wurde schließlich im Kontext der gegenreformatorischen Verteidigung der bleibenden Gegenwart Christi im Altarsakrament das Tabernakel auf dem Hauptaltare zum ideelen,archtektonischen und ikonographischen Zentrum der meisten Kirchenräume.“ um dann wohlwollend festzustellen, daß das 2. Vatikanum „eine wirksame Neuorientierung im Sinne der ursprünglichen Ordnung“ hervorgerufen habe. S.585 ohne zu prüfen, ob diese Entwickelung nach Trient nicht eine organische Weiterentwickelung und Vollendung des ursprünglichen Anliegens der christlichen Feier des Altarsakramentes war in dem Sinne, daß auch der christliche Kult Rechenschaft über seine Konstitutionsbedingungen geben mußte, über die Frage der Präsens Gottes im Kult als Ermöglichungsbedingung seines Vollzuges.

18 Erwägenswert ist es, ob es nicht eine bessere Lösung für die zweifache Realpräsens Christi in der Meßliturgie geben könnte, die die Spannung zwischen dem Ereignischarakter der Wandlung, der dynamische Präsenz und der statisch auf Dauer gestellten Realpräsenz im Tabernakel aufhebt, ohne eine dieser beiden Pole zu verdrängen. Ludwig Ott führt zum Opfercharakter der Messe aus: „Spekulativ läßt sich der Opfercharakter des Kreuzestodes Christi daraus begründen, daß alle Erfordernisse erfüllt waren. Christus war nach seiner menschlichen Natur zugleich Opferpriester und Opfergabe. Nach der göttlichen Natur war er in Gemeinschaft mit dem Vater und dem Hl. Geist auch Empfänger des Opfers.“ Ott, Grundriß der Dogmatik11 S.273. Dann könnte diese zweifache Weise der Realpräsenz wie folgt sinnvoll zugeordnet werden: Christus als Empfänger des Opfers ist der im Tabernakel präsente, der in den konsekrierten Elementen präsente ist dagegen der Christus als der sich dem dreieinigen Gott Aufopfernde. Denn zur hinreichenden Bestimmung des Opfers ist die Präsenz bzw. Erreichbarkeit des Gottes, dem geopfert wird konstitutiv. Nur dort, wo Gott selbst sich als gegenwärtiger Menschen erweist, können sie ihm einen Kultort errichten, um dort zu opfern. So z.B. Gen 12, 7: Der Herr erschien Abram und sprach: Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land. Dort baute er dem Herrn, der ihm erschienen war, einen Altar.   

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