Ein
kompliziertes Verhältnis: Christentum und Judentum
Eine
kluge Einsicht Benedikts
Versuchen
wir zuerst einmal, ein wenig Licht in das Dunkle dieses
Themenkomplexes zu bringen. Der Begriff des Jüdischen ist der, der
diese Materie so verkomplifiziert. Denn unter jüdisch kann die
jüdische Religion oder auch das jüdische Volk gemeint sein. Zudem
hat die jüdische Religion einen Glaubensinhalt, der sich auf das
jüdische Volk im ethnischen Sinne bezieht: das jüdische Volk wird
als das von Gott erwählte Volk geglaubt-und Gott ist primär der
Gott der Juden im ethnischen Sinne. Ein paar Probleme sind damit
mitgesetzt: a) kann ein Nichtjude im ethnischen Sinne ein Jude im
religiösen Sinne werden und ist b) ein Jude im ethnischen Sinne ein
Jude im ethnischen Sinne, wenn er nicht Jude im religiösen Sinne
ist? Es erstaunt uns nicht, daß diese beiden Fragen unterschiedlich
beantwortet werden.
Daß
Jesus im ethnischen Sinne Jude ist, bezweifelt heute niemand mehr.
A. Rosenberg wollte das bezweifeln, um „die große Persönlichkeit
Jesu Christi“ für sein Anliegen nicht zu verlieren1,
und zitiert als Beleg den Christenprediger Ephraem: „Jesus hat so
seine Abstammung von zwei allergrößten und allerberühmtesten
Völkern hergeleitet, die mütterliche nämlich von den Syriern , die
väterliche von den Römern.“2
Aber diese „Forschungsrichtung“ ( Chamberlain, Delitzsch), wird
heuer rechtens nicht mehr anerkannt. Diskutabel ist aber die Frage,
ob er a) in der jüdischen Religion aufgewachsen und sozialisiert
wurde, so daß er b) im religiösen Sinne jüdisch war. Wenn Jesus
jüdisch religiös gläubig war, wie können dann seine Schüler und
die von ihm gegründete Kirche christlich sein, wenn Jesus und die
Seinen jüdischen Glaubens waren?
Wir
können die Frage auch anders stellen: ist das AT ein Buch des
jüdischen Glaubens , das dann angefangen mit Paulus und den
Evangelienverfassern zu einem christlichen Buch umgedeutet wurde?
Gibt es also den jüdischen Glauben des Abraham und den christlichen
des Paulus als zwei verschiedene Religionen und in der Mitte zwischen
Abraham und Paulus sozusagen eine Person, die jüdisch im ethnischen
Sinne war, und jüdisch glaubte und doch der Gründer der
christlichen Religion war? Oder sollen wir eher urteilen, daß die
jesuanischen Urgemeinden eigentlich Teil des zeitgenössischen
Judentumes waren, bis sie ausgeschlossen wurden von der Synagoge:
„denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn [Jesus]
als den Menschensohn bekenne, aus der Synagoge auszuschließen.“
(Joh, 9,22) Sie wären dann sozusagen fremdbestimmt zu Christen, zu
einer anderen Religion geworden, weil sie nicht mehr als Teil des
Judentumes anerkannt worden sind. Erst die Exkommunikation aus dem
Judentum ließ so gesehen die christliche Religion als selbstständige
neben der jüdischen entstehen. Das hieße dann aber auch, daß die
christliche Religion und die christliche Kirche etwas ist, das
eigentlich nach der Intention Jesu und seiner Schüler gar nicht sein
sollte-sie verstanden sich danach ja selbst als Anhänger der
jüdischen Religion-vielleicht als eine Reformbewegung, aber eine
innerhalb der jüdischen Religion. Daß in den Anfängen der Kirche
das Programm der Heidenmission umstritten war: können Heiden
Jesusgläubige werden, ohne sich gemäß der jüdischen Religion zu
beschneiden, könnte daraufhin deuten, wie sehr man sich noch als
jüdisch im religiösen Sinne verstand.
Dies
präsumiert aber, daß es zuerst eine jüdische Religion gab, deren
bedeutendstes Dokument das AT ist, wobei allerdings nicht von allen
alle Teile anerkannt wurden, und daß dann secundär die christliche
Religion sich bildete, die seltsamerweise das Buch der jüdischen
Religion als Quelle der neuen Religion neben dem neuen Buch des NT
annahm.
Diese
Vorstellung ist heuer populär geworden. Aber stimmt sie auch? Was
wäre dann das Christentum für ein seltsames Hybridwesen, fußte es
auf einem jüdischen Fundament, im religiösen Sinne und einem
daraufgesetzten christlichem ersten Stockwerk, dem Neuen Testament
als dem Buch der christlichen Religion!
Der
hl. Vater Benedikt XVI. weist uns da einen anderen Weg mit seiner
These, daß vom Judentum -im religiösen Sinne-erst nach der
Zerstörung des Tempels gesprochen werden könne.3
„Für das Judentum musste das Erlöschen des Opfers, die
Zerstörung des Tempels, eine furchtbare Erschütterung sein. Tempel
und Opfer stehen im Zentrum der Tora. Nun gab es keine Entsühnung
mehr in der Welt, nichts mehr, das gegen ihre weiter wachsende
Verschmutzung durch das Böse ein Gegengewicht sein konnte. Und:
Gott, der seinen Namen auf den Tempel gelegt hatte, also
geheimnisvoll in ihm wohnte, hatte diese seine Wohnstatt auf der Erde
verloren. Wo ist der Bund? Wo die Verheißung?“4
Ob
dieser Katastrophe mußte das Alte Testament neu gelesen werden und
erst diese Neulektüre ließ diese Schrift zur Schrift der jüdischen
Religion werden! Die rabbinische Lektüre ist so die Konstitution der
jüdischen Religion! „Erst von da an sprechen wir vom „Judentum“
im eigentlichen Sinn als eine Weise, den Kanon der biblischen
Schriften [gemeint ist hier das AT] als Offenbarung Gottes anzusehen
und zu lesen ohne die konkrete Welt des Tempelkultes.“ 5
Das
Christentum konzipierte sich dagegen mit der Deutung der
Eucharistiefeier als der Aufhebung (im hegelischen Sinne) und
Vollendung des alten Tempelkultes, ist zu ergänzen. Es gab also zu
Zeiten Jesu noch gar keine jüdische Religion. Diese konzipierte sich
erst nach der Zerstörung des Tempels! Aber diese Vorstellung
provoziert Fragen: Was war dann die Religion der Juden-im ethnischen
Sinne-bevor sie jüdisch im religiösen Sinne wurden? War diese
Religion der Juden im ethnischen Sinne weder christlich noch jüdisch?
Was dann?
Ich
schlage die These vor, daß sie als christliche Religion anzusehen
ist, da ihr Zentrum die Erwartung des Messias ist, die sich in Jesus
von Nazareth erfüllte. So glaubte auch Abraham christlich und nur so
kann er auch das Vorbild für den christlichen Glauben sein.
(Vgl
Röm 4) Auch das religiöse Judentum kennt eine Messiaserwartung,
aber die jüdische Religion lehnt es ab, diesen erwarteten Massias
mit Jesus von Nazareth zu identifizieren.
Das
„Nein!“ zu Jesus als den Messias konstituierte so die jüdische
Religion. Sie sah in ihm nicht die Aufhebung und Vollendung des
jerusalemer Tempelkultes und so in der Eucharistie feiernden Kirche
die Prolongierung des Tempelkultes. Sie suchte eine Alternativdeutung
und so konstituierte sich das rabbinisch-religiöse Judentum als die
jüdische Religion-
Joh
9,22: „denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn
[Jesus]als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen.“
Durch den Ausschluß all derer, die Jesus als den Christus bekennen,
konstituierte sich so die jüdische Religion. Sie ließt dann das AT
und die Tatsache der Zerstörung des Tempels im Lichte des
Bekenntnisses, daß dieser Jesus von Nazareth nicht der Messisas ist.
Das Christentum bekennt nun, daß Jesus der Messias ist und sieht an
stelle des zerstörten Tempels die kirchliche Eucharistiefeier.Wenn
man das Gewicht ganz auf das Ende des Tempels legt,könnte der
Eindruck entstehen, daß sowohl die religiös jüdische wie die
christliche Deutung kontingente Deutungen dieses Ereignisses seien,
die beide ihre Legitimität hätten. Nur, richten wir unser Augenmerk
auf Jesus von Nazareth, dann gilt nicht, daß sowohl das Bekenntnis,
er sei der Messias wie auch das Urteil, er sei es nicht,
gleichberechtigt nebeneinander stehen könnten. Es gibt nur die eine
Wahrheit!
Das
Christentum ist also die Religion, die die Messiasverheißung des AT
in Jesus von Nazareth erfüllt sieht und so dem Glauben der Juden des
AT gerecht wird. Darum sagt ja Jesus: „Wenn ihr Mose glauben
würdet, müsset ihr auch mir glauben; denn über mich hat er
geschrieben.“ (Joh 5,46). Es ist nicht möglich, zu sagen, ich
schenke Mose Glauben, aber Jesus nicht.Das Nein zu Jesus, er sei
nicht der Messias, ist so unvereinbar mit dem Glauben des AT. Gerade
in diesem Ausspruch klärt der Heiland selbst das Verhältnis des
Unglaubens an ihn zum Glauben an das AT: es kann keine jüdische
Religion geben, die weil sie Jesus als Messias reprobiert, sich der
Treue zu den Vätern des Glaubens, Mose, Abraham etc rühmen kann.
Mit dem Nein! zu Jesus wird unmittelbar auch das Nein! zu Mose
gesprochen.
Die
jüdische Religion ist so das gelebte Nein! zur christlichen
Religion,das Nein! zum Bekenntnis zu Jesus als dem Messias. Diese
Religion konstituiert sich so durch dieses Neinsagen. Und dieses Nein
bleibt der Religion nicht äußerlich. Der Tempel ist zerstört, es
gibt keinen Tempelkult mehr: es entstand eine Religion ohne ihr
Zentrum, ohne Herz, denn es hat keinen Tempelkult. Es ist ein Signum
aller nachchristlichen Religionen, daß sie alle ohne den Opferkult
sind-auch der Islam kennt keinen Opferkult! Das einzig wahre Opfer,
das Jesu Christi, verunmöglicht andere Opfer-jetzt gibt es nur noch
das eine wahre, das Meßopfer der Kirche. Das Nein zu Jesus
konstituiert so eine defekte Religion, eine Religion, dem das
Herzzentrum fehlt. Alle vorchristlichen Religionen können auch als
Vorbereitungen auf die wahre Religion begriffen werden, indem der
Opferkult in ihnen auch ein- wenn auch- verzerrtes Vorzeichen des
wahren Opferkultes ist.
Wie
urteilt Jesus Christus nun über den Gottesdienst der Synagoge, die
das Nein zu ihm gesprochen hat: „Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt auch
den Vater nicht.“ (Joh 5,23b) In dem Gottesdienst der jüdischen
Religion wird nicht Gott geehrt und wir Christen ehrten dann in der
Messe zusätzlich noch den Sohn: mitnichten. Wo Jesus nicht als der
Sohn Gottes verehrt wird, da wird auch der Gott Mose und Abrahams
nicht verehrt!
Was
meint dann: „denn das Heil kommt von den Juden“? Es kann nicht
meinen: von der jüdischen Religion! Es meint das jüdische Volk, das
wahrhaft im Tempel zu Jerusalem opferte, gemäß Gottes Willen, bis
der neue Kultus der Eucharistie das Tempelopfer ersetzt und darin
doch auch vollendet.
Benedikt
XVI. verdanken wir so den klugen Hinweis, daß im eigentlichen Sinne
von der jüdischen Religion erst zu sprechen ist als der Verneinung
des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus und dem Nein zur
kirchlichen Eucharistiefeier als der Vollendung des jerusalemer
Tempelopfers. Das Judentum als Religion ist so gesehen nicht eine
Vorstufe der wahren christlichen Religion, auch nicht eine
alternative Deutung des AT neben der christlichen, sondern ist das
gelebte Nein! zu Jesus Christus,das erst nach der Geburt Jesu
gesprochen werden konnte, denn es setzt das urchristliche Bekenntnis
zu Jesus als dem Messias voraus.
Eines ist aber eindeutig: Jesus war und ist im ethnischen Sinne Jude, aber nicht im religiösen, denn dann müßte er ja zu sich selbst als Messias Nein gesagt haben, dann hätte er von sich sagen müssen: Ich bin nicht der Messias, die Wahrheit und das Leben"
1Vgl:
Rosenberg, A., Der Mythos des 20.Jahrhunderts, 17-20.Auflage, S.76,
Fußnote.
2Rosenberg,
a.a.O. S.76, Fußnote.
3Vgl:
Josph Ratzinger, Benedikt XVI.,Jesus von Nazareth II, 2011, S.45f.
4Ratzinger,
a.a.o., S.45f.
5Ratzinger,
a.a.O., S.46.
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