Märchenstunden
der historischen Kritik
oder
waren die christlichen Gemeinden PR-Organisationen?
Der
Fundamentaltheologe M. Striet äußert sich so zu Weihnachten.
„Bereits die neutestamentlichen Geburts-und Kindheitsgeschichten
Jesu sind sichtlich bemüht, über diese Verkündigungspraxis hinaus
auch die Besonderheit Jesu hervorzuheben. Zwar bleibt historisch
nicht viel übrig, wenn man sich -zumal dem Weihnachtsevangelium, wie
es sich bei Lukas findet-kritisch nähert. Die liebgewordenen
Geschichten rund im das Jesuskind, das von einer Jungfrau während
einer Volkszählung in einem Stall bei Betlehem geboren wird,
entpuppen sich dem historisch-literarisch geschulten Blick als
Erzählungen. Hier wird Theologie getrieben.“1
Das
klingt beim ersten Lesen irgendwie bekannt und auch gar nicht
irgendwie provokativ. Aber was wird uns da alles zugemutet?
Historisch stimme also eigentlich an der Geburtserzählung nichts. Es
ist eine Erzählung und das meint hier: ein fiktiver Text. Wer einen
fiktiven Text interpretiert, frägt nicht, ob das etwa sich so
zugespielt habe. Man kann vielleicht bei der Analyse von Goethes
„Faust“ oder Thomas Manns „Zauberberg“ nach biographischen
Bezügen fragen, aber die zentrale Frage lautet im Deutschunterricht
; was will der Dichter uns mit diesem Text sagen? Präsumiert ist
dabei, daß es zuerst eine Autorenintention gäbe, daß der Autor
dann den Text verfaßt habe, um die Intention in diesem Text
auszudrücken und es die Aufgabe des Lesers nun sei, die dem Text
zugrunde liegende Intention aus dem Text heraus zu destilieren. Der
Text ist „wahr“, insofern und weil er authentisch die
Autorenintention zum Ausdruck bringt. Fiktive Erzählungen schildern
also nicht etwas wirklich Geschehenes, sondern erzählen etwas, um
damit etwas auszudrücken. Was will so die Weihnachtsgeschichte
ausdrücken? Aber bevor wir uns diese Frage von einem
Fundamentaltheologen respondieren lasen, fragen wir zuerst: wie
entstehen denn solche fiktiven Texte?
Eine
einfache Geschichte aus dem politischen Leben soll das verdeutlichen.
Wahlkampf-eine neue Landesregierung soll gewählt werden. Der
Spitzenkandidat der Partei des Herrn Kreativ liegt abgeschlagen auf
Platz 2 in allen Umfragen. Er wird die Wahl verlieren, wird
übereinstimmend prognostiziert.Da hat der Herr Kreativ eine
blendende Idee. Er setzt eine Pressekonferenz an. „Sensationelles“,
kündet er an. Ja, gestern Abend ging er spazieren und er näherte
sich der Brücke. Da, ein Schrei-ein kleines Kind stürzte vom
Brückengeländer in den Fluß, in die tiefe Donau. Die Mutter
schrie: Hilfe! Da sprang der Spitzenkandidat der Partei des Herrn
Kreativ in die Fluten der Donau; er zog das kleine Mädchen aus dem
Wasser-Rettung in letzter Secunde! Aber der Retter winkte ab: „Das
ist doch selbstverständlich! Das hätte doch jeder Anständige auch
so getan“ und verließ den Ort des Geschehens!
So
ist der Kandidat unserer Partei-damit endet dieser Auftritt vor der
Presse.
Was
hat Herr Kreativ getan? Er ist fest davon überzeugt,daß der
Kandidat seiner Partei der richtige Mann ist als zukünftiger
Landesvater. Aber wie kann er nun andere davon überzeugen? Er
erzählt eine Geschichte, die zum Ausdruck bringt, daß er den
Kandidaten für den besten hält. Er erfindet ein Ereignis, in dem
der Kandidat sich als das erweist, für den ihn der Erzähler hält.
Die frei erfundene Begebenheit, der Errettung eines Kindes aus der
Donau soll nun den Hörern zum Grund werden, daß auch sie den
Kandidaten für den Besten halten. Man beachte diese Verschiebung:
zuerst ist das die Intention: daß in einer Erzählung ausgedrückt
werden soll, daß der Erzähler den Kandidaten für den Besten hält.
Die Geschichte erzählt eine Rettungstat des Kandidaten, um ihn
positiv zu qualifizieren. Der Leser soll nun diese Geschichte als
wahr annehmen: so hat sich der Kandidat verhalten und daraus den
Schluß ziehen, daß er der rechte für das Amt des Landesvaters ist.
Aus der Geschichte, die nur ausdrückt, daß der Erzähler den
Kandidaten für den besten hält, soll nun der Grund werden, daß man
ihn für den besten hält. So liest der naive Leser diese Geschichte.
Was
hat das nun mit Jesus und dem Neuen Testament zu tun? Viele gab es zu
Zeiten Jesu, die sich als Messias verkündeten oder als Messias
geglaubt wurden. Jesus von Nazareth war einer unter vielen
Kandidaten. Da begannen die Urchristen, Geschichten von Jesus zu
erzählen, die ausdrückten, daß sie ihn allein für den wahren
Messias hielten. Alle Wundergeschichten des Neuen Testamentes sind so
vergleichbar mit der vom Kandidaten, der das Kind vor dem
Ertrinkungstode errettete. Sie erzählen keine wahren Ereignisse,
sondern in ihnen drückt sich nur die besondere Wertschätzung der
Urgemeinden aus. Fiktive Erzählungen, die aber „wahr“ sind als
Manifestationen des Vertrauensglaubens an Jesu: er ist unser Retter.
Die Geschichten werden aber erzählt, damit andere die erzählten
Geschichten zum Grund nehmen, nun auch auf Jesus zu vertrauen, daß
er der Messias ist. Eigentlich waren die Urchristen gute PR-Agenturen
Jesu!
Der
Fundamentalthologe ist nun aber selbst kein naiver Leser von
„Wundergeschichten“. Er durchschaut ihren rein fiktiven
Charakter. Für ihn ist das nur Literatur. Er frägt: was wollten die
Erzähler damit zum Ausdruck bringen als die Wahrheit hinter dem
Text, als die Autorenintention? Das rekonstruiert er und benennt das
als die Wahrheit des Textes! Der Glaube, daß Jesus etwas
Außergewöhnliches ist,das drücken die Weihnachtserzählungen aus.
Nicht beweisen die Weihnachtserzählungen die Außergewöhnlichkeit
Jesu, sondern sie setzen den Glauben an diese ´voraus, um dann
secundär diesem Glauben erzählerisch zu entfalten. Als kritischer
Leser erkenne ich so den fiktiven Charakter der Weihnachtserzählung
und den wahren Kern, den urchristlichen Glauben an Jesu
Außergewöhnlichkeit und ich stehe vor der Frage: will ich diesen
Glauben teilen oder nicht? Nur, der Grund für den Glauben an Jesu
Außergewöhnlichkeit hat die historisch-kritische Dekonstruktion der
Weihnachtsgeschichte genichtet. Die Erzählungen begründen nichts
mehr, sie drücken nur narrativ entfaltet urchristlichen Glauben aus!
Aus
dem Alltagsleben. „Kennst du den?“-Ja, der arbeitet in der
Stadtverwaltung, und ist verheiratet, 2 Madels und einen Buben. In
der Feuerwehr ist er auch!“ Jemanden kennen, heißt, zu wissen, was
er tut. Die Sphäre der Arbeit und sein Familienstand und seine
Freizeitbeschäftigung-dies drei reicht, um ihn zu kennen. Dahinter
steht ein bestimmtes Menschenverständnis: Der Mensch ist, was er
tut. Selbstredend werden dabei wesentliche Tätigkeiten rapportiert,
also Beruf und der Familienstand.
So
hält es auch das Neue Testament. Jesus kennen, heißt wissen, was er
tat.
Die
Alternative:
„Kennst
du den?“ -Ja, das ist der Sohn von dem Egon Meier, der ja die
Elisabeth geborene Aurich geheiratet hat- das sind die, von...“
Hier
gilt der Grundsatz: einen Menschen kennen, heißt seine Herkunft
kennen. Denn die Herkunft bestimmt den Menschen. Auch das praktiziert
das Neue Testament.es erzählt von Jesu Herkunft, weil man ohne seine
Herkunft zu kennen, ihn nicht kennen kann. Die „Erzählung“ von
der Jungfrauengeburt ist so von eminenter Bedeutung, besagt sie doch,
daß er von göttlicher Herkunft ist und daß seine Mutter, weil sie
eine Jungfrau war, besonders tugendhaft war. Jungfräulichkeit ist
ein äußerst komplexer Begriff, bedeutet er doch die
Übernatürlichkeit seiner Geburt, aber auch, daß Maria sich jedes
Mannes enthielt,um ganz nur für Gott dazusein. Aber neben dieser
religiösen Bedeutung hat der Begriff auch eine moralische Bedeutung,
der der tugendhaften Enthaltung. Aber was macht nun die „kritische“
Lektüre aus dem? Auch das sind freie Erfindungen des
Urchristentumes, um so die Außergewöhnlichkeit Jesu
auszudrücken.Sie sind nur wahr als Ausdruck des urchristlichen
Glsaubens an die Besonderheit Jesu. Sie wurden aber erfunden, um
damit anderen einen legitimen Grund zu geben, an Jesus zu glauben!
Aber der kritische Leser durchschaut diese Verschiebung vom
Ausdruckssein zum Grundsein des Vertrauensglaubens an Jesu. Nur, daß
jetzt der Vertrauensglaube grundlos wird, denn alle Gründe, die die
Bibel erzählt, sind nachträgliche Erzählungen, die nur das
ausdrücken, was die Erzähler unabhängig von solchen Erzählungen
schon glaubten.
Wer
erinnert sich noch an die Märchenstunden der Irakkriege? Irakische
Soldaten stürmen in ein Spital, in die Abteilung Frühgeburten. Mit
tränenerstickter Stimme fuhr die kuwaitsche Krankenschwester vor
laufender Kamera weiter:“Sie zerschlugen die Brutkästen, rissen
die Kleinstbavbies heraus, warfen sie zu Boden-und dann: mit ihren
Stiefeln zertraten sie sie-diese Bestiensoldaten!“ Ganz Amerika,
geschlossen wie ein Mann, zog nun in den Krieg gegen den „Diktator“
Hussein, dem Babymörder. Niemand bestreitet mehr, daß diese
Babymordgeschichte völlig frei erfunden wurde, von einer guten
PR-Agentur der USA, um den Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen.
Aber
auch hier gilt das selbe. Am Anfang stand der Glaube an den bösen
Diktator. Dann wurde eine Geschichte über ihn erfunden, die
ausdrücken sollte, daß er wirklich ein böser Diktator ist, daß er
selbst Babies umbringen läßt. Die erfundene Geschichte, die der
Ausdruck des Glaubens ist, daß er ein böser Diktator ist, sollte
nun für die amerikanischen Seher zum Grund werden, daß auch sie
legitim glauben, daß Hussein ein böser Diktator ist. So
funktioniert Propaganda.
In
unserer Welt ist die Propaganda zum Alltagsgeschäft geworden, nicht
nur der Politik. Um des guten Zieles willen das Unwahre sagen! Von
dem Waschmittel Omo, das weißer wäscht als weiß, über „blühende
Landschaften“ bis zur „Bionahrung“.Nur, dürfen und können wir
davon ausgehen, daß auch die Menschen zu Zeiten Jesu schon ein so
laxes Verhältnis zur Wahrheit hatten-und noch viel ärger: daß
gerade die Schüler Jesu und die Urkirche PR-Agenturen waren, die
kreativ drauflos phantasierten, um ihren Jesus öffentlichkeitswirksam
zu vermarkten: von seiner Wundergeburt über seine Wundertaten bis zu
seinem wunderbaren Wiedererscheinen nach seinem Tode? Denn das sind
ja alles auch nur kreative Erzählungen Phantasiebegabter, um ihren
Glauben an die Außergewöhnlichkeit Jesu auszudrücken.
Nur,
was ist denn nun der Grund für den Glauben an Jesu
Außergewöhnlichkeit, wenn bei Lichte gesehen, eigentlich alle
Erzählungen über Jesu nur fiktive Erzählungen sind, die nur den
Vertrauensglauben der Urchristen ausdrücken? Es gibt wohl
keinen-außer dem völlig irrationalen, daß Jesu Mitmenschen so
begegnete, daß sie an ihn glaubten. Die Schüler Jesu gleichen
frisch Verliebten, die auch nicht sagen können,warum sie sich in den
verliebt haben, in den sie sich verliebt haben.Denn alle Gründe, die
sie nennen: darum liebe ich dich, sind secundäre Gründe-erst
verliebt man sich und im Lichte des Verliebtseins findet der
Verliebte dann die Gründe zum Verlieben, die es nur für ihn als
Verliebten gibt.
So
befremdlich es klingt, es ist so. Die historisch-kritische
Dekonstruktion der Jesuerzählungen führt dazu, daß alle rationalen
Gründe des Glaubens an Jesus als den Sohn Gottes sich auflösen als
Täuschung: sie drücken nur aus, was unabhängig von diesen
Erzählungen als Begründung des Glaubens geglaubt wird, und so wird
der christliche Glaube völlig verirrationalisiert! Ein solcher
Glaube kann dann wirklich nur noch rein subjektivistisch als :“Ich
glaube das so!, aber du brauchst es nicht so zu glauben!, denn jeder
kann ja glauben, was und wie es ihm gefällt,“ bekannt werden!
Das
subsumiert dann der Fundamentaltheologe Striet unter dem Begriff des
Christseins in der Moderne, in der die „Autonomie“ das höchste
Gut des Menschen ist; Gemeint ist damit, daß die einstigen
religiösen Wahrheiten nun von den Konsumenten frei erwählt werden
können, ganz nach dem individuellen Geschmack.2
Bedenkenswert ist dabei, daß eine wissenschaftliche Methode gerade
der Verirrationalsierung des Glaubens der Kirche Vorschub leistet!
1Striet,
M., Der gute Gott, in Christ in der Gegenwart, 51/2007.
2Vgl:
Striet.M., Kirche im Wandel?!, Impulsreferat Diözisanversammlung
Freiburg 25-28.April 2013.
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