Simone de Beauvoir stellt ihren Roman: "Das Blut der anderen" unter das Dostojewskij Motto: "Jeder Mensch ist für alle und alles verantwortlich". Eine rigoristische Überspanntheit? Ich kann als Ich doch nur für mein Tun und mein Unterlassen verantwortlich sein! Für das Tun und Unterlassen der Anderen, auf das ich keinerlei Einflußmöglichkeit habe, kann ich doch in keinster Weise verantwortlich sein. Und auch Gott wird nur jeden Einzelnen nach seinem Tun und seinem Unterlassen gerecht richten und nicht nach dem, was etwa seine Vorfahren getan und unterlassen haben. Das ist so evident, daß sich jede weitere Erörterung dieser Thematik erübrigt.
Szenenwechsel: 1954 waren wir Weltmeister und jetzt sind wir es wieder!", jubelte letztes Jahr so mancher Deutsche Fußballfan- und auch Nichtfußballenthusiasten stimmten ein und wir feierten zusammen unseren Sieg in der Fußballweltmeisterschaft. Nur, 1954 war ich noch gar nicht geboren-da gab es mich noch gar nicht! Wie kann ich dann aussagen: Wir waren 1954 und jetzt wieder Weltmeister? So redet man halt,könnte geantwortet werden, aber zu bedeuten habe dies Gerede nichts. Wie nun aber, wenn in dieser Aussage mehr Wahrheit enthalten ist, als es dem, der das so daherredet bewußt ist- daß vielleicht die Sprache mehr Wahrheit enthält, als uns immer auch als Sprechender bewußt ist?
Versuchen wir es mal anders. Was ist von dieser Aussage zu halten: meine Finger schreiben jetzt diese Zeilen? Tatsächlich, es stimmt, auch wenn diese Aussage doch sehr befremdlich klingt. Eher gefiele uns: Ich schreibe diese Zeilen mit meinen Fingern, indem ich die Schreibtastatur des Computers mit meinen Fingern betätige. Ich, das ist eine Summe von vielen Teilen, die ich jetzt je nach dem gewählten Ordnungssystem verschieden aufzählen könnte, etwa: ich bestehe aus: Fleisch und Knochen, aus einer Seele und einem Körper, aus Es, Ich und Überich...aus Zellen...aus Organen...und irgendwie ist dann
das Alles doch eine Einheit: ich schreibe, auch wenn der Versuch zu klären, wie viele Teile von mir wie an diesem Schreiben beteiligt sind, mich ad hoc überfordern würde angesichts der Komplexität der Gesamthandlung des Schreibens. Aber darauf bestehen wir, daß Ich es bin, der da schreibt. Das Ich ist so die denknotwendige Voraussetzung dafür, daß ich, was auch immer ich in, mit und durch die vielen Teile von mir tue oder unterlasse, daß Ich es Mir als Mein Tun und Unterlassen zuschreiben kann.
Was ist nun das "Wir" in der Aussage: wir waren 1954 Weltmeister und sind es jetzt wieder? Es ist offensichtlich das, was in meiner Autobiographie, wenn ich denn eine schriebe, das Ich ist, das, das aus der Serie der Taten und Erlebnisse und Widerfahrnisse eine Geschichte eines Iches macht, meine Autobiographie. In dem Falle der Fußballweltmeisterschaft gibt es also ein "Ich" des Deutschen Volkes, das von sich sagt: Wir sind 1954 und jetzt Weltmeister. Und ich bin Teil dieses Wirs, wie in der Aussage, daß meine Finger diesen Essay schreiben, diese meine Finger die Finger meines Iches sind, sodaß gesagt werden kann: Ich schreibe mit meinen Fingern.
An dem Erfolg der Deutschen Fußballweltmeisterschaftsmannschaft habe ich als nach 1954 Geborener nicht unmittelbar einen Anteil, sondern nur als Teil des Subjktes: "Wir", als dem Ich des Deutschen Volkes. Ein Teil von etwas kann als Ganzes angesehen werden, etwa als das Herz als ein Organ in mir, aber es kann auch als Teil von mir angesehen werden. Und so ist es wohl auch mit meinem Ich: ich kann es als Ganzes, als für sich seiend betrachten, wie das Organ Herz, oder als Teil von einem Ganzen. Dann bin ich Glied an einem großen Ganzen und partizipiere so an der Biographie des Ganzen. So kann ich wirklich aussagen: Wir sind jetzt Weltmeister und waren es 1954 auch schon mal.
Es gibt also Kollektivsubjekte, ein "Wir", in dem viele Iche inhärent sind und an ihm teilhaben. Bin ich nun so ob dieser Methaxis auch verantwortlich für das Tun und Nichtunn dieses Wir-Subjektes. Diese Frage habe ich aber, wenn ich auf das gerade von mir Geschriebene schaue, schon respondiert, indem ich ausgesagt habe: Wir waren 1954 Weltmeister. Ich begreife mich in dieser Aussage so sehr als Teil des Kollektivsubjektes "Wir"daß der Sieg des Wirs auch mein Sieg ist.
Nun bin ich auch Katholik-ich gehöre so dem Leib Christi an, nämlich seiner Kirche, deren Haupt er ist. So gibt es ein Wir-Subjekt, die Kirche, an dem ich als Glied Anteil habe. Und als Glied gilt nun doch wohl, daß ich somit Anteil habe am Tun und Unterlassen der Kirche im Laufe der Zeit, so wie ich sage: Wir sind Weltmeister 1954 gewesen und damit ich auch aussage,daß ich auch an diesem Titelgewinn einen Anteil habe, obzwar ich damals noch gar nicht war.
Der Weltanschauung des Liberalismus und der philosophischen Richtung des Nominalismus sind das alles Abstrusitäten, weil es für ihn immer nur das Einzeletwas gibt und alle Kollektive, das Volk, die Kirche, die Familie nur Abstraktionen sind, denen keine Realität außerhalb des Denkens zukommt. Nur, welche Realität kommt dann mir zu, wenn auch ich nur eine Vielzahl von...bin und wenn die Einheit dieser Vielzahl auch dann nur im Denken ist und nicht in der Wirklichkeit.
Das Kollektivsubjekt Kirche ist so etwas, das meinem ich vorausgeht und es wird noch sein, wenn ich nicht mehr auf Erden sein werde- aber, da ich als ich ein Glied der Kirche bin, kann ich auch aussagen, daß ich Anteil habe an der Gesamtautobiographie der Kirche! Und vernittelst dieser Teilhabe kann ich mit Dostoijewskij aussagen, daß jeder Katholik für die ganze Geschichte der Kirche eine Mitverantwortung besitzt, weil er als Ich immer auch ein Glied des Wirs der Kirche war.
Daß die Kirche der Leib Christi ist, kann uns dies immer gut vor Augen halten. Denn wir sind dann als Glieder der Kirche immer Teilhaber am Ganzen der Kir
che in ihrer Einheit als kämpfende (auf Erden), als leidende (im Fegefeuer) und als triumphierende (im Himmel).
Eigentlich ist das einsichtig, daß ich als Teil von Kollektivsubjekten, dem Volk, das ich angehöre, der Kirche, deren Glied ich bin, teilhabe an der Gesamtgeschichte dieses Kollektivsubjektes. Uns Deutschen ist diese Einsicht aber fast verunmöglicht worden durch den Gebrauch dieser Kollektivsubjektskonzeption durch die Vorstellung einer Kollektivschuld aller Deutscher am Holocaust. Dabei wird dann heimlich aus der Teilhabe an diesem Ereignis ob des Wir-Subjektes eine Individualschuld, als wenn jeder für sich persönlich daran eine Schuld trüge. Aber das wird so dem Teilhabechgarakter nicht gerecht- weil das Wir nicht einfach eine Summe von Ichen ist, die jedes für sich das tat, was dann zur Gesamttat sich zusammenrechnet.
Hat dann Dosojeweskij doch recht,wenn er urteilen würde, daß ich als Mensch Teil der Menschheit bin und so für alles Tun und Unterlassen der Menschheit verantwortlich wäre? Ist es doch keine reine Überspanntheit eines moralischen Rigoristen? Dostojewskij werden wir so wohl nicht gerecht. Zu tiefgründig denkt er, als daß man ihn mit solchen Schlagworten gerecht werden könnte.
Eines geht aber sicher nicht: freudig einzustimmen in den Ruf: Wir sind Weltmeister, oder wie es einmal hieß: Wir alle sind Papst, und im Blick dann auf die dunklen Seiten zu rufen: damit habe ich nichts zu tun- ich bin nur Teil vom Wir in den guten und schönen Tagen des Wirs, sonst bin Ich nur Ich und nur für mein Tun und Unterlassen zuständig.
Der Kirche Jesu Christi werden wir auf jedem Falle in keinster Weise gerecht, denken wir sie uns nur als eine Anzahl von vielen Einzelichen im Laufe der Zeit der Kirchengeschichte. Nein, wir stehen vor der Aufgabe, die Kirche als ein Subjekt zu begreifen, das meinem Ich immer schon vorausgeht und in dem ich als Glied inkorporiert bin. Und so erst kann der Begriff des Volkes verstanden werden, denn das ist etwas anderes als die Summe der jetzt in der Kirche Seienden! Nur, das belastet uns eben auch mit der Geschichte der Kirche, von der sich der Einzelgläubige nicht so einfach distanzieren kann, als hätte es gar keinen Anteil an dieser Geschichte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen