Der Chefankläger Rolf Hochhuth. In seinem Drama: "Der Stellbertreter" klagt er Pius XII. an, er "hätte durch seinen Protest den Judenmord verhindern können. Das "Versagen" des Papstes wird insbesondere im 4.Akt des Dramas "Der Stellvertreter" dargestellt: Der Jesuit Riccardo Fontana kommt in den Vatikan, um dort über die Judenvernichtung in Auschwitz zu berichten.." (Feldkamp, Pius XII. und Deutschland, 2000, S.178.) Also, der hl. Vater wußte über den Holocaust Bescheid und obwohl er davon wußte, verhinderte er ihn nicht. Die Parallelfrage: wenn die USA und ihre Verbündeten über den Holocaust informiert waren, warum taten sie nichts dagegen, wird dagegen kaum gestellt Eine der seltenen Ausnahmen: D.S. Wymann, Das unerwünschte Volk. Amerika und die Vernichtung der europäischen Juden, 1984. Ob den der hl. Vater wirklich die Möglichkeit gehabt hätte, durch was für Aktionen auch immer, den Holocaust zu verhindern, soll hier nicht erörtert werden. Zumindest aber in einem könnte dieser Hochhuthkritik zugestimmt werden, daß das, was der Vatican unternahm zur Rettung der Juden in keinem angemessenen Verhältnis stünde zu dem Ereignis des Holocaust, wenn denn der Vatican vollständig über dies Ereignis- ab wann eigentlich?- genau informiert war!
Was wußte exakt Papst Pius XII.mit welcher Gewißheit wann über den Holocaust? Meine Verdachtthese: Hochhuth und seine Nachfolger behaupten einfach, daß der Vatican Alles wußte-und schon rechtzeitig genug, um das Schlimmste verhindern zu können, allein, um den Papst und den Vatican einer Mitschuld am Holocaust bezichtigen zu können. Wie um die Schuld aller Deutschen am Holocaust zu begründen, gesagt wird, daß jeder nach der Lektüre von "Mein Kampf" den Holocaust vorauswissen konnte, wird auch hier die These einer völligen Informiertheit im Vatican über den Holocaust behauptet. Nur der Beweis für das Bekanntsein des Holocaustes fällt dann erstaunlich dürftig aus!
Bei Feldkamp liest sich das so: "Im März 1943 kamen aus Preßburg Nachrichten, daß deportierte Juden durch Vergasung getötet wurden und die Leichen zur Seifenfabrikation gelangten." (S.143): Als Quelle wird benannt: "Undatiertes Schreiben: ADSS, BD. S.217." (S.208). Was nun in dieser Quelle steht, konnte ich nicht eruieren Unbestritten ist aber, daß der zweite Teil dieser Meldung eine Falschinformation ist, denn kein Historiker behauptet, daß Juden von Deutschen zu Seife verarbeitet worden sind. Es drängt sich damit die Frage auf: wie zuverlässig ist dann der erste Teil dieser Benachrichtigung, wenn beide Teile aus einer Quelle entstammen und der zweite Teil eindeutig eine Fehlmeldung ist?
Aber schon im Frühjahr 1942 soll das päpstliche Staatssekretariat über die Organisation der Judenvernichtung informiert gewesen sein! Es wird dafür aber kein Beleg und keine Quelle angegeben! Dann heißt es bei Feldkamp weiter: " Das päpstliche Staatssekretariat war im Dezember 1942 zu der Ansicht gelangt, daß Alte, Kranke und Kinder eben nicht in Arbeitslager, sondern zur Tötung in Vernichtungslager kamen." (S.142). Wenn das Staatssekretariat im Frühjahr 1942 schon über die "Organisation der Judenermordung informiert war, wie kann dann die Ansicht Dezember 1942, wie gerade gelesen, noch etwas Neues und Darüberhinausgehendes sein?
Frappierend ist nun wirklich, wie wenig Mühe sich dies Buch macht, die wichtigste Präsumption der Anklage wider Papst Pius XII. zu untersuchen , ob es denn wahr ist, daß er vor dem Ende des Krieges ausreichend und zuverlässig über den Holocaust informiert war!
Wymann konstatiert so: "Erst nach Kriegsende konnte das volle Ausmaß der Vernichtung in den sechs Lagern rekonstruiert werden. Auschwitz war in seiner zentralen Bedeutung, die es bis 1944 hatte, überhaupt nicht erkannt worden." (D.S. Wymann, Das unerwünschte Volk. 1989, S.65). Man beachte das Wort "überhaupt nicht"! Um dies dann doch noch zu relativieren, versucht er darzulegen, daß zumindest vorher in Amerika bekannt war, daß Hitler die Juden ausrotten wollte.
Könnte es sein, daß der Wunsch, eine Mitschuld des Papstes oder Amerikas zu konstruieren, die mangelnde Qualität und Zuverlässigkeit der Berichte und Informationen vor 1945 über das Judenausrottungsprogramm Hitlers zum Verschwinden bringt? Denn seit Bismarck wissen wir: nie wird je so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd. Merksatz: für alle Kriegsbeteiligten ist es so sehr schwer, wahre Berichte von Fehlberichten zu unterscheiden! Und das galt auch für den Vatican während des 2.Weltkrieges.
"Erhielt alarmierenden Bericht in Führerhauptquartier werde Plan diskutiert und erwogen in deutsch besetzten und kontrollierten Ländern alle Juden Anzahl dreieinhalb bis vier Millionen nach Deportation und Zusammenfassung im Osten mit einem Schlag auszurotten und damit die jüdische Frage ein für allemal zu lösen stop Aktion geplant für Herbst Methoden einschließlich Blausäure in Diskussion stop.“
Die Rezeptionsgeschichte:
Bezeichnend dafür ist das Schicksal des sogenannten Riegner Telegrammes, das heuer als die erste zuverlässige Information gilt, vom 8.August 1942 (man beachte das Datum) in der das Ausland über Hitlers Ausrottungsprogramm berichtet wurde. Wikipedia schreibt dazu:
Das Telegramm:
"Erhielt alarmierenden Bericht in Führerhauptquartier werde Plan diskutiert und erwogen in deutsch besetzten und kontrollierten Ländern alle Juden Anzahl dreieinhalb bis vier Millionen nach Deportation und Zusammenfassung im Osten mit einem Schlag auszurotten und damit die jüdische Frage ein für allemal zu lösen stop Aktion geplant für Herbst Methoden einschließlich Blausäure in Diskussion stop.“
Die Rezeptionsgeschichte:
"Obwohl bereits Nachrichten über Massenexekutionen in Europa nach England und in die USA gedrungen waren, wertete das amerikanische State Department den Inhalt des Telegramms als „wildes, von jüdischen Ängsten inspiriertes Gerücht“; das Foreign Office (Außenministerium) leitete das Telegramm erst einmal nicht weiter. Erst am 28. August 1942 gelangte es zum Leiter des Jüdischen Weltkongresses in New York, dem Rabbiner Stephen Wise, der daraufhin Felix Frankfurter, einen Richter am Supreme Court, informierte. Dieser sorgte dafür, dass der Bericht ins White House gelangte. Auch der Vatikan und das IKRK wurden informiert. Beide machten jedoch geltend, dass die Glaubwürdigkeit des Berichts nicht überprüft werden könne.[2"
Was heuer der Geschichtsschreibung als ganz und gar eindeutiger Beweis für den Holocaust gilt, erschien so den Zeitgenossen als zweifelhaftes Dokument. Erst im Rückblick im Wissen um den Holocaust erhält dieses Telegramm seine Eindeutigkeit, daß es wahr ist. Aber war es ein moralisches Versagen, wenn an der Wahrheit dieser Information gezweifelt wurde? Wie wahrscheinlich ist es denn, daß Inhalte einer Diskussion im Führerhauptquartier jemand in das Ausland weiterleitete? Soll ein Mitdisputant die Diskussion, oder zumindest das Ergebnis weitergeleitet haben? Dann müßte er wohl in Opposition zu diesem Ergebnis gestanden haben. Wie wahrscheinlich ist es da die Vorstellung, daß ein so oppositionell Gesonnener an einer solchen Beratung im Führerhauptquartier teilnehmen konnte? Aufgrund dieser offensichtlichen Problematik ist die Geschichte der Genese dieses Telegrammes dann so variiert worden. In Wikipedia: "Eduard Schulte" lesen wir nun:
"1942 erfuhr Eduard Schulte von der beabsichtigten „Endlösung der Judenfrage“, nachdem Fitzner am 17. Juli 1942 an einem Zusammentreffen der oberschlesischen NSDAP-Gauleitung mit Heinrich Himmler teilgenommen hatte.[2] Über einen Geschäftspartner, Isidor Koppelmann, und Benjamin Sagalowitz, einen jüdischen Journalisten, der in der Schweiz die Informations- und Pressestelle der Jüdischen Nachrichten aufgebaut hatte, gab Eduard Schulte im Juli 1942 die Information über den Beginn der systematischen Vernichtung der Juden in Deutschland an Gerhart M. Riegner weiter, damals Vertreter des Jüdischen Weltkongresses in der Schweiz."
Jetzt war es keine Besprechung im Führerhauptquartier mehr, sondern eine einer Gauleitung der NSDAP, an der ein Herr Fitzner beteiigt war. der es dann Schulte weiterleitete. Ob diese rekonstruierte Genese des Telegrammes den Gehalt glaubwürdiger macht, mag der Leser selbst entscheiden unter der Frage, ob es wahrscheinlich ist, daß Himmler selbst Personen, die in der Hierachie der Partei nicht zu den Höchsten gehörten ein so sonst so geheim gehaltenes Unterfangen so freimütig erzählte, zumal die Gauleiter am Holocsaustvollzug nicht beteiligt waren?
Es drängt sich so doch der Verdacht auf, daß, weil man unbedingt Papst Pius XII. und anderen eine Mitschuld am Holocaust zuschreiben möchte, Berichte als hundertprozentig glaubwürdig eingestuft werden, die bei einer vorurteilsfreien Analyse doch Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit zulassen, sodaß weder der Vatican noch die politische Führung Amerikas sie zum Anlaß zum Handeln nahmen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen