Samstag, 30. Januar 2016

Das Lob der Grenze

„Wir haben das Lob der Grenze nicht gelernt“, sagte Sloterdijk. In Deutschland glaube man immer noch, „eine Grenze sei nur dazu da, um sie zu überschreiten“. Innerhalb Europas schere Deutschland damit aus. „Die Europäer werden früher oder später eine effiziente gemeinsame Grenzpolitik entwickeln. Auf die Dauer setzt der territoriale Imperativ sich durch. Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung.“ Peter Sloterdijk, in Cicero, Februarausgabe. Sloterdijk ist sicher einer der anregendsten Philosophen der Gegenwart, den immer der Mut zum selbstständigen Denken auszeichnet. Hier ist nun nicht der angemessene Ort, diesen Denker geziehmend zu würdigen, zumal die beste Würdigung darin besteht, ihn zu lesen und mit ihm zu denken.
In R. Musils Romanwerk: Der Mann ohne Eigenschaften im 7. Kapitel: "In einem Zustand von Schwäche zieht sich Ulrich eine neue Geliebte"  lesen wir, scheinbar den ganz und gar lapidar daherkommenden Satz: "Schließlich besteht ja das Ding nur durch seine Grenzen und damit durch einen gewissermaßen feindseligen Akt gegen seine Umgebung". Der Begriff des Dinges steht hier für alles Seiende, den auch die Farbe Rot ist ja nur durch seine Grenze zu allen Nichtrotfarben. Wo die Grenze aufgehoben würde, löste sich alles Seiende auf in ein graues Einerlei. Nur, spontan empfindet der freiheitsliebende Menschen Grenzen als ihn Begrenzendes und so werten ja selbt von Christen die Gebote Gottes und der Kirche als freiheitsbegrenzend empfunden, als etwas den Menschen Hemmendes. Und ist nicht die ganze menschliche Kultur etwas den ursprünglichen Menschen Begrenzendes und Domestizierendes? War die Freiheit des Menschen seine Ursprünglichkeit in einem unbegrenzten Leben? Wer so denkt, identifiziert Freiheit mit Willkür. Dann müßte aber auch im Sinne Marquise de Sade geurteilt werden, daß nur der wie ein Diktator Lebende ein freier Mensch ist, und das auch nur, weil er allen anderen ihre Freiheit raubt.   
Aber so "philosophisch" tiefschürfend  geht es im Leben nicht zu. Viel banaler: jede Grenze empfindet das Wirtschaftsleben als Begrenzung seines Ideales des unbegrenzten Freihandels, für den alles kauf- und verkaufbare Ware sein soll. Der Primat der Politik über die Wirtschaft fordert, wie Fichte es in seinem Konzept des "geschlossenen Handelsstaates" den Nationalstaat, der um seiner Freiheit als Selbstbestimmung des Volkes gedacht, den Außengrenzen setzenden Staat, der so Ein- und Ausfuhr regelt ausgerichtet an dem Gemeinwohl des Volkes. Lösen sich diese Grenzen, bestimmt nicht mehr die Politik das Wirtschaftsleben sondern das Wirtschaftsleben die Politik. 
Wo ein Volk auf seine Grenzen verzichtet, da beginnt es sich aufzulösen. Denn zum Volkssein gehört unbedingt die Unterscheidung von dazugehören und nichtdazugehören dazu. Gibt es diese nicht mehr,löst sich jedes bestimmte Volk auf in das Einerlei von bloßem Menschsein. So existiert ja die Katholische Kirche auch nur durch ihre Grenzziehung zu den anderen christlichen Dominationen; wird diese Grenze aufgelöst, entsteht ein diffuses unbestimmte Irgendwiechristentum.  
Das Lob der Grenze bedeutet so für den religiösen Raum die Bejahung der Katholischen Kirche, die ihre Grenze zu allen anderen christlichen  Kirchen und Gemeinschaften setzt und bewahrt, für den politischen Raum, daß der Nationalstaat  zur Bewahrung seines Volkes seine Grenzen setzt und bewahrt und im menschlich elementaren Bereich, daß Frauen und Männer sich jeweils wechselseitig begrenzen, damit sie sich erhalten. In all diesen drei Räumen gibt es aber nun starke dazu antithetisch sich verhaltende Bewegungen der Auflösung aller Grenzen. Die Globalisierung will alle Nationalstaaten abschaffen, die Ökumene und der interreligiöse Dialog alle bestimmten Religionen und der Genderismus die Grunddifferenz von Mann und Frau!         

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