Freitag, 27. Februar 2015

Denken-Nein Danke? und 3Zusätze

"Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken", übersetzt die ökumenische Einheitsübersetzung Lk, 1, 77. Im Griechischen heißt es aber : "Erkenntnis des Heiles"! Aber wieso wird aus der Erkenntnis des Urtextes eine Erfahrung des Heiles? Sprachlich ist diese Übersetzung falsch. Ist sie ideologisch begründet?
Und schon stehen wir vor einem unüberschaubaren Komplex von eigenartigen Vorstellungen, wie man heuer eben so daherredet. "Ideologisch", das meint meist einfach: nicht sachgemäß, nicht den Tatsachen entsprechend. "Ideologisch" ist so einfach: falsches Denken! Seit K. Marx gilt "Ideologie" als Synonym für falsches Bewußtsein, für ein falsches Denken. Könnte man dann "Ideologie" gleichsetzen mit einer falschen Weltanschauung? Aber was wäre dann eine richtige und welche Kriterien unterscheiden dann die wahre von den falschen Weltanschauungen? 
Aber ursprünglich bedeutet dieser Begriff ja etwas ganz anderes. Er bedeutete: die Lehre von den Ideen und beinhaltet einerseits eine Reflexion der Beziehung der Ideen zueinander und andererseits eine Reflexion des Denkens (der Ideen) zur Wirklichkeit. So müßte jedes intellektuell redliche Denken eine Rechenschaft ablegen können von der seinem Denken zugrunde liegenden Ideologie. Auch und gerade die Theologie kann so nicht ohne eine explizite Ideologie auskommen. Und es darf so der Verdacht gehegt werden, daß da, wo die Theologie keine explizite Ideologie aufweist, sie unreflektiert die Ideologie, die in ihrer Zeit vorherrschende übernimmt! 
A. Dugin urteilt nun, daß das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Ideologien gewesen sei und zwar dieser drei: der liberalen, der sozialistischen und der faschistischen. (Vgl: Dugin, Alexander, Die vierte politische Theorie) und daß jetzt, in der Postmoderne die Weltanschauung des Liberalismus obsiegt hat, daß sie sich aber in der Ägide der Postmoderne auch selbst verändert hat. Eines könnten wir nun vermuten: daß es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Ende der konstantinischen Epoche, von Kaiser Konstantin bis Kaiser Wilhelm II. und der Zeit der Weltanschauungen. Könnte man Weltanschauungen als säkularisierte Religionen verstehen? Diese Frage drängt sich uns nun dabei auf.
Daß gelegentlich die Religion auch als eine Art von Weltanschauung bezeichnet wird, spräche nicht dagegen. Denn dann wird das Besondere der religiösen Weltanschauung ja gerade in ihrem religiösen Charakter begründet, daß sie also die Welt in einer Beziehung zu Gott hin (von, in und zu Gott) sieht, während für alle anderen Weltanschauungen die Welt die Totalität meint, die sich selbst auf nichts anderes als auf sich selbst beziehen kann. Der Weltanschauungsstaat wäre dann die Alternative zum christlichen Staat, zur Vorstellung des Königstumes von Gottes Gnaden, von der Vorstellung, daß der Staat sich nach dem Gesetz Gottes zu orientieren habe und darin auch seine Legitimität fände.War das 20. Jahrhundert der Kampf um den Staat: mit welcher Weltanschauung er sich legitimieren soll oder kann,wenn die christlich-religiöse ausfällt? 
Aber eines fällt doch auf! In dem Begriff der Weltanschauung steckt das Verbum: anschauen! Nun ist doch offensichtlich begreifen etwas anderes als das Anschauen. Solange ich etwas nur anschaue, habe ich es noch lange nicht begriffen! Erst durch das Denken wird das Angeschaute begriffen und es entsteht so eine Erkenntnis.Schauen, wie es wirklich ist, wäre so eine ideologische Vorstellung, die in der Tätigkeit des Denkens gerade den Ursprung dafür sieht, daß das Geschaute falsch verstanden wird. Durch das Denken wird das, was erkannt werden soll, verändert-es wird zu einem Erkenntnisobjekt verarbeitet, wie gerade der französische Philosoph L. Althusser so energisch betont (Vgl: Althusser, Das Kapital lesen I und II) Aber die Intention des Erkennens wäre es doch gerade, die Welt so wahrzunehmen, wie sie nun mal ist- und so den Prozeß des Erkennens, der das zu erkennende Objekt verändert, rückgängig zu machen und in einem reinen Schauen dessen, was ist, zu verharren!
Sollten wir so Weltanschsuungen begreifen als den Versuch einer Weltwahrnehmung, die auf das Begreifen des Geschauten verzichtet?
Ideologisch wäre dann dies Moment der Weltanschauung, daß sie im denkerischen Begreifen des Geschauten die Quelle des Irrens über die Realität sieht.
Noch eine eigentümliche Verkürzung liegt diesem Wahrnehmungskonzept zu Grunde. Wir denken sprachlich. Unser Denken ist so durch indikativische und konjunktivische und imperativische Sätze bestimmt. Der Satz muß als das kleinste Element des Denkens angesehen werden-ein einfaches Wort ist noch kein Gedanke! Jede dieser drei Satzmodi impliziert ein eigenes Verhältnis zur "Wirklichkeit"-lassen wir mal die Frage, was denn Wirklichkeit ist, außer Acht!.Sage ich: es ist so, dann meine ich damit, daß diese Aussage die mit dieser Aussage ausgesagte Wirklichkeit adäquat wiedergibt. Sage ich dagegen: es ist so, aber es könnte auch nicht so sein, so sage ich nicht aus, was ist, sondern was nicht ist und doch sein könnte.Ich begreife damit das, was ist als eine Möglichkeit, die Wirklichkeit geworden ist, die aber auch bloß hätte Möglichkeit sein bleiben können.Sage ich, das soll so sein, sage ich gar nichts aus über etwas, was ist, sondern über das, was sein soll! Man muß wohl urteilen, daß keine Weltanschauung vorstellbar ist, die nicht diese drei fundamental verschiedenen Aussagemodi in sich trägt als ihre Elemente. Was besagt das aber für den Begriff der Weltanschauung. Naiv unreflektiert meinten wir doch, daß Weltanschauung meine: die Welt, so wie sie gesehen wird. Aber gehört das, was sein soll und das, was sein könnte zur sehbaren und anschaubaren Welt? Transzendiert nicht jedes: das soll so sein! und das könnte auch anders sein! jedes bloße die Welt Anschauen? Also, muß eine Weltanschauung, auch wenn sie dem Namen nach nur eine anschauende Tätigkeit sein will, doch ein Begreifen sein, denn erst durch das Begreifen wird mir die Möglichkeit gegeben, zu dem indikativischen Aussagesatz, so ist es! den konjunktivischen hinzuzufügen: aber es könnte so auch nicht sein!
Freiheit, das Wissen von der Kontingenz dessen, was ist, ist so nicht einfach eine sehbare, anschaubare Tatsache in der Welt, sondern das gibt es für uns erst durch das Denken und Begreifen der Wirklichkeit, indem sich uns so die Wahrheit konjunktivischen Denkens erschließt. R. Musil spricht hier von dem Wirklichkits- und dem Möglichkeitssinn (Vgl, Musil, Der Mann ohne Eigenschaften) So scheint uns der Begriff der Weltanschauung zu täuschen: er muß, wenn er mehr sein will, als nur ein Sehen, von dem. was ist, ein Begreifen dessen sein, was ist. Erst im Akt des Begreifens wird uns das Gesehene zur Erkenntnis. Jetzt wird aus dem, was ist, ein kontingentes Sein: es könnte auch anders sein. Jetzt kann das als kontingentes Sein Begriffende auch als etwas begriffen werden, von dem imperativisch ausgesagt werden kann: so soll es auch sein oder so soll es nicht sein. Erst die Erkenntnis des kontingenten Charakters von etwas ermöglicht es, sinnvoll auszusagen: so soll es sein!-denn wenn etwas notwendig so ist, wie es ist, dann erübrigt sich jede normative Aussage. Diese setzt nämlich voraus, daß das, was ist, auch nicht sein könnte und beurteilt durch die imperativische Aussage das kontingente Sein des Etwases: soll es sein? 
So ist uns die Weltanschauung zu einem höchst komplexen Gebilde geworden, das nicht auf ein einfaches: Schauen, wie die Welt ist, reduzierbar ist, als das Kriterium für eine wahre Weltanschauung, im Gegensatz zu falschen, die sie anders sehen, als die Welt ist. Eine Weltanschauung kann nur Weltanschauung sein, wenn sie den Anspruch erhebt, die Welt zu begreifen und daß gemäß dem Denken  in indikativischen, konjunktivischen und imperativischen Sätzen auch Aussagen über das: wie könnte die Welt auch sein und wie sollte sie sein enthalten sind.Aber es scheint gerade ein Moment der Immnunisierung der Weltanschauungen gegenüber ideologischer Kritik zu sein, sich als bloßes Anschauen auszugeben mit dem unausgesprochenen Zusatz, daß gerade die Tätigkeit des Denkens die Fehlerquelle des Verfehlens der Wirklichkeit sei.
So müßte auch jede Weltanschauung nicht im Schauen und Sehen der Welt sondern erst in der Erkenntnis der Welt ihr Ziel finden. Aber kann eine Weltanschauung die Welt erkennen und begreifen, wenn ihr selbst die Welt die letzte totale Wirklichkeit ist, für die es kein Jenseits mehr gibt, von dem aus die Welt begriffen werden könnte? Könnte dies die Grenze jeder Weltanschauung sein, daß sie eben das Ganze nicht mehr begreifen kann, weil es für sie keinen Punkt außerhalb des Ganzen gibt, von dem her, wie von einem Feldherrnhügel her, das Ganze begriffen werden kann? Sagt sie deshalb sich als Weltanschauung aus, um diese Grenze ihres Begreifens anzuzeigen? 
Das Denken müßte also, um die Welt begreifen zu können, die Welt transzendieren, um vom so jenseitigen Ausgangspunkt aus das Ganze begreifen zu können und das wäre der metaphysische oder theologische Erkenntnisausgangspunkt! Der Verdacht drängt sich auf, daß nur die Theologie so eine Weltanschauung hervorbringen kann, die auch ein Begreifen und Erkennen der Welt ist und die nicht im Erfahren und Erleben der Welt stehen bleibt.Eine Weltanschauung dagegen begreift nur etwas von der Welt aber gerade nicht das Ganze-hier schaut sie nur noch an. 
Wenn wir jetzt nach der Falschübersetzung nicht mehr das Heil erkennen, sondern nur noch erfahren sollen, dann zeigt das, das hier auf die wichtigste Aufgabe des Menschen, die Erkenntnis verzichtet werden soll! So darf und muß die Abwendung von der theologischen Erkenntnis der Welt zur Anschauung der Welt in den Weltanschsauungen nicht als ein Fortschritt in der Erkenntnis betrachtet werden können. Wo Erkenntnis war ist jetzt nur noch das Schauen und Erleben von Welt getreten! Es wird zu viel erfahren und erlebt und zu wenig gedacht, als daß noch Erkenntnis sich einstellen könnte! 

Corollarium 1 : Beachtlich und problematisch ist die Vorzugsstellung des indikativischen Denkens, als wäre das Denken primär oder gar ausschließlich ein Begreifen dessen, was ist, und nicht ebenso ein Begreifen dessen, was sein soll (Moral) und ein Begreifen der Freiheit im konjunktivischen Denken. Wenn die Geschichtswissenschaft z.B. nicht zu einer "Ideologie" jetzt im negativen Sinne werden will, muß sie neben den indikativischen Aussagen, so ereignete es sich, auch die konjunktivischen setzen, es hätte sich auch nicht so ereignen können, um den kontingenten Charakter der Ereignisse der Geschichte so zu begreifen!

Corollarium 2: Ein grobes Schema: Wenn die Konstantinische Epoche bis zur Auflösung der drei letzten christlichen Monarchien, Rußland, Österreich und Deutschland währte, also bis zum Ende des 1.Weltkrieges, dann war das Bestimmende der Weimaraner Republkik der Bürgerkrieg der Weltanschauungen (dies macht diese Zeit bis heuer so intellektuell fruchtbar) und 1933 obsiegte dann in Deutschland die nationalsozialistische Weltanschauung. Nach 1945 bestimmten die Siegermächte über Deutschland: in der BRD herrschte der Liberalismus vor, in der DDR der Sozialismus. Mit dem Ende des real existierenden Sozialismus 1989/90 erfolgte dann der Endsieg des Liberalismus. Zugleich kann man diesen Zeitpunkt als das Ende der endgültige Ende der Moderne bezeichnen, dessen Anfang ich nach dem innerchristlichen Religionskrieg des 17.Jahrhundertes datieren möchte,insofern unter Moderne verstanden wird die Ablösung des christlichen Abendlandes durch das Projekt der Gestaltung der Welt auf dem Fundament der Vernunft. In der Postmoderne verändert sich dann auch der Status des Liberalismus als Weltanschauung (sie ist nicht mehr eine Weltanschauung in Opposition zur Realität, sondern sie ist die das Leben gestaltene Kraft, die in der Postmoderne in ihrer Radicalisierung auch ihr Ende findet, weil sie über sich hinauswächst. (Vgl Dugin, die vierte politische Theorie)

Corollarium 3: Das Verhältnis der christlichen Religion zu Weltanschauungen ist nun selbst ein sehr komplexes! Einerseits sind Weltanschauungen Surrogate für die (christliche) Religion, andererseits kann sich die Religion mit Weltanschauungen synthetisieren. Man denke an das Konstrukt der christlich-platonischen Weltanschauung. Oder es kann ein Oppositions-verhältnis vorliegen, man denke an das Verhältnis von Christentum und atheistischen Sozialismus! Weltanschauungen können die christliche Religion zersetzen, wie es der Liberalismus tut. Die Frage des Verhältnisses ist so nicht so sehr philosophisches als eines der historisch bedingten gewählten Option: mit wem sich die Religion im Kampfe gegen wen verbindet!                                          

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