Dienstag, 14. Juli 2015

Wenn es keinen Gott gibt, ist dann Alles erlaubt?

Dostojeweskijs Votum, gäbe es keinen Gott, wäre alles erlaubt, wird von uns Christen gern zitiert, um vor den Gefahren jedes Atheismus zu warnen. Die Schattenseite des Atheismus sei notwendigerweise der Nihilismus. Verkürzt man Nietzsche auf: "Gott ist tot", zum Propheten des Nihilismus, dann kann auch dieser große Philosoph als Kronzeuge dieser Wahrheit gelten.Und wer in Marquise de Sades Romanen nicht nur die pornographischen Passagen liest, sondern auch die philosophischen Reflexionen dieses radicalen Aufklärers, wird auch da Belege für die Wahrheit Dostojeweskijs finden, aber schon mit einer realistischen Einschränkung: nur wer über Macht über andere Menschen verfügt und nicht selbst wieder in sozialen Anhängigkeiten zu Anderen lebt, dem ist Alles erlaubt.
So evident das auch uns auf den ersten Blick erscheinen mag, so einfach ist es dann doch nicht.Denn er gilt dann auch der Satz: wenn Gott bedingungslos jeden Menschen liebt, dann ist auch Alles erlaubt. Beweis: wenn ich urteile, daß gleichgültig wie ich lebe, Gott mich immer lieben wird, und dieses Geliebtwerden schon die hinreichende Bedingung für mein Eintreten in das Reich Gottes ist,dann ist mir alles erlaubt, weil Gott es dann gleichjgültig ist, wie ich lebe.     
Daraus ist eine erste Präzision des Votums Dostojewskijs gewonnen: nur wenn Gott gedacht wird als ein Subjekt, daß die Guten belohnt und die Bösen bestraft, ist der so gedachte Gott der Garant einer Moral, die Erlaubtes von dem Unerlaubten distinguiert! Aber genau diese Kernaussage jeder Religion wird nun gerade in der nachkonziliaren Kirche kaum noch vertreten.Legte man die heuer gehaltenen Beerdigungsansprachen zu Grunde, man käme entweder zu dem Schluß, daß nur noch gute Menschen stürben, oder daß, wenn einer doch gesündigt haben sollte, Gott ihm gewiß vergeben werde, sodaß alle in den Himmel kommen- also, daß es schlußendlich doch egal ist, wie man gelebt hatte,sofern man nicht ein Sünder des Formates eines Hitlers gewesen sei. 
Wenn es also so einen theologischen Nihilismus geben kann, der immer dann sich ereignet, wenn die Allversöhnung gelehrt wird, daß wir alle in den Himmel kommen werden, auch wenn wir alle kleine Sünderlein sind (So der "Kirchenlehrer" Willy Millowoitsch
und wenn es eine Tendenz zu einem theologischen Nihilismus gibt, wenn die Gnade Gottes so einseitig betont wird, daß schlußendlich eigentlich doch jeder ein von Gott Geliebter bleibt, dann ist nun zu fragen, ob es in sich evident ist, daß die einfache Negierung Gottes in den Nihilismus führt, daß dann Alles erlaubt sei.
Bisher war unsere unreflektierte Präsumption, daß nur Gott das Subjekt ist, das das Recht und die Macht hat, Erlaubtes und Unerlaubtes zu unterscheiden und diese Unterscheidung für uns Menschen dann auch als verbindliche zu setzen. Die Moralische Ordnung ist so ein Bestandteil der göttlichen Schöpfung ex nihilo, aus dem Nichts. Und nur weil Gott sie gesetzt hat, ist sie wahr. Nicht darf dabei sich das Erlaubte und das Unerlaubte, das Gute und das Böse als unabhängig von Gott seiend vorgestellt werden, und daß Gott sich dann an dieser Ordnung auszurichten hätte- denn dann wäre Gott selbst dieser Ordnung subordiniert, und dann wäre Gott nicht mehr als Gott gedacht. Auch wird man sich die Unterscheidung von Gut und Böse, vom Erlaubten und Unerlaubten nicht einfach als in Gott seiend vorstellen, als verfüge Gott selbst ein "Gewissen", das ihn diese Unterscheidung bezeugte. Nur ein von Gott geschaffenes Wesen kann mit einem Gewissen ausgestattet sein, denn das Gewissen ist der Ort, in dem Gott sein Gesetz als die Unterscheidung von Gut und Böse einschreibt. Gott findet so nicht in sich selbst etwas ihm Eingeschriebenes vor- denn er ist ja selbst der Beschrifter, der erst ein Gewissen ermöglicht. Also setzt Gott selbst diese Ordnung des Unterscheidens von Gut und Böse, die es nur durch ihn gibt und nicht unabhängig von ihm. (So könnte man das Kernanliegen der Gotteslehre Occams versimplifiziert darstellen)
Dann liegt es wirklich nahe, zu urteilen, wie es Dostojewskij ja auch tut: ohne Gott gibt es keine Unterscheidbarkeit von Gut und Böse und von Erlaubt und Unerlaubt.
Aber auch wenn es keine Moral gäbe, die sich aus der Unterscheidung von Gut und Böse ergibt, so gäbe es doch die Unterscheidung von Erlaubt und Unerlaubt, dadurch, daß der Staat diese Unterscheidung setzt und mit seiner Staatsgewalt auch durchsetzt. Hätte Dostojewesij gesagt, daß es ohne Gott keine Moral gibt, das wäre einsichtig. aber die Unterscheidung von Erlaubt und Unerlaubt, die setzt der Staat, und so gibt es sie.Nun kann ein geltendes Staatsrecht als unmoralisch empfunden werden, in Gänze oder in Teilen, aber auch eine moralische Kritik nichtet ja nicht die Geltungskraft des staatlichen Gesetzes. Auf der anderen Seite gilt jede Moral nur für die Anhänger dieser Moral, während allein das staatliche Recht für jeden Bürger gilt, auch wenn er es innerlich ablehnt, denn das staatliche Recht gilt objektiv, unabhängig von der subjektiven Zustimmung der Bürger, während eine Moral nur dem gilt, der ihr zustimmt. Davon sind selbstredend die Geltungsansprüche einer Moral zu unterscheiden: jede sich als vernünftig erklärende Morallehre verlangt, daß sie von jedem Vernünftigen anerkannt wird- aber da es eben faktisch nicht nur eine Moral der Vernunft gibt, sondern derer viele, streiten und bestreiten die vielen Vernunftmoralen wechselseitig ihrer Allgemeingültigkeit.
Es kann deshalb so geurteilt werden: weil es den Staat gibt, gibt es immer die Unterscheidung von Erlaubt und Unerlaubt. Die kann aber deutlich von dem sich unterscheiden, was moralisch als gut und böse angesehen wird. Man denke nur an die faktische Erlaubtheit der Kindestötung durch den Staat nicht nur in Deutschland, zur "Abreibung" verklärt. 
Es wäre nun zu fragen, ob es eine Moral unabhängig von Gott geben kann, eine rein vernünftige Moral! Diese Frage kann si beantwortet werden. Da im Gewissen Gottes Unterscheidung von Gut und Böse eingeschrieben ist, ohne daß deshalb diese Unterscheidung als eine von Gott gesetzte gewußt wird, kann es faktisch eine solche autonome geben, nur daß dann diese Autonomie sich selbst mißversteht, weil sie sich nicht als in Gott gegründet weiß.
Dostojewskij hätte so nur recht, wenn es neben dem Staat auch das menschliche Gewissen nicht mehr gäbe, wenn der Mensch sich ganz von dem in ihn ei eingeschriebenen Gesetz der Unterscheidung von Gut und Böse emanzipieren könnte.
Gott belohnt die Guten und bestraft die Bösen, kann als der Basisssatz jeder theologischen Morallehre angesehen werden.Damit ist mitgesetzt, daß der Mensch das Gute um der Belohnung tut und das Böse aus Furcht vor der Strafe unterläßt.Und da es vor Gott kein perfektes Verbrechen geben kann und nichts gut Getanes verborgen ist, ist er dann der vollkommen gerechte Richter, der wirklich alles Gute belohnt und alles Böse bestraft. So banal und simpel das nun auch klingen mag und so mancher Leser es sicher gern etwas anspruchsvoller, geistvoller lesen möchte- so simpel ist es eben und auch und gerade Jesus Christus hat das nie anders gelehrt. Verkomplizfiziert wird dies nur dadurch, daß Gott eben nicht nur der Gott der Gerechtigkeit sondern auch der der Gnade ist. Aber das gehört nun im strengen Sinne nicht mehr in die Morallehre.Dostojeweskij könnte nun doch noch recht bekommen, wenn er urteilen würde, daß nur der allwissende und allmächtige Gott wirklich alles Gute belohnen und alles Böse bestrafen könne. Fällt diese Richterinstanz fort, erwächst eine Erfahrung, die der Moral abträgig ist: den Bösen geht es gut und die Guten leben in Armut und Elend, daß der Zusammenhang zwischen gut leben (im moralischen Sinne) und gut leben (als Lebensqualität verstanden) zerfällt.Unkraut vergeht nicht, sagt der Volksmund- oder noch deutlicher: schlechten Menschen geht es immer gut. Wenn die Motivation zum Guten Tuen das Hoffen auf eine Belohnung ist und das Vermeiden des Bösen seinen Grund in der Angst vor der Strafe hat, dann untergräbt eine solche Lebenserfahrung die Moral.Warum sollte ein Politiker immer die Wahrheit sagen, wenn die Konkurrenz mit Wahlkampflügen erfolgreicher ist? 
Der klassische Ausweg ist der der Verinnerlichung der belohnenden und bestrafenden Instanz in das innere des Gewissens. Die gute Tat belohnt das Gewissen durch die Selbstbelobigung, die böse bestraft es durch die Gewissensbisse.Der Begriff des Gewissensbisses erinnert deutlich an die Externität der Strafinstanz, die den Täter zur Bestrafung beißt.Aber eine solche Internisierung setzt immer erst eine hierachisch-autoritär struktuierte Gesellschaft voraus- je liberaler, desto weniger kraftvoll wird der Gewissensbiß aber auch die Gewissensbelohnung.
Eine Gesellschaft, die die Legitimität ihrer eigenen Moral in Zweifel zieht, das nur noch als etwas kontingent geschichtlich Gewordenes ansieht, wird auch keine starken Gewissen mehr hervorbringen, Gewissen, die beißen- nur noch Schoßhündchens, die picksen können.
Dann erst kann gelten, daß alles erlaubt ist, nur daß man sich eben nicht erwischen lassen darf, wenn also die Kraft des Gewissens aufgeweicht ist, bzw. erst gar nicht sich ein bißkräftiges Gewissen entwickeln konnte und die staatliche Autorität die eines Nachtwächterstaates ist.In diesem Stadium gibt es dann faktisch keine Moral mehr, weil die Kraft des Gewissens fehlt und nur noch gilt, daß man das Unerlaubte oder das als unmoralisch Angesehene unterläßt aus der Furcht, dabei erwischt und bestraft zu werden. Das wäre die völlige Veräußerlichung der Moral. Aber damit kehrt sie auch wieder zu ihrem Ursprung zurück: der externe Gott, der die Unterscheidung von Gut und Böse setzt, der dann diese Ordnung aber in das menschliche Gewissen einschreibt. 
Ist alles erlaubt, wenn es keinen Gott gibt,lautete unsere Ausgangsfrage. Diese These ist nur vertretbar, wenn die Ordnung des Staates vergessen wird, der die Unterscheidung von Erlaubt und Unerlaubt setzt und nur dann, wenn das menschliche Gewissen sehr geschwächt ist durch ein es schwächendes kulturelles Umfeld.Aber jede Moral, die Gott nicht als letzte Gerichtsinstanz kennt, steht immer vor dem Problem, daß Menschen mit der Moral und der Unterscheidung von Erlaubt und Unerlaubt sehr "pragmatisch" umgehen: alles ist mir erlaubt, nur erwischen lassen darf man sich nicht. Nicht allein der Glaube, daß Gott ist, sondern nur der Glaube an Gott als den Richter, verunmöglicht so erst die Lebenspraxis: alles ist mir erlaubt, solange man mich nicht dabei erwischt.   
                                             

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