"[...]soll man alle jene Religionen dulden,welche die anderen dulden,soweit ihre Dogmen nicht im Gegensatz zu den Pflichten des Staatsbürgers stehen. Wer immer aber zu sagen wagt:außer der Kirche ist kein Heil, soll aus dem Staate verjagt werden", lesen wir in Roussseaus: Staat und Gesellschaft, Contract Social Grundlegende Gedanken zur Gesellschaftsordnung 1762,4.Buch, 8. Kapitel S.119 in der Übersetzung von K.Weigand. Rousseau habe "das Bild eines idealen Staates entworfen" (S.2)und es ist zu ergänzen, "in dem das Volk souverän ist" (S2), in dem es aber keine Katholische Kirche geben darf, denn genau sie lehrt, daß es außer ihr kein Heil gibt. Denn der Glaube, daß es nur eine wahre Kirche, nur eine wahre Religion gebe führe dazu, daß der so Glaubende sich "unbedingt verpflichtet" (S.119) weiß, die Andersgläubigen "zu bekehren oder sie zu verfolgen". "Überall wo die theologische Unduldsamkeit zugelasssen ist, kann sie unmöglich ohne gesellschaftliche Auswirkungen bleiben." (S.119). Der Philosoph der Aufklärung rekonstruiert hier also den innerchristlichen Bürgerkrieg des 17. Jahrhundertes aus dem Glauben, daß es nur eine wahre Kirche gebe, und daß so die andergläubigen Christen zu bekehren seien. "Dulden" bedeutet dann der Verzicht auf jede Art von Mission und die wechselseitige Anerkennung aller christlichen Konfessionen als zu zumindest für das Seelenheil als gleichwertig.
Roussseau kennt verschiedene Typen der Religion, wobei ihm der Römische Katholizismus die schlimmste Form ist! Als erstes bennent er die Religion des Anfanges, wo "die Menschen keine anderen Könige als die Götter und keine andere Regierung als die theokratische" (S.111) kannten. Die Konflikte vermeidende Einheit von Religion und Politik in diesem theokratischen Modell lobt er aufs höchste, sieht er doch im römischen Christentum die Zerreißung dieser Einheit durch die Polarität von Kirche und Staat gegeben: wem ist mehr zu gehorchen: dem Priester oder dem Staate? Es gab also im Anfang so viele Götter wie es Nationen gab, den diese Götter waren das Phantasieprodukt der Völker, die gerade so aber ihre jeweilige Gesellschaft sinnvoll gestalteten. Und dieser nationale Polytheismus kannte keine Religionskriege, weil der jeweilige Narionalgott nur für die eigene Nation zuständig war. Deutlich wird daran Rousseaus grundsätzliches rein gesellschaftspolitische Interesse an der Religion: wie muß sie sein, damit sie den innergesellschaftlichen Frieden wie den zwischen den Staaten nicht schadet. Das Aiufklärerische dieses Denkens ist so einfach der Primat, die Religion zu etwas der Gesellschaft Nützliches umzustruktirieren.
Jetzt setzt er seine Jesus Kritik ein: Jesus kam in die Welt, in der es die Einheit von Staat und Religion gab in der Gestalt von Nationalreligionen, und er errichtete ein "geistiges Königtum". "Indem so das theologische System vom politischen System getrennt wurde, war der Staat nicht länger eine Einheit." (S.113) Damit war der Kampf um die Herrschaft grundgelegt, der dann bis hin zum 30 Jährigen Krieg führte, muß man ergänzen. Hobbes war dann der erste Denker, der Auswege aus diesem Konflikt suchte, aber: "Doch hat er einsehen müssen, daß der Herrschaftssinn des Christentums mit seinem System [seinem Lösungskonzept]unvereinbar war und daß das Interesse des Priesters immer stärker als das des Staates sein würde." (S. 114).
Das Christentum ist also in zweifacher Weise gefährlich: daß es als Priesterkirche die Herrschaft über den Staat erstrebt und andere Religionen und Auffassungen seiner Religion nicht toleriert, sondern Mission betreibt
Rousseau formuliert dann das Programm der "Religion des Menschen" als die Alternative dazu: "Die erstere {die des Menschen]ist die reine und einfache Religion des Evangeliums, der wahre Theismus, und das, was man das natürliche göttliche Naturrecht nennen kann, ohne Tempel,ohne Altäre,ohne Riten, beschränkt auf den rein innerlichen Kult des höchsten Wesens und die ewigen Pflichten der Moral" (S.115) Nun wird es verwirrend, denn er bezeichnet nun diese Religion des Menschen als "das Christentum, nicht das von heute, sondern das des Evangeliums, das davon ganz und gar verschieden ist. Durch diese heilige, erhabene, wahrhafte Religion sind die Menschen Kinder desselben Gottes und erkennen sich als Brüder an." (S.116). Das soll nun das wahre Evangelium, das wahre Christentum sein und zugleich soll gelten, daß Jesus selbst die Einheit von Staat und Religion auflöste durch sein geistiges Reich und so destruktiv wirkte! Aber dann nimmt Rousseau doch wider den Faden der Jesuskritik auf, um zu sagen, daß diese Menschheitsverbrüderingsreligion keinen positiven Bezug zum Staate habe und keine die Einheit der Gesellschaft stärkende Kraft. Gerade die Jenseitsorientierung mache diese Religion problematisch, weil sie ihn aus der Einbindung in die Gesellschaft löse, weil das ewige Leben in dieser Religion eben wichtiger sei als das Erdenleben- zu wenig Treue zur Erde! (Nietzsche). Denn das "Christentum ist eine rein geistige, allein mit den himmlischen Dingen beschäftigte Religion." (S.116) Man muß wohl im Sinne dieses Philosophen hinzufügen, wenn sie nicht durch den Willen der Priester zur Macht korrumpiert wird, sodaß sich die Priesterkirche über den Staat stellen will in der Gestalt der Römischen Kirche.
Es muß also eine staatsbürgerliche Religion geben als Ersatz für die frühere Anfangsreligion, die die Einheit von Staat und Religion garantiert und die dann unter sich die anderen Religionen duldet, wenn diese den Primat der staatsbürgerlichen Religion anerkennen und sich untereinander dulden um des innergesellschaftlichen Friedens. "Die Dogmen der staatsbürgerlichen Religion müssen einfach, gering an Zahl und gemeinverständlich, ohne Erklärungen und Kommentare kundgetan sein. Die Existenz der mächtigen, vernünftigen, wohltätigen, vorsehenden und vorsorgenden Gottheit, das künftige Leben, die Glückseligkeit der Gerechten, die Bestrafung der Bösen, die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrages und der Gesetze- das sind die positiven Dogmen." (S.119). Und es gibt nur ein negatives Dogma, das des Ausschlusses der "Intoleranz", des Glaubens, daß es nur eine wahre Religion gebe. Den Unterschied zwischen der Religion des Menschen, des wahrhaften Religion des Christentums und dieser staatsbürgerlichen besteht in dem Glauben an die Heiligkeit der staatlichen Gesetze und der Verfassung und in der Streichung des universalistischen Ansatzes, daß alle Menschen zu Brüdern werden durch den Glauben an den einen Gott.Im Hintergrund steht das Bedenken, daß rein weltliche Gesetze und Verfassungen den Menschen nicht hinreichend binden, daß also Habermas Verfassungspatriotismus nicht genug Bindungskraft besitzt- die Gesetze des Staates und die Verfassung müssen religiös durch den Glauben an einen Gott fundiert werden.
Es muß also a) diese staatsbürgerliche Religion geben, b) kann es dann die Religion des Menschen geben, die er aber nur in seiner Innerlichkeit als Glaube an die Brüderlichkeit aller leben darf (denn der Universalismus untergräbt die Treue zum eigenen Staat und c) Religionen, die den Primat der staatsbürgerlichen Religion anerkennen, vereinsmäßig organisiert sind und die Dogmen nach ihrem Belieben aufstellen können, sofern diese kompatibel sind mit der staatsbürgerlichen Religion und die sich wechselseitig dulden und auf jede Mission verzichten- und das wäre dann die Religion in ihrer Ausdifferenziertheit im idealen Staat!
Das Werk Rausseaus sei heute so aktuell wie 1762 und das stimmt: man ersetze die "staatsbürgerliche Religion durch die Politische Korrektheit, die Religion des Menschen durch die Ideologie des Humanismus und die anderen Religionen- das ist die multireligiöse Gesellschaft, in der jede Religion die andere als gleichberechtigt anerkennt und auf jede Mission verzichtet! Und daß die Katholische Kirche legitimes Glied dieses Religionspluralismus werden konnte in seiner Subordination unter die staatsbürgerliche Religion, das verdankt sie ihrer Absage, daß es nun nicht mehr wahr ist, daß es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, sondern faktisch in jeder Religion und selbst für Atheisten!
Corollarium 1
Zu beachten ist, daß die Aufklärung nicht ein Ergebnis vertiefter Erkenntnis oder gar einem Fortschritt in der Gotteserkenntnis zu verdanken ist, sondern dem Willen, wie müssen wir Gott und Religion denken, damit sie nicht mehr friedensgefährdend ist! Der Wille zur Domestikation ist der Kern der Aufklärung, daß Gott sich nach uns und wir uns nicht nach ihm zu richten haben!
Corollarium 1
Zu beachten ist, daß die Aufklärung nicht ein Ergebnis vertiefter Erkenntnis oder gar einem Fortschritt in der Gotteserkenntnis zu verdanken ist, sondern dem Willen, wie müssen wir Gott und Religion denken, damit sie nicht mehr friedensgefährdend ist! Der Wille zur Domestikation ist der Kern der Aufklärung, daß Gott sich nach uns und wir uns nicht nach ihm zu richten haben!
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