Samstag, 23. Juli 2016

Populäre Irrtümer zu Ideologien und der viel beschworenen Realität

Einfach könnte man es sich so vorstellen: Weil es Ideologien gibt,gibt es auch im realen Leben Probleme. Weil es die Ideologie der "Klassenkämpfe" (den Marxismus in all seinen Differenzierungen) gibt, werden auch aus sozialen Problemen Klassenkämpfe, weil es den Feminismus gibt, werden aus geschlechtsspezifischen Problemen antagonistische Widersprüche, weil es Nationalismen gibt, werden ethnische Probleme zu Konflikten und weil es die Ideologie des Rassismus gibt, entstehen rassistische Konflikte. 
Also müsse man nur die Ideologien abschaffen, dann verschwänden diese Probleme und Konflikte. John Lennons bekanntes "Friedenslied": "Imagine" sieht das auch so: An allem sind die Ideologen und die Religionen schuld. Erst eine ideologie- und religionsfreie Welt könnte eine des immerwährenden Friedens sein. 
Vorausgesetzt ist dabei, daß alle Ideologien keinen Anhalt in der Realität haben, sondern selbst erst eine Wirklichkeitswahrnehmung schaffen, in der dann Konflikte gesichtet werden, die es realiter gar nicht gibt. Eigentlich lebten wir in einer konfliktfreien Welt, wenn nicht die Ideologien und Religionen Konflikte schüfen, die es ohne sie gar nicht gäbe.
Wie nun aber, wenn die Realität selbst konfliktbehaftet ist und daß die Ideologien dann nur bestimmte Konflikte verabsolutieren, also zu dem Grundkonflikt erküren, von dem sich alle anderen Konflikte ableiten ließen und die alle lösbar wären, gelänge die Lösung des Urkonflicktes! 
Abstrakter formuliert: Identität gibt es nur als sich bewußte als Negation des Nichtidentischen: Weil ich ein Mann bin und nicht eine Frau bin ich ein Mann. Ein Mannsein, das nicht die Negation des Frauseins mitsetzt, ist kein Mannsein. Identität kann es nur als Ausgrezungsakt des Nichtidentischen vom Identischen geben. Wenn nicht alles, was existiert, in einem Einerlei aufgehen soll, dann kann es als bestimmtes Existierendes nur sein, wenn es sich negierend zu allem zu ihm Nichtidentischen verhält. Musil erfaßt dies, wenn er etwas lakonisch resümierend feststellt: "Schließlich besteht ja das Ding nur durch seine Grenzen und damit durch einen gewissermaßen feindseligen Akt gegen seine Umgebung." (Der Mann ohne Eigenschafen, Kapitel 7: In einem Zustand von Schwäche  zieht sich Ulrich eine neue Geliebte zu.So gibt es eben die Identität der Geschlechter mit dem darin gesetzten Widerspruch zwischen Mann und Frau, daß eben die Frau nur Frau ist als Negation des Mannseins und umgekehrt, daß es eben bestimmte Nationen und Religionen nur gibt als Negation des Anderen. Das bildet nun den Anhaltspunkt für Ideolologien, dies Prinzip, daß es Identität mit sich selbst nur als Negation des Nichtidentischen gibt. Wie dieser Grundkonflikt der Grenze, durch die es nur Bestimmtes geben kann, nun denkerisch bearbeitet wird, macht das Besondere der Ideologien aus. Aber sie emanzipieren sich dabei nicht völlig von der Realität, sie verarbeiten sie durch das Denken zu einer Gedankenwelt. Nur, bloß weil etwas als Gedachtes existiert im Denken, ist es noch lange nicht schon etwas "Ideologisches" im Sinne von einer falschen Weltvorstellung. 
Wenn es am Anfang der hl. Schrift heißt, daß der Mensch sich die Welt unterwerfen soll, dann bedeutet das auch, daß die Welt dem Menschen als Aufgabe zum Erkennen gegeben ist. Es ist seine Aufgabe die Welt zu begreifen und das beinhaltet dann gerade die Erkenntnis, daß die Welt das Kunstwerk Gottes ist, in und durch das er von uns Menschen erkannt werden will. Die Welt soll uns zur von uns begriffenen Welt werden. Weltanschauungen und Ideologien sind so gesehen eben Versuche des Menschen, dieser Berufung gerecht zu werden, daß uns unsere Welt zur begriffenen Welt wird.Nicht sind also Weltanschauungen und Ideologien und gar Religionen an sich etwas Unheilvolles, sie werden es nur, wenn sie unwahr sind. 
Es muß aber auch daran festgehalten werden, daß die Wirklichkeit durch Konfliktlinien bestimmt ist, die zwischen Mann und Frau, die zwischen sozialen Schichten, zwischen Nationen und Rassen und Religionen, die eben nicht erst durch Ideologien entstehen! Ideologien und Weltanschauungen beziehen sich auf diese Konfliktlinien und verarbeiten sie dann zu Theorien über diese Konflikte. So nimmt auch die christliche Religion das Konfliktverhältnis von Mann und Frau wahr und begreift es als gestörtes Verhältnis des ursprünglich harmonischen durch den Sündenfall. Der Feminismus deutet dagegen das Mißverhältnis zwischen Mann und Frau als Folge der Errichtung der patriarchalistischen Gesellschaftsordnung als Herrschaft des Mannes über die Frau. Nicht entsteht hier das Beziehungsproblem zwischen den Geschlechtern durch die Religion bzw die Religion- sie deuten das Beziehungsproblem nur anders. Die differente Deutung läßt sie dann in ein Konkurrenzverhältnis zueinander treten als Streit um die Angemessenheit der jeweiligen Deutung. 
Eine Welt ohne Weltanschauung und Ideologien und Religionen wäre dagegen die Welt des "letzten Menschen" (Nietzsche), der nicht mehr erkennen will, sondern nur noch seinen kleinen Vergnügungen lebt.                      

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