Donnerstag, 12. März 2015

Das Christentum als in Fragestellung der Tradition?

Was wäre die christliche Religion ohne Tradition?Schreibt nicht der Apostelfürst Paulus selbst: "Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe." (1.Kor, 15,3). P. Sloterdijk untertitelt sein Buch: "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" (3.Auflage 2014) mit: "Über das anti-genealogische Experiment der Moderne", und begreift dabei die christliche Religion als einen gewichtigen geistigen Vorbereiter dieser "anti-genealogischen" Moderne. Traditionelle Gesellschaften lebten daraus, daß die Söhne getreue Kopien ihrer Väter werden, die selbst wiederum Kopien ihre Väter seien. Die Trias von Opa, Sohn und Enkel bestimme die traditionelle Gesellschaft, wobei immer das Problem der Übergabe der Überlieferung akut sei als potentielle Bruchstelle: daß die Kinder auch gelingen und nicht mißraten. Sie sollen werden, wie die Eltern als die Kinder ihrer Eltern. Die Herkunft bestimmt das Sein. Das ist der Grundsatz traditioneller Gesellschaften. Philosophischer hätte Sloterdijk dies durch den Grundsatz, daß das Sein dem Tun vorausgeht, explizieren können. Das meint ja nicht eindach, daß etwas sein muß, damit es agieren kann, sondern daß das Wie des Seins das Agieren bestimmt, gemäß dem Grundsatz, daß ein guter Baum gute Früchte und ein schlechter Baum eben schlechte Früchte hervorbringt. Nicht weil ein Baum gute Früchte hervorbringt, ist er ein guter Baum-nein, das Hervorbringen läßt nur erscheinen, was der Baum ist, ob er gut oder schlecht ist. Und was er ist, daß sagt der Stammbaum des Baumes und des Menschen. Somit kann jetzt auch sofort das Spezifische der Moderne erfaßt werden- der Mensch wird gut oder böse durch sein Tun. Er ist als Sein reine Unbestimmtheit, das ist seine Freiheit und er entwirft sich aus ihr heraus erst zu etwas. Der Mensch ist nicht durch seine Herkunft sondern er entwirft sich zu etwas, könnte im Sinne Sartres der moderne Mensch begriffen werden. Dieser modernen Konzeption des Menschsein steht nun das Verständnis der vormodernen Gesellschaft gegenüber, die die Frage, wer ist dieser Mensch mit seiner Herkunft beantwortet, denn Sohn oder Tochter sein heißt bei gelungener Sozialisation, eine Kopie der Eltern zu sein. Es gibt eine ununterbrochene Überlieferungskette, in der jeder wie das Glied vor ihm ist und das dem Glied nach ihm weitergibt. 
Die christliche Religion untergrabe nun dies Konzept! Die polemisch gehaltene Überschrift heißt dann:"Der Bastard Gottes: Die Jesus-Zäsur"! Mit viel psychologischer Phantasie zeichnet uns Sloterdijk das Leben Jesu vor Augen als einem Menschen ohne legitime Herkunft. Ihm fehle der Vater. Dies habe er kompensiert durch seine Vaterphantasie, daß er Gott als seinen göttlichen Vater sich eeschuf. Wenn die übliche Kritik der Lehre von der Jungfrauengeburt und der göttlichen Sohnschaft Gottes, Jesus als normalen Menschen imaginiert, der dann erst nachösterlich durch die Urgemeinde umgeformt wurde zum göttlichen Sohn, will Sloterdijk das schon als Phantasieleistung des Jesus rekonstruieren als seine Reaktion auf seine Vaterlosigkeit, daß er seinen wirklichen Vater nicht kannte. Seitdem gäbe es ein zweites Konzept der Herkunft: das aus Gott, das die Bedeutung der Herkunft von den eigenen Eltern entwerte.Jesu selbst zeichne sich durch einen "Anti-Familialismus" aus. (S.285) Als Beweis zitiert er das seines Erachtens echte Jesuswort: "So jemand zu mir kommt und hsaßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder,Schwestern und dazu sein Leben, der kann nicht mein Jünger sein." Lk 14,26. (Die Einheits"übersetzung" entschärft diese jesuanische Aussage zu: "gering achtet". Bei Sloterdijk liest sich das so: " Hingegen sprechen verstreute Indizien dafür, daß Jesus-als ein widerstrebender Muttersohn heranwachsend[...]den eigenen Fragen an das Dasein nachhängend-sich von relativ frühen Jahren an einer idiosynkratischen Form von Patro-Poesie hingegeben hatte." (S.281) Es wird damit auf Jesus im Tempel angespielt, den er als den Ort seines (wahren) Vaters bezeichnete. So arg herkonstruiert das auch erscheint, ein Fünklein Wahrheit ist dran und Sloterdijk hätte dies übezeigender darlegen können, wenn  er auf den Johannesprolog verwiesen hätte mit der Aussage: und Jesus Christus gab ihnen "Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind." (Joh, 1,12f).Menschen werden so (durch Glaube und das Sakrament der Taufe) aus ihrem Traditionszusammenhang herausgerissen und durch ihre Unmittelbarkeit zu Gott neu konstituiert.Der Mensch muß nicht bleiben, was er ist durch seine Abstammung-er kann zu etwas Neuem werden, zu einem Kind Gottes. 
Damit wäre das Grundgerüst des modernen Menschen gelegt: nicht mehr seine Herkunft soll ihn bestimmen und er soll sein, wozu er sich macht! Der Bruch mit der Tradition, mit der Herkunft sei das Neue. Das veranschaulicht Sloterdijk dann an der Vita des hl. Franziskus, der nicht mehr der Sohn seines Vaters sein will und sich von ihm radical absetzt, weil er nur noch Gott als seinen Vater anerkennen will.(S.340f). Nun nimmt Sloterdijk im Laufe der Kirchengeschichte auch retardierende Momente wahr, das beginne schon damit, daß man den Sohn Jesus nachträglich eine Ahnentafel zugedichtet habe, aber subkutan wirkte diese antigenealogische Ausrichtung. Der neue Mensch wurde geboren als die Idee des Menschen, der sich nicht mehr von seiner Herkunft her bestimme, sondern durch sein Wozu er sich entwerfe. Und das wäre die Moderne. So entstünde auch jetzt erst-durch das Urchristentum-die Vorsrellung von einer Geschichte als der Vorstellung, daß sie der Raum sei, in dem zu missionieren sei, bis aller Welt das Evangelium verkündet worden sein wird.Die Geschichte als Missionsgeschichte sei so der Urtyp der modernen Geschichtsauffassung, daß Geschichte eine Entwickelung auf ein Ziel hin ist und so es die eine Geschichte gibt. Säkulare Variarionen wären dann Vorstellung von einer Kulturentwickelung des Menschen zu der einen Kultur, von der Barbarei über Antike, Mittelalter zur Moderne, die es nun zu veruniversalisieren gelte. Die Kulturmission ersetze dann die Mission der Religion. Unter "Postmoderne" sei dann nach Sloterdijk "ein Index der Bewußtseinsverfassung, die sich offensiv auf die Koexistenz der Kulturen in einem Nacheinander ohne Fortschrittsinn, einem Nebeneinander ohne hierachische Implikationen und eine Vielheit ohne Missionsauftrag eingerichtet hat" zu verstehen.
Für conservative Christen ungewohnt zeigt er dabei die Spannung auf zwischen dem Leben in der Familie und einem Leben in der Kirche, in der seines Erachtens die Familientradition zurückgestellt wird, zugunsten des Seins in der Kirche als einer Emanzipation aus der weltlichen Familie.Zum säkular modernen Menschen gehöre so aber immer noch die Attitüde, sich von der Herkunft des "alten Menschen" abzusetzen, um nun aber "modisch" zu leben.Die Ausrichtung auf das jetzt Aktuelle, das Modische ersetze so die Ausrichtung auf die Tradition mit ihren Vorbildern.
Man kann nicht umhin, daß die Antithese von: von der Vorstellung von der Herkunft bestimmt sein und der Vorstellung, daß der Mensch, als reine Unbestimmtheit sich erst zu etwas entwirft,(etwa so Sartre) das oder wenigstens ein Spezificum der Moderne erfaßt. Daß die christliche Religion mit dem Sakrament der Taufe nun neben der natürlichen Geburt die übernatürliche setzt, könnte tatsächlich als die Entwertung der natürlichen Herkunft gedeutet werden! Als würde durch die durch die durch die Taufe vermittelte Gotteskindschaft die natürliche Kindschaft verneint.Nicht mehr seine natürliche Herkunft sondern sein neues Sein aus der Taufgnade bestimme nun den Menschen. 
Aber der aufmerksame Leser wird spätestens hier das Gefühl überkommen, daß an dieser Rekonstruktion der Moderne etwas nicht stimmt! Zurecht! Sloterdijk hätte recht, wenn die Gnade die Natur nichten würde, aber die göttliche Gnade ist nicht der Tod der Natur, sondern ihre Vollendung. Der göttliche Vater steht nicht anstatt des irdischen, sondern durch den irdischen ist er der göttliche Vater! In Konfliktsituationen ist Gott mehr zu gehorchen als der Familientradition, aber das gilt nur dann, wenn die Familientradition inkompatibel sich zur christlichen Religion verhält! Trotzdem, die Antithetik von Herkunfstbestimmtheit und der Freiheit zum Selbstentwurf als einem Spezificum der Moderne überzeugt- und wohl auch der Versuch der Rekonstruktion der Moderne aus der christlichen Religion, wenn man das Gewicht auf Ketzerbewegungen am Rande der Kirche legen würde, in denen tatsächlich das "Ein Neuer Mensch Sein aus Gott" so stark betont wurde, daß das natürliche Sein des Menschen negiert wurde.
Könnte nun das Besondere der Postmoderne gegenüber der Moderne, als dem Konzept des sich selbst entwerfenden Menschen präzisiert werden? Ich meine ja, wenn man unter dem Entwurf des Menschen ein Lebenskonzept versteht, während die Postmoderne diese Einheit, das Einssein auflöst in eine Serie von Projekten, die der Mensch immer wieder neu inszeniert, ohne daß dies ein organisches Ganzes ist oder sein soll.
Wie radical das Nein zur Herkunftsbestimmung nun nicht nur gedacht sondern auch gelebt wird, zeigt der aktuelle Diskurs darüber, daß Menschen die Freiheit beanspruchen, ihr natürliches Geschlecht ablegen wollen zu dürfen, weil sie selbstbestimmt sich das ihre erwählen wollen und auch dies wieder verwerfen zu können. Alles Fremdbestimmte und das heißt eben immer auch Bestimmtsein von der Herkunft soll zugunsten reiner Selbstbestimmung überwunden werden. Wenn Sloterdijk für diese radicale Freiheitskonzeption einen christlichen Vordenker mitverantwortlich machen wollte, dann läge er damit bei W. Occam richtig! Wie dieser Theologe die Freiheit Gottes denkt, so denkt der moderne Mensch sich als frei! Gerade angesichts eines solchen Antitraditianalismus der Moderne wie der Postmoderne verblüfft es dann aber auch nicht, daß in der Kirche die Stimmen lauter werden, die eine Einpassung in die Gegenwart fordern und deshalb den Verzicht auf die Tradition. Und es ist kein Zufall, daß diese Einpassung dem Protestantismus so gut gelingt, denn er hat ja schon durch seine Kampfparole des "die Schrift allein" alle Tradition entwertet und die hl. Schrift so der Willkürauslegung des Zeitgeistes unterworfen.                                    

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