Dienstag, 12. April 2016

Populäre Irrtümer: Die beeinflußte Tat

"Das hätte ich nicht getan, wäre ich nicht "beeinflußt" worden, ist wohl eine der häufigsten Exculpationsformeln, die aber schon nicht deswegen  wahr ist, weil sie sich unter Tätern so großer Beliebtheit erfreut. So soll einst in Vergewaltigungsprozessen die Aussage, hätte die Frau nicht so einen kurzen, so schöne freilegenden Minirock getragen....zum Standardrepetoire der Verteidigung gehört haben. Befremdlich muß aber einem genauen Beobachter auffallen, daß von einem Beenflutwordensein zum Guten nie die Rede ist! Ich hätte das Rechte nicht getan, wenn mich das gute Beispiel von....dazu nicht beeinflußt hätte, werden wir nie aus dem Munde eines Täters vernehmen.Nur eine Beeinflusung zum Bösen oder Nichtgesollten gibt es also in diesem Diskurs der Selbstentmündigung des Menschen: Ich bin dafür nicht selbst verantwortlich.  
In der christlichen Religion gilt der Mensch als für sein böses wie auch gutes Wollen und Tuen verantwortlich. Thomas von Aquin machte gerade diese Zentralaussage über die Selbstverantwortlichkeit des Menschen zu seinem kritischen Argument wider die Astrologie, insofern diese den Menschen als durch Sternkonstellationen determiniert als nicht mehr selbstverantwortlich für sein Tuen ansieht.      
"Thomas  betont, dass es in der Macht des menschlichen Willens liege, entsprechend seiner vernunftgemässen Einsicht den gefühlshaften Neigungen zu folgen oder sie zurückzuweisen. Die Wahl- und Entscheidungsfreiheit ist also prinzipiell gewährleistet; Thomas ist aber doch der pessimistischen Ansicht, dass die Mehrheit der Menschen den gefühlsmässigen Antrieben folge und dass nur der Weise dank seiner Vernunft den Leidenschaften widerstehen könne. Häufig zitiert er das Sprichwort aus dem Centiloquium: "Sapiens homo dominatur astris". (Der Weise steht über den Sternen.)
Thomas gibt zu, dass die Astrologen menschliche Handlungen oft richtig voraussagen, besonders kollektive Ereignisse wie z.B. den Ausgang von Kriegshandlungen. Dennoch verbietet er ausdrücklich astrologische Voraussagen, die sich auf zukünftige menschliche Handlungen beziehen. Dieses Verbot begründet er damit, dass man durch solche Prognosen den Menschen den übrigen Lebewesen gleichstellen würde, die in ihrem Verhalten fast vollständig determiniert sind und dass man damit das spezifisch Menschliche, nämlich die Möglichkeit zu Freiheit und Selbstbestimmung, verleugnen würde.", erläutert E. Fleischmann-Kessler in ihrem Essay: Astrologische Thesen bei Thomas von Aqiun, auf der Internetseite: Astrologie und Geschichte, 23.8.1985, S.9)
Was Thomas gerade energisch ablehnte, das wird heuer auch im moraltheologischen Diskurs vertreten, daß der Sünder eigentlich nicht für sein böses Tuen verantwortlich sei. Die simple Aussage, daß der Täter beeinflußt worden sei zum Negativen wird dabei zu ganz komplexen Sozialmilieutheorien aufgestockt, nur um dann schlußendlich den Täter für unschuldig zu deklarieren, weil seine böse Umwelt schuldig sei an seinem Tuen! 
Sagt wer zu mir, lese dieses Buch, weil es gut ist, dann kann ich dieser Empfehlung nachgehen oder sie verwerfen. Immer ist es meine freie Entscheidung, etwas  befolgen oder nicht  befolgen zu wollen.Sartre führte mal zu Abrahams Opfer seines einzigen Sohnes aus, daß es Abrahams freie Entscheidung war, die Aufforderung, opfere deinen Sohn als Gottes Anforderung zu hören, denn er hätte auch mit Kant urteilen können, daß das nicht Gottes Ruf an ihn sein könne, weil Gott so eine Untat nie von ihm verlangen könne. 
Wenn mein Tun motiviert ist durch Gründe, ich möchte das Buch lesen, weil es der und der auch gelesen und für gut befunden haben, dann bin ich es doch immer, der diese möglichen Gründe für die Entscheidung, dies Buch zu lesen, zu den Gründen meiner Entscheidung für das Lesen dieses Buches gemacht hat. Die Gründe determinieren mich nicht, weil sie erst durch meine Wahl zu Gründen meines Tuens und Unterlassens geworden sind. 
Es gibt nun einen einsichtigen Grund, warum sich diese Beeinflussungsthese so großer Beliebtheit erfreut: der Glaube an das Gutsein jedes Menschen, der die christliche Sicht des Menschen als eines von der Erbsünde Bestimmten abgelöst hat. Wenn jeder Mensch von Geburt an ein guter Mensch ist, dann kann seine Neigung zum Bösen nur als eine Folge einer Manipulation zum Bösen hin angesehen werden: Das böse Milieu korrumpiert den von Natur aus guten Menschen. Gäbe es dies nicht, wären alle Menschen gut. Die Miniaturausgabe ist die Geschichte von meiner Beeinflussung zum Bösen durch Mitmenschen: Ich hätte nicht zu viel des Alkoholes getrunken, hätten die anderen mir nicht immer wieder nachgeschenkt. Warum sagte ich dann nicht einmal: Genug, es reicht mir!, bleibt dann ungefragt, weil es schöner ist, sich als ein Opfer einer Manipulation zu sehen, statt sich zu sagen: Ich trank so viel, weil ich es so wollte. 
Auf irgendeine Größe, den Sternen, das böse Milieu, die Umwelt, die gewaltverherrlichenden Filme etc mein böses Tuen entschuldigend zurückzuführen, erweist uns als gelehrige Schüler Adams, der auch der Frau allein die Schuld gab, um sich zu exculpieren. Jetzt ersetzt die Milieutheorie oder die einfache Vorstellung von dem Beeinflußtwordensein Eva als den Sündenbock. Wie anders urteilte die Katholische Theologie auf der Höhe des Thomas von Aqiun in dieser Causa. 
Nur, wo es kein für sein Tuen und Unterlassen verantwortliches Subjekt mhr gibt, sondern nur noch Handlungsträger, durch die etwas anderes handelt, die Sozialisation, die Gewohnheit, das: Man tut das so, dann ist auch jede Vorstellung von der Reue über das Getane und einer Vergebung sinnloses Gerede. Der Mensch schafft sich selbst als für sich verantwortliches Subjekt ab, damit man ihn nicht mehr verantwortlich machen kann für sein Leben. 
Zum Standardargument ist dies beim Thema des Freitodes geworden: Überall ertönt das Gerede vom für sein Wollen des Todes nicht Verantwortlichen, weil er, will er so, pauschaliter als manipuliert verurteilt wird, daß er etwas als seinen Willen äußert, was er aber- unmanipuliert- gar nie wollen würde!   
Merksatz: Die vorstellung von einer beeinflußten Tat eskamotiert das für sein Tuen und Unterlasen selbstverantwortliche Subjekt, das eben selbst die freie Entscheidung trifft, etwas so oder nicht so zu wollen. Daß ich zu jeder indikativischen Aussage, das tat ich auch die konjunktivische setzen kann, aber ich hätte das auch nicht tun können, bringt das eskamotierte selbstverantwortliche Subjekt wieder an das Tageslicht des Bewußtseins.            

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