Sonntag, 16. April 2017

Verlöschender Jenseitsglaube?

In Umfragen über, was denn die Deutschen glauben, hält sich eine Zahl relativ konstant: Circa ein Drittel glauben an ein (irgendwie geartetes) Leben nach dem Tode, ungefähr genauso viele verneinen das und ein Drittel sagt: Dazu kann ich nichts sagen! Die Bildzeitung bringt am 14.4. exaktere Zahlen:
"An ein Weiterleben nach Tod ganz allgemein glauben der Umfrage zufolge drei von zehn Deutschen (30,5 Prozent). Interessant ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern: Jede dritte Frau (34,7 Prozent), aber nur jeder vierte Mann (26 Prozent) glaubt an ein Leben nach dem Tod.
Mehr als in jeder anderen Altersgruppe glauben die unter 25-Jährigen (37,5 Prozent) an ein Weiterleben nach dem Tod. Unter den über 65-Jährigen glaubt nur gut jeder Vierte (27,8 Prozent) daran.
Mehr Westdeutsche (32 Prozent) als Ostdeutsche (24,3 Prozent) glauben an eine Existenz nach dem Sterben.
Jeder zweite evangelisch-freikirchliche Christ (49,4 Prozent), jeder dritte evangelisch-landeskirchliche Christ (31,8 Prozent) und vier von zehn katholischen Christen (40 Prozent) glauben an ein Weiterleben nach dem Tod."

Vier von Zehn glauben in der Katholischen Kirche noch an ein Weiterleben, also Sechs nicht mehr.
Soll man nun ausrufen:Hurra, 4 von 10 glauben ja noch an ein jenseitiges Leben oder: So viele, 6 von 10 glauben nicht mehr an ein jenseitiges Leben- welch ein Glaubensabfall! Es darf davon ausgegangen werden, daß schon unsere germanischen Vorfahren vor ihrer Bekehrung zum Christentum einen Jenseitsglauben kannten, ja wohl alle Kulturvölker über Hades- und Scheol-Vorstellungen verfügten, auch die Indianer, wenn man Karl Mays Darstellungen über die indianische Kultur vertraut- und nun dieser Kulturabfall. Gehört nicht der Glaube an ein jenseitiges Leben konstitutiv zur menschlichen Kultur dazu? Jede Tat oder unterlassene Tat ist einerseits eine im Fluße der Zeit, der Geschichte, die einen Anfang und ein Ende hat und im Strome der Zeit dann auch verschwindet. Wenn es aber ein Jenseitsleben gibt, dann hat jede Tat aber auch jede unterlassene eine ewige Bedeutung! Denn wie ich hier lebe, das bestimmt, wie für mich mein Jenseitsleben ausfällt für mich.So erst bekommt mein Tuen und Unterlassen Gewicht- es kann nicht mehr gleichgültig sein!
Ist das nicht die Voraussetzung allen kulturellen Lebens, der Glaube an eine Ewigkeitsbedeutung meines Tuens und Unterlassens, daß unser Leben einer zweifachen Buchführung unterliegt: Mein Leben als, wenn es hochkommt als eine Fußnote in der Menschheitsgeschichte und als Eintrag im Buch des ewigen Lebens!
Zeiten der Dekadenz sind Zeiten der Lebensmüdigkeit, des Überdrusses am Leben. Ist das nicht der tiefste Grund der Sympathie für die Vorstellung eines natürlichen Todes, daß der Tod natürlich zum Leben dazugehört und nicht das ist, was dem Leben als das Nichtgesollte entgegengesetzt ist. 
Unsere Todeskultur, unsere Dekadenz manifestiert sich eben nicht nur in den sinkenden Geburtenzahlen und in der Lust an den Kindestötungen, euphemistisch: "Abtreibung" geannt, nicht nur im Verneinen unserer Kultur im trotzigen Bejahen der Auslöschung unserer Identität in Multikultialbträumen, sondern auch im Verblassen des Jenseitsglaubens. 
Ludger Lütkehaus verdanken wir ein nicht genug zu bewunderndes Buch über die Dekadenz in der Moderne, dem großen Verdacht, daß sich das Leben nicht lohnt, daß das Nichtsein dem Sein vorzuziehen wäre: "Nichts". Erstauflage 1999.  Denn im Nein zum Leben nach dem Tode verbirgt sich auch ein Nein zum Leben vor dem Tode! Denn wie die Liebe immer ewige Liebe sein will, so will auch das Leben, das sich bejahende ewiges Leben! 
So ist es kein Zufall, daß der größte Analytiker der Dekadenz und des aufkommenden zukünftgen Nihilismus, Friedrich Nietzsche zur Überwindung der Dekadenz einen eigenen Ewigkeitslebensglauben kreierte- in bewußter Absetzung zu Schopenhauers Erlösungslehre von der Aufgabe des Lebenswillens: Lebe in dem Bewußtsein, daß Du Dein Leben, so wie Du es jetzt lebst ewig immer wieder zu leben hast und lebe so,daß Du das bejahen kannst. Auch und gerade der größte Antimetaphysiker kommt so um der Lebensbejahung willen nicht ohne Metaphhysik aus im Glauben an die ewige Wiederkehr:
"Das grösste Schwergewicht. – Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: „Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: „du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!“ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und Jedem „willst du diess noch einmal und noch unzählige Male?“ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?" –   Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft,Aphorismus 34, zitiert nach Wikipedia: Ewige Wiederkehr

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