Dienstag, 5. Mai 2015

Wie verbindlich ist die Moral? Teil 1

"Evozierter Todeswunsch"( obwohl es  besser formuliert heißen sollte : Die Lust an der Entmündigung des Menschen) betitelt Kath-info-Portal das Grußwort Prof Spaemanns zu einer Veranstaltung des Lebensschutzes. Prof. Spaemann schrieb:  "Dass der Selbstmord moralisch geächtet bleibt, ist für die menschliche Gemeinschaft von größter Wichtigkeit. Denn wenn er eine sozial akzeptierte und institutionell ausgestattete Möglichkeit ist, wird es unvermeidlich sein zu verhindern, dass daraus die Pflicht wird, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, um den anderen nicht weiter zur Last zu fallen. Schon die Stoiker haben diesen Schluss gezogen. Wie viele Menschen heute schon so handeln, spielt keine Rolle. Es ist nun einmal logisch zwingend: Wenn ich anderen einen Dienst erweisen kann und dies nicht tue, dann trifft mich die Verantwortung für die Folgen der Unterlassung. Das Bewusstsein, das eigene Weiterleben gehe zu Lasten der Angehörigen und der Kranke könnte sie von dieser Last befreien. Es kann in dem, der dazu zunächst nicht bereit ist, den Todeswunsch erst entstehen lassen.Prof. Dr. Robert Spaemann in seinem Grußwort für die Fachtagung des „Bundesverbandes Lebensrecht“ (BVB) zur „Woche für das Leben“ am 18. April 2015 in Hamburg." 
Diese professorale Äußerung gibt nun doch viel zu denken auf! Erstmal fehlt hier die unbedingt notwendige Unterscheidung von Töten und Morden: nicht jede Tötungshandlung ist ein Morden und zudem fehlt die Festlegung, daß es moraltheologisch um den Freitod geht, das ist eine Handlung mit dem Ziele der Selbsttötung, die freiwillig vollzogen wird. Wäre sie nicht freiwillig, wäre a)der Täter nicht oder nur teilweise für diese Tat eigenverantwortlich und b) dürfte im Falle einer Unfreiwilligkeit auch keine Beihilfe zur Selbsttötung geleistet werden, die ja im Regelfall eine strafrechtlich nicht verbotene Handlung ist. 
Eine moralische Verurteilung des "Selbstmordes", wie sie Spaemann fordert, bezöge sich so nur auf den Fall einer Selbsttötung, in der die Kriterien eines Mordes erfüllt sind. Wahrscheinlicher will Spaemann aber alle Selbsttötungen als Selbstmorde abqualifizieren, ohne daß er für die Gleichsetzung jeder Selbsttötung mit dem Mord ein Argument erbringt.   Wie verbindlich wäre dann diese von ihm von der Moral geforderte Ächtung der Selbsttötung? Es gibt Moralen, die den Freitod ablehnen und Moralen, die ihn bejahen. Das ist unbestreitbar. Da der Staat den Freitod nicht mehr als eine strafbare Handlung ansieht, ist es jedem Staatsbürger freigestellt, aus moralischen Gründen den Freitod zu bejahen oder zu reprobieren als menschliche Möglichkeit. 
Nun meint Spaemann , daß aus der Erlaubtheit des Freitodes eine Pflicht zum Freitode würde, weil sich nun Schwererkrankte mit der Forderung konfrontiert sähen, sich zu töten oder töten zu lassen, weil es ihre Pflicht nun sei, ihre Mitmenschen von ihrer Last zu befreien und daß deshalb der Freitod moralisch-wohl von jeder Moral-geächtet werden müsse, wegen dieser Folge der Verwandlung der Freiheit zum Freitod zur Pflicht zum Freitod.
Erstmal ist der Freitod schon staatlich erlaubt und trotzdem spricht heuer niemand von der Pflicht zum Freitod. Es sprechen aber Schwererkrankte davon, daß sie den Tod ersehnen, daß sie daran aber gegen ihren Willen gehindert werden, teilweise gar unter Gewaltanwendung-sie werden fixiert und so am Freitod gehindert. Aber prinzipieller: warum kann es denn nicht eine Moral geben, die dem Einzelnen zum Freitod rät, wenn er nur noch seinen Mitmenschen eine Last ist? Das wäre selbstredend keine mit der christlichen Religion kompatible; aber es gibt kein Argument dafür, daß in einer postchristlichen Gesellschaft mit der christlichen Religion unvereinbare Moralen vertreten werden. Man denke nur an die bekannteste: die Moral des Feminismus mit ihrer Hauptparole des Rechtes auf die Tötung der eigenen Kinder, wenn sie noch nicht geboren sind!  Und Spaemann verweist ja selbst auf den Stozismus, in der zum Teil wohl unter bestimmten Bedingungen eine Pflicht zum Freitod vertreten wurde. Nebenbei: im Ehrenkodex von Offizieren gab es auch die Vorstellung, daß unter bestimmten Umständen der Freitod fast schon eine Pflicht ist. Das scheinbar überzeugende Argument, es muß der Freitod moralisch verurteilt werden, damit er nicht zur Pflicht wird, setzt somit voraus, was er eigentlich erst beweisen will. Nur unter der Präsumption, daß der Freitod etwas  moralisch Verwerfliches ist, ist die These, daß dann der Freitod zur Pflicht wird, das Argument wider die moralische Erlaubtheit des Freitodes. 
Hielte man nun aber an der wörtlichen Formulierung Spaemanns fest, daß er vom Selbstmord spricht, dann ergäbe dies diese Tautologie: daß eine Selbsttötung aus niederen moralischen Beweggründen eine moralisch zu ächtende Tat wäre. Das ist eine in sich evidente Aussage, weil die Folgerung, daß die Tat unmoralisch ist, schon in der Qualifizierung der Tat durch den Begriff der niederen Beweggründe enthalten ist. Diese Aussage ist so evident und wahr wie die Aussage: Kugeln sind rund. 
Nun gibt es in mit D.Bonheoffer einen Vertreter, der tatsächlich, wenn man es genau nimmt, von einer Pflicht zum Freitod sprach und zwar in seiner Ethik. Im Hintergrund stand Folgendes. Bonhoeffer war  involviert in eine Verschwörung gegen Hitler. In diese, Verschwörerkreis soll diskutiert worden sein, wie man sich zu verhalten habe, wenn einer der Verschwörer verhaftet würde und er in der Gefahr stünde-unter Folter- die Namen der Mitverschwörer zu verraten, sodaß alle Beteiligten mit der Todesstrafe zu rechnen hätten. In diesem Falle, so Borhoeffer, wäre der Freitod moralisch legitim.um den Anderen das Leben zu retten. Wer den Text dann in der Ethik liest,hier umgeformt zu der Frage: darf ein in Kriegsgefangenschaft geratener Soldat sich selbst töten, um einen Verrat an den Kameraden- unter Folter-zu verunmöglichen. Beidesmal suggeriert die gegebene Antwort, daß es eine Pflicht zum Freitod in dem Falle geben könnte, wenn so nur das Leben vieler anderer gerettet werden kann.  Aber auch hier handelt es sich nur um einen moralischen Appell, dem niemand nachzukommen verpflichtet ist.  
Aber Spaemann hat hier nicht einem Freitod vor Augen, der getätigt wird,um anderen das Leben zu retten, sondern, um anderen von der Last der Sorge um den Schwererkrankten zu befreien. Das kann nun wirklich nicht überzeigen, weil es an der Realität vorbeigeht. Diejenigen, denen der Schwererkrankte eine Last ist, haben diesen Fall in der Regel "abgeschoben" in ein Sterbehaus (Hospitz) oder in ein Pflegeheim und belasten sich so nicht mit diesem Fall, nur in besonderen Fällen finanziell. Der Grund für das Argument der Entlastung der Mitmenschen ist ein  anderes: die Sterbenwollenden versuchen damit ihren Wunsch nach dem Freitod moralisch zu legitimieren, weil sie in einem sozialen Raum leben, der ihnen den Freitod als moralisch nicht erlaubt vorwirft. Der Träger dieses Argumentes ist also einer, der den Freitod will und versucht, ihn anderen gegenüber moralisch zu rechtfertigen. Denn es ist nun mal so, daß der bloße Wille,ich will das!, nicht als Legitimierung eines Wunsches ausreicht, besonders dann nicht, wenn die Realisierbarkeit des Gewünschten abhängig ist von dem Wohlwollen anderer. Die Anderen sollen somit mit diesem Argument der Entlastung von der moralischen Legitimität des Freitodwunsches überzeugt werden. Herr Spaemann verkennt also den Sitz im Leben von diesem den Freitod legitimieren sollenden Argument.Nicht wird so ein Todeswunsch evoziert, sondern der unabhängig von diesem Argument existierende Todeswunsch soll nachträglich damit legitimiert werden.  
Es bleibt zudem festzuhalten, daß eine moralische Verurteilung der Selbsttötung keinen Staatsbürger dazu verpflichtet, diese Ächtung für sich als verbindlich anzuerkennen. Wenn man nun darlegen könnte, daß es gar der Vernunft widerspräche, den Freitod zu wollen, dann evoziert das die nicht illegitime Nachfrage, was den mich dazu verpflichte, vernünftig zu handeln? Und mit dieser Frage endet dann jede Moraldiskussion am radicalen Subjektivismus der Postmoderne. Es gibt, in Anlehnung an Lyotard, einen unaufhbbaren "Widerstreit" verschiedener untereinander inkomptibler Moralen, der nicht in einem Forum der von allen anerkannten Vernunft gelöst werden kann. 
Das Ende des christlichen Abendlandes ist eben auch und gerade der Tod des Glaubens an eine für alle Menschen gleich verbindliche Moral. Die postchristliche Gesellschaft ist von ihrem Wesen her eine pluralistische, in der die christliche Moral nur eine unter anderen ist. Und zudem muß auch angefragt werden, ob denn wirklich der Freitod aus christlicher Sicht immer eine Sünde ist. 
Zum Konkreteren: daß jede Freiheit auch mißbrauchbar ist, ist eine unbestreitbare Wahrheit. Soll man nun die Pressefreiheit abschaffen, bloß weil Medien das als Recht zur Lüge mißverstehen und zu einer wahrhaften Lügenpresse sich mutieren? Auch das Recht auf den Freitod kann mißbraucht werden, aber um der Möglichkeit des Mißbrauches willen, sollte man den Gebrauch nicht perhorreszieren. 

Corollarium 1
Wer Moral in einer pluralistischen Gesellschaft sagt, will, daß seine Moral Einfluß auf das Staatsrecht bekommt. Aber mit welchem Recht darf eine Privatmoral  das Staatsrecht bestimmen? Es gehört aber zum Wesen des Gebotes Gottes, daß es das Staatsrecht bestimmen soll-aber nicht als Moral, sondern als göttliches Gesetz!   

               

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