Der heilige Vater schreibt in:Evangelii Gaudium
231.Es gibt auch eine bipolare Spannung zwischen der Idee und der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist etwas, das einfach existiert, die Idee wird erarbeitet. Zwischen den beiden muss ein ständiger Dialog hergestellt und so vermieden werden, dass die Idee sich schließlich von der Wirklichkeit löst. Es ist gefährlich, im Reich allein des Wortes, des Bildes, des Sophismus zu leben. Daraus folgt, dass ein drittes Prinzip postuliert werden muss: Die Wirklichkeit steht über der Idee. Das schließt ein, verschiedene Formen der Verschleierung der Wirklichkeit zu vermeiden: die engelhaften Purismen, die Totalitarismen des Relativen, die in Erklärungen ausgedrückten Nominalismen, die mehr formalen als realen Projekte, die geschichtswidrigen Fundamentalismen, die Ethizismen ohne Güte, die Intellektualismen ohne Weisheit.
232. Die Idee – die begriffliche Ausarbeitung – dient dazu, die Wirklichkeit zu erfassen, zu verstehen und zu lenken. Die von der Wirklichkeit losgelöste Idee ruft wirkungslose Idealismen und Nominalismen hervor, die höchstns klassifizieren oder definieren, aber kein persönliches Engagement hervorrufen. Was ein solches Engagement auslöst, ist die durch die Argumentation erhellte Wirklichkeit. Man muss vom formalen Nominalismus zur harmonischen Objektivität übergehen. Andernfalls wird die Wahrheit manipuliert, so wie man die Körperpflege durch Kosmetik ersetzt.[185] Es gibt Politiker – und auch religiöse Führungskräfte –, die sich fragen, warum das Volk sie nicht versteht und ihnen nicht folgt, wenn doch ihre Vorschläge so logisch und klar sind. Wahrscheinlich ist das so, weil sie sich im Reich der reinen Ideen aufhalten und die Politik oder den Glauben auf die Rhetorik beschränkt haben. Andere haben die Einfachheit vergessen und von außen eine Rationalität importiert, die den Leuten fremd ist.
233. Die Wirklichkeit steht über der Idee. Dieses Kriterium ist verbunden mit der Inkarnation des Wortes und seiner Umsetzung in die Praxis: » Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der bekennt, Jesus Christus sei im Fleisch gekommen, ist aus Gott « (1 Joh 4,2). Das Kriterium der Wirklichkeit – eines Wortes, das bereits Fleisch angenommen hat und stets versucht, sich zu „inkarnieren“ – ist wesentlich für die Evangelisierung. Es bringt uns einerseits dazu, die Geschichte der Kirche als Heilsgeschichte zur Geltung zu bringen, unserer Heiligen zu gedenken, die das Evangelium im Leben unserer Völker inkulturiert haben, die reiche zweitausendjährige Tradition der Kirche aufzunehmen, ohne uns anzumaßen, eine von diesem Schatz getrennte Lehre zu entwickeln, als wollten wir das Evangelium erfinden. Andererseits drängt uns dieses Kriterium, das Wort in die Tat umzusetzen, Werke der Gerechtigkeit und Liebe zu vollbringen, in denen dieses Wort fruchtbar ist. Das Wort nicht in die Praxis umzusetzen, es nicht in die Wirklichkeit zu führen bedeutet, auf Sand zu bauen, in der reinen Idee verhaftet zu bleiben und in Formen von Innerlichkeitskult und Gnostizismus zu verfallen, die keine Frucht bringen und die Dynamik des Wortes zur Sterilität verurteilen."
Auf den ersten Blick mag diese Passage nicht zum Zentralen dieses päpstlichen Schreibens stehen und doch erheischt sie besondere Aufmerksamkeit, wird in ihr doch Grundlegendes zum Verhältnis von Denken und Sein formuliert. Der Anfang verblüfft.231. "Es gibt auch eine bipolare Spannung zwischen der Idee und der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist etwas, das einfach existiert, die Idee wird erarbeitet." Die Wirklichkeit existiert nicht einfach, sondern ist ja selbst etwas Geschaffenes und Produziertes. Es gibt keine Wirklichkeit, von der nicht gilt, daß sie Gott geschaffen hat, entweder unmittelbar oder vermittels von Zweitursachen. Anders gesagt: Gott schuf für alles, was ist, die Ermöglichungsbedimgungen dafür, daß es ist. Das "einfach" ignoriert dabei völlig den komplexen Charakter der Wirklichkeit. Preisfrage: Menschen denken etwas über Wirkliches, einige versuchen, das Ganze der Wirklichkeit zu denken- gehört das Denken, das Wie Wirkliches gedacht wird, nicht auch zur Wirklichkeit? Aber der Text sieht das wohl anders: für ihn gibt es nur das Wirkliche und das Denken gehört nicht selbst zum Wirklichen. Was ist nun die Idee? Sie soll etwas nur Erarbeitetes sein, und damit irgendwie weniger wirklich als das Natürlich-Wirkliche! Dabei ist faktisch die "natürliche" Lebenswelt des modernen Menschen eine reine Kunstwelt- er wohnt in künstlichen Wohnungen und Häusern, trägt Kleider, ernährt sich von Zubereitetem, lebt in einer Kultur und nicht mehr natürlich und ist umgeben von so viel Technik, daß er eigentlich sich ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen kann. Und das Wesentliche dabei: alles Künstliche ist eine Realisierung einer Idee. In jedem Herstellungsakt von etwas ist erst die Idee von dem Herzustellenden und dann wird das Material dafür erstellt, um die Idee zu realisieren. Der moderne Mensch lebt also in einer künstlichen Welt, die man als Summe von realisierten Ideen bezeichnen kann und muß, wenn man ihr gerecht werden will.
Die Einfachheit des Existierens der Welt ist so einfach das Produkt des Vergessens des Hergestelltseins der Wirklichkeit nach dem Maße der ihr zu Grunde liegenden Ideen.
Das gilt insbesondere von Gottes Schöpfungsakt. Unter der ontologischen Wahrheit von etwas versteht so die Dogmatik das Sein der Idee des Etwas, wie es Gott denkt als, Idee in der verwirklichten Idee, der Realität. Wahr ist etwas, wenn es mit seiner Idee in Gott übereinstimmt.
So schreibt Papst Beneikt XVI: "Die Dinge sind, weil sie gedacht sind. [...]ist daher alles Sein Gedachtsein, Gedanke des absoluten Geistes. Da alles Sein Gedanke ist, ist alles Sein Sinn, Logos, Wahrheit. Menschliches Denken ist von da aus Nach-Denken des Seins selbst, Nachdenken des Gedankens, der das Sein selber ist.Der Mensch aber kann dem Logos, dem Sinn des Seins, nachdenken, weil sein eigener Logos, seine eigene Vernunft, Logos des einen Logos, Gedanke des Urgedankens ist, des Schöpfergeistes, der das Sein durchwaltet." (Papst iXVI, Einführung in das Christentum, 2000, S.53.)
So schreibt Papst Beneikt XVI: "Die Dinge sind, weil sie gedacht sind. [...]ist daher alles Sein Gedachtsein, Gedanke des absoluten Geistes. Da alles Sein Gedanke ist, ist alles Sein Sinn, Logos, Wahrheit. Menschliches Denken ist von da aus Nach-Denken des Seins selbst, Nachdenken des Gedankens, der das Sein selber ist.Der Mensch aber kann dem Logos, dem Sinn des Seins, nachdenken, weil sein eigener Logos, seine eigene Vernunft, Logos des einen Logos, Gedanke des Urgedankens ist, des Schöpfergeistes, der das Sein durchwaltet." (Papst iXVI, Einführung in das Christentum, 2000, S.53.)
Der Text Papst Franziskus kennt dagegen die Idee und das Denken nur als Versuch einer Widerspiegelung der Wirklichkeit, als wäre der höchste Akt des Denkens das Photokopieren der Wirklichkeit. Angesichts dieses antiidealistischen Denkens darf wohl an Adornos Bemerkung erinnert werden: "Aber die bis zum Überdruß verkündete Wendung der Philosophie gegen den Idealimus wollte nicht militante Aufklärung sondern Resignation." (Adorno, Wozu noch Philosophie?, in: Adorno, Eingriffe. Neun kritische Modelle, 8.Auflage, 1974, S.25,)Das Wirkliche, so wie es ist, wird zu der Norm des Denkens und somit auch des moraltheologischen. (Es ist kein Zufall, daß im heutigen Leitartikel der FAZ zum Ja der Iren zur Homosexehe der Papst zitiert wird: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee, um damit zu sagen, daß die Morallehre der Kirche nun die Wirklichkeit, wie Menschen eben Homosex leben so zu akzeptieren hat, statt die Wirklichkeit nach moralischen Ideen gestalten zu wollen.
Sehr befremdlich klingt dann auch: " Die von der Wirklichkeit losgelöste Idee ruft wirkungslose Idealismen und Nominalismen hervor, die höchstens klassifizieren oder definieren, aber kein persönliches Engagement hervorrufen. Was ein solches Engagement auslöst, ist die durch die Argumentation erhellte Wirklichkeit." Jeder Produktionsprozeß widerspricht dem. Zuerst hat der Künstler eine Idee, daß er eine Marienfigur schnitzen will, dann sucht er dafür ein geeingnetes Holz und Werkzeuge, um die Idee zu realisieren. Nicht ist aus den vorgegebenen Materialen, Holz und Werkzeugen die Idee einer Marienfigur ableitbar- aber aus der Idee ergibt sich, was für Holz und sonstige Materialien und Werkzeuge der Künstler sich verschaffen wird, um diese Idee zu realisieren. Was soll nun eine durch eine Argumentation erhellte Wirklichkeit sein? Sie könnte höchstens uns eine Vielzahl an Verwendungsmöglichkeiten des vorhandenen Materiales aufzeigen, was man halt alles mit dem Holz und den vorhanden Werkzeugen machen könnte, aber diese Erhellung sagt nichts aus über das Was nun daraus zu machen ist. Wirkliches ist und sagt uns nichts darüber aus, was aus ihm zu machen ist. Engagement entsteht durch den Willen und nicht durch eine Analyse von Möglichkeiten. "Das Ziel will ich erreichen!", ist Engagement. Aber jedes gesetzte Ziel transzendiert die Wirklichkeit, indem der Wille sich auf etwas ausrichtet, was nicht ist, aber was sein soll.
Nun soll gar die Inkarnation des göttlichen Logos die Wahrheit des Satzes, daß das Wirkliche wichtiger sei als die Idee beweisen. Das ist nun wirklich absurd. Denn die Inkarnation realisiert ja die Idee der Inkarnation, sodaß die Wahrheit der Inkarnation die ist, daß Gott sie wollte, daß dies Ereignis also das der Wirklichwerdung der Idee der Inkarnation ist. Ein Ereignis ist schon nicht drum wahr, daß es sich ereignet- sondern wahr ist es nur, wenn es so sich ereignet, wie es sich ereignen sollte. So ist der wahre Mensch der, der so ist, wie er in Gottes Idee sein soll, während der wirkliche Mensch gerade der abgefallene, der entfremdete Mensch ist. Ein anderes Beispiel möge dies verdeutlichen: daß der Mensch sterben muß. ist Wirklichkeit, aber eine unwahre Wirklichkeit, denn Gottes Wille ist, daß der Mensch lebt und nicht stirbt- nur wegen der Sünde stirbt er.
Der diese Textpassage bestimmende Antiidealismus präfiguriert so ein Handeln der Kirche, daß seine höchste Tugend in einem Sicheinpassen in die Welt erblickt. Um es mit Musil (Der Mann ohne Eigenschaften) zu sagen: Dem Wirklichkeitssinn wird der Möglichkeitssinn geopfert. Die Wirklichkeit wird zur alternativlosen Wirklichkeit hochstlisiert, der man sich nur noch anzupassen hat. Auch der Begriff der "Inkulturation",ist so gesehen nicht problemlos: hat die Wahrheit sich der Welt zu akkommodieren oder ist die Welt nach der Wahrheit umzugestalten?
Dies mag als eine philosophische Nebenächlichkeit erscheinen- ist aber für das Leben der Kirche von existentieller Bedeutung! Die Apotheose der Wirklichkeit verfehlt nämlich gerade die Wirklichkeit,indem sie das Wirkliche nicht als eine Realisierungsgestalt von Ideen begreift und so auch kein kritisches Gegenüber zur Wirklichkeit mehr einnehmen kann als dem Differenzbewußtsein von der Idee und ihrer defizitären Realisierung in der Wirklichkeit. Und so wird auch jedes menschliche Hervorbringungen mißverstanden. Handeln heißt nicht, etwas Natürlich-Wirkliches nachzuahmen, als wäre die Nachahmung der Natur das höchste Ziel des Menschen sondern die menschliche Praxis besteht aus dem Hervorbringen von etwas aus der Natur, was selbst künstlich ist. Und in diesem Hervorbringen steckt immer auch ein das Natürliche Transzendierendes. Der Mensch ist eben kein Wesen, das in der Natur lebt, sondern dem die Natur als Gestaltungsaufgabe gegeben ist, daß er sie nach seinen Ideen umgestaltet. In diesem Punkte muß man auch mal einem marxistischen Philosophen recht geben, L. Althusser, wenn er schreibt: "Unter Praxis im allgemeinen verstehen wir jeden Prozeß der Veränderung einer bestimmten gegebenen Grundmaterie in ein bestimmtes Produkt, eine Veränderung, die durch eine bestimmte menschliche Arbeit bewirkt wird, indem sie bestimmte (Produktions)Mittel benützt." (zitiert nach: Saül Karz, Theorie und Politik, Louis Althusser.1976, S.39.) Als Materialist eskamotiert er hier selbstredend die besondere Bedeutung der Idee für den Arbeitsprozeß, denn nicht aus Vorgegebenem. sondern aus der Transzendentalität des Zieles, der Idee des zukünftigen Produktes ergibt sich erst der Arbeitsprozeß. Untersuchenswet wäre es, inwieweit der Antiidealismus dieses Schreibens Evangelii Gaudium durch spezifisch jesuitische Frömmigkeit bestimmt ist.Unübersehbar ist aber, daß dieser Papst im Gegensatz zu Papst Benedikt dem Denken und somit der Bedeutung der Idee nicht gerecht wird! Sein Antiintellektualismus verhindert dies.
Corollarium 1
Was ein Kreis ist, seine Definition wird nicht dadurch unwahr, daß in der Wirklichkeit der Schule kein Schüler einen Kreis zeichnen kann, der der Definition des Kreises entspricht. Das gilt auch für die Kugel: auch wenn es in der Wirklichkeit keinen Körper gibt, der 100% der Definition der Kugel entspricht, bleibt doch die Wahrheit der Kugel. Was hielte man von einem Mathematiklehrer, der angesichts dieser Differenz von Idee und Wirklichkeit eine Veränderung der Definition von Kreis und Kugel verlangte, um so einen "wirklichkeitmnäheren" Mathematikunterricht zu kreieren?
Corollarium 1
Was ein Kreis ist, seine Definition wird nicht dadurch unwahr, daß in der Wirklichkeit der Schule kein Schüler einen Kreis zeichnen kann, der der Definition des Kreises entspricht. Das gilt auch für die Kugel: auch wenn es in der Wirklichkeit keinen Körper gibt, der 100% der Definition der Kugel entspricht, bleibt doch die Wahrheit der Kugel. Was hielte man von einem Mathematiklehrer, der angesichts dieser Differenz von Idee und Wirklichkeit eine Veränderung der Definition von Kreis und Kugel verlangte, um so einen "wirklichkeitmnäheren" Mathematikunterricht zu kreieren?
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